Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsurlaub trotz Sonderurlaubs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Erziehungsurlaub (§ 15 Abs. 3 BErzGG) berührt die Wirksamkeit einer vor Beginn der Schwangerschaft abgeschlossenen Sonderurlaubsvereinbarung nicht.

2. Der Arbeitgeber kann nach § 242 BGB gehalten sein, der vorzeitigen Beendigung des Sonderurlaubs zuzustimmen, wenn statt dessen Erziehungsurlaub begehrt wird (Fortführung von BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 221/93 – BAGE 77, 343 = AP Nr. 17 zu § 50 BAT).

 

Normenkette

BErzGG § 15; BGB § 242; Niedersächsisches Gleichberechtigungsgesetz § 16; BAT § 19

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 19.12.1995; Aktenzeichen 6 Sa 4/95)

ArbG Braunschweig (Urteil vom 15.11.1994; Aktenzeichen 1 Ca 347/95)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Dezember 1995 – 6 Sa 4/95 – aufgehoben, soweit festgestellt worden ist, daß die Klägerin in der Zeit vom 28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995 Erziehungsurlaub hatte, und soweit über diesen Teil der Kosten des Rechtsstreits entschieden worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin nach Ablauf der nachgeburtlichen Schutzfrist bis zum Ablauf des mit der Beklagten vereinbarten Sonderurlaubs oder erst im Anschluß an den Sonderurlaub Erziehungsurlaub zugestanden hat.

Die Klägerin ist seit dem 13. Dezember 1978 bei der beklagten Stadt als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen.

Die Klägerin hatte nach der Geburt ihres ersten Kindes vom 22. März 1991 bis zum 23. Juli 1992 Erziehungsurlaub. Die Parteien vereinbarten in einem schriftlichen Zusatzvertrag vom 2. Juni 1992 einen Sonderurlaub der Klägerin für die anschließenden drei Jahre, nämlich für die Zeit vom 24. Juli 1992 bis zum 23. Juli 1995. Nach den §§ 1 und 2 dieses Vertrages verzichteten die Parteien auf die geschuldete Arbeitsleistung und die Zahlung von Vergütung; nach § 3 des Vertrages wurde die Zeit der Beurlaubung nicht auf Beschäftigungs- und Dienstzeit angerechnet. In § 7 des Vertrages wurde eine vorzeitige Beendigung der Beurlaubung ausgeschlossen.

Die Klägerin wurde erneut schwanger und am 31. Januar 1994 von ihrem zweiten Kind entbunden. Die Stadt G. bewilligte ihr durch Bescheid vom 4. Mai 1994 für die Zeit vom 31. Januar 1994 bis zum 31. Januar 1995 Erziehungsgeld. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten Erziehungsurlaub für die Zeit vom 1. Februar 1994 bis zum 31. Januar 1997. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 19. Mai 1994 mit der Begründung ab, die Klägerin sei ohnehin bis zum 23. Juli 1995 beurlaubt. Anschließend, vom 24. Juli 1995 bis zum 31. Januar 1997, hatte die Klägerin Erziehungsurlaub.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die beklagte Stadt sei gehalten, ihr entsprechend der Empfehlung im Gemeinsamen Runderlaß der Niedersächsischen Minister des Innern und der Finanzen vom 13. April 1994 (ND MBl 1994, S. 554) anstelle des Sonderurlaubs Erziehungsurlaub zu gewähren, weil ihr der Sonderurlaub zum Zweck der Betreuung des ersten Kindes gewährt worden sei. Anderenfalls laufe ihr Anspruch auf Erziehungsurlaub für das zweite Kind ins Leere. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 1995 beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Februar 1994 bis zum 31. Januar 1997 Erziehungsurlaub zu gewähren und diesen als Dienst/ Beschäftigungszeit anzuerkennen,

