Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenausgleich und Sozialplan – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs folgt nicht zwingend die gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluß eines Sozialplans. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Ob danach ein zwingendes Bedürfnis nach einer zumindest betriebsübergreifenden Regelung besteht, bestimmt auch der Inhalt des Interessenausgleichs.

 

Orientierungssatz

1. Der Interessenausgleich über eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung ist nach § 50 Abs. 1 BetrVG mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die vom Arbeitgeber geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer betriebsübergreifenden Regelung bedarf.

2. Ob der Gesamtbetriebsrat darüber hinaus auch für die Vereinbarung eines Sozialplans zuständig ist, bestimmt sich auch nach dem Inhalt des mit dem Arbeitgeber abgeschlossenen Interessenausgleichs.

3. Eine mit dem Betriebsrat abgeschlossene freiwillige Betriebsvereinbarung kann der Arbeitgeber nicht durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat ablösen.

4. Ist der Gesamtbetriebsrat für die Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit zuständig, kann eine darauf bezogene freiwillige Betriebsvereinbarung der örtlichen Betriebsparteien den Gesamtbetriebsrat nicht binden. Der Gesamtbetriebsrat ist in einem solchen Fall berechtigt, eine zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung durch eine von ihm auszuhandelnde Betriebsvereinbarung abzulösen.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 50 Abs. 1, §§ 111-112

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 07.03.2001; Aktenzeichen 8 Sa 105/00)

ArbG Hamburg (Urteil vom 20.07.2000; Aktenzeichen 7 Ca 85/00)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. März 2001 – 8 Sa 105/00 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Abfindung aus einem Sozialplan.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bauindustrie. Der Kläger war seit September 1978 in ihrem Hamburger Betrieb als Zimmerer im Bereich Hochbau mit einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von zuletzt 7.143,00 DM beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer Eigenkündigung des Klägers im Frühjahr 2000. Zuvor hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits betriebsbedingt gekündigt.

Für den Hamburger Betrieb der Beklagten galt ein am 25. Juni 1998 mit dem Betriebsrat abgeschlossener Sozialplan. Dem Sozialplan lag ein Interessenausgleich vom selben Tag zugrunde. Dieser betraf nach seiner Nr. 1 die Schließung von Lagerplatz und Schalung, Personalabbau wegen Auftragsrückgangs, Umzug der Hauptverwaltung und sonstige betriebsbedingte Personalanpassungen. Weiter war in der Vereinbarung geregelt:

„II. Verfahrensregelungen

2. …

a) Auf betriebsbedingte Entlassungen, gleich ob durch die Maßnahme gemäß Ziffer 1 oder durch sonstige künftige Maßnahmen bedingt, findet der Sozialplan vom heutigen Tag Anwendung. Der Sozialplan gilt für alle betriebsbedingten Entlassungen, die während seiner Laufzeit durchgeführt werden.”

In dem Sozialplan (Sozialplan 1998) heißt es:

„1. Geltungsbereich

Dieser Sozialplan gilt für alle Arbeitnehmer – ausgenommen leitende Angestellte –, die per 09.03.1998 in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis zur P. AG stehen und die durch betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers bis zum 30.06.2001 aus dem Betrieb ausscheiden.

4. Eigenkündigung

Arbeitnehmer, die durch eine arbeitgeberseitig veranlaßte Eigenkündigung ausscheiden, erhalten 90 % der Abfindung, die sich nach den vorstehenden Regelungen ergeben würde.

6. Anrechenbarkeit

Leistungen aus diesem Sozialplan sind auf andere Entschädigungsleistungen aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Aufhebungsvertrag, gerichtlich festgelegte Abfindung usw.) anrechenbar und umgekehrt.

7. Schlußbestimmungen

Dieser Sozialplan ist fest vereinbart bis zum 30.06.2001. Er endet zu diesem Termin, ohne daß es einer Kündigung bedarf, nachwirkungslos.

