Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohneinbehalt wegen negativen Arbeitskontos

 

Leitsatz (amtlich)

Ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto stellt einen Lohn- oder Gehaltsvorschuß des Arbeitgebers dar. Kann allein der Arbeitnehmer darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht, hat er es im Falle der Vertragsbeendigung bei nicht rechtzeitigem Zeitausgleich finanziell auszugleichen. Dazu darf der Arbeitgeber eine Verrechnung mit Vergütungsansprüchen vornehmen.

 

Normenkette

Manteltarifvertrag für das Friseurhandwerk Nr. 3 von 3. Juli; BGB §§ 387-388, 394; ZPO § 554 Abs. 3 Nr. 3 a

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 29.01.1999; Aktenzeichen 11 Sa 1125/98)

ArbG Bonn (Urteil vom 10.06.1998; Aktenzeichen 5 Ca 173/98 EU)

 

Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 29. Januar 1999 – 11 Sa 1125/98 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 650,00 DM nebst Zinsen zurückgewiesen hat.

II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 10. Juni 1998 – 5 Ca 173/98 EU – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 650,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1997 zu zahlen.

2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

III. Soweit sich die Revision der Beklagten gegen die Verurteilung zur Zahlung von 650,00 DM nebst Zinsen richtet, wird sie als unzulässig verworfen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz hat zu 2/3 die Klägerin, zu 1/3 die Beklagte zu tragen.

Die Kosten der Berufung und der Revision hat zu 2/3 die Beklagte, zu 1/3 die Klägerin zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechtigung eines Lohneinbehalts und einer Zusatzvergütung.

Die beklagte GmbH betreibt mehrere Friseurgeschäfte. Die Klägerin war bei ihr seit dem 1. Dezember 1996 als Salonleiterin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag war bis zum 30. November 1997 befristet. Die Monatsvergütung der Klägerin belief sich auf 3.500,00 DM brutto. Die Parteien trafen ferner folgende Vereinbarung:

(Die Klägerin) … „erhält ab dem 01.12.1996 DM 650,00 monatlich zusätzlich zu dem tariflich vereinbarten Lohn.

Dieser Betrag wird nur bei Anwesenheit des Arbeitnehmers gezahlt.

Bei Urlaub, im Krankheitsfalle oder einer sonstigen Nichtanwesenheit werden Zahlungen nicht geleistet; …

Diese Zusage erfolgt „freiwillig”, so daß auch bei mehrfach geleisteten Zahlungen kein Anspruch auf die Zahlung entsteht.

Diese Zusage ist darüber hinaus jeder Zeit abänderbar oder insgesamt widerruflich.”

Nach § 2 des Arbeitsvertrags fanden auf das Arbeitsverhältnis „der jeweils gültige Tarifvertrag für das Friseurhandwerk sowie der dazugehörige Lohntarifvertrag in geltender Fassung” Anwendung. Mit Wirkung zum 1. Juli 1996 war der Manteltarifvertrag Nr. 3 für das Friseurhandwerk vom 3. Juli 1991 um eine Vorschrift ergänzt worden, die es den Arbeitsvertragsparteien gestattete, einvernehmlich ein Arbeitszeitkonto einzurichten. Die Beklagte verständigte sich mit allen ihren Arbeitnehmerinnen einschließlich der Klägerin auf die Einführung eines solchen Zeitkontos. Dabei wurde vereinbart, daß ein Freizeitausgleich bis zu 111 Stunden auch vorweg genommen werden dürfe, dh. ohne daß dies zum Ausgleich eines bereits vorhandenen Guthabens geschähe.

