Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Betriebsrats-/Wahlvorstandsmitglied. Verhältnis des Verfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG zum nachfolgenden Kündigungsschutzprozess

 

Leitsatz (amtlich)

Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt – unabhängig von dem im Kündigungszeitpunkt ausgeübten betriebsverfassungsrechtlichen Amt – die Zustimmung des Betriebsrats im Hinblick auf die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe.

 

Orientierungssatz

1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines durch § 15 Abs. 1 und 3 KSchG geschützten Mitglieds einer Arbeitnehmervertretung kann in Fällen, in denen es hierfür einer gerichtlichen Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats bedarf, grundsätzlich wirksam erst nach Eintritt der formellen Rechtskraft einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung erfolgen.

2. Im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist allein zu prüfen, ob das vom Arbeitgeber reklamierte Recht zur außerordentlichen Kündigung des Amtsträgers in Form eines wichtigen Grundes iSd. § 626 BGB gegeben ist. Den kollektiven Interessen des Betriebsrats und der Belegschaft an der weiteren Amtstätigkeit des Funktionsträgers wird vom Gesetz ausschließlich dadurch Rechnung getragen, dass die außerordentliche Kündigung die vorherige Zustimmung des Betriebsrats oder ihre Ersetzung durch das Gericht erfordert.

3. Infolge der spezifischen Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG kann sich der im Beschlussverfahren beteiligte Arbeitnehmer im späteren, die außerordentliche Kündigung betreffenden Kündigungsschutzverfahren bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes iSv. § 626 BGB nur auf solche Tatsachen berufen, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können.

4. Nach einer Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG, mit der die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung ersetzt wird, steht für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozess fest, dass der Arbeitgeber das Zustimmungsersetzungsverfahren innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet hat. Dagegen kann der Arbeitnehmer den Einwand, der Arbeitgeber habe die Kündigung anschließend nicht unverzüglich nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsbeschlusses erklärt, notwendigerweise erst im Kündigungsrechtsstreit geltend machen.

5. Legt der betroffene Arbeitnehmer sein betriebsverfassungsrechtliches Amt nieder, wird eine im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG bereits ergangene Entscheidung nicht nachträglich gegenstandslos. Ein solches Ereignis wirkt sich vielmehr lediglich auf die Zulässigkeit eines Antrags des Arbeitgebers nach § 103 Abs. 2 BetrVG aus.

6. Der Betriebsrat kann gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG jeden wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs als Mitglied des Wahlvorstands bestellen. Sein Auswahlermessen wird durch das Gesetz nicht beschränkt.

7. Nach Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gem. § 103 Abs. 2 BetrVG bedarf es bezüglich der unveränderten Kündigungsgründe keiner neuerlichen Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

 

Normenkette

KSchG § 15 Abs. 3 S. 1 Alt. 1; BGB §§ 134, 242, 626; BetrVG § 13 Abs. 2 Nr. 2, § 16 Abs. 1 S. 1, §§ 22, 102 Abs. 1, § 103 Abs. 1-2; ArbGG § 72a Abs. 2 S. 1, § 83 Abs. 3, § 92a; ZPO §§ 318, 322 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.12.2016; Aktenzeichen 3 Sa 23/16)

ArbG Pforzheim (Urteil vom 17.02.2016; Aktenzeichen 6 Ca 348/15)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2016 – 3 Sa 23/16 – werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.

Die Beklagte betreibt ein Tagungszentrum mit angeschlossenem Hotel. Die Klägerin war bei ihr als Abteilungsleiterin Housekeeping beschäftigt. Sie war Vorsitzende des im Betrieb der Beklagten gebildeten fünfköpfigen Betriebsrats.

Mit Beschluss vom 16. Juli 2015 (– 18 TaBV 6/14 –) ersetzte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin. Die Beschlussgründe wurden den Beteiligten am 4. August 2015 zugestellt. Der Beschluss wurde mit Ablauf des 4. September 2015 (Freitag) formell rechtskräftig.

