Entscheidungsstichwort (Thema)

Weitere Masseunzulänglichkeit. Urlaubsentgelt. Insolvenzrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht angezeigt, die Masse sei unzulänglich (§ 208 InsO) und macht er außerdem geltend, die Masse genüge auch nicht zur Befriedigung der Neumasseverbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs. 2 InsO (weitere Masseunzulänglichkeit), kann der Neumassegläubiger den Insolvenzverwalter nicht (mehr) auf Zahlung verklagen; er ist auf die Erhebung einer Feststellungsklage über das Bestehen seiner Forderung beschränkt.

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld, der vom Insolvenzverwalter unwiderruflich “unter Anrechnung auf offenen Urlaub” von jeder Arbeitsleistung freigestellt ist, begründet keine Neumasseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 2 InsO.

 

Orientierungssatz

  • Zu den aus der Insolvenzmasse vorab zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten gehören ua. Entgeltansprüche des Arbeitnehmers aus der Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Hierzu gehören auch Ansprüche des Arbeitnehmers auf Zahlung von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld sowie auf Urlaubsabgeltung.
  • Hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO angezeigt, richtet sich die Rangordnung, in der Masseverbindlichkeiten zu erfüllen sind, nach § 209 InsO. Danach ist zwischen sog. Altmasse- und Neumasseverbindlichkeiten zu unterscheiden. Neumasseverbindlichkeiten sind vorrangig zu befriedigen.
  • Eine Neumasseverbindlichkeit liegt ua. vor, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die “Gegenleistung” des Arbeitnehmers in Anspruch genommen hat. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld, der vom Insolvenzverwalter unwiderruflich unter Anrechnung auf offenen Urlaub von jeder Arbeitsleistung freigestellt ist, begründet keine Neumasseverbindlichkeit; der Masse fließt kein wirtschaftlicher Wert zu.
  • Ob das auch dann gilt, wenn der Arbeitnehmer vom Insolvenzverwalter zur Arbeitsleistung herangezogen wird und die Zeit seiner Beschäftigung durch Urlaub unterbrochen wird, hat der Senat nicht entschieden.
  • Masseverbindlichkeiten sind grundsätzlich im Wege der Zahlungsklage zu verfolgen. Eine Ausnahme gilt für Forderungen im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Macht der Insolvenzverwalter zusätzlich zu Recht geltend, die Masse genüge auch nicht zur Befriedigung aller Massegläubiger im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (weitere Masseunzulänglichkeit), steht diesen Gläubigern ebenfalls nur Rechtsschutz im Rahmen einer Feststellungsklage zur Verfügung.
 

Normenkette

InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2, §§ 103, 113, 208-209; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 16.06.2003; Aktenzeichen 8 Sa 43/03)

ArbG Eisenach (Urteil vom 14.11.2002; Aktenzeichen 2 Ca 1414/00)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 16. Juni 2003 – 8 Sa 43/2003 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach vom 14. November 2002 – 2 Ca 1414/00 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung eines Anspruchs des Klägers auf zusätzliches Urlaubsentgelt.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der früheren Arbeitgeberin des Klägers, einem Unternehmen des Werkzeug-, Vorrichtungs- und Maschinenbaus (Insolvenzschuldnerin). Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen (– 8 IN 335/00 –) am 1. November 2000 eröffnet.

Der 1941 geborene Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin seit 1. Januar 1992 als Konstrukteur beschäftigt. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Urlaubsbestimmungen des Gemeinsamen Manteltarifvertrags für Arbeiter und Angestellte in der Metall- und Elektroindustrie des Landes Thüringen (MTV) vom 8. März 1991 idF vom 3. März 1997/4. November 1997 betrug der Urlaub 30 Arbeitstage. Als Urlaubsentgelt waren das monatliche Gesamtgehalt einschließlich sämtlicher monatlich regelmäßig wiederkehrender Vergütungen weiterzuzahlen sowie ein zusätzliches Entgelt je Urlaubstag nach dem im Tarifvertrag näher bestimmten Satz (§ 17 Abs. 5 und 6 MTV).