Zum 30. November 1997 schied die Klägerin bei der Beklagten aus. Von ihrem Novemberlohn behielt die Beklagte den Betrag von 340,23 DM brutto ein. Er entsprach der Vergütung für 15,65 Arbeitsstunden, die das Zeitkonto der Klägerin als negativen Endstand aufwies. Für den Monat November 1997 zahlte die Beklagte der Klägerin außerdem die 650,00 DM brutto Zusatzlohn nicht.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Zahlung der beiden Beträge. Sie hat die Ansicht vertreten, einem Lohneinbehalt wegen des negativen Zeitkontostandes stünden die tarifvertraglichen Regelungen entgegen. Dort sei nur der Ausgleich eines Zeitguthabens vorgesehen. Die Klägerin hat außerdem behauptet, einen Widerruf der Zusatzvergütung habe die Beklagte zu keiner Zeit erklärt.

Die Klägerin hat – soweit noch von Interesse – beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 990,23 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine Lohnüberzahlung auf Grund eines negativen Zeitkontos müsse sie bei Vertragsende ausgleichen dürfen. Sie hat behauptet, der Sohn ihres Geschäftsführers habe im Oktober 1997 die Zusatzvergütung gegenüber der Klägerin widerrufen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, soweit sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Zusatzvergütung in Höhe von 650,00 DM brutto wendet.

Im übrigen ist die Revision zulässig und begründet. Zu Unrecht haben die Vorinstanzen die Beklagte verurteilt, den einbehaltenen Lohn in Höhe von 340,23 DM brutto an die Klägerin zu zahlen. Insoweit besteht die Klageforderung nicht.

I. Die Revision ist nur teilweise zulässig.

1. Gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Dazu ist die Benennung bestimmter Vorschriften nicht zwingend erforderlich, selbst eine falsche Bezeichnung kann unschädlich sein. Insbesondere für die Rüge einer Verletzung allgemeiner oder aus mehreren Vorschriften abgeleiteter Rechtsgrundsätze genügt deren Angabe(Baumbach/Albers ZPO 58. Aufl. § 554 Rn. 9; Thomas/Putzo ZPO 20. Aufl. § 554 Rn. 6). Die Revisionsbegründung muß allerdings den Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzeigen. Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs müssen erkennbar sein. Außerdem muß sich die Revisionsbegründung in den nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 a ZPO gerügten Punkten mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinander setzen. Dies erfordert eine klare Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll(BAG 29. Oktober 1997 – 5 AZR 624/96 – BAGE 87, 41 mwN).

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung der Beklagten nur zum Teil gerecht.

a) Die Revision hat sich mit den Gründen des Berufungsurteils ausreichend auseinandergesetzt, soweit es die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des einbehaltenen Lohnanteils von 340,23 DM brutto betrifft. Die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe aus den bestehenden tariflichen Regelungen über ein Arbeitszeitkonto zu Unrecht geschlossen, nach dem Willen der Tarifvertragsparteien könne für ein im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung negatives Konto vom Arbeitgeber kein Ausgleich beansprucht werden. Statt dessen hätten die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit des Ausgleichs eines solchen negativen Zeitguthabens überhaupt nicht bedacht. Darin liegt die Rüge einer fehlerhaften Auslegung und Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags. Soweit das Landesarbeitsgericht die Voraussetzungen für einen bereicherungsrechtlichen Anspruch verneint hat, meint die Revision, es widerspreche Treu und Glauben, wenn die Beklagte den von der Klägerin vorweg beanspruchten Freizeitausgleich später nicht verrechnen dürfe. Die Revision rügt auf diese Weise eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch Nichtberücksichtigung von § 242 BGB.

b) Unzureichend ist die Revisionsbegründung bezüglich des Streitgegenstandes Zusatzvergütung für November 1997. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung der vereinbarten 650,00 DM brutto verurteilt, weil dieser Betrag mehr als 15 % der monatlichen Gesamtvergütung der Klägerin ausmache und ein Widerruf nur im Rahmen billigen Ermessens zulässig sei. Auch habe ein Widerruf vor Beginn des Monats November 1997 erklärt werden müssen. Sowohl als Grundlage für eine Ermessungsüberprüfung als auch in zeitlicher Hinsicht sei das Vorbringen der Beklagten zu unsubstantiiert.

