Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtverlängerungsmitteilung nach dem Normalvertrag Chor – Aufhebungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verfahrensrügen, die erst nach Abschluß der ersten Instanz des Aufhebungsverfahrens nach § 110 ArbGG erhoben werden, sind keinesfalls mehr rechtzeitig und können deshalb im weiteren Verlauf des Rechtsstreits nicht mehr berücksichtigt werden.

2. Geht es bei einem Streit über die Wirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung nach dem Normalvertrag Chor allein um die künstlerischen Belange oder darum, ob diese durch bestimmte Leistungs- oder Eignungseinschränkungen des Chormitglieds berührt werden, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Besteht dagegen Streit über die Leistungsfähigkeit oder sonstige Eignung des Chormitglieds, trägt dieses insoweit die Darlegungs- und Beweislast.

 

Normenkette

ArbGG § 110 Abs. 1; Normalvertrag Chor vom 11. Mai 1979 i.d.F. vom 15.März 1992 § 22 Abs. 9, 11; ZPO § 355 Abs. 1, § 559 Abs. 2 S. 2, § 554 Abs. 3 Nr. 3 b, § 561 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 12.11.1998; Aktenzeichen 6 Sa 1225/97)

ArbG Köln (Urteil vom 31.07.1997; Aktenzeichen 13 Ca 4108/96)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. November 1998 – 6 Sa 1225/97 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer von der Beklagten erklärten Nichtverlängerungsmitteilung nach dem Normalvertrag Chor wirksam beendet wurde.

Der Kläger war seit 1. August 1980 bei den Bühnen der Beklagten aufgrund zahlreicher befristeter Arbeitsverträge als Opernchormitglied für das Kunstfach 1. Tenor beschäftigt. Nach § 2 des letzten Arbeitsvertrags vom 5. März 1992 begann das Arbeitsverhältnis am 1. August 1992 und endete am 31. Juli 1993. Nach § 6 dieses Vertrags bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Normalvertrag Chor in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen sowie den sonstigen vom Deutschen Bühnenverein über die Arbeitsverhältnisse der Opernchormitglieder abgeschlossenen Tarifverträgen.

Der Normalvertrag Chor vom 11. Mai 1979 idF. vom 15. März 1992 (NV Chor) enthält in § 22 unter der Überschrift „Beendigung des Arbeitsverhältnisses” ua. folgende Regelungen:

„(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt. Es genießt Sozialschutz nach Maßgabe der folgenden Absätze.

(2) Der Arbeitsvertrag verlängert sich zu den gleichen Bedingungen wie bisher um eine weitere Spielzeit, wenn keine der Arbeitsvertragsparteien der anderen gegenüber erklärt, daß sie das Arbeitsverhältnis nicht verlängern will.

(…)

(4) Beabsichtigt der Arbeitgeber, einem Opernchormitglied mitzuteilen, daß er das Arbeitsverhältnis nicht verlängern will, hat er hierüber spätestens zwei Wochen vor den in Absatz 3 genannten Terminen den Opernchorvorstand schriftlich zu unterrichten und ihm mit dem Ziel der Einigung Gelegenheit zur Aussprache oder schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer Woche zu geben.

(…)

(8) Die Mitteilung des Arbeitgebers über die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages ist unwirksam, wenn die Unterrichtung nach Absatz 4 unterbleibt oder der Arbeitgeber dem Opernchorvorstand keine Gelegenheit zur Aussprache oder Stellungnahme gibt.

(9) Die Mitteilung des Arbeitgebers über die Nichtverlängerung ist ferner unwirksam, wenn künstlerische Belange der Bühne durch die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht beeinträchtigt werden und wenn die Interessen des Opernchormitgliedes an der Beibehaltung seines Arbeitsplatzes die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses gebieten.

(…)

(11) Bei einem Streit darüber, ob eine Nichtverlängerungsmitteilung nach Absatz 9 wirksam ist, sind die künstlerischen Belange der Bühne vom Arbeitgeber, die übrigen Umstände, z. B. die Leistungsfähigkeit oder die sonstige Eignung, vom Opernchormitglied zu beweisen.”

