Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausbildungsvergütung einer beruflichen Rehabilitandin

 

Orientierungssatz

1. Ist dem Auszubildenden die Berufsausbildung als Maßnahme der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter bei einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung von der Bundesanstalt für Arbeit bewilligt worden, kann die Zahlung von Ausbildungsvergütung an deren Leistungen gebunden werden.

2. Im ausschließlich von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Berufsausbildungsverhältnis mit einem gemeinnützigen Bildungsträger ist § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG auch unter Berücksichtigung des Art. 7 Nr. 5 ESC wegen des Vorrangs der sozialrechtlichen Regelungen der Leistungsgewährung nicht anzuwenden.

 

Normenkette

AFG § 56; BBiG § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1, § 18; BGB §§ 133, 157, 305 Abs. 1 S. 1, § 307 Abs. 1 Sätze 1-2, § 310 Abs. 4 S. 2; Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 (BGBl. II 1964 S. 1262) Art. 7 Nr. 5

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 21.12.2000; Aktenzeichen 1 Sa 410/99)

ArbG Gotha (Urteil vom 29.04.1999; Aktenzeichen 2 Ca 1532/98)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 21.12.2000 – 1 Sa 410/99 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Ausbildungsvergütung.

Die Beklagte ist eine gemeinnützige Bildungseinrichtung. Mit Bescheid vom 14. Juli 1995 bewilligte das Arbeitsamt G der 1978 geborenen Klägerin als Maßnahme der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter die Berufsausbildung bei der Beklagten. Am 1. September 1995 schlossen die Parteien einen Berufsausbildungsvertrag über die Ausbildung der Klägerin zur Köchin. In dem Vertrag heißt es:

”E

Der Ausbildende zahlt dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung (§ 5); diese beträgt z. Zt. monatlich brutto:

DM

440,–

462,–

485,10

im

ersten

zweiten

dritten

vierten

Ausbildungsjahr.

…”

Die Vergütungsbeträge waren handschriftlich in die Vertragsurkunde eingefügt worden. Sie entsprachen den bei Vertragsschluß geltenden Höchstsätzen des Ausbildungsgeldes nach dem AFG. Eine maschinenschriftlich erstellte Vertragsbestimmung in Abschnitt H des Vordrucks lautet weiter:

„Sonstige Vereinbarungen

Die Höhe der Ausbildungsvergütung richtet sich ausschließlich nach den von der Arbeitsverwaltung festgelegten Leistungssätzen.”

Das Arbeitsamt G bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19. Januar 1996 gemäß § 56 AFG als Leistungen zu den Kosten der Bildungsmaßnahme die Erstattung von Fahrtkosten und den Ersatz von Aufwendungen für Arbeitskleidung. Ein Ausbildungsgeld wurde ihr wegen der Höhe des Einkommens ihrer Mutter nicht gewährt. Daraufhin zahlte die Beklagte keine Ausbildungsvergütung.

Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe ein vertraglicher Anspruch auf Ausbildungsvergütung für die Dauer ihrer Ausbildung zu. Unabhängig davon beruhe der Vergütungsanspruch auf § 10 Abs. 1 BBiG iVm. Art. 7 Nr. 5 der Europäischen Sozialcharta (ESC), wonach jugendliche Arbeitnehmer und Lehrlinge ein Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt oder eine angemessene Beihilfe hätten. Die Beklagte habe ihr Ausbildungsvergütung in Höhe der im Abschnitt E des Berufsausbildungsvertrags aufgeführten Vergütungssätze für die Zeit vom 1. September 1995 bis zur Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses am 25. Januar 1999 zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.709,36 Euro (18.989,85 DM) brutto nebst 4 % Zinsen aus einem Betrag von 8.014,50 Euro (15.675,00 DM) seit dem 21. August 1998, aus einem Betrag von 992,11 Euro (1.940,40 DM) seit dem 27. November 1998 und aus einem Betrag von 702,75 Euro (1.374,45 DM) seit dem 5. März 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1995 bis zum 25. Januar 1999 Ausbildungsvergütung zu zahlen.