Am 3. August 2015 legte die Klägerin ihr Betriebsratsamt nieder. Da keine Ersatzmitglieder zur Verfügung standen, beschloss der Betriebsrat die Durchführung von Neuwahlen. Die Klägerin wurde zur Vorsitzenden des Wahlvorstands bestellt. Die Beklagte erhielt hiervon am 4. August 2015 Kenntnis.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien vorsorglich am 10. August 2015 und nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 16. Juli 2015 erneut am 7. September 2015 außerordentlich fristlos. Beide Kündigungsschreiben gingen der Klägerin jeweils am Folgetag zu.

Die Klägerin hat die Kündigungen für unwirksam gehalten. Die Beklagte habe unverzüglich nach Ende ihres Sonderkündigungsschutzes als Betriebsratsmitglied kündigen müssen. Im Übrigen fehle es an der für beide Kündigungen erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats. Das Landesarbeitsgericht habe lediglich die Zustimmung zu ihrer außerordentlichen Kündigung als Betriebsrats-, nicht aber als Wahlvorstandsmitglied ersetzt. Daneben habe sich das Zustimmungsersetzungsverfahren durch die Niederlegung ihres Betriebsratsamts am 3. August 2015 erledigt. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts sei deshalb gegenstandslos geworden.

Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – beantragt

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeitgeberseitige außerordentliche Kündigung vom 10. August 2015, zugegangen am 11. August 2015, nicht aufgelöst wurde;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeitgeberseitige außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015, zugegangen am 8. September 2015, nicht aufgelöst wurde;

    sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.:

    die Beklagte zu verurteilen, an sie näher bestimmte Beträge als Differenzlohn für September und Oktober 2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Klägerin sei es verwehrt, sich auf den Kündigungsschutz als Mitglied des Wahlvorstands zu berufen. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Niederlegung ihres Betriebsratsamts und der anschließenden Übernahme der Funktion als Wahlvorstandsvorsitzende um eine bewusst gewählte Taktik gehandelt habe. Die Kündigung vom 7. September 2015 sei auf die im Beschluss des Landesarbeitsgerichts über die Zustimmungsersetzung genannten Gründe gestützt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015 für wirksam gehalten. Hiergegen haben – im Umfang ihres Unterliegens – die Klägerin Revision und die Beklagte Anschlussrevision eingelegt, mit denen sie ihre ursprünglichen Anträge weiterverfolgen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung zu Recht nur teilweise entsprochen und festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. August 2015, aber durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. September 2015 aufgelöst worden.

I. Die außerordentliche Kündigung vom 10. August 2015 ist gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig.

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

2. Die Klägerin war nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bei Zugang der Kündigung am 11. August 2015 vom Betriebsrat zum Mitglied des Wahlvorstands bestellt.

3. Die nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats lag im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 10. August 2015 weder vor noch war sie iSd. § 103 Abs. 2 BetrVG – rechtskräftig – gerichtlich ersetzt.

a) Die außerordentliche Kündigung der Klägerin bedurfte der Zustimmung des Betriebsrats, obwohl die Gesamtzahl seiner Mitglieder unter die vorgeschriebene Zahl von fünf Mitgliedern gesunken war. In einem solchen Fall führt der Betriebsrat nach §§ 22, 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist. Zu diesen gehört auch die Wahrnehmung des Zustimmungsrechts aus § 103 Abs. 1 BetrVG (vgl. BAG 16. Oktober 1986 – 2 ABR 71/85 – zu B II 1 der Gründe).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Betriebsrat seine Zustimmung nicht dadurch erteilt, dass sein Verfahrensbevollmächtigter das Zustimmungsersetzungsverfahren mit Schriftsatz vom 4. August 2015 gegenüber dem Landesarbeitsgericht für erledigt erklärte. Hierin lag keine Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Vielmehr hat der Betriebsrat lediglich seine Ansicht zum Ausdruck gebracht, dass die Niederlegung des Betriebsratsamts durch die Klägerin ein das Zustimmungsersetzungsverfahren erledigendes Ereignis darstelle.