Am 4. Juni 1993 schrieb der Generalintendant der Bühnen der Beklagten an den Chordirektor und den Chorvorstand, er beabsichtige, sofern sich die von diesen angeführten Gründe nicht verändert hätten, dem Kläger mitzuteilen, daß er das Arbeitsverhältnis über die Spielzeit 1993/94 hinaus nicht verlängern wolle. Der Chordirektor antwortete hierauf mit Schreiben vom 7. Juni 1993, daß er die Absicht des Generalintendanten uneingeschränkt befürworte. Das Chorvorstandsmitglied T. teilte mit Schreiben vom 8. Juni 1993 folgendes mit:

„Sehr geehrter Herr,

der Chorvorstand teilt hierdurch mit, daß er die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses des Herrn J. über die Spielzeit 1993/94 hinaus befürwortet.

Die zu dieser Auffassung führenden Gründe seien noch einmal genannt:

1.) Die stimmlichen- und stimmtechnischen Möglichkeiten sind zur Ausübung unseres Berufes als Opernchorsänger nicht ausreichend. Sie führen zur Minderung unseres Chorklanges.

(…)”

Mit Schreiben vom 11. Juni 1993 unterrichtete der Generalintendant den Personalrat des künstlerischen Personals davon, daß er beabsichtige, den Vertrag des Klägers über die Spielzeit 1993/94 hinaus nicht zu verlängern. Dem Kläger teilte er mit Schreiben vom 23. Juni 1993 mit, daß der mit ihm abgeschlossene Arbeitsvertrag über den 31. Juli 1994 hinaus nicht verlängert werde.

Am 8. April 1994 erhob der Kläger Klage zum Bühnenschiedsgericht Köln (BSchG) mit dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis über den 31. Juli 1994 hinaus fortbestehe. Der Kläger machte im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren die Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsanzeige unter mehreren Gesichtspunkten geltend. Insbesondere seien Personalrat und Opernchorvorstand nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Außerdem berief sich der Kläger auf § 22 Abs. 9 NV Chor. Die künstlerischen Belange der Bühne würden durch die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht beeinträchtigt. Zum Beweis dafür, daß seine stimmlichen und stimmtechnischen Möglichkeiten sowie seine Intonation und Modulationsfähigkeit nicht zu beanstanden sei, berufe er sich ohne Übernahme der Beweislast auf Sachverständigengutachten.

Die Beklagte vertrat im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren die Auffassung, die Nichtverlängerungsmitteilung sei wirksam. Personalrat und Opernchorvorstand seien ordnungsgemäß beteiligt worden. Eine Verlängerung des Vertrags hätte künstlerische Belange der Bühne verletzt, da die stimmlichen und stimmtechnischen Möglichkeiten des Klägers deren Ansprüche nicht erfüllt hätten. Die Intonation des Klägers sei unsauber, die Stimme nicht modulationsfähig und mische sich nicht ausreichend mit dem Gesamtklang. Zum Beweis berief sich die Beklagte auf das Mitglied des Chorvorstands T. sowie auf Sachverständigengutachten.

Das BSchG gab der Klage mit Schiedsspruch vom 13. Februar 1995 im wesentlichen statt. Das Bühnenoberschiedsgericht (OSchG) erhob Beweis zur Personalratsanhörung durch Vernehmung des Generalintendanten sowie zum Entstehungsdatum des Schreibens vom 8. Juni 1993 durch Vernehmung des Chorvorstandsmitglieds T. Das OSchG vernahm außerdem den Chordirektor L. zur Frage, ob dieser das Schreiben an den Generalintendanten vom 7. Juni 1993 zum damaligen Zeitpunkt verfaßt hat. Das OSchG änderte sodann durch Schiedsspruch vom 5. Februar 1996 den Schiedsspruch des BSchG ab und wies die Klage ab. Der künstlerische Personalrat und der Opernchorvorstand seien ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Nichtverlängerungsmitteilung sei auch nicht gem. § 22 Abs. 9 NV Chor unwirksam. Die Beklagte habe vorgetragen und bewiesen, daß durch die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger die künstlerischen Belange der Bühne beeinträchtigt würden. Wenn der Chordirektor und der von den Chorsängern gewählte Chorvorstand übereinstimmend die stimmlichen und stimmtechnischen Möglichkeiten eines Chorsängers als nicht ausreichend zur Ausübung des Berufs eines Opernchorsängers qualifizierten und daraus herleiteten, daß hierdurch der Chorklang gemindert werde, und sie aus diesem Grunde übereinstimmend die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrags befürworteten, dann sei davon auszugehen, daß durch eine Verlängerung künstlerische Belange der Bühne beeinträchtigt würden. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hierüber sei daher nicht erforderlich.

