Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverfallbarkeitsfrist. Übergangsregelung. Beginn und Ende der Unverfallbarkeitsfristen. Übergangsregelung des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG. Entgeltumwandlung vor dem 1. Januar 2001. gesetzliche und vertragliche Unverfallbarkeit. Übertragung einer Direktversicherung. Parteifähigkeit einer BGB-Gesellschaft

 

Orientierungssatz

1. Die Unverfallbarkeitsfrist des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG muss mit Ablauf des 31. Dezember 2005 erreicht sein. Es genügt, dass diese Unverfallbarkeitsfrist gleichzeitig mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abläuft. § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG setzt demgemäß nicht voraus, dass der Arbeitnehmer erst nach dem 31. Dezember 2005 ausscheidet.

2. Vor Inkrafttreten des § 1b Abs. 5 BetrAVG war zwischen gesetzlicher und vertraglicher Unverfallbarkeit zu unterscheiden. Bei einer Entgeltumwandlung war in der Regel davon auszugehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine von vornherein vertraglich unverfallbare Anwartschaft einräumen wollte. Für eine Entgeltumwandlung reichte es jedoch nicht aus, dass der Arbeitnehmer anderweitig nicht entlohnte Überstunden erbrachte. Vielmehr mussten die Parteien vereinbaren, dass die Ansprüche auf Überstundenvergütung in eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung umgewandelt werden sollten. Im vorliegenden Fall konnte offenbleiben, ob eine derartige Vereinbarung getroffen worden war. Denn die Versorgungsanwartschaft war bereits gesetzlich unverfallbar.

 

Normenkette

BetrAVG § 30f Abs. 1 S. 1 Hs. 2, § 1 Lebensversicherung, § 1b Abs. 5 S. 1; BGB §§ 952, 985; ZPO § 50

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.07.2007; Aktenzeichen 20 Sa 106/06)

ArbG Ulm (Urteil vom 21.09.2006; Aktenzeichen 9 Ca 242/06)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 2007 – 20 Sa 106/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Rz. 1

 Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben hat und von der Beklagten die Abtretung der Rechte aus einer Direktversicherung verlangen kann.

Rz. 2

 Die am 19. September 1948 geborene Klägerin war vom 4. Oktober 1998 bis einschließlich 31. Dezember 2005 bei der Beklagten, einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, beschäftigt. Für die Klägerin wurde “als betriebliche Altersversorgung” eine Direktversicherung abgeschlossen. In der “Urkunde über eine betriebliche Altersversorgung” vom 25. August 1999 vereinbarten die Parteien die Geltung der “auf der Rückseite genannten Richtlinien”. Diese enthielten folgende Bestimmungen:

“2. Bezugsrecht

Aus dieser Versicherung sind Sie sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unter den folgenden Vorbehalten unwiderruflich bezugsberechtigt.

Uns bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für uns in Anspruch zu nehmen,

• wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls endet und Sie zu diesem Zeitpunkt noch keine unverfallbare Anwartschaft nach § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung haben.

Unverfallbar ist Ihre Anwartschaft dann, wenn Sie zum Zeitpunkt Ihres Ausscheidens das 35. Lebensjahr vollendet haben und die Versicherung 10 Jahre bestanden hat

oder

wenn Sie zum Zeitpunkt Ihres Ausscheidens das 35. Lebensjahr vollendet, das Arbeitsverhältnis 12 Jahre und die Versicherung 3 Jahre bestanden haben.

• wenn Sie Handlungen begehen, die uns das Recht geben, die Versicherungsansprüche zu mindern oder zu entziehen.

5. Vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Endet Ihr Arbeitsverhältnis, ohne daß die Ansprüche aus der Versicherung uns zustehen, so erklären wir sowohl Ihnen als auch der Sparkassen-Versicherung Lebensversicherung AG, daß Ihre Versorgungsansprüche auf die Leistungen begrenzt sind, die aufgrund unserer Beitragszahlung aus dem Versicherungsvertrag fällig werden (§ 2 (2) Satz 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung).

Wir werden dann innerhalb von 3 Monaten eine eventuelle Beleihung rückgängig machen, etwaige Beitragsrückstände ausgleichen und die Versicherung auf Sie übertragen. Sie können diese als Einzelversicherung nach dem dann geltenden Tarif gegen laufende Beitragszahlung bei der Sparkassen-Versicherung Lebensversicherung AG fortführen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist eine Abtretung, Beleihung oder ein Rückkauf insoweit unzulässig, als die Versicherung auf unseren Beiträgen beruht.

