Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Fleischbeschautierärzte

 

Leitsatz (amtlich)

  • § 20 des Tarifvertrages über die Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und Einfuhruntersuchungsstellen, der Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes ausschließt, die im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr nicht mindestens eine Stundenvergütung für 1.000 Stunden erhalten haben, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist deshalb nichtig. Nur der Ausschluß von Angestellten, die geringfügig i.S.v. § 8 SGB IV tätig sind, ist zulässig. Dasselbe gilt ab 1. Januar 1997 für § 5 Abs. 3 des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe.
  • Den zu Unrecht von der Zusatzversorgung ausgeschlossenen Angestellten muß der Arbeitgeber eine den begünstigten Angestellten entsprechende Zusatzversorgung verschaffen.
  • Der amtlich bestellte Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei ist bestellter neuer Anwalt i.S.v. § 244 Abs. 1 ZPO.
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Gleichbehandlung; GG Art. 3 Abs. 1; Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (TV Ang iöS) §§ 20, 20a; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 1; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 5; Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) § 15; SGB IV § 8; ZPO §§ 244, 250

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 02.11.1995; Aktenzeichen 7 Sa 38/95)

ArbG Berlin (Urteil vom 08.02.1995; Aktenzeichen 22 Ca 29499/94)

 

Tenor

  • Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 2. November 1995 – 7 Sa 38/95 – wird zurückgewiesen.

    Der Urteilsausspruch wird wie folgt klargestellt:

    Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihm zustünden, wenn er über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert gewesen wäre. Es wird weiter festgestellt, daß dieser Verschaffungsanspruch auch in Zukunft besteht, soweit der Kläger mehr als geringfügig im Sinne von § 8 SGB IV beschäftigt wird.

  • Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob das beklagte Land verpflichtet ist, den Kläger über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder anzumelden und Versicherungsbeiträge abzuführen oder, falls dies nicht möglich sein sollte, den Kläger so zu stellen, als wäre er bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert worden.

Der Kläger ist Tierarzt und unterhält eine eigene Praxis. Aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 10. September 1981 wurde er seit dem 26. Juni 1981 auf unbestimmte Zeit als nicht vollbeschäftigter Fleischbeschautierarzt im Bereich des Vieh- und Schlachthofes S… beschäftigt. An die Stelle dieses Arbeitsvertrages trat am 11. Oktober 1988 ein “Arbeitsvertrag für nicht vollbeschäftigte Angestellte (Tierärzte)”, wonach der Kläger ab dem 1. Januar 1989 auf unbestimmte Zeit im Bereich des Senators für Gesundheit und Soziales als nicht vollbeschäftigter Angestellter (Tierarzt) in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie der Einfuhr- und Eingangsuntersuchung weiterbeschäftigt wurde. In beiden Arbeitsverträgen wird Bezug genommen auf Tarifverträge. In § 20 dieser jeweils in Bezug genommenen Tarifverträge hieß es bis zum 31. Dezember 1996:

“Der Angestellte ist nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages zu versichern, der für die unter den BAT fallenden Angestellten des Arbeitgebers gilt, wenn und solange er in dem jeweils vorangegangenen Kalenderjahr Stundenvergütungen für mindestens 1000 Stunden erhalten hat. …”

Das beklagte Land hatte den Kläger zunächst bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert. Mit Schreiben vom 4. Juli 1994 teilte es dem Kläger mit, er sei aufgrund seiner Einkünfte in den Jahren 1991, 1992 und 1993 ab 1. Januar 1992 nicht mehr versicherungspflichtig. Er werde deshalb mit Wirkung vom 1. Januar 1992 bei der VBL abgemeldet.

Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, das beklagte Land müsse ihn auch weiterhin bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichern. Seine Schlechterbehandlung gegenüber den sonstigen Angestellten könne nicht damit gerechtfertigt werden, daß er beim Land eine Nebentätigkeit ausübe. Er habe vielmehr seine Tierarztpraxis als zusätzliche Nebentätigkeit angesehen, nachdem er habe feststellen müssen, daß sein Wunsch, beim beklagten Land vollschichtig tätig zu werden, sich nicht verwirklichen lasse. Seine Einkünfte aus eigener Praxis hätten bis 1990 unter den Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis gelegen. In den folgenden Jahren habe sich dies zunächst kaum oder nur unwesentlich geändert. Erstmals im Jahre 1994 sei es zu einer Verschiebung zugunsten der Praxiseinkünfte gekommen.

