Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung überzahlter Vergütung im öffentlichen Dienst

 

Orientierungssatz

1. Ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist verpflichtet, jede für die Vergütungsberechnung erhebliche Änderung seiner persönlichen Verhältnisse der vorgesetzten Dienststelle sofort mitzuteilen. Dies folgt bereits aus der ihm obliegenden Treuepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber.

2. Die in einer Lohnsteuerkarte enthaltenen Angaben sind weder dazu bestimmt noch auch dafür geeignet, eine richtige Berechnung der Bruttovergütung zu gewährleisten.

 

Normenkette

BAT § 29; BGB §§ 387, 389; BAT § 70 Abs. 2; BGB § 812 Abs. 1, § 611 Abs. 1, § 818 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 16.04.1985; Aktenzeichen 11 Sa 4/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.11.1984; Aktenzeichen 19 Ca 102/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten überzahlte Vergütungsteile zurückzugewähren.

Der Kläger ist seit dem 1. April 1981 als Angestellter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT anzuwenden. Am 30. März 1981 unterzeichnete der Kläger eine Erklärung zum Ortszuschlag, aus der hervorging, daß er seit dem Jahre 1965 verheiratet sei. Die Erklärung enthält folgenden Zusatz:

"Ich versichere, daß meine Angaben vollständig

und richtig sind. Mir ist bekannt, daß ich ver-

pflichtet bin, jede in den vorstehend dargeleg-

ten Verhältnissen eintretende Änderung meiner

vorgesetzten Dienststelle s o f o r t anzu-

zeigen und daß ich alle Bezüge, die ich infolge

unterlassener, verspäteter oder fehlerhafter

Meldung zuviel erhalten habe, zurückzahlen

muß."

Der Kläger erhielt als Verheirateter Ortszuschlag nach Stufe 2. Am 18. September 1981 wurde der Kläger geschieden, das Urteil wurde im Oktober 1981 rechtskräftig. Eine Anzeige an die Beklagte über die Änderung seiner persönlichen Verhältnisse unterließ der Kläger. Im Dezember 1981 reichte er bei der Beklagten seine Lohnsteuerkarte für das Jahr 1982 ein. Diese trug nicht mehr - wie die Lohnsteuerkarte 1981 - den Vermerk "v" (= verheiratet), ferner war statt der Lohnsteuerklasse IV die Steuerklasse I eingetragen.

Die Beklagte beschäftigt etwa 1.500 Arbeitnehmer. Sie leitet die jährlich bei ihr eingereichten Lohnsteuerkarten ungeprüft an das die Dienstbezüge auszahlende Bundesamt für Finanzen weiter.

Der Kläger erhielt auch nach seiner Ehescheidung weiterhin Ortszuschlag nach Stufe 2. Bei einer stichprobenartigen Überprüfung der Lohnsteuerkarten für das Jahr 1984 bemerkte die Beklagte bei der Lohnsteuerkarte des Klägers, daß der Vermerk "nv" nicht mit den Angaben in der Personalakte übereinstimmte. Auf Rückfrage legte der Kläger am 14. Dezember 1983 das Scheidungsurteil vor. Mit Schreiben vom 23. Januar 1984 forderte die Beklagte vom Kläger den für die Zeit vom 1. Dezember 1981 bis zum 31. Januar 1984 überzahlten Unterschiedsbetrag zwischen dem Ortszuschlag nach Stufe 2 für Verheiratete und dem Ortszuschlag nach Stufe 1 für Geschiedene in Höhe von 3.325,02 DM netto zurück. Sie rechnete seit dem 1. August 1984 mit ihrer Forderung in Höhe von je 180,-- DM im Monat gegen den Gehaltsanspruch des Klägers auf.

Mit der Klage begehrt der Kläger - soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich - die Rückzahlung der abgezogenen Beträge in Höhe von insgesamt 540,-- DM sowie die Feststellung, daß er zur Rückzahlung weiterer 2.145,62 DM nicht verpflichtet sei.

Der Kläger hat vorgetragen: Er habe mit der Einreichung der Lohnsteuerkarte für das Jahr 1982 seine Anzeigepflicht erfüllt. Die Beklagte habe die Steuerkarte nicht ungeprüft an die Zahlstelle weitergeben dürfen. Eine Überprüfung sei zumutbar. Die Beklagte habe die Möglichkeit gehabt, den Rückzahlungsanspruch geltend zu machen. Dieser Umstand genüge, um den Lauf der tariflichen Ausschlußfrist des § 70 BAT in Gang zu setzen. Im übrigen habe die Vergütungsbescheinigung für Januar 1982 im Vergleich zu der für Dezember 1981 in den Spalten Steuerklasse und Religion entsprechende Veränderungen ausgewiesen. Der Auszahlbetrag sei von 1.537,25 DM auf 1.525,40 DM gesunken. Aus diesen Veränderungen habe er, der Kläger, nur schließen können, daß die Beklagte über seine Scheidung schon damals unterrichtet gewesen sei. Die Beklagte habe folglich mit ihrem Schreiben vom 23. Januar 1984 nur die Überzahlungen für die Monate September 1983 bis Januar 1984 in einer Gesamthöhe von 639,40 DM rechtzeitig zurückgefordert. Im übrigen sei der Rückzahlungsanspruch gemäß § 70 BAT verfallen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

a) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 180,-- DM

netto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu

zahlen;

b) die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere

180,-- DM netto nebst 4 % Zinsen seit Zu-

stellung der Klageerweiterung zu zahlen;

c) die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere

180,-- DM netto nebst 4 % Zinsen seit Zu-

stellung der Klageerweiterung zu zahlen;

d) festzustellen, daß er nicht verpflichtet

sei, an die Beklagte 2.145,62 DM überzahlten

Ortszuschlag zurückzuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anzeigepflicht könne nur durch Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung erfüllt werden. Die kommentarlose Einreichung einer neuen Lohnsteuerkarte mit entsprechend geänderten Angaben genüge dazu nicht. Sie, die Beklagte, treffe keine Pflicht zur Nachprüfung. Aus den Vergütungsbescheinigungen habe der Kläger auch nicht auf eine Kenntnis der Beklagten von seiner Scheidung schließen dürfen, da sich die Höhe des Ortszuschlages gerade nicht verändert habe. Die Berufung auf den Ablauf der Ausschlußfrist verstoße gegen Treu und Glauben, da der Kläger durch die pflichtwidrig unterlassene Anzeige sowohl die Überzahlung als auch die Nichteinhaltung der Ausschlußfrist veranlaßt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Dezember 1981 bis zum 31. Januar 1984 insgesamt 3.325,02 DM ohne rechtlichen Grund von der Beklagten erhalten. Aufgrund seiner Ehescheidung und weil er seiner geschiedenen Ehefrau nicht zum Unterhalt verpflichtet ist, stand dem Kläger der Ortszuschlag nach Stufe 2 nicht mehr zu (§ 29 B Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BAT). Den überzahlten Betrag muß er der Beklagten zurückgewähren (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Rückzahlungsanspruch der Beklagten ist nicht verfallen. Soweit die Beklagte Gehaltsteile des Klägers einbehalten hat, liegt eine wirksame Aufrechnung vor (§§ 387, 389 BGB).

I. 1. Der Kläger war verpflichtet, jede für die Vergütungsberechnung erhebliche Änderung seiner persönlichen Verhältnisse der vorgesetzten Dienststelle sofort mitzuteilen. Das folgt bereits aus der ihm obliegenden Treuepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber (vgl. BAG 9, 137 = AP Nr. 5 zu § 394 BGB) und ist noch einmal besonders niedergelegt in der von ihm unterschriebenen Erklärung vom 30. März 1981. Diese Pflicht hat der Kläger erst am 14. Dezember 1983 durch die Vorlage des Scheidungsurteils erfüllt, nicht dagegen mit der Einreichung der Lohnsteuerkarte 1982. Das gilt unabhängig davon, ob in der Lohnsteuerkarte in der Spalte Familienstand der Vermerk "nv" (= nicht verheiratet) enthalten war, was das Landesarbeitsgericht als unstreitig angesehen hat, oder ob dort zwei Striche ("--") eingetragen waren.

2. Die in der Lohnsteuerkarte enthaltenen Angaben sind weder dazu bestimmt noch auch nur dafür geeignet, eine richtige Berechnung der Bruttovergütung (Vergütung vor Abzug der Steuern) zu gewährleisten. Vielmehr handelt es sich bei der Eintragung des Familienstandes, der Steuerklasse und der Zahl der Kinder nach § 39 Abs. 3 Satz 4 EStG um die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Die Lohnsteuerkarte dient folglich nur der richtigen Berechnung der Lohn- und Kirchensteuer. Schon wegen dieser dem Arbeitnehmer bekannten begrenzten Zwecksetzung kann in der Einreichung der Lohnsteuerkarte keine ordnungsgemäße Erfüllung der Anzeigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber gesehen werden.

Hinzukommt, daß nach Ziff. 75 Abs. 4 der Lohnsteuerrichtlinien die Bezeichnung "nv" gleichermaßen für ledige wie für verwitwete und für geschiedene Arbeitnehmer gilt. Legt der Arbeitnehmer eine Lohnsteuerkarte mit dieser Eintragung oder mit einer aus zwei Strichen ("--") in der Rubrik Familienstand bestehenden Eintragung vor, so kann darin auch deshalb keine ordnungsgemäße Erfüllung der Anzeigepflicht gesehen werden, weil aus einer Eintragung dieser Art nur zu entnehmen ist, daß sich der Familienstand geändert hat, nicht aber, in welcher Weise dies geschehen ist.

