Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit

 

Orientierungssatz

1. Diebstahl geringerwertiger Sachen (2 Päckchen Tabak) durch Verkäuferin.

2. Bei einem Diebstahl handelt es sich um eine Störung im Vertrauensbereich. In diesem Fall ist eine Abmahnung als Teil des Kündigungsgrundes nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer aus vertretbaren Gründen annehmen kann, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (Bestätigung BAG Urteil vom 13.12.1984 2 AZR 454/83 = AP Nr 81 zu § 626 BGB.

3. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist grundsätzlich bei der Interessenabwägung für die Entscheidung über die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist erheblich.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.06.1985; Aktenzeichen 7 Sa 118/84)

ArbG Göttingen (Entscheidung vom 24.07.1984; Aktenzeichen 1 Ca 336/84)

 

Tatbestand

Die am 16. Mai 1949 geborene Klägerin, verheiratet, Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern, war seit 14 Jahren bei der Beklagten in einer Filiale in B (Filialleiter und drei Halbtagskräfte) als Verkäuferin beschäftigt. Sie arbeitete halbtags und verdiente zuletzt 830,-- DM monatlich. Ihr Ehemann ist Frührentner.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 24. Februar 1984 fernmündlich und mit Schreiben vom gleichen Tage schriftlich fristlos. Sie wirft der Klägerin Verfehlungen während ihrer Arbeitsausübung vor, die die Klägerin bestreitet.

Die Klägerin ist der Ansicht, daß Gründe für eine fristlose Kündigung nicht bestanden hätten und hat beantragt festzustellen, daß die fristlose Kündigung vom 24. Februar 1984, zugegangen am 25. Februar 1984, unwirksam sei und daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zu unveränderten Bedingungen fortbestehe.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Sie hat vorgetragen, in der Filiale, in der die Klägerin eingesetzt gewesen sei, hätten sich in letzter Zeit weit überdurchschnittliche Inventurdifferenzen ergeben. Daraufhin sei der Ladenbezirksleiter beauftragt worden, die Ursachen hierfür zu ermitteln. Er habe unter anderem beobachtet, daß die Klägerin am 23. Februar 1984 gegen 17.00 Uhr den Verkaufsraum mit zwei Päckchen Tabak verlassen habe und in Abwesenheit des Ladenleiters in das Lager gegangen sei. Als ihr der Ladenbezirksleiter gefolgt sei und sie im Lager angesprochen habe, habe sie erschrocken reagiert und gefragt, wo er herkomme. Den Tabak habe sie nach Geschäftsschluß bezahlt. Nach einer Kassenanweisung sei jeder Warenverkauf des Personals sofort zu tippen, auch wenn die Bezahlung erst später erfolge.

Der Ehemann der Klägerin, der seine Ehefrau täglich abhole, habe später einer anderen Verkäuferin gesagt, er hätte seiner Frau einen Zettel mit der Nachricht hinlegen müssen, daß sie beobachtet werde.

Die Klägerin bestreitet diesen Vorwurf und macht geltend, sie habe den Tabak im Lager auf den Tisch gelegt, um ihn für einen späteren Einkauf für sich zu reservieren, da nur noch zwei Päckchen vorhanden gewesen seien. Das sei ein übliches Verfahren.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Beweiserhebung stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage nach erneuter Beweiserhebung abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß die Klägerin am 23. Februar 1984 zwei Päckchen Tabak in der Absicht zu sich genommen habe, diese ohne Bezahlung aus dem Laden der Beklagten zu schaffen. Dies ergebe sich insbesondere aus dem anschließenden Geständnis der Klägerin. Durch ihr Verhalten habe sie die zwischen den Parteien notwendige Vertrauensgrundlage zerstört oder zumindest so nachhaltig beeinträchtigt, daß es der Beklagten nicht zuzumuten gewesen sei, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die langjährige Beschäftigung der Klägerin und damit das besonders hohe Interesse an der Erhaltung des Arbeitsplatzes führe zu keiner anderen Beurteilung, denn das eindeutige Interesse der Beklagten an absoluter Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer Mitarbeiter dulde keine Angestellten, von deren mangelnder Ehrlichkeit - wie bei der Klägerin - auszugehen sei. Längere, lange oder sehr lange Betriebszugehörigkeitszeiten seien nicht geeignet, Eigentumsdelikte oder den Versuch derselben einer milderen Beurteilung zu unterwerfen und den dadurch verursachten Vertrauensverlust zu relativieren. Nach alledem könne auch die Interessenabwägung nicht zu dem Ergebnis führen, daß der Beklagten eine lediglich fristgemäße Kündigung zuzumuten gewesen wäre.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (BAG Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB und vom 20. September 1984 - 2 AZR 633/82 - AP Nr. 80 zu § 626 BGB).

2. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Diebstahl geringwertiger Sachen (zwei Päckchen Tabak) durch einen Verkäufer an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung abzugeben.