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, ihm im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihm zustünden, wenn er über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert gewesen wäre. Es wird weiter festgestellt, daß dieser Verschaffungsanspruch auch in Zukunft besteht, soweit der Kläger mehr als geringfügig im Sinne von § 8 SGB IV beschäftigt wird.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei lediglich formell, nicht materiell sein Arbeitnehmer. Im übrigen schließe § 20 des in Bezug genommenen Tarifvertrages eine Versicherungspflicht aus. Diese Norm berücksichtige zulässigerweise, daß nicht vollbeschäftigte amtliche Tierärzte aufgrund ihrer freiberuflichen Tätigkeit einer berufsständischen Einrichtung angehören können oder eine sog. befreiende Lebensversicherung zum Zwecke ihrer Altersversorgung abgeschlossen hätten. Das beklagte Land habe für den Kläger auch – unstreitig – in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 30. Juni 1993 Zuschüsse zum Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin und ab dem 1. Juli 1993 entsprechende Zuschüsse an das Versorgungswerk der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gezahlt und zahle sie auch weiterhin. Das Land weist in diesem Zusammenhang auf § 20a des Tarifvertrages hin, in dem es heißt:

“Zuschuß zu den Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und Lebensversicherungen

(1) Für den Angestellten, der nicht nach § 20 zu versichern und der als Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist, richtet sich die Beteiligung des Arbeitgebers am Beitrag zur berufsständischen Versorgungseinrichtung nach § 172 Abs. 2 SGB VI.

…”

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben entsprechend dem ursprünglichen Klageantrag festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, für den Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1992 Versicherungsbeiträge in die Altersversorgung der Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zu zahlen. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land den Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist zulässig, aber unbegründet.

  • Die Revision ist rechtzeitig begründet worden. Nach ihrer Einlegung am 5. Februar 1996 ist der Lauf der Revisionsbegründungsfrist durch den Tod des früheren Prozeßbevollmächtigten des beklagten Landes am 10. Februar 1996 nach § 244 ZPO unterbrochen worden. Erst mit der auch im Hinblick auf § 244 Abs. 1 und § 250 ZPO formgerechten Revisionsbegründung selbst hat der amtlich bestellte Abwickler der Kanzlei des früheren Prozeßbevollmächtigten die Unterbrechung beendet. Hierzu war er auch in der Lage. Bei einem amtlich bestellten Abwickler einer Kanzlei handelt es sich um einen “bestellten neuen Anwalt” i.S. des § 244 Abs. 1 ZPO (BGHZ 66, 59; Feuerich/Braun, BRAO, 3. Aufl. 1995, § 55 Rz 21).
  • Das Landesarbeitsgericht hat dem Klageantrag im Ergebnis zu Recht entsprochen.

    • Die Klage ist zulässig.

      • Nach seinem gesamten Prozeßvortrag will der Kläger bei Eintritt des Versorgungsfalles die einer durchgängigen Versicherungszeit entsprechende zusätzliche Altersversorgung erhalten. Damit macht der Kläger einen Verschaffungsanspruch geltend, den der Senat seit seinem Urteil vom 7. März 1995 (BAGE 79, 236 = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung) in vergleichbaren Fallgestaltungen für angemessen gehalten hat.

        Der Kläger hat den auch in die Zukunft gerichteten Feststellungsantrag zwar zunächst nicht ausdrücklich im Hinblick darauf eingeschränkt, daß der Ausschluß von Geringverdienern i.S. von § 8 SGB IV aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst zulässig ist (BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Da die bisherigen Verdienste des Klägers aber stets weit über der Geringverdienergrenze lagen, kam es hierauf im Rechtsstreit auch nicht an. Wie der Klägervertreter in der Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, steht diese Begrenzung außer Streit und soll zur Klarstellung in den Antrag aufgenommen werden.