hilfsweise

festzustellen, daß sie in der Zeit vom 28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995 Erziehungsurlaub hatte.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat entgegnet, Erziehungsurlaub könne die Klägerin nur in Anspruch nehmen, soweit und solange für die Klägerin eine Arbeitspflicht bestanden habe. Während des Sonderurlaubs habe jedoch keine Arbeitspflicht bestanden. Es bestehe für die Beklagte auch keine Pflicht, die Sonderurlaubsvereinbarung aufzuheben.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Hauptantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin in der Zeit vom 28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995 Erziehungsurlaub hatte. Mit ihrer Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage insgesamt erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits. Das Landesarbeitsgericht hat noch festzustellen, ob der Klägerin gegenüber der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ein Anspruch darauf zugestanden hat, in die Aufhebung der Sonderurlaubsvereinbarung für die Zeit ab 28. März 1994 einzuwilligen.

I. Die Klage ist, soweit die Klägerin die Feststellung beantragt hat, daß sie in der Zeit vom 28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995 Erziehungsurlaub hatte, zulässig. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) liegt vor.

1. Nach dieser Vorschrift ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zulässig, wenn die klagende Partei ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ist die Klage auf Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichtet, so besteht ein Feststellungsinteresse nur, wenn sich aus der Feststellung Folgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 20. Juli 1994 – 5 AZR 169/93 – AP Nr. 26 zu § 256 ZPO 1977; Urteil vom 21. September 1993 – BAGE 74, 201 = AP Nr. 22 zu § 256 ZPO 1977).

2. Im vorliegenden Fall ist das Feststellungsinteresse zu bejahen. Solange die Klägerin Sonderurlaub hatte, war diese Zeit für die Beschäftigungszeit (§ 19 BAT) nicht mitzurechnen. Dies entspricht nicht nur der schriftlichen Vereinbarung der Parteien, sondern ergibt sich auch aus § 50 Abs. 2 BAT in der für den Streitzeitraum (28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995) geltenden Fassung. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Klägerin für den fraglichen Zeitraum Erziehungsurlaub zugestanden hat. Zeiten des Erziehungsurlaubs zählen zur Beschäftigungszeit i.S.d. § 19 BAT (Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, BAT, Stand: Juni 1997, § 19 Rz 27; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand: Mai 1997, § 19 Erl. 4 a.E.; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand: Mai 1997, § 19 Erl. 8). Außerdem wird der Aufstieg in die Lebensaltersstufen nach § 27 Abschn. A BAT oder in den Stufen nach § 27 Abschn. B BAT durch Zeiten einer Kinderbetreuung für jedes Kind und damit durch den Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz nicht gehemmt (Böhm/Spiertz/Steinherr/Sponer, BAT, Stand: Juli 1997, § 15 BErzGG Rz 17). Diese Wirkungen bleiben bestehen, solange das Arbeitsverhältnis der Parteien andauert.

3. Der Einwand der Revision, es sei nicht hinreichend geklärt, welche Wirkungen sich tatsächlich für die Klägerin ergäben, wenn ihr für den strittigen Zeitraum Erziehungsurlaub zugestanden werde, berührt das Feststellungsinteresse nicht. In der Regel ist davon auszugehen, daß ein öffentlicher Arbeitgeber wie die beklagte Stadt sich an die im Prozeß getroffene Feststellung hält und die hieraus gebotenen Folgerungen ableitet.

