Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung. Fortsetzungserkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitnehmer hat die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs darzulegen und ggf. zu beweisen. Ist er innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, muss er darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Wird dies vom Arbeitgeber bestritten, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat dabei den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen (teilweise Aufgabe von Senat 4. Dezember 1985 – 5 AZR 656/84 – AP HGB § 63 Nr. 42 = EzA HGB § 63 Nr. 40).

 

Orientierungssatz

  • Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, ist zu unterscheiden:

    • Ein neuer Anspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen entsteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz beschränkt in diesem Fall den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht auf eine Gesamtdauer von sechs Wochen pro Jahr.
    • Ist dagegen dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG). In diesem Fall entsteht die Leistungspflicht des Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung von neuem. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG besteht bei Fortsetzungserkrankungen ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch nur, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2).
  • Führen zwei Krankheiten jeweils für sich betrachtet nicht zur Arbeitsunfähigkeit, sondern nur weil sie zusammen auftreten, liegt eine Fortsetzungserkrankung auch vor, wenn später eine der beiden Krankheiten erneut auftritt und allein zur Arbeitsunfähigkeit führt. Auch in diesem Fall ist die erneut auftretende Krankheit Ursache einer vorausgegangenen Arbeitsunfähigkeit gewesen.
 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1; BAT § 71

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 6 Sa 2076/03)

ArbG Mainz (Urteil vom 25.09.2003; Aktenzeichen 5 Ca 1042/02)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Krankenbezüge.

Der am 19. September 1948 geborene Kläger ist seit dem 1. August 1985 beim beklagten Land als Diplomingenieur in einem Bauamt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.

Der Kläger war vom 10. Januar bis zum 20. Juni 2000 wegen einer Wirbelsäulenerkrankung arbeitsunfähig. Vom 21. Juni bis zum 12. Juli 2000 wurde eine Anschlussheilbehandlung in einer Rehabilitationsklinik durchgeführt. Danach nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Ab dem 12. Dezember 2000 war er wegen eines Rückenleidens erneut arbeitsunfähig krank. Er unterzog sich vom 24. Januar bis zum 21. Februar 2001 in einer Fachklinik für Orthopädie einer stationär/orthopädischen Anschlussheilbehandlung und wurde arbeitsunfähig aus der Klinik entlassen. Am 25. Juni 2001 stellte das beklagte Land nach Ablauf des Anspruchszeitraums von 26 Wochen (§ 71 Abs. 2 BAT) die Zahlung der Krankenbezüge ein. Der Kläger blieb über den 25. Juni 2001 hinaus arbeitsunfähig krank. In der Zeit vom 15. Oktober bis zum 29. Oktober 2001 hielt sich der Kläger auf Veranlassung seiner Krankenkasse wegen Alkoholabhängigkeit in einer psychosomatischen Fachklinik auf. In dem Entlassungsbericht der Klinik heißt es:

“…

8. Rehabilitationsverlauf

Aufgrund der Vorbefunde und Vordiagnosen, der widersprüchlichen Angaben, der Bagatellisierungstendenzen, der unzureichenden Einsicht in die bestehenden Alkoholfolgeschäden gehen wir von einer Abhängigkeitserkrankung aus, wenn auch die von Herrn K… gemachten anamnestischen Angaben den Rückschluß auf eine manifeste Alkoholkrankheit nicht zulassen.

Laborchemisch zeigte sich eine äthyltoxisch bedingte Erhöhung des Gamma-GT-Wertes von 52 U/l, außerdem erhöhte Werte für MCV und MCHC sowie erniedrigte Werte für Erythrozyten, Hämoglobin und Thrombozyten. Im abdominellen Ultraschall zeigte sich das Bild einer Fettleber mit cirrhotischem Umbau, außerdem eine Cholezystolithiasis.

Die Rehamaßnahme wurde nach 2 Wochen, noch während der Aufnahmephase auf ärztliche Veranlassung beendet. Begründung: Bei dem Patienten war keine Motivation zur Auseinandersetzung mit seiner Suchtproblematik ersichtlich, ebenso wenig wie eine Entwicklung bezüglich der Erarbeitung einer Krankheitseinsicht. Die Behandlung wurde daher vorzeitig beendet. Der Patient erklärte sich hiermit einverstanden.

10. Sozialmedizinische Epikrise

Von einem Weiterbestehen der suchtbedingten Funktions- und Leistungseinschränkungen kann ausgegangen werden.

Leistungseinbußen aufgrund der Alkoholabhängigkeit sind zum Zeitpunkt der Entlassung nicht vorhanden.