Gegen diesen seinem Verfahrensbevollmächtigten am 22. April 1996 zugestellten Schiedsspruch hat der Kläger am 6. Mai 1996 Aufhebungsklage erhoben. In dieser hat er ua. geltend gemacht, durch die Verwertung der Schreiben des Chorvorstandes vom 8. Juni 1993 und des Chordirektors vom 7. Juni 1993 habe das OSchG das Unmittelbarkeitsprinzip verletzt. Eine Befragung des von der Beklagten benannten Zeugen T. zu den künstlerischen Belangen der Bühnen sei nicht erfolgt. Das verstoße gegen das Unmittelbarkeitsprinzip. Dagegen sei unerheblich, daß das OSchG der Anregung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefolgt sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Hamburg vom 5. Februar 1996 – OSchG 15/95 – aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Schiedsspruch des Bezirksbühnenschiedsgerichts Hamburg vom 13. Februar 1995 – BSchG 12/94 – zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat entsprechend dem Antrag der Beklagten die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Aufhebungsklage zu Recht abgewiesen.

A. Die Aufhebungsklage ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger keinen ausdrücklichen Sachantrag gestellt, sondern nur die Aufhebung des Schiedsspruchs des OSchG und die Zurückweisung der Berufung gegen den Schiedsspruch des BSchG beantragt hat. Allerdings sind das Verfahren vor der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit und das arbeitsgerichtliche Aufhebungsverfahren nach § 110 ArbGG nicht als einheitlicher Instanzenzug ausgestaltet. Vielmehr ist mit der Entscheidung des OSchG das Bühnenschiedsgerichtsverfahren verbraucht (BAG 27. Januar 1993 – 7 AZR 124/92 – AP ArbGG 1979 § 110 Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 110 Nr. 1 zu IV 1 und 2 der Gründe; BAG 7. November 1995 – 3 AZR 955/94 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 48 = EzA TVG § 4: Bühnen Nr. 4 zu A II und III der Gründe). Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 110 ArbGG ist daher nicht die vom BSchG getroffene und vom OSchG abgeänderte Entscheidung, sondern das Sachbegehren, das der Kläger vor dem Schiedsgericht anhängig gemacht hat (BAG 27. Januar 1993 – 7 AZR 124/92 – AP ArbGG 1979 § 110 Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 110 Nr. 1 zu I 1 der Gründe). Daher ist im Aufhebungsverfahren der ursprüngliche Sachantrag zu stellen (BAG 7. November 1995 – 3 AZR 955/94 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 48 = EzA TVG § 4: Bühnen Nr. 4 zu A III der Gründe). In diesem Sinne kann aber der Antrag des Klägers ohne weiteres verstanden werden. Gegenstand der vorliegenden Aufhebungsklage ist somit die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses über den 31. Juli 1994 hinaus. Hieran hat der Kläger ein berechtigtes Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO.