II. Die Revision ist begründet.

1. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage für die Zeit nach Ablauf der nachgeburtlichen Schutzfrist bis zum Ende des vereinbarten Sonderurlaubs mit der Begründung stattgegeben, die Voraussetzungen für die Gewährung des Erziehungsurlaubs nach § 15 BErzGG lägen vor. Dem stehe nicht entgegen, daß der Klägerin Sonderurlaub nach § 50 Abs. 2 BAT gewährt worden sei, weil ein vereinbarter Sonderurlaub mit Rücksicht auf die in § 15 Abs. 3 BErzGG bestimmte Unabdingbarkeit des Erziehungsurlaubs gegenstandslos werde. Anderenfalls würde der gesetzliche Erziehungsurlaub durch Einzelvereinbarung ganz oder teilweise ausgeschlossen. Es gebe auch keinen einleuchtenden Grund dafür, der Klägerin den besonderen Kündigungsschutz des § 18 BErzGG oder die Anrechnung des Erziehungsurlaubs auf die Beschäftigungszeit nach § 19 BAT zu versagen. Nach § 16 Abs. 2 des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes (NGG), das am 1. Juli 1994 in Kraft getreten sei, dürften Beschäftigte, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, aus diesem Grund keine dienstlichen Nachteile erleiden.

2. Der Senat folgt dem nicht.

Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erziehungsurlaub für die Zeit vom 28. März 1994 bis zum 23. Juli 1995 setzt voraus, daß die Klägerin aus ihrem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zur Leistung von Arbeit verpflichtet war. Der Erziehungsurlaub i.S.d. § 15 BErzGG besteht in seiner Wirkung darin, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Wegfall der Zahlung von Bezügen freigestellt zu werden (BAG Urteil vom 22. Juni 1988 – 5 AZR 526/87 – BAGE 59, 62, 65 = AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG, zu I 2 b der Gründe). Besteht ohnehin keine Arbeitspflicht, so kann eine Arbeitsbefreiung nicht noch einmal, wenn auch aus einem anderen Grund, z.B. wegen Erziehungsurlaubs, erfolgen.

Vorliegend war die Klägerin durch die Vereinbarung eines dreijährigen Sonderurlaubs für die Zeit bis zum 23. Juli 1995 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreit (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 221/93 – BAGE 77, 343, 344 = AP Nr. 17 zu § 50 BAT = ZTR 1995, 168). Eine vorzeitige Beendigung des Sonderurlaubs hatten die Parteien ausdrücklich ausgeschlossen (§ 7 der Sonderurlaubsvereinbarung).

3. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Vereinbarung über die Gewährung von Sonderurlaub sei wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 BErzGG gegenstandslos geworden. Nach § 15 Abs. 3 BErzGG kann der Anspruch auf Erziehungsurlaub nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Nach allgemeiner Auffassung sind von § 15 Abs. 3 BErzGG alle Abreden zum Nachteil des Arbeitnehmers erfaßt, die sich auf einen bereits entstandenen oder auf künftig entstehende Erziehungsurlaubsansprüche beziehen (Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl., § 15 BErzGG Rz 25; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz Mutterschaftsleistungen, § 15 BErzGG Rz 34); Gröninger/Thomas (Mutterschutzgesetz, Stand: Juni 1997, § 15 BErzGG Rz 31) meinen unter Hinweis auf die hier angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (ZTR 1996, 373), der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub stehe ein bereits für denselben Zeitraum gewährter Sonderurlaub ohne Bezüge nach § 50 Abs. 2 BAT nicht entgegen.

Die Reichweite des § 15 Abs. 3 BErzGG geht nicht so weit, daß jede Vereinbarung, die der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub objektiv entgegensteht, von ihr erfaßt wird. Die Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Erziehungsurlaub umfaßt nur die Fälle, in denen entweder ausdrücklich auf die Gewährung von Erziehungsurlaub verzichtet wird oder eine der Gewährung von Erziehungsurlaub objektiv entgegenstehende Vereinbarung zu einem Zeitpunkt getroffen wird, in dem erkennbar ist, daß mit der Entstehung eines Erziehungsurlaubsanspruchs für einen zumindest teilweise deckungsgleichen Zeitraum zu rechnen ist, z.B., wenn die Vereinbarung nach dem Beginn der Schwangerschaft geschlossen wird. § 15 Abs. 3 BErzGG ist nicht berührt, wenn die Schwangerschaft erst nach Abschluß einer Vereinbarung über einen Sonderurlaub eintritt. Andernfalls müßte man sogar von der Unwirksamkeit von Auflösungsverträgen oder Befristungen ausgehen, die vor Beginn der Schwangerschaft geschlossen werden, aber nachwirken, sobald Erziehungsurlaub verlangt werden kann. Auch solche Abmachungen hindern die Gewährung von Erziehungsurlaub.

