Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitskampf - Unzumutbarkeit der Beschäftigung arbeitswilliger Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Beschäftigung einer arbeitswilligen Arbeitnehmerin während eines Streiks ist dem Arbeitgeber nicht allein deshalb unzumutbar, weil er der Gewerkschaft im Zusammenhang mit dem Abschluß einer sog Notdienstvereinbarung zugesichert hat, andere als die in der Vereinbarung benannten Arbeitnehmer nicht an den Arbeitsplatz zu lassen.

Bei trotz des Streiks fortbestehender Beschäftigungsmöglichkeit wird der Arbeitgeber von der Pflicht zur Lohnzahlung nicht nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos frei.

 

Normenkette

GG Art. 9; BGB §§ 293, 615

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.05.1993; Aktenzeichen 12 Sa 314/93)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.12.1992; Aktenzeichen 4 Ca 6226/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Gehalt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für Tage eines Streiks, an denen sie vergeblich ihre Arbeitsleistung angeboten hat.

Die nicht gewerkschaftlich organisierte Klägerin ist seit dem 1. April 1978 bei der Beklagten angestellt, einem Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs mit ca. 4200 Beschäftigten. Die Beklagte ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen. Seit dem 1. April 1992 ist die Klägerin stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung der Beklagten. In dieser Funktion obliegt ihr insbesondere die Bearbeitung juristisch oder sonst komplizierter Haftpflichtschäden sowie die Erledigung sonstiger Rechtsfragen. Wegen einer seit Anfang 1992 bestehenden Vakanz einer Sachbearbeiterstelle in der Rechtsabteilung mußte sie zeitweise auch die diesem Angestellten zugewiesenen Haftpflichtfälle bearbeiten, wodurch es zu Überstunden kam. Für Mai und Juni 1992 wurden jeweils 30 Überstunden abgerechnet.

Nachdem anstehende Tarifvertragsverhandlungen im öffentlichen Dienst gescheitert waren und sich ein Arbeitskampf abzeichnete, schloß die Beklagte am 22./23. April 1992 eine Notdienstvereinbarung mit der Kreisverwaltung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Danach sollten ca. 300 Mitarbeiter während des Arbeitskampfes Zutritt zum Betrieb erhalten zur Erbringung sog. Notdienstleistungen. Für die Rechtsabteilung war lediglich die Rufbereitschaft eines Versicherungssachbearbeiters vorgesehen. Anläßlich der Unterzeichnung der Notdienstvereinbarung sicherte die Beklagte auf ein entsprechendes Begehren der Gewerkschaft dieser mündlich zu, sonstige arbeitswillige Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes nicht zu beschäftigen. Mit internem Schreiben vom 24. April 1992 informierte sie ihre Abteilungs- und Dienststellenleiter, "im Interesse des Fortbestandes der vorbenannten Notdienstvereinbarung" könne Mitarbeitern, die nicht zum Notdienst eingeteilt seien, der Aufenthalt am Arbeitsplatz nicht gestattet werden.

Der Betrieb der Beklagten, deren Arbeitnehmer zu ca. 95 % der ÖTV angehören, wurde vom 28. April bis 7. Mai 1992 bestreikt. Der Linienverkehr lag in dieser Zeit still.

Als die Klägerin am Morgen des 28. April 1992 ihre Arbeitskraft anbot, forderte die Beklagte sie zum Verlassen des Betriebes auf. Gleichzeitig teilte sie ihr mit, daß sie ihre Arbeitswilligkeit für die Streikdauer zur Kenntnis nehme und es sich erübrige, die Arbeitskraft jeden Morgen erneut anzubieten. In gleicher Weise verfuhr die Beklagte bei anderen arbeitswilligen Arbeitnehmern, darunter auch Mitarbeitern der Rechtsabteilung.