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. März 2001 aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 2001. Er stellte den Kläger bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Anrechnung bestehender Resturlaubsansprüche mit sofortiger Wirkung von der Arbeit frei. Dem Kläger stand zu dieser Zeit Resturlaub zu, den er sofort antrat. Am 11. April 2001 zeigte der Beklagte gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. In der Zeit vom 12. April 2001 bis einschließlich 19. April 2001 lagen insgesamt vier Urlaubstage des Klägers. Das zusätzliche Urlaubsentgelt, von den Parteien als Urlaubsgeld bezeichnet, beträgt unstreitig je Urlaubstag 153,77 DM.

Der Kläger hat geltend gemacht, bei diesem Anspruch handele es sich um eine Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass die Forderung auf Zahlung von Urlaubsgeld iHv. 314,49 Euro brutto als Masseverbindlichkeit gem. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. In der mündlichen Berufungsverhandlung hat der Beklagte erklärt, aller Voraussicht nach könnten Altmasseverbindlichkeiten aus der Masse nicht mehr getilgt werden, bei Neumasseverbindlichkeiten komme eine teilweise Tilgung in Betracht. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage.

  • Die Klage ist zulässig.

    1. Der Feststellungsantrag, die Forderung des Klägers sei als Masseverbindlichkeit iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO “anzusehen”, ist auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Der Kläger will keine abstrakte Rechtsfrage geklärt wissen. Ihm geht es um die Feststellung, dass der Beklagte die erhobene Forderung noch vor den Masseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen hat. Der Beklagte versteht das Klageziel nicht anders.

    2. Für diese Feststellung besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse. Der grundsätzliche Vorrang einer Leistungsklage (vgl. Senat 18. März 1997 – 9 AZR 84/96 – BAGE 85, 306; BAG 24. Oktober 1996 – 2 AZR 845/95 – BAGE 84, 255) steht nicht entgegen. Eine Leistungsklage wäre hier unzulässig. Das ergibt sich allerdings nicht bereits aus § 210 InsO (vgl. dazu Senat 11. Dezember 2001 – 9 AZR 459/00 – AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1). Denn das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) eintretende Vollstreckungsverbot erfasst nur die in § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelten Masseverbindlichkeiten (sog. Altmasseverbindlichkeiten). Daraus folgt im Umkehrschluss: Verbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO sind grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Hiervon ist eine Ausnahme dann zu machen, wenn der Insolvenzverwalter mit Recht einwendet, die Insolvenzmasse genüge auch nicht zur vollständigen Tilgung der Neumasseverbindlichkeiten (weitere Masseunzulänglichkeit). Der Rechtsschutz des Gläubigers ist dann auf die Erhebung einer Feststellungsklage beschränkt (BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA InsO § 209 Nr. 1. auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358; BGH 4. Dezember 2003 – IX ZR 222/02 – NJW-RR 2004, 772). Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) sind diese Voraussetzungen hier erfüllt.

  • Die Klage ist unbegründet. Der Anspruch des Klägers auf das zusätzliche Urlaubsentgelt für die nach dem 11. April 2001 erhaltenen vier Urlaubstage in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 314,49 Euro begründet keine Masseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Das macht der Beklagte zu Recht geltend.

    1. In § 209 InsO ist die Rangordnung geregelt, in der der Insolvenzverwalter die Kosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 InsO) zu befriedigen hat. Das sind zunächst die Verfahrenskosten (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Sonstige Masseverbindlichkeiten sind unter den Voraussetzungen des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorrangig zu befriedigen. Gleich stehen die in § 209 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO geregelten Sachverhalte (Neumasseverbindlichkeiten). Alle anderen Masseverbindlichkeiten sind als Altmasseverbindlichkeiten nachrangig zu erfüllen.

    2. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Forderung des Klägers um eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt, nämlich um eine Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag, die für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens berichtigt werden muss (vgl. zum Urlaubsabgeltungsanspruch Senat 25. März 2003 – 9 AZR 174/02 – AP InsO § 55 Nr. 4 = EzA InsO § 55 Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Sie haben zu Recht verneint, der Vorrang dieser Verbindlichkeit ergebe sich unmittelbar aus § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Unter diese Vorschrift fallen nur Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit “begründet” worden sind. “Begründet” ist ein Schuldverhältnis im Sinne dieser Vorschrift, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund dafür nach dem Stichtag gelegt hat (BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Grundlage des Anspruchs auf das zusätzliche Urlaubsentgelt ist der mit der Insolvenzschuldnerin bereits seit dem Jahr 1992 bestehende Arbeitsvertrag.