I. Die im Abschnitt E des Berufsausbildungsvertrags getroffene Abrede begründet keinen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Ausbildungsvergütung in Höhe von 9.709,36 Euro (18.989,85 DM) brutto.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Klägerin nach den im Berufsausbildungsvertrag getroffenen Vereinbarungen nur dann Anspruch auf Ausbildungsvergütung hat, wenn die Bundesanstalt für Arbeit (BA) der Beklagten hierfür die Kosten im Rahmen der für Rehabilitationsmaßnahmen vorgesehenen Leistungen erstattet. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die im Abschnitt H des Berufsausbildungsvertrags getroffene Abrede, nach der sich die Höhe der Ausbildungsvergütung ausschließlich nach den von der Arbeitsverwaltung festgelegten Leistungssätzen richte und damit einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Ausbildungsvergütung in Höhe der im Abschnitt E des Vertrags aufgeführten Vergütungssätze ausschließe, hält den Angriffen der Revision stand.

a) Bei den im Berufsausbildungsvertrag vom 1. September 1995 in den Abschnitten E und H getroffenen Vereinbarungen handelt es sich um nichttypische Vertragserklärungen. Das Vertragsmuster hat zwar die zuständige Handwerkskammer herausgegeben. Die auszulegenden Textabschnitte waren jedoch nicht vorformuliert. Die Vergütungssätze wurden handschriftlich in Abschnitt E des Vertrags eingefügt. Der Text in der „sonstigen Vereinbarung” wurde im Abschnitt H maschinenschriftlich erstellt. Trotz der Verwendung eines gängigen Vertragsformulars handelt es sich deshalb um für den Einzelfall getroffene, nichttypische Vertragserklärungen. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn die Beklagte mit Auszubildenden, die sie im Zusammenwirken mit der BA im Rahmen beruflicher Rehabilitation ausbildet, regelmäßig die gleiche „sonstige Vereinbarung” träfe (vgl. BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – BAGE 96, 237, 241). Dazu hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen.

b) Die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen durch die Tatsachengerichte ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist (st. Rspr. BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 241; 3. Juni 1998 – 5 AZR 656/97 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 97 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 70). Diesem Prüfungsmaßstab hält die Auslegung des Landesarbeitsgerichts stand.

aa) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung hatte und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1 b der Gründe, mwN; 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu I 3 der Gründe).

bb) Nach dem Wortlaut der Vereinbarung im Abschnitt H des Vertrags haben die Parteien die Zahlung von Ausbildungsvergütung eindeutig von der Höhe der von der Arbeitsverwaltung festzulegenden Leistungssätze abhängig gemacht. In dem vorangestellten Abschnitt E des Berufsausbildungsvertrags hat die Beklagte der Klägerin zwar die Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung zugesagt, wobei die in diesen Abschnitt handschriftlich eingefügten Vergütungssätze den damaligen Höchstsätzen des Ausbildungsgeldes nach dem AFG entsprachen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht jedoch erkannt, daß ungeachtet ihrer systematischen Stellung die im Abschnitt H getroffene Abrede ihrem Regelungsgehalt nach Vorrang vor der Vergütungszusage der Beklagten im Abschnitt E haben sollte.