Nach § 626 Abs. 1 BGB ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und ein Abwägen der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Das schließt es aus, bestimmte Tatsachen stets als wichtige Gründe einer außerordentlichen Kündigung anzuerkennen.

Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, auch die rechtswidrige und schuldhafte Entwendung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache von geringem Wert durch den Arbeitnehmer sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. von § 626 Abs. 1 BGB abzugeben (BAG Urteil vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

3. Das Landesarbeitsgericht ist auch im Ergebnis zu Recht von der Entbehrlichkeit einer Abmahnung ausgegangen. Bei einem Diebstahl handelt es sich um eine Störung im Vertrauensbereich. In diesen Fällen ist eine Abmahnung als Teil des Kündigungsgrundes nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer aus vertretbaren Gründen annehmen kann, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG Urteile vom 17. Mai 1984, aa0; vom 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - AP Nr. 81 zu § 626 BGB). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor und werden auch von der Klägerin selbst nicht geltend gemacht.

4. Das Landesarbeitsgericht hat aber verkannt, daß nach § 626 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nur wirksam gekündigt werden kann, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung a l l e r Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht länger zugemutet werden kann. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist grundsätzlich bei der Interessenabwägung für die Entscheidung über die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist erheblich (herrschende Meinung; vgl. BAG 29, 57 = AP Nr. 9 zu § 313 ZPO; BAG Urteil vom 13. Dezember 1984, aa0; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 215; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, § 626 Rz 32 f.; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 25). Für zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte kann nichts anderes gelten. Das Gesetz normiert keine absoluten Unzumutbarkeitsgründe. Da es lediglich um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für einen begrenzten Zeitraum, nämlich für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist geht, kann es für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auch insoweit von Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer schon eine erhebliche Zeit im Betrieb beschäftigt war und keine Vermögensdelikte begangen hat, oder ob er sich bereits nach kurzer Betriebszugehörigkeit untreu verhalten hat.

Die hiergegen von Tschöpe (NZA 1985, 588, 589) erhobenen Bedenken greifen schon deshalb nicht, weil der Zweite Senat nicht die These aufgestellt hat, die Dauer der Betriebszugehörigkeit sei grundsätzlich bei der Interessenabwägung für die Entscheidung über die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Er hat vielmehr ausgeführt, es sei unzutreffend, daß bei Diebstählen und anderen zu Lasten des Arbeitgebers begangenen vorsätzlichen unerlaubten Handlungen die Dauer der Betriebszugehörigkeit generell nicht zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden könne. Das ist ein erheblicher Unterschied. Dem Arbeitgeber wird nach der Rechtsprechung des Senates nicht angesonnen, bei einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit gewisse Eigentumsdelikte zu dulden. Es ist für die Frage der Zumutbarkeit vielmehr nur darauf abzustellen, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis während der Dauer der Betriebszugehörigkeit störungsfrei abgewickelt worden ist. Bei dieser Interessenabwägung kann sich die Dauer der Betriebszugehörigkeit mittelbar gelegentlich auch zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken, wenn gerade sie den Arbeitgeber veranlaßt hat, dem Arbeitnehmer ein besonderes Vertrauen entgegenzubringen und von sonst üblichen Kontrollen abzusehen, weil dann ein Eigentumsdelikt die Vertrauensgrundlage besonders stark erschüttert haben kann.

Das Landesarbeitsgericht hat zwar in den Entscheidungsgründen zunächst ausgeführt, die langjährige Beschäftigung der Klägerin führe zu keiner anderen Beurteilung der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, da das Interesse der Beklagten an absoluter Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit keine ungetreuen Mitarbeiter dulde. Daraus kann aber vorliegend nicht geschlossen werden, es handele sich um eine Wertung der Umstände (auch der Betriebszugehörigkeit) des konkreten Falles. Es hat dann nämlich den Satz hinzugefügt, längere, lange oder sogar sehr lange Betriebsangehörigkeitszeiten seien "nicht geeignet", Eigentumsdelikte einer milderen Beurteilung zu unterwerfen. Damit hat es zum Ausdruck gebracht, die Betriebszugehörigkeit sei bei Eigentumsdelikten überhaupt nicht mit zu berücksichtigen.

Das Urteil beruht auch auf diesem Fehler, denn aus dem Umstand, daß das Landesarbeitsgericht sich so intensiv mit der Betriebszugehörigkeit befaßt hat, steht fest, daß es sie im konkreten Fall (14 Jahre) für an sich erheblich gehalten hat, jedoch als Abwägungskriterium für ungeeignet erachtete. Das Landesarbeitsgericht wird daher die Berechtigung der fristlosen Kündigung unter Einbeziehung der Dauer der Betriebszugehörigkeit erneut zu überprüfen haben.

Hillebrecht Dr. Weller Ascheid

Brocksiepe Walter

 

Fundstellen

Haufe-Index 438187

RzK, I 6d Nr 5 (ST1)

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