    3. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass sich ein Vorrang weder aus § 209 Abs. 2 Nr. 1 InsO noch aus § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ergibt.

    a) Als Neumasseverbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO gelten Verbindlichkeiten aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte. Die Vorschrift setzt das Bestehen eines Wahlrechts des Verwalters iSv. § 103 InsO voraus (BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358). Jedenfalls bei bereits in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnissen hat der Verwalter kein Wahlrecht über deren Erfüllung oder Nichterfüllung. Diese bestehen vielmehr nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort und sind unter Einhaltung von § 113 InsO kündbar.

    b) § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO betrifft Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte. Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits im März 2001 mit der kürzestmöglichen Frist von drei Monaten (§ 113 Abs. 1 Satz 2 InsO) zum 30. Juni 2001 gekündigt hatte, hätte eine neuerliche ordentliche Kündigung des Beklagten im Anschluss an die Anzeige der Masseunzulänglichkeit vom 11. April 2001 den Arbeitsvertrag zu keinem früheren Zeitpunkt beendet. Entstehen und Fälligkeit des für April 2001 geschuldeten zusätzlichen Urlaubsentgelts wären nicht zu verhindern gewesen.

    4. Das Bestehen einer Neumasseverbindlichkeit lässt sich auch nicht aus § 209 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO herleiten. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat. Eine vom Insolvenzverwalter erklärte “Freistellung unter Anrechnung von Urlaub” erfüllt diese Anforderungen nicht.

    a) Im Schrifttum ist umstritten, was unter “Inanspruchnahme” iSd. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu verstehen ist. Teils wird eine willentliche Inanspruchnahme der Gegenleistung durch den Verwalter verlangt (Marotzke Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 14.49 f.; Spliedt ZIP 2001, 1941, 1946; Meyer DZWIR 2001, 309, 312 f.; wohl auch Uhlenbruck InsO 12. Aufl. § 209 Rn. 15). Teils wird angenommen, schon das bloße Erlangen der Gegenleistung, also die tatsächliche Inanspruchnahme der Gegenleistung, sei ausreichend (MünchKommInsO-Hefermehl § 209 Rn. 30). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist maßgeblich, ob der Verwalter die Gegenleistung nutzt, obgleich er diese Nutzung im Interesse aller Massegläubiger hätte verhindern können (3. April 2003 – IX ZR 101/02 – BGHZ 154, 358; 4. Dezember 2003 – IX ZR 222/02 – NJW-RR 2004, 772 – zum Mietverhältnis). Auf diese Streitfrage kommt es hier nicht an. In jedem Fall wird vorausgesetzt, dass die “Gegenleistung” der Masse zugute kommt. Daran fehlt es.

    b) Mit dem Begriff “Gegenleistung” ist nach allgemeinem Sprachverständnis die Leistung gemeint, die ein Schuldner im bestehenden Dauerschuldverhältnis zu erbringen hat. Im Arbeitsverhältnis ist das die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB zu erbringende Arbeitsleistung. Sie ist Gegenleistung für das vom Arbeitgeber geschuldete Entgelt. Ein Arbeitnehmer, der von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird und daraufhin nicht mehr arbeitet, erbringt keine Gegenleistung. Dass er gleichwohl für die Zeiten seiner Nichtbeschäftigung Anspruch auf Entgelt hat, ändert daran nichts.