Herr K… ist angestellter Diplomingenieur beim Bauamt und wird für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit arbeitsfähig entlassen. Für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind aufgrund der chronischen Lumboischialgie und der PNP nur noch leichte Tätigkeiten ohne Bewegen und Tragen von schweren Lasten, ohne Zwangshaltungen, ohne Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten möglich.

…”

Nach der Entlassung aus der psychosomatischen Fachklinik am 29. Oktober 2001 hatte der Kläger zwei Tage Urlaub. Im Anschluss daran nahm er seine Arbeit wieder auf. Wegen Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit beantragte das beklagte Land am 30. Oktober 2001 beim zuständigen Gesundheitsamt eine amtsärztliche Untersuchung, die am 13. November 2001 erfolgte. Mit Schreiben vom 20. November 2001 bat das Gesundheitsamt den Kläger, den Entlassungsbericht der psychosomatischen Fachklinik vorzulegen, nachdem der Kläger bei der Untersuchung die Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden hatte. Das Gesundheitsamt erhielt den Bericht am 6. Dezember 2001. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 teilte das Gesundheitsamt dem beklagten Land Folgendes mit:

“…

Abschließendes Ergebnis:

Der Untersuchte ist chronisch krank. Er ist krankheitsbedingt derzeit nicht in der Lage, seinen Beruf auszuüben. Ohne ausreichende Behandlung ist der Zeitpunkt des Wiedereintretens der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar.

…”

Nach Entbindung von der Schweigepflicht erklärte der zuständige Amtsarzt des Gesundheitsamts gegenüber dem Arbeitsgericht:

“…

Zusammenfassung:

Bei dem Untersuchten besteht eine chronische Alkoholabhängigkeit. Entgegen den Beteuerungen des Betreffenden muss von einem fortgesetzten Alkoholkonsum ausgegangen werden. Bei der Untersuchung ist Herr K… nervös, fahrig, zittrig.

Unter dieser gesehenen Symptomatik unter der Annahme des bestehenden Alkoholismus ist der Proband als Bauingenieur nicht arbeitsfähig. Die orthopädischen Leiden schränken die Arbeitsfähigkeit zwar ein, sind jedoch für unser Gutachten nicht ausschlaggebend gewesen.

…”

Am 9. Januar 2002 wurde dem Kläger das Schreiben des Gesundheitsamts vom 18. Dezember 2001 übergeben. Dabei teilte der Vertreter des beklagten Landes dem Kläger mit, die Arbeitsleistung des Klägers werde so lange nicht entgegengenommen, bis durch einen Amtsarzt die volle Arbeitsfähigkeit bestätigt worden sei. Mit Ablauf des 8. Januar 2002 stellte das beklagte Land die Gehaltszahlungen ein. Ab dem 9. Januar 2002 war der Kläger fortdauernd krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Vom 11. Januar bis zum 20. Februar 2002 erhielt der Kläger Krankengeld, ab 14. März 2002 bezog er Arbeitslosengeld. Seit 1. Juni 2004 erhält er befristet bis zum 31. Dezember 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

In der Zeit vom 30. Oktober 2001 bis zum 8. Januar 2002 arbeitete der Kläger an insgesamt 23 Arbeitstagen. Ob er die vertragsgemäße Leistung erbrachte, ist streitig.

Mit seiner am 5. Juni 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 7. Oktober 2002 erweiterten Klage hat der Kläger die Zahlung von Krankenbezügen für die Zeit vom 9. Januar bis zum 10. Juli 2002 verlangt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land sei nach § 71 Abs. 2 und 5 BAT verpflichtet, ihm ab dem 9. Januar 2002 für die Dauer von 26 Wochen Krankenbezüge zu zahlen. Er sei nicht wegen Alkoholsucht arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 26.836,25 Euro brutto abzüglich 9.381,22 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins aus 13.808,95 Euro seit dem 19. Juni 2002 und aus 3.646,08 Euro seit dem 10. Oktober 2002 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei wegen seiner Alkoholsucht in der Zeit vom 30. Oktober 2001 bis zum 8. Januar 2002 arbeitsunfähig krank gewesen. Es sei daher nicht zur Zahlung von Krankenbezügen verpflichtet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen kann nicht entschieden werden, ob dem Kläger Ansprüche auf Krankenbezüge zustehen. Die Sache ist deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall richtet sich nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Vorschriften des BAT.