…”

Für den Kläger errechnet sich aus dem Sozialplan 1998 eine Abfindung in Höhe von 144.520,00 DM.

Im November 1999 wurde hinsichtlich des Vermögens der Beklagten ein Insolvenzantrag gestellt. Dieser Antrag wurde nach dem Zustandekommen eines Sanierungskonzepts wieder zurückgenommen. Teil dieses Sanierungskonzepts war eine zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am 10. Januar 2000 abgeschlossene Betriebsvereinbarung über die Schaffung von Auffangstrukturen. Dazu heißt es in der Vorbemerkung:

„…

Die Hereinnahme nicht kostendeckender Aufträge infolge der strukturellen Krise der Bauwirtschaft seit Mitte der 90er Jahre hat P. an den Rand des Insolvenzverfahrens geführt. Lediglich in einer konzentrierten Aktion aller Sanierungsbeteiligten, nämlich insbesondere Banken, Gewerkschaften und Arbeitnehmer sowie Anteilseigner und durch Unterstützung seitens der Politik kann der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden.

Für P. führt die aus diesen negativen wirtschaftlichen Bedingungen folgende strukturelle betriebliche Krise zur Umsetzung dringend notwendiger Anpassungsmaßnahmen.

Aus diesem Grund sind – nach Beschluß des Vorstandes – neben Umstrukturierungen und weiteren Maßnahmen zur Innovation, zur Ablaufverbesserung und zur Kosteneinsparung auch erhebliche Personalabbaumaßnahmen, im wesentlichen aufgrund von Schließungen von Standorten, unumgänglich. …”

Das von der Beklagten vorgeschlagene Sanierungskonzept sah eine Änderung der Flächen- und Organisationsstruktur des Unternehmens vor. Dazu sollten unwirtschaftliche Niederlassungen und Betriebe geschlossen und unternehmensweit mehrere tausend Arbeitsplätze abgebaut werden.

Nach § 1 der Vereinbarung vom 10. Januar 2000 erstreckt sich ihr räumlicher Geltungsbereich auf sämtliche Betriebe von P. im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. § 2 bestimmt weiter:

„Frühere Vereinbarungen

Es wird vereinbart, daß zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Gesamtbetriebsvereinbarung ggfs. noch bestehende Interessenausgleiche und Sozialpläne, die dieser Gesamtbetriebsvereinbarung ggfs. entgegenstehen, mit Inkrafttreten dieser Gesamtbetriebsvereinbarung gegenstandslos werden. Das gilt nicht für Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis zum 31.12.1999 gekündigt wurde bzw. mit denen bis zu diesem Zeitpunkt eine Aufhebungsvereinbarung abgeschlossen wurde.”

Die Vereinbarung vom 10. Januar 2000 regelt in § 4 einen „Interessenausgleich – Durchführung der Betriebsänderung, Personalmaßnahmen” sowie in § 6 den in einer Anlage beigefügten Sozialplan (Sozialplan 2000). Zum Sozialplan 2000 heißt es:

„1. Regelungsgegenstand

Zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern der P. AG aufgrund der in der Gesamtbetriebsvereinbarung über die Schaffung von Auffangstrukturen (zugleich Interessenausgleich) vom 10.01.2000 beschriebenen Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG folgender Sozialplan geschlossen:

2. Geltungsbereich

Dieser Sozialplan gilt für alle Arbeitnehmer der P. AG, die am 01.01.2000 in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis standen und deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer der im Interessenausgleich vom 10.01.2000 genannten Maßnahmen betroffen ist.