Am 4. und 5. Mai 1992 suchte die Klägerin auf Intervention ihres Vorgesetzten und am 6. und 7. Mai 1992 auf ausdrückliche Anordnung eines Vorstandsmitgliedes das Büro auf, um dort eine baurechtliche Frage sowie Erstattungsansprüche von Zeitkarteninhabern gegenüber der Beklagten zu prüfen.

Bei der Gehaltsabrechnung für den Monat Juni 1992 zog die Beklagte der Klägerin insgesamt 1.235,84 DM brutto ab wegen der unterbliebenen Beschäftigung an den Streiktagen im April und Mai 1992. Nachdem eine vorgerichtliche Geltendmachung erfolglos blieb, hat die Klägerin mit ihrer am 26. Oktober 1992 erhobenen Klage die Auszahlung dieser Beträge begehrt.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Zahlung des Gehalts für sämtliche Streiktage verpflichtet, da sie sich in Annahmeverzug befunden habe. Der Beklagten sei ihre Beschäftigung zumutbar gewesen. Es habe eine hinreichende Beschäftigungsmöglichkeit bestanden. Sie habe zum Beispiel Gutachten erstellen, vorliegende Haftpflichtfälle bearbeiten und infolge der Mehrarbeit vernachlässigte andere Arbeiten, wie etwa die Auswertung von Fachzeitschriften oder die Führung der Urteilssammlung, erledigen können. Eine Schreibkraft sei hierfür nicht unmittelbar erforderlich gewesen. Im übrigen habe die Beklagte arbeitswillige Schreibkräfte zurückgewiesen.

Die Beklagte könne sich nicht auf die mit der ÖTV geschlossene Vereinbarung berufen. Hierbei handele es sich um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter. Die Vereinbarung stelle auch einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte negative Koalitionsfreiheit dar. Im übrigen zeige ihre Beschäftigung vom 4. bis 7. Mai 1992, daß die Notdienstvereinbarung hierdurch nicht beeinträchtigt worden sei.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

1.235,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem ent-

sprechenden Nettobetrag seit dem 15. Juni 1992 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos den Lohnausfall selbst zu tragen. Eine Beschäftigung der Klägerin während des Streiks sei ihr weder möglich noch zumutbar gewesen. Der Abschluß der Notdienstvereinbarung sei dringend erforderlich gewesen. Grundstücke und Anlagen seien zu sichern gewesen. Außerdem habe sie den von ihr zu besorgenden Personennahverkehr startfähig halten müssen. Diese Aufgaben seien ohne eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten zu erledigen gewesen. Der Umfang der notwendigen Arbeiten und der einzusetzenden Mitarbeiter könne nur von beiden Sozialpartnern gemeinsam bestimmt werden. Es komme hinzu, daß ein einseitig vom Arbeitgeber eingeteilter Arbeitnehmer sich erfahrungsgemäß den Unmut der streikenden Kollegen zuziehe und häufig gar nicht in der Lage sei, den Arbeitsplatz zu erreichen.

Im übrigen habe die Klägerin auch nicht adäquat eingesetzt werden können. Für die Umsetzung eventueller Arbeiten hätten keine Kräfte zur Verfügung gestanden. Außerdem habe es infolge des Stillstandes des Linienverkehrs auch nicht zu Unfällen und damit verbundenen rechtlichen Problemen kommen können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat - wie schon das Arbeitsgericht - zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Gehalt bejaht für die Streiktage, an denen sie trotz des Angebots ihrer Arbeitsleistung von der Beklagten nicht beschäftigt wurde. Die Beklagte befand sich im Annahmeverzug. Sie wurde von ihrer Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts nicht nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos frei. Die Beschäftigung der Klägerin war ihr weder arbeitskampfbedingt unmöglich noch unzumutbar. Sie kann sich gegenüber der Klägerin nicht auf eine der Gewerkschaft im Zusammenhang mit der getroffenen Notdienstvereinbarung gegebene Zusicherung berufen, andere als die dort genannten Arbeitnehmer nicht an den Arbeitsplatz zu lassen.

I. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Gehalts für die an den streitigen Tagen ausgefallene Arbeit ergibt sich aus § 615 BGB i. Verb. mit § 293 BGB.

1. Die Klägerin hat ihre Arbeitsleistung zu Beginn des ersten Streiktages ordnungsgemäß tatsächlich angeboten, indem sie am Arbeitsplatz erschienen ist. Die Beklagte hat die angebotene Arbeitsleistung abgelehnt und auf ein weiteres tatsächliches Angebot an den folgenden Streiktagen ausdrücklich verzichtet. Die formellen Voraussetzungen des Annahmeverzuges sind damit gegeben.

2. Der Beklagten war die Annahme des Arbeitsangebotes weder unmöglich noch unzumutbar.

Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das sog. Betriebs- und Wirtschaftsrisiko. Er muß den Lohn also auch dann zahlen, wenn er den oder die Arbeitnehmer ohne sein Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann (Betriebsrisiko) oder wenn die Fortsetzung des Betriebs etwa wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird (Wirtschaftsrisiko).

Hiervon zu trennen ist aber das besondere Risiko der Betriebsstörung durch einen legitimen Arbeitskampf (Arbeitskampfrisiko). Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist dieses Risiko nach den Grundsätzen der arbeitskampfrechtlichen Parität zu verteilen. Können Auswirkungen eines rechtmäßigen Streiks oder einer rechtmäßigen Aussperrung das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinflussen, tragen beide Seiten das Risiko. Für die betroffenen Arbeitnehmer - und zwar auch für die nichtorganisierten - bedeutet dies den Verlust der Vergütungsansprüche für die Dauer der arbeitskampfbedingten Störung (vgl. insbesondere Senatsbeschlüsse vom 22. Dezember 1980 - 1 ABR 2/79 und 1 ABR 76/79 - BAGE 34, 331 und 355 = AP Nr. 70 und Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Senatsurteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 178/90 - BAGE 67, 50 = AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Senatsurteil vom 1. Oktober 1991 - 1 AZR 147/91 - BAGE 68, 298 = AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Senatsurteil vom 7. April 1992 - 1 AZR 377/91 - AP Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler/Colneric, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 600 ff.; Löwisch/Bittner, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, Rz 592 ff.; MünchArbR/Boewer, § 77 Rz 29 ff.; MünchArbR/Otto, § 283 Rz 39 ff., alle m.w.N.).

Diese grundsätzliche Risikoverteilung gilt nicht nur bei Auftreten von Betriebsstörungen aufgrund der Fernwirkung in einem am unmittelbaren Kampfgeschehen nicht beteiligten Betrieb (so die den Senatsbeschlüssen vom 22. Dezember 1980, aaO, zugrunde liegenden Sachverhalte), sondern auch und erst recht, wenn die Betriebsstörung auf einen Arbeitskampf zurückgeht, der im selben Betrieb stattfindet. Andernfalls würde dem unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber nicht nur das Risiko des Produktionsstillstandes durch den gegen ihn gerichteten Streik, sondern zusätzlich das Risiko der Fortzahlung des Lohnes an die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer aufgebürdet, die infolge der Streikauswirkungen nicht beschäftigt werden können. Hierdurch wird das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien in gleicher Weise gestört (vgl. zum Teilstreik grundsätzlich schon RGZ 106, 272 ff.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/2, 7. Aufl., S. 946, 947; Löwisch/Bittner, aaO, Rz 616; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 305 ff.; Beuthien, Der Arbeitskampf als Wirtschaftsstörung, S. 20, 21).

Erste Voraussetzung für eine von der grundsätzlichen Tragung des Betriebs- oder Wirtschaftsrisikos durch den Arbeitgeber abweichende Verteilung des Risikos nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos ist aber in jedem Fall, daß überhaupt eine entsprechende Störung des Leistungsverhältnisses vorliegt, d.h., daß dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers unmöglich oder unzumutbar geworden ist.

3. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat zu Recht angenommen, zu einem Eingreifen der Grundsätze des Arbeitskampfrisikos komme es schon deshalb nicht, weil der Beklagten die Beschäftigung der Klägerin weder unmöglich noch wirtschaftlich unzumutbar gewesen sei.

a) Das bedarf für die Frage der betriebstechnischen Unmöglichkeit angesichts der von der Klägerin zu erbringenden Tätigkeit und angesichts der Tatsache, daß die Klägerin an immerhin vier Streiktagen tatsächlich gearbeitet hat, keiner weiteren Darlegung.

Das Landesarbeitsgericht hat dies aber zu Recht auch für die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit angenommen. Es hat darauf abgestellt, daß es sich bei der Beklagten nicht um einen auf die Erzielung von Gewinn ausgerichteten Wirtschaftsbetrieb handelt. Angesichts fehlender Konkurrenz seien daher Kriterien wie Umsatz, Ertrag, Erhaltung von Marktanteilen nicht ausschlaggebend. Vielmehr sei die Frage der Zumutbarkeit unter dem Gesichtspunkt einer vernünftigen Unternehmensführung primär daran zu messen, inwieweit es auch während eines Streiks möglich und sinnvoll sei, zur Verfolgung des Unternehmenszweckes die betriebliche Tätigkeit aufrechtzuerhalten und angefallene Arbeiten zu erledigen.

Dem ist zuzustimmen. Wie schon das Landesarbeitsgericht gesehen hat, muß die Frage nicht einheitlich für den Betrieb beantwortet werden. Die Beurteilung kann für einzelne Betriebsbereiche unterschiedlich ausfallen (vgl. dazu auch Löwisch/Bittner, aaO, Rz 640; MünchArbR/Boewer, § 77 Rz 60).

b) Das Landesarbeitsgericht hat hiervon ausgehend zu Recht angenommen, der Beklagten sei die vertragsgemäße Beschäftigung der Klägerin während aller Streiktage wirtschaftlich zumutbar gewesen. Es hat festgestellt, daß trotz der Einstellung des Fahrbetriebs im Bereich der Rechtsabteilung hinreichende Aufgaben vorlagen, die einen sinnvollen Arbeitseinsatz der Klägerin zuließen. So hätte die Klägerin "alte" Haftpflichtfälle bearbeiten können. Diese Bearbeitung konnte zunächst ohne Schreibkraft durchgeführt werden; die Klägerin konnte die Ergebnisse ihrer Arbeit diktieren und für die spätere schriftliche Umsetzung vorbereiten. Der Einwand der Beklagten, während des Ruhens des Verkehrs seien keine neuen Haftpflichtfälle aufgetreten, ist demgegenüber unbeachtlich. Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, daß dies nicht einmal zwingend zu einem mit phasenweiser Verschiebung auftretenden "Arbeitstief" führen muß, da durch den Streik neue und zusätzliche Rechtsprobleme auftreten können, die von der Rechtsabteilung zu bearbeiten sind. Dies unterstreicht anschaulich der "Rückruf" der Klägerin während des Streiks, nachdem infolge des streikbedingten Ausfalls des Linienverkehrs entsprechende Anfragen von Zeitkarteninhabern zu beantworten waren.

Im übrigen bestand - nicht zuletzt wegen des ausgefallenen Sachbearbeiters - ohnehin ein Arbeitsüberhang, wie die in den Lohnabrechnungen für Mai und Juni 1992 ausgewiesenen Überstunden der Klägerin dokumentieren. Darüber hinaus hätte die Klägerin andere Arbeiten wie die erforderliche Führung der Urteilssammlung oder die notwendige Lektüre von Fachzeitschriften nachholen können.