Demgegenüber hat die Revision geltend gemacht, die Auffassung des Landesarbeitsgerichts sei „unverständlich”. Die Beklagte habe Beweis durch das Zeugnis des Sohnes ihres Geschäftsführers angeboten, der nach den Einzelheiten des Widerrufs habe befragt werden können. Das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die „prozessuale Vortragspflicht” überspannt. Auf diese Weise hat die Revision lediglich ihre eigene Auffassung über den Umfang der Darlegungslast an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts gesetzt. Einen Verfahrensfehler hat sie nicht aufgezeigt. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, über welches genaue Beweisthema der Zeuge hätte vernommen werden sollen und welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gezeitigt hätte(vgl. BAG 6. Februar 1974 – 3 AZR 232/73 – AP BGB § 133 Nr. 38; BAG 29. Juli 1992 – 4 AZR 502/91 – BAGE 71, 56; Zöller/Gummer ZPO 20. Aufl. § 554 Rn. 14). An einem solchen Vortrag fehlt es.

II. In ihrem zulässigen Umfang ist die Revision begründet. In Höhe des Lohneinbehalts besteht die Klageforderung nicht. Zwar ist der Lohnanspruch der Klägerin für November 1997 in vollem Umfang entstanden. Die Beklagte durfte vom Novemberlohn jedoch die Vergütung für insgesamt 15,65 Stunden, die sie der Klägerin ohne tatsächliche Arbeitsleistung zuvor vergütet hatte, einbehalten. In diesem Umfang hatte die Beklagte einen Lohnvorschuß geleistet.

1. Die Beklagte hatte für die Klägerin mit deren Zustimmung ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Der Manteltarifvertrag für das Friseurhandwerk in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 11. April 1996 sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, daß die einschlägige Vorschrift des § 6 a MTV 1996 lediglich Regelungen über den Aufbau und den Ausgleich eines positiven Zeitguthabens enthält. Demgegenüber hatten die Parteien vereinbart, das Arbeitszeitkonto der Klägerin könne bis zur Grenze von 111 Stunden – der in § 6 a Nr. 6 MTV vorgesehenen Höchstgrenze für ein Zeitguthaben – auch einen negativen Stand ausweisen. Die mit einem negativen Konto zusammenhängenden Fragen sind tariflich nicht geregelt. Der Wirksamkeit der Abrede der Parteien stand dies gleichwohl nicht entgegen.

a) Die einzelvertraglich eröffnete Möglichkeit eines negativen Kontostandes verstößt nicht gegen Tarifrecht.

aa) Es steht schon nicht fest, ob § 6 a MTV 1996 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien überhaupt Anwendung fand, soweit ihm ein Verbot eines negativen Zeitguthabens zu entnehmen sein sollte. Hätte der MTV nur kraft des vertraglich vereinbarten Einbezugs gegolten, wäre eine mögliche Verbotswirkung von § 6 a MTV durch die Kontoabrede der Parteien wirksam abbedungen worden. Die tarifliche Regelung wäre nur dann vorrangig gewesen, wenn sie mit normativer Wirkung gegolten hätte. Kraft Allgemeinverbindlichkeit gemäß § 5 Abs. 4 TVG trat die normative Wirkung von § 6 a MTV erst am 1. Januar 1998 ein. Zu dieser Zeit bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mehr. Dazu, ob § 6 a MTV schon zuvor kraft beiderseitiger Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG mit normativer Wirkung galt, hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen.

bb) Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, daß beide Parteien während des Bestehens ihres Arbeitsverhältnisses tarifgebunden waren. Durch ihre Vereinbarung, einen negativen Stand des Zeitkontos zu ermöglichen, könnten in diesem Fall zwar entgegenstehende Tarifregelungen nicht wirksam aufgehoben oder modifiziert worden sein. § 6 a MTV schließt jedoch die einvernehmliche Zulassung eines negativen Zeitkontostandes nicht aus.