…”

Nach diesem Sozialplan steht dem Kläger eine Abfindung von 18.969,00 DM zu. Diesen Betrag erhielt der Kläger auch. Unter Anrechnung dieser Zahlung verlangt er nunmehr eine Abfindung nach dem Sozialplan 1998 in Höhe von zuletzt noch 125.551,00 DM. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Sozialplan 1998 sei nicht durch die Vereinbarungen vom 10. Januar 2000 abgelöst worden. Der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluß des Interessenausgleichs und des Sozialplans nicht zuständig gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 125.551,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 15. März 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, zuständig für den Interessenausgleich und den Sozialplan sei der Gesamtbetriebsrat gewesen. Die Betriebsänderung habe eine unternehmensweite Umstrukturierung betroffen. Eine solche Maßnahme, verbunden mit betriebsübergreifenden Entscheidungen über die Schließung oder Fortführung von Betrieben und Niederlassungen, habe nicht auf der Ebene der einzelnen Betriebe geregelt werden können. Ohne den auf diesem Interessenausgleich aufbauenden Sozialplan habe die Insolvenz des Unternehmens nicht abgewendet werden können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein bisheriges Klageziel. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Abfindung in Höhe von 125.551,00 DM aus dem Sozialplan 1998. Der Sozialplan 1998 ist, soweit er einen Abfindungsanspruch zugunsten des Klägers hätte begründen können, durch den Sozialplan 2000 abgelöst worden. Die sich nach diesem Sozialplan errechnende Abfindung hat der Kläger erhalten.

I. Der Sozialplan 1998 enthält neben Regelungen, die der zwingenden Mitbestimmung nach § 112 Abs. 1 BetrVG unterliegen, auch solche, die auf einer freiwilligen Vereinbarung der örtlichen Betriebsparteien nach § 88 BetrVG beruhen. Das betrifft den Ausgleich von Nachteilen aus sonstigen betriebsbedingten Personalanpassungen bis 30. Juni 2001, auf die sich der Kläger beruft. Dieser Teil des Sozialplans 1998 war nicht nach § 112 Abs. 4 BetrVG erzwingbar.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats knüpft das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 Abs. 1 BetrVG an das Vorliegen einer konkreten Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG an. Für eine solche Betriebsänderung kann der Betriebsrat den Ausgleich von Nachteilen der davon betroffenen Arbeitnehmer verlangen und dafür nach § 112 Abs. 4 BetrVG einen Sozialplan durchsetzen. Stehen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans die Durchführung, die Art und der Umfang einer Betriebsänderung noch nicht fest, sondern sind sie nur in groben Umrissen abschätzbar, können die Betriebsparteien lediglich vorsorglich Regelungen in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung für den Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen eines Arbeitsplatzverlustes im Falle einer Betriebsänderung treffen (BAG 19. Januar 1999 – 1 AZR 342/98 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 37 = EzA BetrVG 1972 § 113 Nr. 28 mwN). Diese Befugnis folgt aus der umfassenden Regelungskompetenz der Betriebsparteien, die ihnen das Betriebsverfassungsgesetz in sozialen, wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten zubilligt (BAG 26. August 1997 – 1 ABR 12/97 – BAGE 86, 228).

2. Der Sozialplan 1998 regelt in erster Linie den Ausgleich von Nachteilen, die betriebsangehörige Arbeitnehmer infolge der im Interessenausgleich 1998 vereinbarten Betriebsänderungen erleiden. Zum damaligen Zeitpunkt war für die örtlichen Betriebsparteien aber bereits absehbar, daß unabhängig von diesen Betriebsänderungen während der Laufzeit des Sozialplans weitere betriebsbedingte Personalanpassungen nicht auszuschließen waren. Den Ausgleich der davon ausgehenden Nachteile konnten die Betriebsparteien vorsorglich und unabhängig davon regeln, ob es sich bei diesen Maßnahmen um Betriebsänderungen iSd. § 111 BetrVG handeln würde. Insoweit war eine Regelung aber nur in Form einer freiwilligen Vereinbarung möglich. Der Teil des Sozialplans, der sich nicht auf die vom Interessenausgleich erfaßten Betriebsänderungen bezieht, stellt eine solche freiwillige Regelung dar. Allein auf diese beruft sich der Kläger. Die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im Jahr 2000 war nicht Folge einer in Nr. 1 des Interessenausgleichs vom 25. Juni 1998 geregelten Betriebsänderung.