c) Die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht durch eine gerichtliche Entscheidung iSd. § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt.

aa) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines durch § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG geschützten Mitglieds eines Wahlvorstands kann in Fällen, in denen es auf die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ankommt, wirksam erst nach Eintritt der formellen Rechtskraft einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung erfolgen (für Betriebsrats- bzw. Personalratsmitglieder BAG 24. November 2011 – 2 AZR 480/10 – Rn. 15 mwN). Daneben hat es der Senat in der Vergangenheit für möglich gehalten, dass die Kündigung ausnahmsweise auch dann erfolgen kann, wenn ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf gegen den die Zustimmung ersetzenden Beschluss offensichtlich aussichtslos ist (BAG 24. November 2011 – 2 AZR 480/10 – Rn. 18).

bb) Der die Zustimmung des Betriebsrats ersetzende Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 (– 18 TaBV 6/14 –) war zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung vom 10. August 2015 nicht rechtskräftig.

(1) Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren werden formell rechtskräftig, wenn sie mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können (BAG 13. März 2013 – 7 ABR 69/11 – Rn. 10, BAGE 144, 340; 26. November 2009 – 2 AZR 185/08 – Rn. 12, BAGE 132, 293). Die formelle Rechtskraft eines die Zustimmung des Betriebsrats ersetzenden Beschlusses des Landesarbeitsgerichts nach § 103 Abs. 2 BetrVG tritt dementsprechend, sofern die Rechtsbeschwerde – wie hier – nicht zugelassen worden ist, mit dem Ablauf der Frist nach § 92a Satz 2 iVm. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG oder mit der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht ein (vgl. BAG 9. Juli 1998 – 2 AZR 142/98 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 89, 220).

(2) Die einmonatige Notfrist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht gem. § 92a Satz 2 iVm. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG lief im Streitfall erst am 4. September 2015 ab. Der vollständig abgefasste Beschluss des Landesarbeitsgerichts war den Beteiligten am 4. August 2015 zugestellt worden.

(3) Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist nicht vorzeitig rechtskräftig geworden. Es kann dahinstehen, ob der Betriebsrat in entsprechender Anwendung von § 515 ZPO auf die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde verzichtet hat, indem sein Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 4. August 2015 gegenüber dem Landesarbeitsgericht das Zustimmungsersetzungsverfahren für erledigt erklärte. Die Klägerin hat jedenfalls nicht auf die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde verzichtet.

cc) Die Beklagte hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht von vornherein offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob der Senat an seiner zuletzt im Urteil vom 24. November 2011 (– 2 AZR 480/10 – Rn. 18) vertretenen Rechtsauffassung festhält.

4. Der Klägerin ist es nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Nichtigkeit der Kündigung infolge des durch ihre Mitgliedschaft im Wahlvorstand begründeten Sonderkündigungsschutzes zu berufen. Insbesondere nutzt sie damit nicht rechtsmissbräuchlich eine unredlich erworbene und in diesem Sinne lediglich formale Rechtsposition aus (zu dieser Fallgruppe treuwidrigen Verhaltens Jauernig/Mansel BGB 16. Aufl. § 242 Rn. 42, 45 aE).

a) Der Senat hat ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten in einer kollusiven Herbeiführung des Verhinderungsfalls eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds gesehen, wenn hierdurch bezweckt worden ist, einem Ersatzmitglied Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu verschaffen (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 955/11 – Rn. 24; 8. September 2011 – 2 AZR 388/10 – Rn. 39). Das ist anzunehmen, wenn der Vertretungsfall nur zum Schein herbeigeführt wurde und das Ersatzmitglied wusste oder es sich ihm aufdrängen musste, dass ein solcher in Wirklichkeit nicht vorlag (BAG 12. Februar 2004 – 2 AZR 163/03 – zu B I 2 der Gründe).