1. In § 71 BAT ist bestimmt:

“§ 71 Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen

Für die Angestellten, die am 30. Juni 1994 in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am 1. Juli 1994 zu demselben Arbeitgeber fortbestanden hat, gilt anstelle des § 37 für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses Folgendes:

(1) Wird der Angestellte durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, erhält er Krankenbezüge nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5.

(2) Krankenbezüge werden bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Unbeschadet des Satzes 1 werden sie nach einer Dienstzeit (§ 20) von mindestens

zwei Jahren bis zum Ende der 9. Woche,

drei Jahren bis zum Ende der 12. Woche,

fünf Jahren bis zum Ende der 15. Woche,

acht Jahren bis zum Ende der 18. Woche,

zehn Jahren bis zum Ende der 26. Woche

seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlt.

(3) Als Krankenbezüge wird die Urlaubsvergütung gezahlt, die dem Angestellten zustehen würde, wenn er Erholungsurlaub hätte.

(5) Hat der Angestellte nicht mindestens vier Wochen wieder gearbeitet und wird er aufgrund derselben Ursache erneut arbeitsunfähig, werden Krankenbezüge insgesamt nur für die nach Absatz 2 maßgebende Zeit gezahlt.

Hat der Angestellte in einem Fall des Absatzes 2 Unterabs. 2 die Arbeit vor Ablauf der Bezugsfrist von 26 Wochen wieder aufgenommen und wird er vor Ablauf von sechs Monaten aufgrund desselben Arbeitsunfalls oder derselben Berufskrankheit erneut arbeitsunfähig, wird der Ablauf der Bezugsfrist, wenn dies für den Angestellten günstiger ist, um die Zeit der Arbeitsfähigkeit hinausgeschoben.

Protokollnotiz zu Absatz 5 Unterabs. 1:

Auf die vier Wochen wird ein Erholungsurlaub (einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs) angerechnet, den der Angestellte nach Arbeitsaufnahme angetreten hat, weil dies im Urlaubsplan vorgesehen war oder der Arbeitgeber dies verlangt hatte.”

2. Nachdem der Kläger seit 1985 durchgehend beim beklagten Land gearbeitet hat, bestimmt sich für ihn die Zahlung von Krankenbezügen nach § 71 BAT in Verbindung mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz und nicht nach der allgemeinen Bestimmung des § 37 BAT. Auf Grund seiner Dienstzeit von mehr als zehn Jahren kann der Kläger bei Arbeitsunfähigkeit nach § 71 Abs. 2 BAT für die Dauer von bis zu 26 Wochen die Zahlung von Krankenbezügen verlangen.

3. Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, ist zu unterscheiden:

a) Ein neuer Anspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen entsteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz beschränkt in diesem Fall den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht auf eine Gesamtdauer von sechs Wochen pro Jahr (vgl. Senat 2. Dezember 1981 – 5 AZR 89/80 – BAGE 37, 172). Entsprechendes gilt für § 71 BAT.

b) Ist dagegen dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG). In diesem Fall entsteht die Leistungspflicht des Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung von neuem. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG besteht bei Fortsetzungserkrankungen ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch nur, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2).

§ 71 Abs. 5 BAT weicht hiervon zugunsten der Arbeitnehmer ab. Nach § 71 Abs. 5 Unterabs. 1 BAT werden Krankenbezüge insgesamt nur für die nach Abs. 2 maßgebende Zeit gezahlt, wenn der Angestellte nicht mindestens vier Wochen wieder gearbeitet hat und auf Grund derselben Ursache erneut arbeitsunfähig wird. Ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum für die nach § 71 Abs. 2 BAT gestaffelte Bezugsdauer entsteht damit bereits dann, wenn der Arbeitnehmer mindestens vier Wochen wieder gearbeitet hat. In diesen vier Wochen muss der Arbeitnehmer nach dem Wortlaut der Tarifbestimmung allerdings arbeitsfähig sein, denn nur dann kann er “erneut” arbeitsunfähig werden. Hat der Arbeitnehmer zwar gearbeitet, war er jedoch tatsächlich arbeitsunfähig, entsteht kein neuer Anspruch auf Krankenbezüge, wenn er auf Grund derselben Ursache arbeitsunfähig wird.

4. Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit und damit eine Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiterbestanden hat, so dass die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt. Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit muss auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen. Dieses kann verschiedene Krankheitssymptome zur Folge haben (Senat 14. November 1984 – 5 AZR 394/82 – BAGE 47, 195). Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nach § 9 Abs. 1 EFZG und eine vorangegangene oder nachfolgende Arbeitsunfähigkeit dieselbe Ursache haben (vgl. Senat 18. Januar 1995 – 5 AZR 818/93 – BAGE 79, 122; Schmitt Entgeltfortzahlungsgesetz § 9 EFZG Rn. 50).