B. Die Aufhebungsklage ist unbegründet.

I. Nach § 110 Abs. 1 ArbGG kann auf Aufhebung des Schiedsspruchs ua. geklagt werden, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren unzulässig war (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG) oder wenn der Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG). Dabei handelt es sich nach allgemeiner Ansicht in allen drei Instanzen der staatlichen Gerichtsbarkeit um ein revisionsähnliches Verfahren, in dem der Spruch des OSchG nur auf Rechtsfehler überprüft werden kann (BAG 18. April 1986 – 7 AZR 114/85 – BAGE 51, 374 zu II 2 a der Gründe mwN). Materielle Rechtsfehler fallen unter § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG und sind in entsprechender Anwendung des § 559 Abs. 2 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen. Verfahrensfehler können, sofern es sich nicht um solche handelt, die auch in einem Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten wären, entsprechend § 559 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur Berücksichtigung finden, wenn sie in der durch § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO gebotenen Form vorgetragen werden (BAG 26. April 1990 – 6 AZR 462/88 – BAGE 64, 348 zu II 2 b der Gründe; BAG 18. April 1986 – 7 AZR 114/85 – BAGE 51, 374 zu II 2 a der Gründe). Nach den Entscheidungen des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 1970 (– 5 AZR 425/69 – BAGE 22, 356 zu 1 der Gründe) und des Zweiten Senats vom 11. März 1982 (– 2 AZR 233/81 – BAGE 39, 1 zu I der Gründe) ist die entsprechende Rüge bereits in der Aufhebungsklage, also innerhalb der in § 110 Abs. 3 Satz 1 ArbGG vorgesehenen Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung des Schiedsspruchs vorzubringen. Hiergegen hat der erkennende Senat im Urteil vom 18. April 1986 (– 7 AZR 114/85 – BAGE 51, 374 zu II 2 b der Gründe) wegen der Kürze der Frist Bedenken angemeldet. Der Sechste Senat hat im Urteil vom 26. April 1990 (– 6 AZR 462/88 – BAGE 64, 348 zu II 2 b der Gründe) die Frage dahinstehen lassen. Auch wenn angesichts der kurzen Frist § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO nicht uneingeschränkt angewendet werden könne, so gebiete die Gestaltung des Aufhebungsverfahrens als revisionsähnliches Verfahren jedenfalls ein unverzügliches Rügen des Verfahrensmangels nach Erhebung der Aufhebungsklage, hilfsweise mindestens innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat gem. § 74 ArbGG. Werden die tatsächlichen Feststellungen des OSchG nicht rechtzeitig mit durchgreifenden Verfahrensrügen iSd. § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO angegriffen, so sind die Gerichte für Arbeitssachen in entsprechender Anwendung des § 561 Abs. 2 ZPO hieran gebunden (BAG 18. April 1986 – 7 AZR 114/85 – BAGE 51, 374 zu II 2 der Gründe).

II. Hiernach konnte die Aufhebungsklage keinen Erfolg haben. Der Schiedsspruch des OSchG beruht nicht auf einer vom Kläger rechtzeitig geltend gemachten Verletzung einer Rechtsnorm.

1. a) Die Nichteinvernahme des von der Beklagten benannten Zeugen T. durch das OSchG war kein Verfahrensverstoß, der die Aufhebungsklage begründen könnte. Eine Vernehmung des lediglich von der Beklagten benannten Zeugen T. durch das OSchG war schon deshalb nicht veranlaßt, weil hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Frage der stimmlichen Leistungsfähigkeit und Eignung des Klägers entgegen der auch vom OSchG vertretenen Auffassung nicht die Beklagte, sondern der Kläger beweisbelastet war. Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 11 NV Chor. Danach sind bei einem Streit über die Wirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung nach Abs. 9 die künstlerischen Belange der Bühne vom Arbeitgeber, die übrigen Umstände, zB die Leistungsfähigkeit oder die sonstige Eignung, dagegen vom Opernchormitglied zu beweisen. Zwar ist in § 22 Abs. 9 NV Chor von der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Chormitglieds nicht ausdrücklich die Rede. Wie sich aus Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des § 22 Abs. 9 und 11 NV Chor ergibt, gehen aber die Tarifvertragsparteien davon aus, daß es einerseits künstlerische Belange gibt, die von der Leistungsfähigkeit oder sonstigen Eignung des Chormitglieds unabhängig sind, daß andererseits die künstlerischen Belange aber auch durch die Leistungsfähigkeit und Eignung des Chormitglieds beeinträchtigt sein können. Geht es allein um die künstlerischen Belange oder um die Frage, ob die künstlerischen Belange durch bestimmte Leistungs- oder Eignungseinschränkungen des Chormitglieds berührt werden, ist der Arbeitgeber beweisbelastet. Besteht dagegen Streit über die Leistungsfähigkeit oder sonstige Eignung des Chormitglieds, obliegt diesem insoweit die Beweislast (so auch Crisolli, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, § 22 NV Chor Nr. 45).