…”

Rz. 3

 Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete durch ordentliche, auf wirtschaftliche Gründe gestützte Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2005 mit Ablauf des 31. Dezember 2005. Die Versicherungsgesellschaft teilte der Klägerin mit Schreiben vom 5. Dezember 2006 mit, dass “der Versicherungsvertrag mit einem Policendarlehen belastet” sei.

Rz. 4

 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erlangt. Zum einen sei die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist (Versorgungsdauer von 5 Jahren bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses) erreicht gewesen. Dies ergebe sich aus § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG iVm. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Halbs. 2 BGB. Im Übrigen komme es auf die Dauer der Versorgungszusage nicht an. Denn es liege eine Entgeltumwandlung vor. Durch die Direktversicherung hätten die zahlreichen von der Klägerin geleisteten Überstunden ausgeglichen werden sollen.

Rz. 5

 Die Klägerin hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihre Rechte aus der bei der Sparkassen-Versicherung Lebensversicherungs AG, Löwentorstraße 65, 70376 Stuttgart, unter der Vertragsnummer 22339 1153 abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherung im Wert der bis zum 31. Dezember 2005 angesparten Versicherungssumme an die Klägerin abzutreten, den auf sie lautenden Versicherungsschein mit der Nummer 22339 1153 an die Klägerin herauszugeben und der Übertragung der Versicherungsnehmereigenschaft auf die Klägerin gegenüber der Sparkassen-Versicherung Lebensversicherungs AG zuzustimmen.

Rz. 6

 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nicht zu der geforderten Übertragung der Direktversicherung verpflichtet zu sein. Die Versorgungsanwartschaft der Klägerin wäre nach der Übergangsregelung des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG iVm. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Halbs. 1 BGB erst am 1. Januar 2006 unverfallbar geworden. Das Arbeitsverhältnis habe jedoch bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2005 geendet. Die Voraussetzungen für eine vertragliche Unverfallbarkeit seien nicht erfüllt. Eine Entgeltumwandlung sei nicht vereinbart worden.

Rz. 7

 Das Arbeitsgericht hat der noch anhängigen Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 8

 Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem noch anhängigen Klageantrag zu Recht stattgegeben.

Rz. 9

 A. Die Klage ist zulässig. Die Beklagte ist als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts aktiv und passiv parteifähig (ständige Rechtsprechung des BGH seit dem Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341). Dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben sich das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 2. September 2002 (– 1 BvR 1103/02 – NJW 2002, 3533 = ZIP 2002, 2214), der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 18. Mai 2004 (– IX R 83/00 – BFHE 206, 162), das Bundessozialgericht mit Urteil vom 4. März 2004 (– B 3 KR 12/03 R – SozR 4-5425 § 24 Nr. 5) und das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 1. Dezember 2004 (– 5 AZR 597/03 – zu II 1 der Gründe, BAGE 113, 50; bestätigt ua. durch 17. Juli 2007 – 9 AZR 819/06 – Rn. 14, AP ZPO § 50 Nr. 17 = EzA TzBfG § 8 Nr. 17) angeschlossen. Daran hält der Senat fest. Neue, bisher nicht geprüfte Argumente sind nicht vorgebracht worden.

Rz. 10

 B. Die noch anhängigen Klageanträge sind auch begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche zu. Die Beklagte ist verpflichtet, die Versicherung auf die Klägerin zu übertragen, also für einen Wechsel der Versicherungsnehmereigenschaft zu sorgen und die dafür notwendigen Erklärungen gegenüber dem Versicherer abzugeben. Anspruchsgrundlage sind die in der “Urkunde über eine betriebliche Altersversorgung” vom 25. August 1999 iVm. Nr. 5 der Richtlinien (RL) getroffenen Vereinbarungen.

Rz. 11

 I. Die Übertragungsverpflichtung der Beklagten setzt nach Nr. 5 Abs. 1 RL eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus, ohne dass die Ansprüche aus der Versicherung der Arbeitgeberin zustehen. Die Klägerin ist vor Eintritt des Versorgungsfalles und damit “vorzeitig” im Sinne des Betriebsrentenrechts ausgeschieden. Wem die Ansprüche aus der Versicherung zustehen, hängt nach Nr. 2 RL davon ab, ob die Klägerin mit oder ohne gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft ausschied. Davon geht auch die Beklagte aus. Sie lehnt die Übertragung der Versicherung deshalb ab, weil nach ihrer Ansicht die Klägerin keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Versorgungsanwartschaft der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzlich unverfallbar. Dies ergibt sich zwar nicht aus einer Entgeltumwandlung, auf die sich die Klägerin beruft. Es ist aber die Unverfallbarkeitsfrist des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG erfüllt.