Wenn das Landesarbeitsgericht hieraus den Schluß gezogen hat, die Klägerin hätte auch bei Ruhen des Fahrbetriebs sinnvoll beschäftigt werden können, ist das revisionsrechtlich nicht angreifbar und wird letztlich auch nicht angegriffen. Die Beklagte hat gegen die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen keine Verfahrensrügen erhoben; sie sind daher für den Senat gemäß § 561 ZPO bindend. Die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beschäftigung der Klägerin wird unterstrichen durch den tatsächlich an vier Tagen während des Streiks erfolgten Einsatz. Letztlich hat die Beklagte zweitinstanzlich auch selbst eingeräumt, nicht der Streik habe unmittelbar zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit geführt; unmittelbare Ursache sei vielmehr die der Gewerkschaft im Zusammenhang mit der Notdienstvereinbarung gegebene Zusicherung gewesen, niemanden an den Arbeitsplatz zu lassen.

Es ist demnach davon auszugehen, daß die Beschäftigung der Klägerin während des Streiks technisch möglich und auch unter Berücksichtigung des besonderen Unternehmenszweckes der Beklagten wirtschaftlich sinnvoll war.

4. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung weiter beizupflichten, soweit es der Beklagten das Recht abgesprochen hat, sich gegenüber der Klägerin auf die der Gewerkschaft gegebene Zusicherung zu berufen, andere als die in der Notdienstvereinbarung aufgeführten Arbeitnehmer nicht an den Arbeitsplatz zu lassen.

a) Die zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ÖTV getroffene Vereinbarung hat keine unmittelbaren Rechtswirkungen auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis. Nach dem Arbeitsvertrag war die Beklagte verpflichtet, die Klägerin vertragsgemäß zu beschäftigen und zu entlohnen. Eine unmittelbare Aufhebung dieser Pflicht durch eine Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft stellte sich in der Tat als ein unzulässiger (vgl. dazu nur Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Aufl., Einf. vor § 328 Rz 10) Vertrag zu Lasten Dritter dar.

Dabei kann die Rechtsnatur der hier getroffenen Vereinbarung dahingestellt bleiben. Die Annahme eines Tarifvertrages scheitert - bezogen auf die mündliche Zusage, keine anderen Arbeitnehmer einzusetzen - schon an der fehlenden Schriftform gemäß § 1 Abs. 2 TVG, unbeschadet aller anderen Bedenken etwa hinsichtlich der Frage, ob die Kreisverwaltung Düsseldorf der ÖTV überhaupt zum Abschluß eines Tarifvertrages berechtigt gewesen wäre und unbeschadet der Feststellung, daß die Betroffenen auch gar keine entsprechende Abschlußabsicht hatten. Als nicht tarifgebunden wäre die Klägerin im übrigen von der Wirkung einer derartigen tariflichen Abrede auch nicht erfaßt.

Betrachtet man die Vereinbarung als eine kollektivrechtliche Regelung eigener Art (vgl. etwa Däubler, AuR 1981, 257, 264) oder als eine schlicht schuldrechtlich zu bewertende Regelung, bleibt es bei der Unzulässigkeit eines unmittelbaren Eingriffs in ein bestehendes drittes Vertragsverhältnis.

b) Die Beklagte kann sich auch nicht mittelbar auf die der Gewerkschaft gegebene Zusicherung berufen in dem Sinne, daß die Beschäftigung der Klägerin ihr unzumutbar geworden sei und die Klägerin deshalb nach den Grundsätzen der arbeitskampfrechtlichen Risikoverteilung den Lohnausfall selbst zu tragen habe. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen.