Ferner besagt auch die Tatsache, daß jemand nicht (mehr) verheiratet ist, für die Berechnung des Ortszuschlages noch nichts. Denn nach § 29 B Abs. 2 Nr. 2 und 3 BAT erhalten außer verwitweten auch geschiedene unterhaltspflichtige Angestellte den Ortszuschlag nach Stufe 2. Ebenso ist die Einstufung in die Lohnsteuerklasse I nicht eindeutig: Nach § 38 b EStG gehören in diese Steuerklasse unter bestimmten Voraussetzungen auch verheiratete, verwitwete und geschiedene Arbeitnehmer, die nach § 29 B Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BAT einen Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 haben.

II. Die Beklagte hat die Ausschlußfrist des § 70 BAT gewahrt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend vorausgesetzt, daß auch Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Lohnbeträge Ansprüche aus Arbeitsverträgen sind und daher entsprechenden tariflichen Ausschlußfristen unterliegen. Das hat der Senat für eine dem § 70 BAT ähnliche Ausschlußklausel bereits im Urteil vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - mit näherer Begründung ausgeführt (AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu I der Gründe; vgl. ferner BAG Urteil vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu I der Gründe sowie Urteil vom 11. Juni 1980 - 4 AZR 443/78 - AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Bl. 1 und Bl. 1 R).

2. Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückgewähr von fehlerhaft überzahlten Lohnbeträgen wird im Zeitpunkt der Überzahlung fällig, weil von diesem Zeitpunkt an die zuviel gezahlte Summe zurückverlangt werden kann. Dabei kommt es auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch regelmäßig nicht an (BAG AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II der Gründe; BAG AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Bl. 1 R, mit weiteren Nachweisen). Das ist gerechtfertigt, weil Fehler bei der Berechnung der Löhne im Normalfall in die Sphäre des Arbeitgebers fallen und von ihm viel eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können als vom Empfänger der Leistung (BAG AP Nr. 64, aaO, zu I 5 der Gründe). Hierbei handelt es sich aber um eine besondere Fallgestaltung. Daß Entstehung und Fälligkeit eines Anspruchs zeitlich zusammenfallen, ist nicht die allgemeine Regel.

3. a) Die Fälligkeit im Sinne tariflicher Ausschlußfristen tritt nicht ohne weiteres schon mit der Entstehung des Anspruchs ein. Vielmehr muß es dem Gläubiger praktisch möglich sein, seinen Anspruch geltend zu machen. Das setzt bei Zahlungsansprüchen voraus, daß der Gläubiger in der Lage ist, sie wenigstens annähernd zu beziffern (vgl. BAG 31, 236, 238 f. = AP Nr. 21 zu § 670 BGB, zu 3 a der Gründe; BAG Urteil vom 16. März 1966 - 1 AZR 446/65 - AP Nr. 33 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 12. Juli 1972 - 1 AZR 445/71 - AP Nr. 51 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 b der Gründe). Andererseits muß der Gläubiger jedoch ohne schuldhaftes Zögern die Voraussetzungen dafür schaffen, daß er seinen Anspruch beziffern kann (BAG AP Nr. 33 aaO; BAG AP Nr. 51 aaO; vgl. ferner aus neuester Zeit BAG Urteil vom 16. Mai 1984 - 7 AZR 143/81 - AP Nr. 85 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II der Gründe). Welche Anforderungen an das Tätigwerden des Gläubigers zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.

b) Für den Streitfall bedeutet dies, daß der Rückzahlungsanspruch der Beklagten nicht bereits mit der jeweiligen Überzahlung fällig geworden ist, sondern erst zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte in der Lage war, die tatsächlichen Voraussetzungen ihres Anspruchs zu erkennen sowie diesen Anspruch zu beziffern und geltend zu machen. Dieser Zeitpunkt ist erst eingetreten, nachdem der Kläger der Beklagten am 14. Dezember 1983 das Scheidungsurteil vorgelegt hatte. Nunmehr erst war die Beklagte in der Lage, die Bezüge des Klägers richtig zu berechnen und dabei festzustellen, wie hoch sich ihr Anspruch auf Rückgewähr der überzahlten Ortszuschlagsteile ziffernmäßig stellte.

Die Beklagte hat bereits mit Schreiben vom 23. Januar 1984 ihren Rückzahlungsanspruch geltend gemacht. Das war rechtzeitig im Sinne der Ausschlußklausel des § 70 Abs. 2 BAT, die eine Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit bestimmt.

III. 1. Wegen eines Teilbetrages von 209,42 DM ist die Revision auch deshalb zurückzuweisen, weil die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 23. Januar 1984 die Überzahlungen für die Monate August 1983 bis Januar 1984 einschließlich der Sonderzuwendung rechtzeitig zurückgefordert hat. Dies macht nach der ursprünglichen Aufstellung der Beklagten in der Anlage zur Klageerwiderung einen Betrag von insgesamt 848,82 DM aus. Demgegenüber hatte der Kläger seinen ursprünglichen Antrag in der Berufungsbegründung nur um 639,40 DM verringert.

2. Die Frage des Wegfalles der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) bedarf keiner Erörterung, weil der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hierzu nichts vorgetragen hat.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Polcyn Dr. Kalb

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440061

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