Rz. 12

 1. Ab 1. Januar 2001 erteilte, auf Entgeltumwandlungen beruhende Versorgungszusagen führen nach § 1b Abs. 5 BetrAVG zur sofortigen Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaften. Diese gesetzliche Unverfallbarkeit gilt aber nicht für Versorgungszusagen, die – wie hier – vor dem 1. Januar 2001 erteilt wurden (§ 30 f Abs. 1 Satz 2 BetrAVG).

Rz. 13

 Vor Inkrafttreten des § 1b Abs. 5 BetrAVG war zwischen gesetzlicher und vertraglicher Unverfallbarkeit zu unterscheiden. Bei einer Entgeltumwandlung war in der Regel davon auszugehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine von vornherein vertraglich unverfallbare Anwartschaft einräumen wollte (zu dieser Auslegungsregel vgl. ua. BAG 8. Juni 1993 – 3 AZR 670/92 – zu 4b der Gründe, BAGE 73, 209; 17. Oktober 1995 – 3 AZR 622/94 – zu I 1b aa der Gründe, AP BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 23 = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 7). Für eine Entgeltumwandlung reichte es jedoch nicht aus, dass die Klägerin anderweitig nicht entlohnte Überstunden erbrachte. Vielmehr hätten die Parteien vereinbaren müssen, dass die Ansprüche der Klägerin auf Überstundenvergütung in eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung umgewandelt werden sollten (vgl. die an die frühere Rechtsprechung anknüpfende Definition der Entgeltumwandlung in § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG). Für eine derartige Vereinbarung fehlt ein ausreichend substantiierter Vortrag der Klägerin. Hierauf kommt es allerdings nicht an, weil auch eine arbeitgeberfinanzierte Versorgungsanwartschaft bereits gesetzlich unverfallbar war.

Rz. 14

 2. Nach der Übergangsregelung des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG genügt es, wenn “die Zusage ab dem 1. Januar 2001 fünf Jahre bestanden hat”. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat.

Rz. 15

 a) Der Beginn der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG knüpft nicht an ein bestimmtes Ereignis oder einen in den Lauf eines Tages fallenden Zeitpunkt an. Ebenso wenig ist in § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG von einem fiktiven Ereignis die Rede. Maßgeblich ist der Beginn eines Tages (1. Januar 2001). Nach § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Demgemäß endet die Frist nach § 188 Abs. 2 Halbs. 2 BGB “mit dem Ablauf desjenigen Tages … des letzten Monats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch … seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht”.

Rz. 16

 b) Die Unverfallbarkeitsfrist des § 30 f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG war demnach mit Ablauf des 31. Dezember 2005 erfüllt. Es genügt, dass die Versorgungszusage beim Ausscheiden fünf Jahre “bestanden hat” und die Unverfallbarkeitsfrist gleichzeitig mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abläuft. Dies steht im Einklang mit § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Die Zusagedauer ist eine Mindestfrist, die erreicht, aber nicht überschritten sein muss. Im Gegensatz dazu muss bei der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis “länger” als sechs Monate bestanden haben. Bei diesen unterschiedlichen Formulierungen handelt es sich nicht um ein Versehen.

Rz. 17

 II. Die Beklagte ist sowohl nach § 985 BGB als auch aufgrund ihrer vertraglichen Pflichten aus dem Versorgungsverhältnis zur Herausgabe des Versicherungsscheins verpflichtet. Das Eigentum an diesem Papier steht nach § 952 Abs. 2 BGB dem Inhaber des Anspruchs auf die Versicherungsleistungen zu (BAG 8. Juni 1999 – 3 AZR 136/98 – zu B I der Gründe mwN, BAGE 92, 1). Es spielt keine Rolle, wenn die Beklagte nicht unmittelbare Besitzerin (§ 854 BGB), sondern nur mittelbare Besitzerin (§ 868 BGB) des Versicherungsscheins ist. Sie hat durch Rückgängigmachen der Beleihung dafür zu sorgen, dass die Klägerin den unmittelbaren Besitz am Versicherungsschein erlangt.

 

Unterschriften

Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, Oberhofer, Stemmer

 

Fundstellen

Haufe-Index 2253459

BB 2009, 213

BB 2009, 2702

BB 2010, 447

DB 2009, 2724

DStR 2009, 330

FA 2009, 118

FA 2010, 24

NZA 2010, 226

AP 2010

AuA 2009, 112

EzA-SD 2009, 7

AUR 2009, 45

ArbR 2009, 211

VP 2009, 57

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