cc) Das Landesarbeitsgericht hat nicht nur den Wortlaut der Vereinbarung berücksichtigt, sondern auch den tatsächlichen Parteiwillen auf Grund der erkennbaren Umstände beim Abschluß des Ausbildungsvertrags zutreffend ermittelt. Der Klägerin war die Berufsausbildung bei der Beklagten als Maßnahme der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter bewilligt worden. Bei Abschluß des Berufsausbildungsvertrags war ihr bekannt, daß die Beklagte kein Gewerbebetrieb, sondern eine gemeinnützige Bildungseinrichtung ist und die Mittel für ihre Ausbildungsvergütung durch Zuwendungen Dritter finanziert werden. Vor Vertragsabschluß hatte sie das Arbeitsamt G mit Bescheid vom 14. Juli 1995 darauf hingewiesen, daß über Höhe und Dauer des Ausbildungsgeldes eine gesonderte Entscheidung ergehen werde. Aus diesen Begleitumständen wird deutlich, daß der Klägerin die Abhängigkeit des Anspruchs auf Ausbildungsvergütung von den entsprechenden Leistungen der BA bei Abschluß des Berufsausbildungsvertrags bewußt war und sie mit der Bindung des Anspruchs an Leistungen der BA einverstanden war. Das schließt es aus, daß die Klägerin die Ausführungen im Abschnitt H als Anpassungsklausel für den Fall sich erhöhender Ausbildungssätze nach dem AFG bzw. SGB III verstehen konnte.

dd) Die Parteien haben eine Abhängigkeit des Anspruchs auf Ausbildungsvergütung von einschlägigen Vorgaben der BA auch für den Fall vereinbart, daß ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen gegenüber der BA – von der Erstattung von Fahrtkosten und Aufwendungen für Berufskleidung abgesehen – gar nicht bestand. Entgegen der Auffassung der Revision entsprach ein solcher Wille den beiderseitigen Interessen und dem Vertragszweck. Die Beklagte war nicht in der Lage eine Ausbildungsvergütung aus eigenen Mitteln zu zahlen, wenn die Klägerin keine Leistungen der BA beanspruchen konnte. Die Klägerin wiederum war an einer Ausbildung bei der Beklagten auch für den Fall interessiert, daß sie keine Ausbildungsvergütung erhielt. Der Wortlaut der Abrede steht diesem Verständnis nicht entgegen. Die vereinbarte Bindung der Ausbildungsvergütung an die „von der Arbeitsverwaltung festgelegten Leistungssätze” schließt auch die Möglichkeit ein, daß der Klägerin Leistungsansprüche gegen die BA nach den einschlägigen Vorschriften nicht zustehen und die Zahlung von Ausbildungsvergütung somit vollständig entfällt.

2. Zu Unrecht macht die Revision einen Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nF geltend. Dieser Prüfungsmaßstab für allgemeine Geschäftsbedingungen wurde zwar durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S 3138 ff.) auch für das Gebiet des Arbeitsrechts eingeführt (§ 310 Abs. 4 Satz 2 iVm. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nF). Er gilt jedoch nicht für Dauerschuldverhältnisse, die wie das am 25. Januar 1999 beendete Berufsausbildungsverhältnis der Parteien, bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen waren (vgl. BAG 27. Februar 2002 – 9 AZR 543/00 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 162, zu I 2 b (1) der Gründe).

II. Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Danach hat der Ausbildende dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Die Vorschrift findet auf den Streitfall keine Anwendung.

1. Für den Berufsausbildungsvertrag vom 1. September 1995 gelten allerdings die Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes. Auch eine gemeinnützige Bildungseinrichtung wie die Beklagte kann Ausbildender iSd. Berufsbildungsgesetzes sein (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 244). Die „Zuweisung” einer beruflichen Rehabilitandin an eine solche Einrichtung durch die BA schließt das Zustandekommen eines Ausbildungsverhältnisses nicht aus. Dies gilt zumindest dann, wenn Einrichtung und Rehabilitandin förmlich einen Ausbildungsvertrag schließen. Für die Annahme, es bestehe nur ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen Einrichtung und BA zugunsten der Rehabilitandin, ist dann kein Raum (vgl. BAG 6. September 1989 – 5 AZR 611/88 – AP AFG § 56 Nr. 1; 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 244 f.). Im Streitfall haben die Parteien einen förmlichen Berufsausbildungsvertrag geschlossen. Sie haben die Rechte und Pflichten eines Ausbildenden und eines Auszubildenden iSd. § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 BBiG ungeachtet des Umstandes begründen wollen, daß es sich bei der Ausbildung der Klägerin um eine berufsfördernde Bildungsmaßnahme für Behinderte gehandelt hat.

