Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung, Tariflohnerhöhung; Klage auf künftige Leistungen

 

Orientierungssatz

  • § 259 ZPO läßt grundsätzlich auch die Verurteilung zu künftigen Leistungen zu, die von einer im Urteil anzugebenden Gegenleistung abhängig sind. Zu den künftigen Leistungen iSv. § 259 ZPO sind auch zukünftige Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern gerechnet worden (Senat 29. Juli 1960 – 5 AZR 532/59 – AP ZPO § 259 Nr. 2; BAG 23. Februar 1983 – 4 AZR 508/81 – BAGE 42, 54; 14. Mai 1997 – 7 AZR 471/96 – nv.).

    Da künftige Vergütungsansprüche ua. dann entfallen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird, die geschuldete Arbeitsleistung ausbleibt oder die Vergütung nicht fortzuzahlen ist, wie zB bei längerer Krankheit, unbezahltem Urlaub, unentschuldigten Fehlzeiten usw. sind die für den Vergütungsanspruch maßgeblichen Bedingungen in den Antrag aufzunehmen. Nur das Unerwartete kann unberücksichtigt bleiben. Hierzu gehört die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist gemäß § 726 Abs. 1 ZPO vor Erteilung der Vollstreckungsklausel zu prüfen, ob die für die künftigen Vergütungsansprüche maßgeblichen Bedingungen vorliegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob gegenüber einem Drittschuldner geringere Anforderungen gestellt werden dürfen (BAG 23. Februar 1983 aaO).

  • Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, daß er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers für eine dauerhafte Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben (Senat 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – zVv.; BAG 20. Juni 2001 – 4 AZR 290/00 – nv.).
 

Normenkette

ZPO §§ 259, 726 Abs. 1; BGB § 151

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 16.08.2000; Aktenzeichen 18 Sa 64/00)

ArbG Minden (Urteil vom 03.11.1999; Aktenzeichen 2 Ca 986/99)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erhöhung des Arbeitsverdienstes. Der Kläger ist seit 16. Mai 1989 bei der Beklagten, die eine Kurklinik betreibt, als medizinischer Bademeister und Masseur beschäftigt. Im Anstellungsvertrag vom 16. Mai 1989 ist folgendes vereinbart:

“Herr K S, geboren 60, wohnhaft in B, wird ab 16. Mai 1989 als medizinischer Bademeister und Masseur in der Nachsorgeklinik B O beschäftigt.

Vom monatlichen Bruttogehalt von DM 2.600,00 werden die gesetzlichen Abzüge eingehalten. Die Leistungen für Urlaubs- und Weihnachtsgeld und VM-Leistungen werden in Anlehnung an den BAT vergütet (13. Monatsgehalt).

…”

Die Beklagte verhandelt mit den Belegungsträgern jährlich die Pflegesätze. Bei den Pflegesatzverhandlungen wurden bis 1996 die Tariflohnerhöhungen im öffentlichen Dienst berücksichtigt. Die Beklagte erhöhte das Gehalt des Klägers seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich 1996 entsprechend den Tarifsteigerungen des öffentlichen Dienstes. Weiterhin leistete sie die tarifvertraglich vereinbarten Einmalzahlungen. Eine Erläuterung der jeweiligen Gehaltsanpassung erfolgte nicht. Die für den öffentlichen Dienst zum 1. Januar 1997 vereinbarte Tariflohnerhöhung von 1,3 % gewährte die Beklagte ihren Mitarbeitern nicht. Am 28. Mai 1997 vereinbarte sie mit dem Betriebsrat eine Anhebung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf 100 % sowie einen zusätzlichen freien Tag als Ausgleich für die unterbliebene Gehaltserhöhung. Mit Schreiben vom 15. Juni 1998 kündigte die Beklagte diese Betriebsvereinbarung zum 30. September 1998. In einem Rundschreiben vom Juni 1998 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern mit, sie gewähre auch weiterhin 100 % Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie zwei zusätzliche freie Tage. Hierbei handele es sich um freiwillige arbeitgeberseitige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch in den kommenden Jahren nicht bestehe.

Zum 1. April 1999 erhöhte die Beklagte die Gehälter der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer um 3 %. Die zusätzlichen freien Tage wurden nicht mehr gewährt. Im öffentlichen Dienst erhöhte sich das Tarifgehalt zum 1. April 1999 um 3,1 %, zusätzlich war eine Einmalzahlung in Höhe von 300,00 DM vereinbart worden.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die zum 1. April 1999 tarifvertraglich vereinbarte Einmalzahlung in Höhe von 300,00 DM sowie ab 1. April 1999 ein um weitere 0,1 % erhöhtes Gehalt. Er hat die Auffassung vertreten, bei der Beklagten sei durch ständige Gewährung bis 1996 die betriebliche Übung entstanden, die Gehälter entsprechend den für den öffentlichen Dienst vereinbarten Tariflohnerhöhungen anzupassen. Diese betriebliche Übung habe die Beklagte nicht wirksam beseitigt.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 300,00 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 5. Juli 1999 sowie rückwirkend ab 1. April 1999 und zukünftig monatlich ein um 3,52 DM monatlich erhöhtes Gehalt zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine betriebliche Übung sei nicht entstanden. Sie habe bis 1996 die Gehälter nur deshalb in Anlehnung an die Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst erhöht, weil eine entsprechende Erhöhung der Pflegesätze erfolgte bzw. sicher zu erwarten war.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erhöhung seines Gehalts im Umfang der Tariflohnerhöhung für den öffentlichen Dienst im Jahre 1999. Der Tarifvertrag ist auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar. Eine betriebliche Übung, die Gehälter der Beschäftigten den jeweiligen tarifvertraglichen Verdiensterhöhungen anzupassen, besteht nicht. Soweit der Kläger zukünftige Zahlungen begehrt, ist die Klage unzulässig.