Vorliegend waren zwischen den Parteien die stimmlichen und stimmtechnischen Möglichkeiten des Klägers, seine Intonation und die Modulationsfähigkeit seiner Stimme streitig. Nicht streitig war dagegen, daß bei Vorliegen der von der Beklagten behaupteten unsauberen Intonation des Klägers sowie im Falle mangelnder Modulationsfähigkeit seiner Stimme hierdurch künstlerische Belange beeinträchtigt waren. Streitig waren somit die Leistungsfähigkeit und Eignung des Klägers. Nicht die Beklagte, sondern der Kläger trug daher die Beweislast. Der Kläger hatte sich zum Beweis seiner stimmlichen Leistungsfähigkeit und Eignung nicht auf den Zeugen T. berufen. Dieser war daher zu dieser Frage nicht zu vernehmen.

b) Unabhängig von der Verteilung der Beweislast liegt aber auch keine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme darin, daß das OSchG bei seiner Überzeugungsbildung die Schreiben des Chorvorstandsmitglieds T. vom 8. Juni 1993 und des Chordirektors L. vom 7. Juni 1993 berücksichtigt hat, ohne diese Zeugen zum Inhalt ihrer Schreiben zu vernehmen. Der in § 355 Abs. 1 ZPO normierte Grundsatz besagt, daß die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht zu erfolgen hat und – von den gesetzlich bestimmten Fällen abgesehen – nicht einem Mitglied des Prozeßgerichts oder einem anderen Gericht übertragen werden darf. Auch muß das Gericht, soweit es auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ankommt, in seiner Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (BGH 9. Januar 1997 – III ZR 162/95 – AP ZPO § 355 Nr. 2; BGH NJW 1997, 1586 f.). Ein Verbot indirekter Beweismittel oder ein Gebot der Heranziehung des sachnächsten Beweismittels folgt dagegen aus § 355 Abs. 1 ZPO nicht (Zöller/Greger ZPO 21. Aufl. § 355 Rn. 1 mwN; vgl. auch BAG 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – BAGE 70, 85 zu B III 2 der Gründe). Die beweisbelastete Partei kann den ihr obliegenden Beweis grundsätzlich mit allen in der ZPO vorgesehenen Beweismitteln führen, soweit sie geeignet sind, zur tatrichterlichen Überzeugungsbildung beizutragen. Dazu zählt auch die Beibringung einer Privaturkunde. Welchen Beweiswert das Gericht einer in einer solchen Urkunde festgehaltenen Erklärung für deren inhaltliche Richtigkeit beimißt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts (BGH NJW 1986, 3086; BGH NJW 1995, 2856; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 58. Aufl. § 286 Rn. 63). Das OSchG verstieß daher nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, indem es den Inhalt der vorprozessual entstandenen Schreiben des Chorvorstandes und des Chordirektors entscheidend bei seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung heranzog und den Zeugen T. nicht vernahm. Es ist auch nicht ersichtlich, daß sich das OSchG hierbei des Unterschieds zwischen Zeugen- und Urkundenbeweis nicht bewußt gewesen wäre.