2. Trotz der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist bei der Prüfung der Angemessenheit der vereinbarten Ausbildungsvergütung zu berücksichtigen, daß dem Ausbildungsverhältnis eine Rehabilitationsmaßnahme der BA zugrunde lag.

Aus Sicht der sozialversicherungsrechtlichen Beziehung zwischen der Klägerin und der BA hat diese sich der Beklagten bedient, um die der Klägerin gewährte berufsfördernde Leistung „Berufsausbildung” praktisch durchzuführen (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 245). Auf diese Weise entstand eine dreiseitige Rechtsbeziehung mit den zu unterscheidenden Rechtsverhältnissen zwischen der Klägerin und der Beklagten, der Klägerin und der BA und der BA und der Beklagten. Ersteres Rechtsverhältnis ist dem Privatrecht, die beiden letzteren Rechtsverhältnisse sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung ist diese Dreiseitigkeit zu beachten (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 245).

3. Mit Urteil vom 15. November 2000 hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden (– 5 AZR 296/99 – aaO), daß in einem öffentlich finanzierten dreiseitigen Ausbildungsverhältnis, bei dem die Ausbildungsvergütung vertraglich an Leistungen der BA gebunden ist und kein sozialrechtlicher Anspruch des Auszubildenden auf die Zahlung von Ausbildungsgeld besteht, § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG keine Anwendung findet. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

a) Die Ausbildungsvergütung hat regelmäßig mehrere Funktionen. Sie soll zum einen dem Auszubildenden zur Durchführung der Berufsausbildung eine finanzielle Hilfe sein, zum anderen soll sie die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und schließlich eine Entlohnung darstellen (schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drucks. V/4260, S 9; BAG 8. Dezember 1982 – 5 AZR 474/80 – BAGE 41, 142; 11. Oktober 1989 – 5 AZR 526/88 – nv.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (11. Oktober 1989 – 5 AZR 526/88 – aaO; 8. Dezember 1982 – 5 AZR 474/80 – aaO; 10. April 1991 – 5 AZR 226/90 – BAGE 68, 10) ist deshalb eine Vergütung angemessen, wenn sie hilft, die Lebenshaltungskosten zu bestreiten und sie zugleich eine Mindestentlohnung für die Leistung des Auszubildenden darstellt. Welche Vergütung angemessen ist, kann nur unter Abwägung der Interessenlagen beider Vertragspartner und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles festgestellt werden.

b) Die Funktion der Heranbildung von Nachwuchskräften tritt in einem Fall wie dem vorliegenden zurück. Die Ausbildung kam im Verhältnis der Parteien nur der Klägerin und nicht der Beklagten zugute. Die Beklagte bildete mit der Klägerin keine Nachwuchskraft für ihren eigenen betrieblichen Bedarf aus. Sie wollte ihr vielmehr den allgemeinen Zugang zum Erwerbsleben ermöglichen. Auch der Gesichtspunkt, daß die Ausbildungsvergütung eine Mindestentlohnung für Leistungen des Auszubildenden darstellt, tritt in den Hintergrund. Die Ausbildung brachte der Beklagten keine finanziellen Vorteile. Die Beklagte hat die Leistungen der Klägerin nicht kommerziell genutzt.

c) Die verbleibende Funktion der Ausbildungsvergütung als finanzielle Hilfestellung für den Auszubildenden wird im dreiseitigen Rechtsverhältnis, in dem die Ausbildung als Rehabilitationsmaßnahme stattfindet, durch die einschlägigen sozialrechtlichen Bestimmungen ersetzt. Diese Bestimmungen dienen gerade der Sicherung des Lebensunterhalts des Rehabilitanden und Auszubildenden während der Ausbildungsmaßnahme. Sind die einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat der Rehabilitand Anspruch auf Ausbildungsgeld. Als Sozialleistung, die mangels bisheriger Beitragsleistung nicht auf dem Versicherungsprinzip beruht, gilt für das Ausbildungsgeld aber der Grundsatz der Bedürftigkeit, wie er in den einschlägigen sozialrechtlichen Anrechnungsbestimmungen zum Ausdruck kommt. Dies kann dazu führen, daß bei fehlender Bedürftigkeit ein Ausbildungsgeld gegenüber der BA nicht beansprucht werden kann.