      • Der so verstandene Antrag ist hinreichend bestimmt. Daß der Antrag keinen Endzeitpunkt für die Versicherungspflicht nennt, ist unschädlich. Der Kläger steht weiterhin im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten. Er kann einen solchen Endzeitpunkt derzeit nicht benennen.
      • Der Kläger hat für seinen Antrag das erforderliche besondere Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO. Nachdem die Beklagte bestreitet, daß sie ihm wegen seiner Tätigkeit nach dem 31. Dezember 1991 Versorgungsansprüche verschaffen muß, ist die Rechtslage für den Kläger unsicher geworden. Es besteht für ihn ein Bedürfnis, die Rechtslage alsbald zu klären. Es ist für ihn schon vor Eintritt des Versorgungsfalles wichtig zu wissen, welche Versorgungsansprüche ihm später zustehen werden. Vom Umfang seiner Versorgungsansprüche hängt es ab, inwieweit Versorgungslücken entstehen werden, die möglicherweise auch durch private Vorsorgemaßnahmen geschlossen werden müssen (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 2 der Gründe).
    • Die Klage ist entsprechend dem zuletzt klargestellten Antrag begründet. Die Beklagte muß dem Kläger im Versorgungsfall die Versorgungsleistungen verschaffen, die ihm zustünden, wenn er auch über den 31. Dezember 1991 hinaus bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert worden wäre und darüber hinaus auch weiter – mit Ausnahme etwaiger Zeiten einer die Grenze des § 8 SGB IV nicht überschreitenden Beschäftigung – versichert würde. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 20 des im Arbeitsvertrag in bezug genommenen Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (TV Ang iöS) in Verb. mit § 1 und § 5 des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (im folgenden: Versorgungs-TV).

      • Nach dem Wortlaut dieser Tarifnormen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zusatzversorgung wegen der Beschäftigungszeiten nach dem 31. Dezember 1991.

        • Nach § 20 TV Ang iöS in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung waren nur solche nicht vollbeschäftigte amtliche Tierärzte bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zu versichern, die im vorangegangenen Kalenderjahr eine Stundenvergütung für mindestens 1.000 Arbeitsstunden erhalten hatten. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger ab 1992 nicht mehr. Dementsprechend sah bis zum 31. Dezember 1996 § 5 Versorgungs-TV auch nur vor:

          “Pflicht zur Versicherung bei der VBL

          (1) Der Arbeitnehmer ist bei der VBL nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

          a) er das 17. Lebensjahr vollendet hat

          b) …

          (2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind

          a) Angestellte, die die Voraussetzungen des § 20 des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen erfüllen,

          b) …

          zu versichern.”

        • Seit dem 1. Januar 1997 hat sich an dieser Rechtslage im Ergebnis nichts geändert. § 20 TV Ang iöS schließt zwar nunmehr Arbeitnehmer wie den Kläger von dem Anspruch auf Zusatzversorgung nicht mehr von vornherein aus. Dort heißt es nur noch, die Versicherung zum Zwecke der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung werde durch besonderen Tarifvertrag geregelt. Deshalb gilt ab 1. Januar 1997 auch grundsätzlich der Versorgungs-TV für die Arbeitnehmer, die unter den TV Ang iöS fallen (§ 1 Abs. 1 Buchst. i Versorgungs-TV). § 5 Versorgungs-TV lautet aber nunmehr:

          “Pflicht zur Versicherung bei der VBL

          (1) Der Arbeitnehmer ist bei der VBL nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn er

          a) das 17. Lebensjahr vollendet hat,

          b) vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VBL (Wartezeit) erfüllen kann, wobei frühere Versicherungszeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind.

          (3) Der Angestellte, der unter den Geltungsbereich eines der in § 1 Abs. 1 Buchst. i und j genannten Tarifverträge fällt, ist nur zu versichern, wenn und solange er in dem jeweils vorangegangenen Kalenderjahr Stundenvergütungen für mindestens 1.000 Stunden erhalten hat; die Zahl der Stunden ist dadurch zu ermitteln, daß die Bezüge (Vergütung, Krankenbezüge und Urlaubsvergütung) des jeweils vorangegangenen Kalenderjahres durch die für den Angestellten am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres maßgebende Stundenvergütung geteilt werden.”

      • § 20 TV Ang iöS a.F. und § 5 Abs. 3 Versorgungs-TV n.F. sind wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig, soweit sie die mehr als geringfügig beschäftigten Angestellten aus der Zusatzversorgung für den öffentlichen Dienst ausnehmen. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus der verbleibenden Grundnorm des § 20 TV Ang iöS und § 5 Abs. 1 Versorgungs-TV. Dabei kann auch für die Zukunft nur von einem Verschaffungs-, nicht von einem bloßen Versicherungsanspruch ausgegangen werden, weil die Satzung der VBL derzeit eine Versicherung für den in § 5 Abs. 3 Versorgungs-TV n.F. genannten Personenkreis nicht vorsieht.