b) Ein Sachverhalt, der einem solchen kollusiven Zusammenwirken zwischen Betriebsratsmitgliedern entspricht, ist vorliegend nicht gegeben. Die Bestellung der Klägerin zur Vorsitzenden des Wahlvorstands und der damit verbundene Erwerb des Sonderkündigungsschutzes beruht nicht auf einem betriebsverfassungswidrigen Handeln des Betriebsrats oder einzelner seiner Mitglieder.

aa) Mit dem Absinken der Zahl der Betriebsratsmitglieder einschließlich der noch vorhandenen Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Anzahl war gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG ein neuer Betriebsrat zu wählen. Für diese Wahl ist vom bisherigen Betriebsrat ein aus drei Wahlberechtigten bestehender Wahlvorstand zu bestellen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Da das Fristenregime des § 13 Abs. 1 BetrVG in den Fällen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG keine Anwendung findet, hat der Betriebsrat den Wahlvorstand unverzüglich nach Eintritt des die Neuwahl bedingenden Tatbestands zu bestellen (Fitting 28. Aufl. § 16 Rn. 13). Mit der wirksamen Bestellung der Klägerin zur Vorsitzenden des Wahlvorstands hat diese den Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG erworben.

bb) Mögliche mit der Bestellung der Klägerin verbundene taktische Erwägungen des Betriebsrats, dieser gezielt – erneuten – Sonderkündigungsschutz zu verschaffen, begründeten für sich genommen keinen Rechtsmissbrauch, selbst wenn die Klägerin von ihnen Kenntnis gehabt oder sie selbst angestellt hätte. Der Betriebsrat kann als Mitglied des Wahlvorstands jeden wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs bestellen (BAG 15. Oktober 2014 – 7 ABR 53/12 – Rn. 57, BAGE 149, 261). Sein Auswahlermessen wird durch das Gesetz nicht beschränkt. Anders als bei dem Vortäuschen eines Verhinderungsfalls und dem Nachrücken eines Ersatzmitglieds fehlt es daher an einem pflichtwidrigen Handeln des Betriebsrats oder einzelner seiner Mitglieder. Ebenso ist es auch einem von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer nicht verwehrt, ein Amt in einer Arbeitnehmervertretung anzustreben oder zu übernehmen, um den hiermit verbundenen Sonderkündigungsschutz zu erlangen.

cc) Für die Kündigung vom 10. August 2015 ist es überdies ohne Belang, ob das von der Beklagten behauptete abgestimmte Vorgehen von der Vorstellung getragen war, durch den Wechsel im Amt eine Bindungswirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren vom 16. Juli 2015 zu umgehen. Der Beschluss konnte für diese Kündigung schon deshalb keine Bindungswirkung entfalten, weil er zum Zeitpunkt ihres Zugangs weder formell rechtskräftig war noch eine Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich aussichtslos.

II. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 7. September 2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst.

1. Die Kündigung ist nicht gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig.

a) Die gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats war durch den rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 (– 18 TaBV 6/14 –) iSd. § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt.

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin steht die Niederlegung ihres Betriebsratsamts am 3. August 2015 dem Eintritt der formellen Rechtskraft nicht entgegen. Soweit der Senat angenommen hat, ein Zustimmungsersetzungsverfahren werde „gegenstandslos”, wenn die Mitgliedschaft des betroffenen Arbeitnehmers im Betriebsrat erlösche (vgl. etwa BAG 24. November 2005 – 2 ABR 55/04 – Rn. 17; 27. Juni 2002 – 2 ABR 22/01 – zu II 1 der Gründe, BAGE 102, 30), erledigt sich das Verfahren dadurch weder von Amts wegen noch wird ein bereits ergangener, die Zustimmung des Betriebsrats ersetzender, aber noch nicht formell rechtskräftiger Beschluss wirkungslos. Ein solches Ereignis führt vielmehr lediglich dazu, dass der auf Zustimmungsersetzung gerichtete Antrag des Arbeitgebers unzulässig wird, weil für ihn kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr) besteht. Der Arbeitgeber ist nunmehr berechtigt, die Kündigung auch ohne Zustimmung des Betriebsrats auszusprechen (BAG 27. Januar 2011 – 2 ABR 114/09 – Rn. 18). Auf einen bereits ergangenen Zustimmungsersetzungsbeschluss ist dies jedoch – solange er nicht mit einem Rechtsmittel angefochten ist – ohne Einfluss. Mit ihm ist in der jeweiligen Instanz in der Hauptsache endgültig entschieden. Für eine anschließende andere Entscheidung in dieser Instanz ist kein Raum mehr, und zwar unabhängig davon, ob der Beschluss noch nicht formell rechtskräftig ist. Das folgt schon aus § 318 ZPO (BAG 3. Juni 2015 – 2 AZB 116/14 – Rn. 20).