d) Für den Fall, daß ein solcher Anspruch besteht, ist das Ausbildungsgeld als angemessene Ausbildungsvergütung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG anzusehen, auch wenn es unter den tariflichen oder sonst branchenüblichen Ausbildungssätzen liegt (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 247; 6. September 1989 – 5 AZR 611/88 – AP AFG § 56 Nr. 1, mit zustimmender Anm. Natzel). Damit wird der Vorrang der Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts im Rahmen dreiseitiger Ausbildungsverhältnisse anerkannt.

Denselben Vorrang verlangt das Recht der Arbeitsförderung auch, wenn wegen fehlender Bedürftigkeit kein Anspruch des Rehabilitanden auf Ausbildungsgeld besteht. Dies liegt in der Konsequenz der dreiseitigen Rechtsbeziehung. Deren alleinige wirtschaftliche Basis ist die Leistungsgewährung durch die BA nach Maßgabe der gesetzlich festgelegten Leistungen der Arbeitsföderung. Würden dem Rehabilitanden gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG Vergütungsansprüche gegen die Rehabilitationseinrichtung außerhalb dieser gesetzlichen Vorgaben erwachsen, würde dies zu System- und Wertungswidersprüchen führen. Die sozialrechtlichen Regelungen der Leistungsgewährung würden durch die privatrechtliche Beziehung zwischen Rehabilitand/Auszubildendem und Rehabilitationseinrichtung/Ausbildendem konterkariert und letztlich zu Lasten der BA um ihre Wirkung gebracht. Die BA wäre mittelbar gezwungen, Leistungen über die sozialrechtlichen Bestimmungen hinaus zu erbringen, weil die gemeinnützige Einrichtung selbst nicht in der Lage ist, Vergütungsansprüche nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG zu erfüllen. Deshalb verlangt die Rechtslage im öffentlich finanzierten dreiseitigen Ausbildungsverhältnis nach einer teleologischen Reduktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Die Vorschrift ist im ausschließlich öffentlich finanzierten Ausbildungsverhältnis dann nicht anzuwenden, wenn die Ausbildungsvergütung vertraglich an Leistungen der BA gebunden ist und ein sozialrechtlicher Anspruch des Auszubildenden auf derartige Leistungen nicht besteht. Unter diesen engen Voraussetzungen kann es geboten sein, die ausbildende Rehabilitationseinrichtung von der gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung gänzlich freizustellen (BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – aaO S 248).

4. Die Auslegung des § 10 Abs. 1 BBiG im öffentlich finanzierten dreiseitigen Ausbildungsverhältnis steht nicht in Widerspruch zu Art. 7 Nr. 5 ESC. Allerdings handelt es sich bei der ESC um eine von der Bundesrepublik Deutschland eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung. Inwieweit diese Vorschrift staatliche Gerichte bei der Auslegung von Gesetzen bindet, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Nach Art. 7 Nr. 5 ESC ist das Recht jugendlicher Arbeitnehmer und Lehrlinge auf eine gerechte Arbeitsvergütung oder eine angemessene Beihilfe anzuerkennen. Das zwingt indes nicht zu einer Auslegung des § 10 Abs. 1 BBiG, die letztlich dazu führt, daß eine einkommensabhängige Sozialleistung allein wegen der Besonderheiten der Leistungserbringung losgelöst von der individuellen Bedürftigkeit des Betroffenen gewährt werden müßte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Reimann, Schäferkord

 

Fundstellen

Haufe-Index 920337

FA 2003, 214

ZTR 2003, 407

AP, 0

EzA-SD 2003, 7

EzA

NZA-RR 2003, 607

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