        • Tarifvertragliche Differenzierungen sind am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu überprüfen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BVerfGE 21, 362, 371 f. = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3a der Gründe). Er ist auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten. Art. 9 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Die Tarifvertragsparteien haben mit der Tarifautonomie die Befugnis erhalten, wie der Gesetzgeber Rechtsnormen zu schaffen. Sie müssen sich auch wie der Gesetzgeber an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten (vgl. u.a. BVerfGE 21, 362, 371 f. = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3a der Gründe; BAGE 42, 217, 220 = AP Nr. 124 zu Art. 3 GG, zu II der Gründe; BAGE 71, 29, 35 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 2a der Gründe; BAGE 79, 236, 242 = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2a der Gründe).
        • Der tarifvertragliche Ausschluß von unter den Geltungsbereich des TV Ang iöS fallenden Angestellten aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, wenn sie jährlich aus ihrer Tätigkeit ein Entgelt für weniger als 1.000 Arbeitsstunden erzielen, verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

          • Die Tarifvertragsparteien differenzieren bei ihrer Regelung nicht danach, ob Teilzeit- oder Vollzeitarbeit geleistet wurde. Sie stellen auf den Umfang der Teilzeitarbeit ab. Dabei entspricht die tarifliche Regelung für den persönlichen Geltungsbereich des TV Ang iöS im wesentlichen der Regelung, wie sie der Bundes-Angestelltentarifvertrag bis zum 31. Dezember 1987 in § 3 Buchst. q vorgenommen hat: Danach waren aus dem Geltungsbereich des BAT und damit auch aus dem Geltungsbereich des Versorgungs-TV solche Angestellte ausgenommen, die weniger als die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten zu leisten hatten. Dem entspricht für die unter den Geltungsbereich des TV Ang iöS fallenden unregelmäßig beschäftigten Angestellten die dort festgelegte 1.000-Stunden-Grenze. Die späteren Änderungen im Bereich des BAT zum 1. Januar 1988 und 1. April 1991 haben die Tarifvertragsparteien des TV Ang iöS nicht mehr nachvollzogen.
          • Die Differenzierung bei der Einräumung von Zusatzversorgungsansprüchen allein nach dem Umfang der Teilzeitarbeit ist sachlich nicht gerechtfertigt, soweit es um die Benachteiligung von mehr als nur geringfügig i.S. von § 8 SGB IV beschäftigten Angestellten geht. Dies hat der Senat in einer Vielzahl von veröffentlichten Entscheidungen zum BAT und zu den Tarifverträgen der Deutschen Bundespost im einzelnen begründet (BAGE 79, 236 = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG; Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – AP Nr. 1 zu § 24 TV Arb Bundespost). Auf zusätzliche Gesichtspunkte hat das beklagte Land in diesem Zusammenhang nicht hingewiesen.
          • Die Ungleichbehandlung kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß es sich bei den nicht vollbeschäftigten Fleischbeschautierärzten, die aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgenommen worden sind, typischerweise um Angestellte handelt, die in den öffentlichen Schlachthöfen nur einer Nebentätigkeit nachgehen.

            • Dabei kann dahinstehen, ob das beklagte Land sich überhaupt auf einen solchen Differenzierungsgrund berufen kann. Es ist nämlich zweifelhaft, ob die Tarifvertragsparteien zwischen einer Haupt- oder einer Nebenbeschäftigung unterscheiden wollten. Sie haben in § 9 TV Ang iöS eine für alle in den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Angestellten unabhängig vom Umfang ihrer Beschäftigung geltende Bestimmung über das Verhältnis der tariflichen Tätigkeit zu einer sonstigen beruflichen Tätigkeit getroffen. Die Tarifvertragsparteien gehen mithin bei allen Angestellten von einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit aus.
            • Auch wenn man davon ausgeht, daß der Tarifvertrag danach differenzieren wollte, ob der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber hauptberuflich oder nebenberuflich tätig war, führt dies nicht zur sachlichen Rechtfertigung der vorgenommenen Ungleichbehandlung. Der Ausschluß von nebenberuflich tätigen Arbeitnehmern aus der betrieblichen Altersversorgung ist willkürlich.