bb) Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 (– 18 TaBV 6/14 –) ersetzt iSd. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die für die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015 gem. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats.

(1) Die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 7. September 2015 war nach § 103 Abs. 1 BetrVG iVm. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG erforderlich. Die Klägerin war bei ihrem Zugang Mitglied des Wahlvorstands.

(2) Der Umstand, dass die Beklagte den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ersucht und das Zustimmungsersetzungsverfahren gem. § 103 Abs. 2 BetrVG durchgeführt hatte, weil die Klägerin – und zwar noch bis zum Termin der letzten Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht – Mitglied des Betriebsrats war, stellt die Eignung des Beschlusses vom 16. Juli 2015 als Zustimmungsersetzung für eine außerordentliche Kündigung aus den von der Beklagten geltend gemachten Gründen nicht infrage. Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt nicht die Zustimmung des Betriebsrats im Hinblick auf eine konkrete Amtsträgereigenschaft, sondern bezogen auf die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe.

(a) Gegenstand des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist der vom Arbeitgeber verfolgte Anspruch auf Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung aus den von ihm geltend gemachten Gründen (BAG 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07 – Rn. 16; 23. April 2008 – 2 ABR 71/07 – Rn. 17). Wird dem Antrag rechtskräftig stattgegeben, ist die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung aus diesen Gründen – mit rechtsgestaltender Wirkung – ersetzt. Soll eine Kündigung auf dieselben Gründe gestützt werden, bedarf es damit keines neuerlichen Zustimmungs(ersetzungs-)verfahrens mehr. Ein solches wäre vielmehr wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des bereits durchgeführten Verfahrens unzulässig.

(b) Ein Wechsel im betriebsverfassungsrechtlichen Amt ändert nichts an der rechtsgestaltenden Wirkung der gerichtlichen Zustimmungsersetzung bezogen auf die nämlichen Kündigungsgründe. Die konkrete Funktion des Amtsträgers kann bei der Prüfung der Kündigungsgründe im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG im Rahmen der nach § 626 Abs. 1 BGB gebotenen Interessenabwägung allenfalls zu seinen Gunsten berücksichtigt worden sein, nämlich wenn bei einem Verhalten, das sich sowohl als Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten als auch von Amtspflichten darstellt, nur durch die Ausübung des Amtes Gelegenheit dazu bestand, in Konflikt mit den arbeitsvertraglichen Pflichten zu geraten (vgl. BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 989/11 – Rn. 49, BAGE 142, 351; 12. Mai 2010 – 2 AZR 587/08 – Rn. 15). Bei dieser Abwägung kommt es allein auf das zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung bekleidete Amt an.