II. Aus dem freiwilligen Teil des Sozialplans 1998 kann der Kläger keine Rechte mehr herleiten. Dieser Teil des Sozialplans 1998 ist durch den der zwingenden Mitbestimmung unterliegenden Sozialplan 2000 abgelöst worden.

1. Für die Vereinbarung des Interessenausgleichs und die Ausübung des Mitbestimmungsrechts bei der Aufstellung eines Sozialplans für die auch den Hamburger Betrieb betreffende Betriebsänderung im Zuge der anstehenden Unternehmenssanierung war der Gesamtbetriebsrat und nicht der Betriebsrat des Hamburger Betriebs zuständig.

a) Nach der Kompetenzzuweisung des Betriebsverfassungsgesetzes ist der von den Arbeitnehmern gewählte Betriebsrat für die Ausübung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte zuständig. Er hat die Interessen der Belegschaft des einzelnen Betriebs gegenüber dem Unternehmer wahrzunehmen. Diese Aufgabe weist § 50 Abs. 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat nur für den Fall zu, daß die zu regelnde Angelegenheit nicht auf den einzelnen Betrieb beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der betrieblichen Ebene gewahrt werden können (Kreutz GK-BetrVG 6. Aufl. § 50 Rn. 21 ff.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 21. Aufl. § 50 Rn. 8 ff.; DKK-Trittin BetrVG 7. Aufl. § 50 Rn. 21; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 50 Rn. 5 ff.). Dazu muß ein zwingendes Erfordernis nach einer betriebsübergreifenden Regelung vorliegen. Deren bloße Zweckmäßigkeit kann in den Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht begründen (BAG 14. Dezember 1999 – 1 ABR 27/98 – BAGE 93, 75; 11. November 1998 – 7 ABR 47/97 – AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 19 = EzA BetrVG 1972 § 50 Nr. 17; 30. August 1995 – 1 ABR 4/95 – BAGE 80, 366, 372).

b) Danach war der Gesamtbetriebsrat zunächst für die nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu treffende Vereinbarung über einen Interessenausgleich zuständig. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG iVm. § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren, wenn sich die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb einer einheitlichen Regelung bedarf. Das kann der Fall sein bei der Stillegung aller oder mehrerer Betriebe oder der Zusammenlegung von Betrieben (BAG 24. Januar 1996 – 1 AZR 542/95 – BAGE 82, 79). Der betriebsübergreifende Regelungsbedarf bestimmt sich jedoch nicht nach dem Inhalt des erst auszuhandelnden Interessenausgleichs, sondern nach der vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme. Liegt ihr ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde, ist der Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren (BAG 20. April 1994 – 10 AZR 186/93 – BAGE 76, 255).

Die von der Arbeitgeberin geplanten Betriebsänderungen betrafen die mit dem unternehmensweiten Abbau von mehreren tausend Arbeitsplätzen verbundene Umstrukturierung des Unternehmens, mit der eine grundlegende Änderung der gesamten Organisation angestrebt werden sollte. Damit verbunden waren Entscheidungen über die Standorte der künftig noch fortzuführenden Betriebe und der im Gegenzug zu schließenden Betreibe sowie über die künftige Zusammensetzung der Belegschaft der verbleibenden Betriebe. Diese unternehmensweite Maßnahme war über die Grenzen der einzelnen Betriebe hinaus mitzubeurteilen und mitzugestalten. Die Wahrnehmung einer solchen Aufgabe wird von § 50 Abs. 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen.

c) Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluß eines Interessenausgleichs folgt nicht ohne weiteres die Zuständigkeit für den Abschluß eines Sozialplans. Auch dafür müssen die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG erfüllt sein. Insoweit muß ein zwingendes Bedürfnis nach einer betriebsübergreifenden Regelung bestehen (Kreutz GK-BetrVG aaO § 50 Rn. 40; Fitting/Kaiser/Heither/Engels aaO § 50 Rn. 41; DKK-Trittin aaO § 50 Rn. 59). Ein Sozialplan soll die sozialen Belange der von einer wirtschaftlichen Entscheidung des Unternehmens betroffenen Arbeitnehmer wahren. Ob die mit dieser Entscheidung verbundenen Nachteile unternehmenseinheitlich oder betriebsbezogen auszugleichen sind, bestimmt sich insbesondere nach Gegenstand und Ausgestaltung der Betriebsänderung im Interessenausgleich sowie nach den im Einzelfall den Arbeitnehmern hierdurch entstehenden Nachteilen. Regelt ein mit dem Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG vereinbarter Interessenausgleich Betriebsänderungen, die einzelne Betriebe unabhängig voneinander betreffen, oder eine solche, die sich auf einen Betrieb beschränkt, ist ein unternehmensweit zu findender Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile im Sozialplan nicht zwingend. Erfassen die im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderungen mehrere oder gar sämtliche Betriebe des Unternehmens und ist die Durchführung des Interessenausgleichs abhängig von betriebsübergreifend einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan, so kann diese Aufgabe von den Betriebsräten der einzelnen Betriebe nicht mehr wahrgenommen werden; sie ist dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen.

Hier lag ein solches Abhängigkeitsverhältnis zwischen unternehmensweiten Betriebsänderungen und einer darauf abstellenden Sozialplanregelung zum Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten und sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen vor. Für das Gesamtunternehmen war ein Insolvenzantrag gestellt. Zur Abwendung der Insolvenz, die alle Arbeitnehmer des Unternehmens betroffen hätte, wurde ein Interessenausgleich über ein unternehmenseinheitliches Sanierungskonzept zwischen dem Arbeitgeber und dem Gesamtbetriebsrat gefunden. Dieses Sanierungskonzept konnte im Interesse der verbleibenden Belegschaft und der zu erhaltenden Betriebe, aber auch der von den Betriebsänderungen unmittelbar betroffenen Arbeitnehmern nur auf der Grundlage eines bestimmten, auf das gesamte Unternehmen bezogenen Sozialplanvolumens realisiert werden. Die hiermit notwendig verbundene Entscheidung darüber, wie dieses Gesamtvolumen auf die betroffenen Arbeitnehmer verteilt werden sollte, konnte nur unternehmenseinheitlich und damit auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats getroffen werden. Eine zur Abwendung der drohenden Insolvenz unumgänglich notwendige Verzahnung zwischen dem vereinbarten Interessenausgleich und den korrespondierenden Sozialplanregelungen wäre durch eine Vielzahl von Vereinbarungen auf der Ebene der einzelnen Betriebe nicht erreichbar gewesen.

d) Entgegen der Auffassung des Klägers können die vorstehenden Erwägungen nicht die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats begründen. Die vom Unternehmen in Aussicht genommenen Betriebsänderungen waren auf die Ebene des Unternehmens beschränkt. Unternehmensübergreifende Betriebsänderungen und ein davon abhängiger Sozialplan, die nicht bezogen auf die Beklagte allein regelbar gewesen wären, sind nicht angestrebt worden und waren auch nicht Gegenstand der Vereinbarungen. Die Inhalte des vom Unternehmen geplanten Sanierungskonzepts und des Interessenausgleichs sind zwischen den Parteien nicht streitig gewesen. Sie bestimmen aber die Zuständigkeit für den Abschluß des Interessenausgleichs und – vorliegend – des Sozialplans. Das Berufungsgericht mußte deshalb dem Vorbringen des Klägers zur Begründung der angeblichen Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats schon aus Gründen des materiellen Rechts nicht nachgehen. Es kann daher offenbleiben, ob das Landesarbeitsgericht den weiteren Sachvortrag zu einer Zuständigkeit des Konzernbetriebsrat in verfahrensrechtlich zulässiger Weise zurückgewiesen und ob der Kläger diese Zurückweisung im Revisionsverfahren ordnungsgemäß gerügt hat.