              Der Zweck der im Tarifvertrag vorgesehenen Leistungen besteht darin, zur Versorgung der Arbeitnehmer im Alter beizutragen. In der Regel soll auch die Betriebstreue gefördert und belohnt werden. Im Zusammenhang mit diesen Zwecken ergeben sich mögliche Rechtfertigungen für eine Ungleichbehandlung. So kann sachlicher Grund für eine Differenzierung ein typischerweise unterschiedlicher Versorgungsbedarf sein. Es kann auch sachlich gerechtfertigt sein, die Betriebstreue bestimmter Arbeitnehmergruppen besonders zu belohnen, um sie durch die in Aussicht stehende Versorgungsleistung enger an das Unternehmen zu binden. Es gibt aber keinen billigenswerten Grund, einen Arbeitnehmer allein deshalb, weil er noch einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgeht, aus der betrieblichen Altersversorgung auszunehmen. Es geht schließlich darum, dem Arbeitgeber als Gegenleistung für Arbeitsleistung und Betriebstreue eine über die sozialversicherungsrechtliche Grundsicherung hinausgehende Versorgung zu gewährleisten. Der für diese Zusatzversorgung maßgebliche Versorgungsbedarf ergibt sich aus dem Lebensstandard des Begünstigten vor Eintritt in den Ruhestand. Jede betrieblich versprochene Versorgungsleistung verringert die Lücke, die sich mit dem Eintritt des Versorgungsfalles zwischen dem durch die letzten Bezüge als aktiver Arbeitnehmer begründeten Lebensstandard und der sozialversicherungsrechtlichen Grundversorgung auftut. Auch ein Zweitberuf, der nur um eines Zusatzverdienstes willen ausgeübt wird, beeinflußt den Lebensstandard des Arbeitnehmers und den im Ruhestand bestehenden Versorgungsbedarf mit (vgl. Urteil des Senats vom 22. November 1994 – BAGE 78, 288 = AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, in dem es um die Anwendung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ging).

              Der Senat hat diesen Grundsatz bei der Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes entwickelt (vgl. Urteil vom 22. November 1994, aaO). Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich in seinen Urteilen vom 1. November 1995 (– 5 AZR 84/94 – AP Nr. 45 zu § 2 BeschFG 1985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und – 5 AZR 880/94 – AP Nr. 46 zu § 2 BeschFG 1985) dieser Rechtsprechung für das laufende Entgelt angeschlossen. Der Grundsatz muß aber auch gelten, soweit es um tarifvertragliche Differenzierungen bei der betrieblichen Altersversorgung geht. Auch hier ist der Umstand, daß die Tätigkeit als Nebentätigkeit ausgeübt wird, kein sachlich rechtfertigender Grund dafür, die betreffenden Arbeitnehmer von der betrieblichen Zusatzversorgung auszuschließen.

          • Die Ungleichbehandlung kann auch nicht mit dem im Bereich der Fleischbeschau geltenden unterschiedlichen Entgeltsystem gerechtfertigt werden. Die Beklagte kann sich für ihren gegenteiligen Rechtsstandpunkt nicht auf das Urteil des Senats vom 17. Oktober 1995 (– 3 AZR 882/94 – AP Nr. 132 zu § 242 BGB Gleichbehandlung) berufen. Dort ging es um den generellen Ausschluß von Fleischbeschautierärzten außerhalb öffentlicher Schlachthöfe aus der zusätzlichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst. Diese Angestellten erhalten nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe ausschließlich Stückvergütung. Dadurch haben die dort tätigen Fleischbeschautierärzte die Möglichkeit, höhere Verdienste je Arbeitsstunde zu erzielen oder ihre Tätigkeit im öffentlichen Dienst nach ihrem zeitlichen Umfang zu verdichten und sich so Freiräume für ihre freiberufliche Tätigkeit zu verschaffen. Diese Besonderheit hat der Senat als ausreichende sachliche Rechtfertigung für deren generellen Ausschluß aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst angesehen.

            Entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten haben die Fleischbeschautierärzte, die in öffentlichen Schlachthöfen tätig sind, nicht. Sie erhalten keine Stückvergütung, sondern für jede angeordnete und geleistete Arbeitsstunde einen bestimmten festen Stundensatz. Damit steht mit dem zeitlichen Umfang der im öffentlichen Schlachthof zurückgelegten Arbeitszeit fest, welche Vergütung der angestellte Tierarzt dort verdient hat und welche Arbeitszeit ihm verbleibt, um sie im Rahmen seiner freien Tierarztpraxis zu verwerten. Damit befindet sich ein in einem öffentlichen Schlachthof nicht vollbeschäftigter Angestellter im Grundsatz in derselben Situation wie jede Teilzeitkraft. Eine Besonderheit ergibt sich nur daraus, daß sich die Arbeitszeit des Angestellten nach dem Arbeitsanfall richtet. Der Fleischbeschautierarzt und die sonstigen nicht vollbeschäftigten Angestellten in diesem Bereich werden für ihre Tätigkeiten jeweils abberufen, soweit nicht feste Arbeitszeiten innerhalb der Woche vereinbart worden sind. Dabei kann es auch vorkommen, daß ein Tierarzt einem Abruf durch die Schlachthofleitung nicht nachkommen kann und deshalb ein anderer Tierarzt gerufen werden muß, oder die Fleischbeschauzeit verlegt wird. Dieser Gesichtspunkt kann, wenn es um die Qualifikation eines Beschäftigten als Arbeitnehmer geht, von Bedeutung sein. Für das Entgelt einer Person, die nach dem eindeutigen Wortlaut des Arbeitsvertrages und der in bezug genommenen Tarifverträge als Arbeitnehmer zu behandeln ist, kann sich daraus aber keine Rechtfertigung für eine unterschiedliche Vergütung ergeben.

          • Die tarifvertragliche Differenzierung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß die von der Zusatzversorgung ausgeschlossenen Mitarbeiter bis zum 31. Dezember 1996 nach § 20a TV Ang iöS einen Zuschuß zu den Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen erhielten. Diese Beitragsleistung ersetzt nur den bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern geschuldeten Beitrag zur gesetzlichen Grundversorgung. Den Ausschluß der betreffenden Angestellten aus der Zusatzversorgung kann sie nicht rechtfertigen. Dies wird auch dadurch deutlich, daß nach § 15 Versorgungs-TV auch die bei der VBL pflichtversicherten Angestellten, die als Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, einen Anspruch auf Zuschuß zu den dortigen Beiträgen haben.
      • § 20 TV Ang iöS a.F. und § 5 Abs. 3 Versorgungs-TV sind nichtig, soweit sie die unter den TV Ang iöS fallenden Angestellten, die mehr als nur geringfügig tätig sind, aus dem Zusatzversorgungswerk ausnehmen. Die anspruchsbegründenden Grundnormen im übrigen sind rechtswirksam. Der Kläger kann sich deshalb hierauf stützen und verlangen, daß ihm im Versorgungsfall eine Zusatzversorgung verschafft wird, als wäre er während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit, soweit er nicht nur geringfügig tätig ist, bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert gewesen und würde dort weiterversichert.

        Die tarifvertragliche Pflicht des beklagten Landes, und nicht etwa die Nichtigkeit der gegen den Gleichheitssatz verstoßenden gesamten Versorgungsregelung, ergibt sich daraus, daß es sich hier nur um eine relativ kleine Personengruppe handelt. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien, hätten sie die Unzulässigkeit der von ihnen vorgenommenen Differenzierung gekannt, nicht von dem Versorgungswerk im übrigen abgesehen, sondern den zu Unrecht benachteiligten Personenkreis in den Kreis der Versorgungsberechtigten aufgenommen hätten (so auch schon BAGE 79, 236, 246 ff. = AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B III der Gründe).

        Andererseits ist entgegen der von Wiedemann und Peters vertretenen Auffassung (RdA 1997, 100, 101) für die Feststellung der Teilnichtigkeit nicht erforderlich, daß das beklagte Land auch nicht vollbeschäftigte Fleischbeschautierärzte beschäftigt, die Vergütung für mehr als 1.000 Stunden im Kalenderjahr erzielen und deshalb zusätzlich versorgt werden. Bei der Prüfung eines Tarifvertrages anhand des Gleichheitssatzes kommt es auf den Anwendungsbereich des Tarifvertrages, nicht auf das den Tarifvertrag anwendende Unternehmen oder dessen Betrieb an (vgl. auch Senatsurteil vom 17. Oktober 1995 – 3 AZR 882/94 – AP Nr. 132 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Mikosch, Bepler, Schmidt, Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 893894

NZA 1997, 1294

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