(c) Den kollektiven Interessen des Betriebsrats und der Belegschaft an der weiteren Amtstätigkeit des Funktionsträgers wird vom Gesetz allein dadurch Rechnung getragen, dass die außerordentliche Kündigung die vorherige Zustimmung des Betriebsrats oder ihre Ersetzung durch das Gericht erfordert (BAG 23. August 1984 – 2 AZR 391/83 – zu B II 2 b cc der Gründe, BAGE 46, 258). Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung der kollektiven Interessen auch bei der Prüfung, ob die Zustimmung zur Kündigung durch das Gericht zu ersetzen ist, kommt dagegen – anders als in den Fällen des § 103 Abs. 3 Satz 2 BetrVG – nicht in Betracht. Im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist allein zu prüfen, ob das vom Arbeitgeber reklamierte Recht zur (außerordentlichen) Kündigung in Form eines wichtigen Grundes iSd. § 626 BGB gegeben ist (BAG 28. März 2017 – 2 AZR 551/16 – Rn. 29; 22. August 1974 – 2 ABR 17/74 – zu C III 1 der Gründe, BAGE 26, 219). Bei der nach § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen Interessenabwägung kommt es nicht auf die kollektiven Interessen des Betriebsrats und der Belegschaft am Verbleib des betroffenen Arbeitnehmers in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion an. Es ist vielmehr allein das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an seinem Fortbestand in einer hierauf bezogenen Gesamtwürdigung abzuwägen (st. Rspr., zuletzt BAG 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 26). Soweit vereinzelt gebliebenen Formulierungen Gegenteiliges entnommen werden könnte (vgl. etwa BAG 7. Mai 1986 – 2 ABR 27/85 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 52, 50; 24. April 1975 – 2 AZR 118/74 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 27, 113), hält der Senat daran nicht fest.

(d) Etwas anderes ergibt sich im Streitfall nicht daraus, dass das Landesarbeitsgericht ausweislich des Tenors seiner Entscheidung im Beschlussverfahren (– 18 TaBV 6/14 –) die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung „des Betriebsratsmitgliedes … (= Bet. zu 3)” ersetzt hat. Damit hat es zwar die konkrete Funktion der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt bezeichnet. Es ist aber weder objektiv noch aus den Gründen des Beschlusses ersichtlich, dass damit eine Einschränkung des vom Gesetz vorgegebenen Gegenstands des Zustimmungsersetzungsverfahrens hätte verbunden sein sollen.

b) Für die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015 bestand ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Dies steht aufgrund der Bindungswirkung des rechtskräftig abgeschlossenen Zustimmungsersetzungsverfahrens (– 18 TaBV 6/14 –) bezüglich der von der Beklagten zur Begründung der Kündigung angeführten Gründe auch für das vorliegende Kündigungsschutzverfahren fest.

aa) Infolge der spezifischen Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren kann sich der im Beschlussverfahren beteiligte Arbeitnehmer im späteren, die außerordentliche Kündigung betreffenden Kündigungsschutzverfahren bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes iSv. § 626 BGB nur auf solche Tatsachen berufen, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können (BAG 15. August 2002 – 2 AZR 214/01 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 102, 190). Dies folgt zwar nicht allein aus der Rechtskraftwirkung des Beschlusses gem. § 322 Abs. 1 ZPO. Der Umstand, dass ein wichtiger Grund für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung besteht, nimmt als bloßes Begründungselement für den Entscheidungsausspruch, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, nicht an der materiellen Rechtskraft teil. Die Bindungswirkung ist vielmehr eine notwendige Folge des von § 103 Abs. 2 BetrVG vorgegebenen engen Zusammenhangs zwischen dem Zustimmungsersetzungsverfahren und dem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess. Bezogen auf dieselben Kündigungsgründe ist letzterer nur eine inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses (BAG 15. August 2002 – 2 AZR 214/01 – zu II 1 b aa der Gründe, aaO). Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Zustimmungsersetzungsverfahrens, eine vorgezogene Prüfung durchzuführen, ob die vom Arbeitgeber angeführten Gründe eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen (vgl. BT-Drs. 6/1786 S. 53), wenn das Gericht in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess hinsichtlich derselben Gründe zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. Das Verfahren soll Klarheit über die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Amtsträger schaffen (vgl. BAG 18. September 1997 – 2 ABR 15/97 – zu C II 1 der Gründe, BAGE 86, 298). Dies gebietet eine – beschränkt auf die im Beschlussverfahren Beteiligten und die dort vorgebrachten Gründe sowie berücksichtigungsfähigen Tatsachen – ausnahmsweise interprozessuale Bindungswirkung der die Zustimmungsersetzung im Beschlussverfahren tragenden Würdigung, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben ist.