4. Das Landesarbeitsgericht vermißt zu Unrecht einen „einleuchtenden Grund” dafür, der Klägerin den Kündigungsschutz nach § 18 BErzGG und die Anrechnung des Erziehungsurlaubs auf die Beschäftigungszeit nach § 19 BAT zu versagen. Mit dieser Erwägung läßt sich jedenfalls nicht begründen, daß eine Vereinbarung über einen Sonderurlaub mit Rücksicht auf § 15 Abs. 3 BErzGG ohne weiteres unwirksam wird und der Erziehungsurlaub an die Stelle des Sonderurlaubs tritt.

5. Auf § 16 Abs. 2 des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes (NGG) vom 15. Juni 1994 (ND GVl S. 246) läßt sich ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erziehungsurlaub ebenfalls nicht stützen. Nach dieser Bestimmung dürfen Beschäftigten, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, aus diesem Grunde keine dienstlichen Nachteile entstehen. Darum geht es hier nicht, sondern darum, ob Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst des Landes oder der Kommunen im Land Niedersachsen, für die dieses Gesetz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 NGG ebenfalls gilt, trotz Sonderurlaubs Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen dürfen.

III. Wegen dieser Rechtsfehler kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist noch nicht zur Entscheidung reif.

1. Für das Begehren der Klägerin kann eine Rechtsgrundlage bestehen. Wenn die Klägerin Anspruch darauf hat, daß die Beklagte für die Zeit ab Ende der nachgeburtlichen Schutzfrist in die vorzeitige Beendigung der Sonderurlaubsvereinbarung einwilligt, so steht der Sonderurlaub der Inanspruchnahme des begehrten Erziehungsurlaubs nicht länger entgegen. Die Beklagte kann nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht gehalten sein, in die vorzeitige Beendigung des Sonderurlaubs einzuwilligen. Die Fürsorgepflicht aufgrund des Arbeitsvertrags besteht auch während des Sonderurlaubs fort. Ob die Voraussetzungen für eine solche Verpflichtung der Beklagten vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht zu prüfen, nachdem es den Parteien Gelegenheit zu entsprechendem Vortrag gegeben hat.

2. Grundsätzlich sind Verträge einzuhalten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind jedoch nach § 242 BGB aufgrund ihrer gegenseitigen Treue- bzw. Fürsorgepflicht gehalten, Anträge auf eine Änderung der vertraglichen Beziehungen zu prüfen und darüber nach Treu und Glauben zu befinden. Mit dem Verlangen nach Erziehungsurlaub hat die Klägerin zugleich von der Beklagten begehrt, in die vorzeitige Beendigung des Sonderurlaubs einzuwilligen.

a) Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Urteil vom 6. September 1994 ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht überhaupt geeignet sei, einen Anspruch des Arbeitnehmers darauf zu begründen, daß der Arbeitgeber seinen Antrag auf Aufhebung des Sonderurlaubs annehme. Dies könne allenfalls denkbar sein, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers möglich und zumutbar sei und der wichtige Grund i.S.d. § 50 Abs. 2 BAT für die Bewilligung des Sonderurlaubs weggefallen oder schwerwiegende negative Veränderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers oder seiner Familie eingetreten seien (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 221/93 –, aaO).

b) Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21. März 1996 (– 2 C 8.95 – ZTR 1996, 427) für die beamtenrechtliche Regelung des § 79 a BBG angenommen, ein bereits zur Kinderbetreuung beurlaubter Beamter könne nach der Geburt eines weiteren Kindes Erziehungsurlaub beanspruchen, wenn der ursprüngliche Urlaub vorzeitig beendet werde. Die Entscheidung darüber liege im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherren. Der Dienstherr müsse berücksichtigen, daß dem Erziehungsurlaub ein Vorrang vor dem allgemeinen zur Kinderbetreuung gewährten Urlaub zukomme. Mangels ermessensgerechter Ablehnungsgründe im Einzelfall sei dem Antrag auf vorzeitige Beendigung des Urlaubs, um ihn durch Erziehungsurlaub zu ersetzen, zu entsprechen.

c) Nach Auffassung des Senats geht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht soweit, daß hieraus ohne weiteres ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Annahme des Angebots zur Beendigung des Sonderurlaubs herzuleiten wäre. Der Arbeitnehmer kann nur verlangen, daß der Arbeitgeber eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber trifft, ob der vereinbarte Sonderurlaub vorzeitig beendet wird.

d) Die Ausübung des Ermessens hat nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Dabei hat der Arbeitgeber vor allem die grundlegenden gesetzlichen Regelungen über den Erziehungsurlaub (§ 15 ff. BErzGG), dessen Unabdingbarkeit (§ 15 Abs. 3 BErzGG) wie auch des zugrundeliegenden grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie bzw. Pflege und Erziehung der Kinder (Art. 6 Abs. 1, 2 GG) zu berücksichtigen. Die Geburt eines weiteren Kindes während eines vereinbarten Sonderurlaubs wird in der Regel allein keinen Grund darstellen, in die Beendigung des Sonderurlaubs einzuwilligen, wenn es dem Erziehungsberechtigten darum geht, seine Tätigkeit tatsächlich wieder aufzunehmen (BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 221/93 –, aaO). Anders kann es sich dagegen verhalten, wenn es – wie hier – darum geht, den Rechtsgrund für die Befreiung von der Arbeitspflicht auszutauschen, nämlich den Sonderurlaub zwecks Erziehung in Erziehungsurlaub für das inzwischen geborene weitere Kind umzuwandeln. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch zu berücksichtigen, aus welchen Gründen und mit welchem Ziel die Aufhebung des Sonderurlaubs begehrt wird und welche Umstände dagegen sprechen, hierin einzuwilligen.

3. In den Vorinstanzen ist nicht geprüft worden, ob und inwieweit die Entscheidung der Beklagten fehlerfrei (§ 242 BGB) getroffen worden ist. Entsprechende Tatsachenfeststellungen, die dem Revisionsgericht eine derartige Entscheidung ermöglichten, liegen nicht vor. Aus diesem Grund war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

IV. Die Revision wendet sich schließlich noch dagegen, daß das Landesarbeitsgericht eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO getroffen hat. Insoweit ist die Revision nicht zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat im Urteil festgestellt, daß die Parteien den Rechtsstreit für die Zeit ab 24. Juli 1995 bis 31. Januar 1997 übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Diese tatbestandliche Feststellung ist weder durch Tatbestandsberichtigungsantrag noch durch Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für das Revisionsgericht bindend (§ 561 ZPO). Ist der Rechtsstreit von beiden Seiten für erledigt erklärt worden, so hat das Gericht nicht mehr zu prüfen, ob tatsächlich eine Erledigung eingetreten ist oder ob die Klage von vornherein unzulässig oder unbegründet war. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen, indem es über die Kosten nach billigem Ermessen (§ 91 a ZPO) entschieden hat.

Soweit die Revision die Unrichtigkeit der Kostenentscheidung selbst angreift, ist sie ebenfalls nicht zulässig. Eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO kann nur im Wege der sofortigen Beschwerde angegriffen werden, nicht aber im Wege der Revision.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Ackert, K. Schütters

 

Fundstellen

Haufe-Index 439995

BAGE, 162

DB 1998, 729

FA 1998, 26

NZA 1998, 104

RdA 1998, 60

SAE 1998, 180

ZMV 1998, 196

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