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein weiterer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht nur dann, wenn die erste Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem eine weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsverhinderung führt (vgl. Senat 2. Dezember 1981 – 5 AZR 89/80 – BAGE 37, 172). Tritt eine Krankheit, die sich später als Fortsetzungserkrankung herausstellt, zu einer bereits bestehenden, zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzu und dauert sie über deren Ende hinaus an, ist sie für die Zeit, in der sie die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, als Teil der späteren Fortsetzungserkrankung zu werten (Senat 2. Februar 1994 – 5 AZR 345/93 – BAGE 75, 340).

Führen zwei Krankheiten jeweils für sich betrachtet nicht zur Arbeitsunfähigkeit, sondern nur weil sie zusammen auftreten, liegt eine Fortsetzungserkrankung auch vor, wenn später eine der beiden Krankheiten erneut auftritt und allein zur Arbeitsunfähigkeit führt. Auch in diesem Fall ist die erneut auftretende Krankheit Ursache einer vorausgegangenen Arbeitsunfähigkeit gewesen.

5. Für das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG trifft nach der bisherigen Senatsrechtsprechung den Arbeitgeber die Beweislast, weil es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall handele (vgl. 4. Dezember 1985 – 5 AZR 656/84 – AP HGB § 63 Nr. 42 = EzA HGB § 63 Nr. 40). Der Arbeitgeber ist allerdings kaum in der Lage, das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung darzulegen, weil er über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Zwar kann er nach § 69 Abs. 4 SGB X bei der zuständigen Krankenkasse nachfragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Diese Vorschrift greift jedoch nicht bei Arbeitnehmern, die nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Hinzu kommt, dass für den Arbeitgeber keine Möglichkeit besteht, die wertende Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen. Soweit der Senat angenommen hat, dem Arbeitgeber komme der Anscheinsbeweis zugute (4. Dezember 1985 – 5 AZR 656/84 – aaO), mag dies in seltenen Fällen zutreffen. Zumeist fehlen dem Arbeitgeber jedoch Kenntnisse vom tatsächlichen Geschehen, so dass ihm dies nicht weiterhelfen wird.

6. Der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen ist bei der Verteilung der Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung zu tragen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zunächst einen Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen hat. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt dabei der Arbeitnehmer (Senat 26. Februar 2003 – 5 AZR 112/02 – BAGE 105, 171). Er genügt seiner Darlegungs- und Beweislast gem. § 5 Abs. 1 EFZG regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ist der Arbeitnehmer jedoch innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei hat der Arbeitnehmer den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung sind allerdings vom Arbeitgeber zu tragen, denn nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG trifft den Arbeitgeber die objektive Beweislast. Entsprechendes gilt für § 71 BAT.

II. Auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger für die Zeit vom 9. Januar bis zum 10. Juli 2002 Anspruch auf Krankenbezüge hat. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei seit dem 15. Oktober 2001 durchgängig wegen bestehender Alkoholsucht krank gewesen. Hierfür spreche die Kostenzusage der Krankenversicherung für die Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme zur Behandlung der Alkoholsucht für die Dauer von 16 Wochen. Soweit in dem Entlassungsbericht der psychosomatischen Fachklinik die Arbeitsfähigkeit für die Tätigkeit eines Diplomingenieurs beim Bauamt bescheinigt werde, stehe dies in Widerspruch zu dem zugleich festgestellten Weiterbestehen der suchtbedingten Funktions- und Leistungseinschränkungen. Die Bescheinigung sei insoweit perplex und deshalb unbeachtlich. Hinzu komme, dass der zuständige Amtsarzt am 13. November 2001 eine chronische Alkoholabhängigkeit des Klägers festgestellt habe. Damit stehe fest, dass der Kläger nach dem 15. Oktober 2001 nicht wieder arbeitsfähig gewesen sei.

2. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass die Frage der Arbeitsfähigkeit des Klägers in der Zeit vom 30. Oktober 2001 bis zum 8. Januar 2002 nur dann entscheidungserheblich ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit ab dem 9. Januar 2002 auf demselben nicht ausgeheilten Grundleiden beruht hat wie die vorhergehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 29. Oktober 2001 bzw. 8. Januar 2002. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Es hat nicht aufgeklärt, welche einzelnen Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 12. Dezember 2000 bis zum 29. Oktober 2001 oder 8. Januar 2002 sowie zur Arbeitsunfähigkeit ab dem 9. Januar 2002 geführt haben. Dem Entlassungsbericht der psychosomatischen Fachklinik sowie den Ausführungen beider Parteien zu den Erkrankungen im Jahre 2000 lässt sich andeutungsweise entnehmen, dass der Kläger ein Rückenleiden hat. Ob die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 12. Dezember 2000 bis zum 29. Oktober 2001 allerdings allein hierauf beruht hat und ob die Erkrankung ab dem 9. Januar 2002 dieselbe Ursache hatte, wie die vorherige Arbeitsunfähigkeit, ist unklar. Der Vortrag des Klägers zu den Ursachen der Arbeitsunfähigkeit ab dem 9. Januar 2002 ist uneinheitlich. In der Klageschrift heißt es, er sei an einer Infektion erkrankt. Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger behauptet, er sei seit 9. Januar 2002 wegen eines Bandscheibenleidens, Arthrose und Problemen im Halswirbelbereich arbeitsunfähig.

Das Landesarbeitsgericht hat des Weiteren nicht festgestellt, ob und ggf. wie lange in der Zeit vom 12. Dezember 2000 bis zum 29. Oktober 2001 neben dem Rückenleiden auch Arbeitsunfähigkeit wegen der bestehenden Alkoholsucht bestand. Es hat lediglich angenommen, der Kläger sei in der Zeit vom 15. Oktober 2001 bis zum 9. Januar 2002 wegen der Alkoholsucht arbeitsunfähig gewesen. Für eine weiter zurückgehende Arbeitsunfähigkeit infolge einer bestehenden Alkoholsucht könnte das im Entlassungsbericht der psychosomatischen Fachklinik angesprochene Gutachten des Arztes Dr. G… aus S… vom 6. Juli 2001 sprechen, in dem beim Kläger gewohnheitsmäßiger Alkoholismus diagnostiziert wurde. In diese Richtung gehen offenbar auch die vom Arbeitsgericht im erstinstanzlichen Urteil verwerteten Unterlagen der Krankenkasse. Ebenso ist denkbar, dass erst beide Erkrankungen zusammen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben. In Betracht kommt ferner, dass der Kläger in der Zeit bis zum 29. Oktober 2001 und ab dem 9. Januar 2002 nur wegen eines nicht ausgeheilten Rückenleidens arbeitsunfähig war und die bestehende Alkoholsucht nicht zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Gleichermaßen ist es möglich, dass der Kläger neben den bestehenden Rückenbeschwerden durchgängig auch wegen der Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank gewesen ist. In diesem Fall könnte eine Fortsetzungserkrankung vorliegen. Dann käme es auf die vom Landesarbeitsgericht allein erörterte Frage an, ob der Kläger in der Zeit vom 30. Oktober 2001 bis zum 8. Januar 2002 arbeitsfähig war und die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbrachte.

3. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht unter Zugrundelegung der rechtlichen Beurteilung, die zur Aufhebung des Berufungsurteils geführt hat (§ 563 Abs. 2 ZPO), durch zweckdienliche Hinweise auf einen geeigneten Sachvortrag der Parteien zu den Krankheitsursachen hinzuwirken haben. Dabei wird sich der Kläger zu den Ursachen und der Dauer der jeweiligen Arbeitsunfähigkeitszeiten konkret zu erklären und ggf. die ihn behandelnden Ärzte sowie die Krankenkasse von der Schweigepflicht zu entbinden haben. Bei der Berechnung der Krankenbezüge wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, dass in den vom Kläger behaupteten monatlichen Bezügen iHv. 8.575,56 DM (= 4.384,61 Euro) nach der als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Gehaltsabrechnung das Kindergeld und eine Einmalzahlung enthalten sind. Ob das Kindergeld vom beklagten Land weiterbezahlt worden ist und was Gegenstand der Einmalzahlung war, wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Hann, Mandrossa

 

Fundstellen

Haufe-Index 1440967

BAGE 2007, 206

BB 2005, 2642

DB 2005, 2359

DStR 2006, 195

NWB 2005, 3926

EBE/BAG 2005, 173

JR 2006, 484

SAE 2006, 152

StuB 2006, 167

StuB 2006, 328

StuB 2006, 487

ZAP 2006, 12

ZTR 2006, 34

AP, 0

AuA 2005, 689

EzA-SD 2005, 3

EzA

KrV 2005, 347

RiA 2006, 204

AUR 2005, 424

ArbRB 2005, 355

RdW 2006, 150

BAGReport 2005, 355

FSt 2006, 523

SJ 2006, 36

SPA 2006, 3

sis 2006, 88

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