bb) Beide Parteien waren in dem Zustimmungsersetzungsverfahren Beteiligte iSd. § 83 Abs. 3 ArbGG.

cc) Die Beklagte hat sich für die Kündigung vom 7. September 2015 allein auf die schon im Zustimmungsersetzungsverfahren geltend gemachten Gründe berufen. Darauf bezogene erhebliche neue Tatsachen hat die Klägerin nicht vorgebracht. Allein der zwischenzeitliche Wechsel vom Amt des Betriebsratsmitglieds zum Mitglied des für die Neuwahl bestellten Wahlvorstands ist nicht geeignet, die Bindungswirkung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Zustimmungsersetzungsverfahren zu durchbrechen. Nach der Begründung des Landesarbeitsgerichts für die Zustimmungsersetzung war das von der Klägerin bekleidete Amt vielmehr ohne Bedeutung für die Bewertung der Kündigungsgründe. Den Einwand, bei der Planung ihrer Anwesenheitszeiten habe sie auch ihre Betriebsratstätigkeit berücksichtigen müssen, hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt, aber nicht für durchgreifend erachtet.

c) Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB hat die Beklagte mit der der Klägerin am 8. September 2015 zugegangenen Kündigung gewahrt.

aa) Nach der Senatsrechtsprechung ist die Fristenregelung in § 91 Abs. 5 SGB IX analog anzuwenden, wenn vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ein betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren durchzuführen ist (vgl. BAG 26. September 2013 – 2 AZR 843/12 – Rn. 42). Hat der Arbeitgeber beim Betriebsrat innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB die erforderliche Zustimmung beantragt und bei deren ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet, ist die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Frist unwirksam, wenn das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen ist (vgl. BAG 24. Oktober 1996 – 2 AZR 3/96 – zu II 1 der Gründe; 22. Januar 1987 – 2 ABR 6/86 – zu III 1 der Gründe, BAGE 55, 9). Die Kündigung kann vielmehr auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt wird (vgl. BAG 8. Juni 2000 – 2 AZR 375/99 – zu II 1 der Gründe, BAGE 95, 98; 9. Juli 1998 – 2 AZR 142/98 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 89, 220). Endet der Sonderkündigungsschutz des Amtsträgers während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens, muss der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich aussprechen, nachdem er Kenntnis von der Beendigung des Sonderkündigungsschutzes erlangt hat (vgl. BAG 30. Mai 1978 – 2 AZR 637/76 – zu D II 2 der Gründe, BAGE 30, 320; KR/Etzel/Rinck 11. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 143; APS/Linck 5. Aufl. BetrVG § 103 Rn. 34).

bb) Danach hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht versäumt.

(1) Aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren (– 18 TaBV 6/14 –) steht für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Beklagte den Betriebsrat rechtzeitig um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ersucht und, nachdem dieser sie verweigert hatte, noch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet hat. Das Landesarbeitsgericht hat dies zu Recht bereits im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG geprüft. Es hätte anderenfalls dem Antrag nicht stattgeben dürfen. Einen wichtigen Grund iSd. § 626 BGB können nur Umstände bilden, hinsichtlich derer die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht schon bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens verstrichen ist (BAG 10. Dezember 1992 – 2 ABR 32/92 – zu B II 2 und 3 der Gründe; 9. Januar 1986 – 2 ABR 24/85 – zu II 2 a der Gründe; 18. August 1977 – 2 ABR 19/77 – zu II 3 der Gründe, BAGE 29, 270). Dagegen ginge es um erst nach Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens neu entstandene Tatsachen, wenn die Kündigung nicht unverzüglich nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsbeschlusses erklärt wird. Der Arbeitnehmer kann diesen die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB betreffenden Einwand notwendigerweise erst im Kündigungsrechtsstreit geltend machen. Von der Bindungswirkung des Zustimmungsersetzungsbeschlusses wäre er nicht erfasst.