(1) Aus dem Umstand, daß tariflich nur die mit einem positiven Zeitguthaben zusammenhängenden Fragen geregelt sind, folgt nicht, daß die Tarifvertragsparteien die individualrechtliche Ermöglichung eines negativen Guthabens hätten ausschließen wollen. Ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien ist nicht erkennbar.

(2) Durch die Ermöglichung eines negativen Zeitkontos wird auch gegen bestehende tarifliche Regelungen nicht verstoßen. Wenn die Arbeitnehmer weniger als die tariflich vorgesehene Wochenarbeitszeit leisten, gleichwohl aber auf deren Basis vergütet werden, stellt dies für sie zunächst einen Vorteil dar. Wird dieser Vorteil später dadurch aufgezehrt, daß die Arbeitnehmer im entsprechenden Umfang ohne zusätzliche Vergütung länger als die tarifliche Wochenarbeitszeit arbeiten, liegt darin keine tarifwidrige Benachteiligung. Der ursprüngliche Vorteil wird vielmehr lediglich ausgeglichen. Die Situation wird auf den tariflichen Regelzustand zurückgeführt.

Notwendige Voraussetzung für das Ausbleiben einer tarifwidrigen Schlechterstellung ist allerdings, daß die Arbeitnehmer selbst über die Entstehung und den Ausgleich eines negativen Kontostandes entscheiden können. Dies betrifft sowohl die Entscheidung darüber, ob überhaupt ein negatives Guthaben entstehen soll, als auch darüber, wann und wie es ggf. ausgeglichen werden soll. Könnte dies der Arbeitgeber bestimmen, würde gegen den Anspruch der Arbeitnehmer auf Einhaltung der tariflichen Wochenarbeitszeit unter Vergütung jeder geleisteten Arbeitsstunde verstoßen. Im übrigen unterliegt die Ermöglichung eines negativen Zeitguthabens gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Daß bei der Beklagten ein Betriebsrat gebildet war, ist aber weder vorgetragen noch festgestellt.

Im Streitfall ist die Freiwilligkeit auf Arbeitnehmerseite gewahrt. Es beruhte allein auf der Entscheidung der Klägerin, daß sie zu bestimmten Zeiten Freizeitausgleich nahm, der ihr Zeitkonto auf einen negativen Stand brachte.

(3) Die Abrede über das negative Arbeitszeitkonto verstößt nicht gegen das Schriftformerfordernis in § 6 a (1) MTV. Die tarifliche Vorschrift lautet: „Der Arbeitgeber kann mit Zustimmung der Arbeitnehmer die Einführung und den Widerruf eines Arbeitszeitkontos schriftlich vereinbaren”. Aus der Formulierung „… kann … schriftlich vereinbaren” geht hervor, daß die Schriftform nicht als konstitutives Erfordernis und Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern nur zu Beweiszwecken vorgesehen ist. Andernfalls wählen Tarifvertragsparteien regelmäßig Formulierungen wie: „Die Vereinbarung bedarf der Schriftform” oder „… muß schriftlich gefaßt sein”.

b) Sonstige Unwirksamkeitsgründe bestehen nicht. In § 13 des Arbeitsvertrags ist zwar vorgesehen, daß Änderungen oder Ergänzungen des Vertrags zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen. Die Lage der Arbeitszeit ist aber vertraglich nicht geregelt. Gemäß Nr. 4 a des Arbeitsvertrags wird sie mit dem Arbeitnehmer für die jeweilige Filiale gesondert vereinbart. Die einvernehmliche Erweiterung des tariflich vorgesehenen Arbeitszeitkontos um die Möglichkeit eines negativen Kontostandes stellt deshalb keine Änderung oder Ergänzung des Arbeitsvertrags dar.