2. Ein die Revision rechtfertigender Verfahrensverstoß liegt auch nicht darin, daß das OSchG die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der stimmlichen Leistungsfähigkeit des Klägers unterlassen und weder das Arbeitsgericht noch das Landesarbeitsgericht dies nachgeholt hat. Allerdings darf von der Erhebung zulässiger und rechtzeitig angebotener Beweise grundsätzlich nur dann abgesehen werden, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder die Richtigkeit der unter Beweis gestellten streitigen Tatsache bereits erwiesen ist oder zu Gunsten der beweisbelasteten Partei unterstellt werden kann. Dabei ist bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet größte Zurückhaltung geboten (BVerfG 28. Februar 1992 – 2 BvR 1179/91 – NJW 1993, 254 zu 1 b der Gründe). Auch das Beweisangebot der beweisbelasteten Partei auf Einholung eines Sachverständigengutachtens darf das Gericht allenfalls dann übergehen, wenn es über hinreichende eigene Sachkunde verfügt (BGH 23. September 1993 – III ZR 107/92 – MDR 1994, 38).

Im Streitfall hatte sich der Kläger im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren, wenn auch unter Verwahrung gegen die Beweislast, hinsichtlich seiner stimmlichen und stimmtechnischen Möglichkeiten sowie seiner Intonation und Modulationsfähigkeit auf Sachverständigengutachten berufen. Das OSchG ist diesem Beweisangebot nicht nachgegangen, sondern hat ausgeführt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Grund hierfür war die vom OSchG durch die Schreiben des Chorvorstandes und des Chordirektors gewonnene Überzeugung, aufgrund stimmlicher und stimmtechnischer Mängel des Klägers seien künstlerische Belange der Bühne beeinträchtigt. Mit dieser Erwägung durfte das Beweisangebot des Klägers jedoch nicht übergangen werden. Vielmehr durfte dem Kläger der ihm obliegende Beweis seiner Leistungsfähigkeit und Eignung nicht abgeschnitten werden (vgl. hierzu auch BAG 16. Oktober 1965 – 5 AZR 55/65 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 20 zu 7 der Gründe). Dies führt indessen nicht zur Begründetheit der Revision. Denn der Kläger hat den in der Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens liegenden Verfahrensfehler nicht rechtzeitig geltend gemacht. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Verfahrensmangel bereits in der Aufhebungsklage oder unverzüglich nach deren Erhebung oder in entsprechender Anwendung des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG jedenfalls innerhalb einer Frist von einem Monat oder von zwei Monaten gerügt werden muß. Denn eine erst nach Abschluß der ersten Instanz des Aufhebungsverfahrens erhobene Rüge ist keinesfalls mehr rechtzeitig. Der Kläger hat eine ordnungsgemäße Rüge, sein Angebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei unzulässigerweise übergangen worden, weder in der Aufhebungsklage noch im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht erhoben. Vielmehr hat er in der Aufhebungsklage ausdrücklich vorgetragen, daß das OSchG die Einholung eines Sachverständigengutachtens vom OSchG nicht für erforderlich gehalten habe, sei „im Rahmen der vorliegenden Klage unerheblich”.

3. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts beruht auch nicht auf einer anderen, von Amts zu berücksichtigenden Gesetzesverletzung. Auch der Kläger behauptet im Revisionsverfahren eine solche nicht. Insbesondere ist nach dem vom Landesarbeitsgericht aufgrund der ergänzenden Beweisaufnahme festgestellten und mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Sachverhalt davon auszugehen, daß der Personalrat rechtzeitig und hinreichend unterrichtet wurde und die Fiktion der Zustimmung gem. § 52 Abs. 2 Satz 5 MBG Schl.-H. am 22. Juni 1993 und damit vor der Nichtverlängerungsmitteilung eintrat. Daß der Orchestervorstand gem. § 22 Abs. 4 NV Chor ordnungsgemäß beteiligt worden war, hatte bereits das OSchG aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zutreffend festgestellt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

[1]

 

Unterschriften

Dörner, Schmidt, Linsenmaier, Olga Berger, Zumpe

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 12.01.2000 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436500

BB 2000, 1042

FA 2000, 164

NZA 2000, 1345

SAE 2000, 263

ZTR 2000, 320

AP, 0

[1] Vorinstanz-Aktenzeichen,

Verkündungsdatum

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