    c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gebieten Besonderheiten des Urlaubsrechts nicht die Annahme, der Masse sei eine Gegenleistung zugeflossen. Der Urlaubsanspruch ist ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, von den vertraglichen Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt wird (st. Rspr. vgl. nur Senat 9. Juni 1998 – 9 AZR 43/97 – BAGE 89, 91). Mit einer vom Arbeitnehmer akzeptierten “Freistellung unter Anrechnung auf Urlaub” wird dieser Freistellungsanspruch erfüllt (vgl. BAG 9. August 1994 – 9 AZR 384/92 – BAGE 77, 296). Das Erlöschen des Urlaubsanspruchs ist Rechtsfolge der Erfüllung (§ 362 BGB) und keine “Gegenleistung” des Arbeitnehmers. Schon deshalb kommt es auf die Erwägung des Landesarbeitsgerichts nicht an, der Beklagte hätte nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit den Urlaub des Klägers widerrufen und dadurch die “Hinnahme der Tilgung” der restlichen vier Urlaubstage verhindern können.

    d) Im Übrigen besteht kein Grund, die Tilgung des Anspruchs auf ein zusätzliches tarifliches Urlaubsentgelt als “Gegenleistung” anzusehen.

    Nach § 208 Abs. 3 InsO ist der Verwalter verpflichtet, auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Masse zu verwalten und zu verwerten. Das wird ihm durch den in § 209 InsO bestimmten Vorrang der Neumasseverbindlichkeiten erleichtert. Neumassegläubigern im massearmen Verfahren, die Sachoder Dienstleistungen zugunsten der Masse erbringen, soll ein möglichst ungekürzter Zahlungsanspruch gegen die Masse zustehen. Ist das nicht gewährleistet, vermindern sich zum Nachteil aller Gläubiger die Chancen, das Insolvenzverfahren mit ihrer Hilfe ordnungsgemäß zu Ende zu führen.

    Der Verwalter ist im Interesse der Gläubiger und zum Ausschluss seiner persönlichen Haftung für nicht erfüllbare Neumasseverbindlichkeiten (§ 61 InsO) gehalten, die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten soweit möglich zu vermeiden. Arbeitnehmer sind deshalb von ihrer Arbeitspflicht freizustellen, sobald auf ihre Arbeitsleistung verzichtet werden kann. Eine Privilegierung von Entgeltansprüchen rechtfertigt sich daher regelmäßig nur, wenn der Arbeitnehmer durch tatsächliche Arbeitsleistung zur Anreicherung der Masse beiträgt (vgl. zum Konkursrecht Senat 8. Dezember 1998 – 9 AZR 622/97 – AP KO § 60 Nr. 9 = EzA KO § 60 Nr. 7 mwN). Der Masse muss ein wirtschaftlicher Wert zufließen.

    Dieses Verständnis wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Dort ist in der Begründung zu § 321 Regierungsentwurf (= § 209 InsO) hervorgehoben, dass “ein Arbeitnehmer, der seine Leistung voll zu erbringen hat – der also nicht vom Verwalter “freigestellt” worden ist –, Anspruch auf volle Vergütung für diese Arbeitsleistung haben” muss (BR-Drucks. 1/92, S. 220). Im Umkehrschluss heißt das: Ein Arbeitnehmer, der vom Verwalter unwiderruflich von jeder Arbeitspflicht freigestellt worden war, hat keinen Anspruch auf vorrangige Befriedigung als Neumassegläubiger.

    e) Unentschieden bleibt, ob Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld dann als Neumasseverbindlichkeit zu beurteilen sind, wenn der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Arbeitsleistung heranzieht und die Zeit der aktiven Beschäftigung durch Urlaubsgewährung unterbrochen wird. Hier hatte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Beklagte den Kläger bereits mit der Kündigung vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit unwiderruflich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von jeder Arbeitsleistung freigestellt.

  • Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 ZPO zu tragen.
 

Unterschriften

Düwell, Zwanziger, Reinecke, Bruse, Merkle

 

Fundstellen

BAGE 2006, 80

BB 2005, 2016

DB 2004, 2053

NWB 2004, 2331

EBE/BAG 2004, 1

EWiR 2004, 1139

FA 2004, 255

FA 2004, 351

JurBüro 2005, 52

NZA 2005, 354

SAE 2004, 348

StuB 2004, 848

ZIP 2004, 1660

AP, 0

DZWir 2004, 461

EzA-SD 2004, 15

EzA-SD 2004, 4

EzA

NJ 2005, 143

NZI 2004, 636

ZMV 2004, 198

ArbRB 2004, 298

InsbürO 2004, 237

BAGReport 2004, 328

GuS 2004, 63

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