2. Die Parteien haben keine ausdrückliche Abrede darüber getroffen, wie verfahren werden soll, wenn ein negatives Zeitguthaben bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgeglichen ist. Darum kommen allgemeine Grundsätze zur Anwendung.

a) Ein nicht ausgeglichenes Arbeitszeitkonto weist, je nach Stand, Vorleistungen der einen oder der anderen Seite aus. Ein über den regelmäßigen Abrechnungszeitraum hinaus beibehaltenes Zeitguthaben bedeutet eine Vorleistung des Arbeitnehmers über § 614 Satz 2 BGB hinaus. Ein negatives Guthaben bedeutet bei gleichbleibender, nach der regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers bemessener Vergütung eine Vorleistung des Arbeitgebers. Voraussetzung dafür ist erneut, daß allein der Arbeitnehmer darüber entscheidet, ob ein negatives Guthaben entsteht. Andernfalls könnte der Arbeitgeber das von ihm zu tragende Wirtschaftsrisiko unter Umgehung von § 615 BGB auf den Arbeitnehmer abwälzen. Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt.

b) Bei einem negativen Zeitguthaben des Arbeitnehmers handelt es sich der Sache nach um einen Lohn- oder Gehaltsvorschuß des Arbeitgebers. Eine Zahlung durch den Arbeitgeber ist dann ein Vorschuß, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, daß es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird(BAG 11. Juli 1961 – 3 AZR 216/60 – BAGE 11, 188 mwN). Dies ist hier der Fall. Mit der Vereinbarung der Parteien, das Arbeitszeitkonto der Klägerin dürfe auch einen negativen Stand bis zu 111 Stunden erreichen, hat die Klägerin konkludent ihre Einwilligung dazu erteilt, daß im Falle eines negativen Kontostandes die darin liegende Vorwegleistung der Beklagten mit späteren Vergütungsforderungen verrechnet wird. Dies stand offensichtlich auch für die Klägerin selbst so lange außer Frage, wie lediglich Mehrarbeitsstunden zum Ausgleich eines Negativguthabens benutzt wurden und sich eine Verrechnung finanziell nicht auswirkte, sondern nur einen Saldierungsvorgang darstellte.

c) Die einvernehmliche Einrichtung eines Arbeitszeitkontos enthält weiter die konkludente Abrede, daß das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist. Alles andere hätte einer ausdrücklichen Erklärung bedurft. Gelingt es nicht, ein negatives Guthaben rechtzeitig durch entsprechende Mehrarbeit auszugleichen, besteht vielmehr bei Vertragsende ein Negativsaldo, so hat der Arbeitnehmer das negative Guthaben finanziell auszugleichen. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers folgt eben daraus, daß es sich insoweit um eine Vorschußleistung des Arbeitgebers handelt. Der Arbeitnehmer kann mangels anderslautender Vereinbarung nicht davon ausgehen, der Arbeitgeber wolle auf eine finanzielle Erstattung verzichten, wenn der Ausgleich eines negativen Zeitguthabens durch Mehrarbeit nicht mehr möglich ist. Da allein der Arbeitnehmer über die Entstehung und den Ausgleich des Negativkontos zu entscheiden hatte, widerspräche dies den berechtigten Interessen des Arbeitgebers.

d) Die Beklagte durfte darum den – rechnerisch unstreitigen – Wert des negativen Zeitguthabens der Klägerin als von ihr erbrachte Vorschußleistung mit dem Lohnanspruch der Klägerin für November 1997 verrechnen. Da ein Vorschuß eine vorweggenommene Vergütungstilgung darstellt, bedarf es zur Verrechnung keiner Aufrechnung und Aufrechnungserklärung nach §§ 387, 388 BGB. Auch § 394 BGB findet keine Anwendung(Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 70 Rn. 13).

 

Unterschriften

Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Reinders, Dombrowsky

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 13.12.2000 durch Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 614704

BB 2001, 1585

DB 2000, 2608

DB 2001, 1565

DStR 2001, 363

NWB 2001, 213

ARST 2001, 255

ARST 2001, 70

FA 2001, 254

FA 2001, 60

NZA 2002, 390

SAE 2001, 286

AP, 0

AuA 2001, 84

AuA 2002, 42

PERSONAL 2001, 710

ZMV 2001, 43

RdW 2001, 597

AuS 2001, 60

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