aa) Es bedarf keiner abschließenden Klärung, ob und wann sich die Unzumutbarkeit der Beschäftigung im Sinne des Wirtschaftsrisikos auch daraus ergeben kann, daß gerade durch die Beschäftigung dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig großer Schaden entstehen kann, so daß ihm diese wirtschaftlich gesehen nach dem Gedanken der Güterabwägung auch unter Berücksichtigung des Beschäftigungsinteresses des Arbeitnehmers nicht zumutbar ist. Im Streitfall fehlt es schon an einer für die Beklagte unvermeidbaren Zwangslage. In diese vermeintliche Zwangslage hat sich die Beklagte selbst gebracht durch ihre Zusage. Für eine solche Zusage bestand kein Anlaß, der eine Entbindung der Beklagten von ihren vertraglichen Pflichten gegenüber der Klägerin rechtfertigen könnte.

bb) Zur Duldung der für die Sicherung und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebes unerläßlichen Arbeiten ist die Gewerkschaft auch ohne eine entsprechende Vereinbarung verpflichtet. Darüber besteht in Rechtsprechung und Lehre im Grundsatz Einigkeit - Streit besteht nur über die Modalitäten im einzelnen (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1982 - 1 AZR 265/80 - BAGE 38, 207 = AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch/Rieble, aaO, Rz 387 ff.; MünchArbR/Otto, § 278 Rz 136 ff.; Däubler, AuR 1981, 257; Löwisch/Mikosch, ZfA 1978, 153, 156, 172; Oetker, Die Durchführung von Not- und Erhaltungsarbeiten bei Arbeitskämpfen, S. 4 ff.). Eine Vereinbarung über die Modalitäten des Notdienstes mag zwar geboten und sinnvoll sein. Sie ist aber nicht konstitutive Voraussetzung für seine Durchführung (vgl. etwa Däubler, AuR 1981, 258; Löwisch/Mikosch, aaO, S. 156, 173; MünchArbR/Otto, § 278 Rz 150; Oetker, aaO, S. 61 ff.). Die Frage, wer im Falle der Nichteinigung Träger der Erhaltungsarbeiten ist, diese also bestimmt und leitet, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (offengelassen auch im Senatsurteil vom 30. März 1982, aaO).

Es bestand also schon von daher kein anders nicht zu lösender Zwang für die Beklagte, sich auf eine entsprechende Zusicherung einzulassen, wenn die Gewerkschaft hiervon tatsächlich den Abschluß der Notdienstvereinbarung abhängig gemacht hätte. Für die Durchsetzung des Notdienstes hätte die Beklagte im Zweifelsfall staatlichen Rechtsschutz in Form etwa des einstweiligen Verfügungsverfahrens in Anspruch nehmen können (vgl. Däubler, AuR 1981, 257, 265; Löwisch/Mikosch, ZfA 1978, 170; MünchArbR/Otto, § 278 Rz 152). Außerdem hätten ihr bei Verhinderung der erforderlichen Maßnahmen durch die Gewerkschaft gegen diese ggf. Schadenersatzansprüche zugestanden (vgl. dazu etwa Löwisch/Mikosch, aaO, S. 169 ff.; Däubler, aaO, S. 261).

cc) Ein anerkennenswertes Interesse an einer derartigen Regelung - nämlich des Ausschlusses anderer als zum Notdienst eingeteilter Arbeitnehmer - ist auch aus der Sicht der Gewerkschaft nicht zu erkennen. Soweit - was verständlich wäre - vermieden werden soll, daß ein Arbeitnehmer zum Notdienst herangezogen wird und damit sein Recht zur Teilnahme am Streik eingeschränkt wird, obwohl die als notwendig angesehene Arbeit von einem arbeitswilligen "Streikbrecher" ausgeführt werden könnte, genügte hierfür eine Regelung etwa des Inhalts, daß die Heranziehung zum Notdienst unter die Bedingung gestellt ist, daß ein arbeitswilliger Arbeitnehmer nicht vorhanden bzw. einsetzbar ist (vgl. dazu auch Löwisch/Mikosch, aaO, S. 161, 162). Der generelle Ausschluß aller arbeitswilligen Arbeitnehmer ist zur Erreichung dieses Ziels nicht erforderlich.

dd) Für die Beklagte bestand demnach keine zur Abwendung eines unverhältnismäßigen Schadens unvermeidbare Zwangslage. Sie kann sich gegenüber der Klägerin daher auch nicht auf die entsprechende Zusicherung an die Gewerkschaft berufen. Die Beschäftigung der Klägerin war ihr vielmehr zumutbar. Der Anspruch der Klägerin auf Fortzahlung des Gehalts ist schon deshalb nicht entfallen.