  • Der Antrag, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zukünftig monatlich ein um 3,52 DM monatlich erhöhtes Gehalt zu zahlen, ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 259 ZPO für eine Klage auf zukünftige Leistung sind vom Kläger nicht dargelegt worden.

    • Nach § 259 ZPO kann außer den Fällen der §§ 257, 258 ZPO, die hier ersichtlich nicht vorliegen, Klage auf künftige Leistung erhoben werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen. § 259 ZPO läßt grundsätzlich auch die Verurteilung zu künftigen Leistungen zu, die von einer im Urteil anzugebenden Gegenleistung abhängig sind. Zu den künftigen Leistungen iSv. § 259 ZPO sind auch zukünftige Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern gerechnet worden (Senat 29. Juli 1960 – 5 AZR 532/59 – AP ZPO § 259 Nr. 2; BAG 23. Februar 1983 – 4 AZR 508/81 – BAGE 42, 54; 14. Mai 1997 – 7 AZR 471/96 – nv.). Da künftige Vergütungsansprüche ua. dann entfallen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird, die geschuldete Arbeitsleistung ausbleibt oder die Vergütung nicht fortzuzahlen ist, wie zB bei längerer Krankheit, unbezahltem Urlaub, unentschuldigten Fehlzeiten usw., sind die für den Vergütungsanspruch maßgeblichen Bedingungen in den Antrag aufzunehmen. Nur das Unerwartete kann unberücksichtigt bleiben. Hierzu gehört die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist gemäß § 726 Abs. 1 ZPO vor Erteilung der Vollstreckungsklausel zu prüfen, ob die für die künftigen Vergütungsansprüche maßgeblichen Bedingungen vorliegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob gegenüber einem Drittschuldner geringere Anforderungen gestellt werden dürfen (BAG 23. Februar 1983 aaO).
    • Der Kläger hat die Voraussetzungen für eine Klage auf künftige Leistungen nicht dargelegt. Sein Prozeßvortrag beschränkt sich insoweit auf die Behauptung, wegen der beharrlichen Weigerung der Beklagten, die geltend gemachte Forderung zu erfüllen, bestehe die Besorgnis, die Beklagte werde sich künftigen Leistungen entziehen. Er hat aber nicht dargelegt, unter welchen einzelnen Voraussetzungen die Beklagte in der Zukunft zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet ist.
  • Soweit der Kläger rückständiges Arbeitsentgelt fordert, ist seine Klage zulässig, aber nicht begründet. Ein Anspruch auf Gehaltserhöhung besteht nicht. Er ergibt sich nicht aus betrieblicher Übung.

    • Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mußte und durfte (st. Rspr. vgl. zuletzt Senat 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – zVv.; 16. September 1998 – 5 AZR 598/97 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 54 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 41; BAG 4. Mai 1999 – 10 AZR 290/98 – BAGE 91, 283; 19. Juni 2001 – 1 AZR 597/00 – nv.). Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen muß, die Leistung werde nur unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt (vgl. BAG 4. September 1985 – 7 AZR 262/83 – BAGE 49, 290).
    • Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, daß er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts zu einem Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Beitrittsprüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers für eine dauerhafte Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben (Senat 16. Januar 2002 aaO; BAG 20. Juni 2001 – 4 AZR 290/00 – nv.). Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit für die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Hierbei entstehen zwar auch weitere Kosten. Diese sind aber statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet.
    • Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht vom Bestehen einer betrieblichen Übung ausgegangen. Es hat nicht genügend beachtet, daß grundsätzlich mit der in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Gehaltsanpassung lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Gehalts, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers auf Weitergabe künftiger Tariflohnerhöhungen entsteht. Es bedarf also nicht besonderer Umstände, die gegen einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Arbeitgebers sprechen. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung besonderer Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür, daß er sich abweichend von diesem Grundsatz verpflichten will, auch zukünftig die noch nicht vorhersehbaren Tariflohnerhöhungen an die Arbeitnehmer weiterzugeben. Solche Umstände hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 Abs. 1 ZPO) hat die Beklagte vielmehr in der Vergangenheit bis 1996 die Gehälter ohne nähere Erläuterung erhöht. Damit liegen die Voraussetzungen für eine betriebliche Übung der Gehaltssteigerung im Umfang der Tariflohnerhöhungen im öffentlichen Dienst nicht vor.
  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Mandrossa, E. Haas

 

Fundstellen

Haufe-Index 793411

ARST 2003, 33

FA 2003, 29

NZA 2002, 1232

EzA-SD 2002, 14

EzA

AA 2003, 24

AUR 2002, 474

ArbRB 2002, 290

BAGReport 2003, 32

NJOZ 2003, 1552

SPA 2002, 3

SPA 2004, 5

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