(2) Die Beklagte war nicht gehalten, die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Niederlegung des Betriebsratsamts durch die Klägerin am 3. August 2015 auszusprechen. Nach den nicht angegriffenen und für den Senat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie davon erst durch das Schreiben des Betriebsrats vom 3. August 2015 am 4. August 2015 Kenntnis erlangt. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie jedoch aufgrund der noch am 3. August 2015 erfolgten Bestellung der Klägerin zum Wahlvorstand nicht mehr wirksam kündigen, ohne dass die nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung vorlag oder durch eine – rechtskräftige – gerichtliche Entscheidung ersetzt war.

(3) Die Beklagte hat die Kündigung unverzüglich nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsbeschlusses vom 16. Juli 2015 erklärt. Nachdem ihr Verfahrensbevollmächtigter am Montag, dem 7. September 2015 die Auskunft des Bundesarbeitsgerichts erhalten hatte, dass bis zum Freitag, dem 4. September 2015 keine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde eingelegt worden war, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis noch mit dem der Klägerin am 8. September 2015 zugegangenen Schreiben vom 7. September 2015 außerordentlich fristlos gekündigt.

2. Die Kündigung vom 7. September 2015 ist nicht mangels Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nach Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gem. § 103 Abs. 2 BetrVG hätte es einer erneuten Anhörung nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur bedurft, wenn die Kündigung aus Gründen hätte erklärt werden sollen, die nicht bereits Gegenstand des Zustimmungsersetzungsverfahrens waren. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte stützt die Kündigung vielmehr auf die unveränderten Gründe. Der Umstand, dass die Klägerin mittlerweile nicht mehr Mitglied des Betriebsrats, sondern des neu bestellten Wahlvorstands war, stellt keine relevante Änderung des Kündigungssachverhalts dar. Die im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens erfolgte Anhörung ist auch nicht etwa dadurch „verbraucht”, dass die Beklagte nach Verkündung, aber vor Rechtskraft des die Zustimmung ersetzenden Beschlusses des Landesarbeitsgerichts eine ausdrücklich vorsorgliche Kündigung für den Fall erklärt hat, dass in der Erklärung des Verfahrensbevollmächtigten vom 4. August 2015 zugleich eine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung gelegen haben sollte. Damit hat die Beklagte gerade nicht zu erkennen gegeben, sie halte ihr Zustimmungsersuchen gegenüber dem Betriebsrat selbst dann nicht aufrecht, wenn dieser der Kündigung noch nicht zugestimmt haben sollte (vgl. BAG 27. Januar 2011 – 2 ABR 114/09 – Rn. 24).

3. Andere Gründe für eine Unwirksamkeit der Kündigung hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

III. Die Zahlungsanträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Sie sind nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gegen die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015 gestellt.

IV. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Parteien gem. § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO nach dem Verhältnis ihres Obsiegens und Unterliegens zu tragen. Die Beklagte ist hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 10. August 2015 unterlegen, die Klägerin in Bezug auf die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2015, die Beklagte mithin zu 1/4 und die Klägerin zu 3/4.

 

Unterschriften

Koch, Niemann, Rachor, Wolf, B. Schipp

 

Fundstellen

Haufe-Index 11449818

BAGE 2018, 69

BB 2018, 243

BB 2018, 699

DB 2018, 7

NJW 2018, 10

NJW 2018, 2661

FA 2018, 135

FA 2018, 88

FA 2018, 96

NZA 2018, 240

ZIP 2018, 1048

ZTR 2018, 171

AP 2018

EzA-SD 2018, 3

EzA 2018

AUR 2018, 147

ArbRB 2018, 71

ArbR 2018, 96

RdW 2018, 406

AP-Newsletter 2018, 43

SPA 2018, 35

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