Es bedarf bei dieser Sachlage keiner Entscheidung, ob in der streitbefangenen Vereinbarung eine rechtswidrige Verletzung der grundgesetzlich geschützten negativen Koalitionsfreiheit liegt, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat.

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war auch nicht in arbeitskampfrechtlich zulässiger sonstiger Weise für die Dauer des Streiks suspendiert mit der Folge des Wegfalls der Gehaltsansprüche der Klägerin. Die Klägerin war insbesondere nicht ausgesperrt.

Zwar kommt der streitbefangene Tatbestand im Ergebnis einer Aussperrung insoweit gleich, als die Klägerin nicht beschäftigt und nicht entlohnt wurde. Die Beklagte hat aber keine Aussperrung vorgenommen - unbeschadet der Frage des Erfordernisses eines entsprechenden Verbandsbeschlusses und unbeschadet der Frage, ob die sonstigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vorgelegen hätten. Sie hat sich vielmehr allein darauf berufen, daß ihr die Beschäftigung der Klägerin aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen unzumutbar geworden und deshalb ihre Lohnzahlungspflicht nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos entfallen sei. Die Beklagte hat damit nicht aktiv gestaltend in den Arbeitskampf eingegriffen, sondern eine rechtsvernichtende Einwendung geltend gemacht (vgl. Senatsurteil vom 7. Juni 1988 - 1 AZR 597/86 - BAGE 58, 332 = AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zur Abgrenzung der Lohnverweigerung nach der Betriebsrisikolehre von der Abwehraussperrung vgl. im übrigen Seiter, aaO, S. 308, 309; Bertelsmann, Die Aussperrung, 1979, S. 206 ff.; Fritz, Das Lohnrisiko im Arbeitskampf, 1989, S. 148 ff.).

III. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Gehalts für die an den Streiktagen ausgefallene Arbeitsleistung demnach zu Recht bejaht. Der Beklagten stand mithin gegen die Klägerin kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung des für die Monate April und Mai zunächst ungekürzt ausgezahlten Gehalts in entsprechender Höhe zu, mit der sie - wie geschehen - gegen den Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Gehalts für den Monat Juni hätte aufrechnen können. Die Klägerin hat dementsprechend Anspruch auf Auszahlung des einbehaltenen Gehaltsanteils von unstreitig 1.235,84 DM brutto.

Die Revision der Beklagten ist demnach mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Dr. Weller Dr. Rost Kremhelmer

Dr. Federlin Brunner

 

Fundstellen

Haufe-Index 437358

BAGE 00, 00

BAGE, 186

BB 1994, 651

DB 1994, 632-634 (LT1)

NJW 1994, 1300

NJW 1994, 1300-1302 (LT1)

EBE/BAG 1994, 46-48 (LT1)

ARST 1994, 109-111 (LT1)

NZA 1994, 331

NZA 1994, 331-334 (LT1)

SAE 1995, 250-254 (LT1)

ZAP, EN-Nr 291/94 (S)

ZTR 1994, 209-211 (LT1)

AP, Arbeitskampf (LT1)

AR-Blattei, ES 170.2 Nr 38 (LT1)

ArbuR 1995, 35-36 (LT1)

EzA, Arbeitskampf Nr 113 (LT1-2)

GdS-Zeitung 1994, Nr 8, 15 (KT)

MDR 1994, 593-594 (LT1)

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