2. Der Gesamtbetriebsrat war an den mit dem örtlichen Betriebsrat vereinbarten freiwilligen Sozialplan 1998, auf den der Kläger seinen Abfindungsanspruch stützt, nicht gebunden. Die auf sonstige Personalanpassungen bezogene freiwillige Teilregelung des Sozialplans 1998 ist durch den der zwingenden Mitbestimmung unterliegenden Sozialplan 2000 wirksam abgelöst worden.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Betriebsparteien eine Angelegenheit, die sie durch eine Betriebsvereinbarung geregelt haben, ausdrücklich oder stillschweigend durch eine andere Betriebsvereinbarung mit Wirkung für die Zukunft abweichend regeln. In diesem Falle tritt die neue Betriebsvereinbarung an die Stelle der früheren und löst sie ab (BAG 5. Oktober 2000 – 1 AZR 48/00 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 141 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 107). Die Befugnis zur Änderung oder Aufhebung einer Betriebsvereinbarung ist Teil der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien. Hat der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat in einer Angelegenheit, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegt, eine freiwillige Betriebsvereinbarung abgeschlossen, so muß er sich wegen deren Aufhebung durch eine neue freiwillige Vereinbarung an den Betriebsrat wenden. Er kann sein Ziel nicht durch das Auswechseln des Vertragspartners erreichen, indem er sich mit dem Gesamtbetriebsrat über die Aufhebung der Betriebsvereinbarung verständigt. Das folgt aus der den jeweiligen Betriebsverfassungsorganen zugewiesenen Regelungszuständigkeit. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat dem Betriebsrat nicht übergeordnet. In den Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung fehlt dem Gesamtbetriebsrat deshalb die Kompetenz, in Vereinbarungen der betrieblichen Ebene verschlechternd einzugreifen und sie durch abweichende überbetriebliche Regelungen zu ersetzen.

Umgekehrt kann der Regelung einer Angelegenheit der zwingenden Mitbestimmung, für deren Ausübung kraft Gesetzes der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, nicht durch freiwillige Vereinbarungen auf der betrieblichen Ebene vorgegriffen werden mit der Folge, daß ändernde Vereinbarungen nunmehr auf betrieblicher Ebene möglich wären. Ansonsten hätten es die Betriebsparteien in der Hand, die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung durch den Abschluß freiwilliger Vereinbarungen aufzuheben. In einer solchen Angelegenheit löst deshalb die mit dem von Gesetzes wegen zuständigen Gesamtbetriebsrat getroffene Regelung eine freiwillige Vereinbarung ab, die der Betriebsrat abgeschlossen hat (vgl. Kreutz GK-BetrVG aaO § 50 Rn. 65; Fitting/Kaiser/Heither/Engels aaO § 50 Rn. 55; DKK-Trittin aaO § 50 Rn. 16; Richardi aaO § 50 Rn. 46).

b) Mit der Aufstellung eines Sozialplans auch für solche betriebsbedingte Personalpassungen, die nicht auf die im Interessenausgleich 1998 vereinbarten Betriebsänderungen zurückzuführen sind, hat der örtliche Betriebsrat eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit im Vorgriff auf ein möglicherweise entstehendes Mitbestimmungsrecht geregelt. Diese Regelung war zum Zeitpunkt ihres Abschlusses eine freiwillige. Für den im Zusammenhang mit der ab Ende 1999 drohenden Insolvenz des Unternehmens auch bezüglich des Hamburger Betriebs abzuschließenden Interessenausgleich und den insoweit zu vereinbarenden Sozialplan war aber der Gesamtbetriebsrat von Gesetzes wegen zuständig. Er hatte zu entscheiden, ob an der vom Betriebsrat des Hamburger Betriebs getroffenen freiwilligen Sozialplanregelung zu Lasten der übrigen, von unternehmensweiten Sanierungsmaßnahmen ab dem Jahre 2000 betroffenen Arbeitnehmer festgehalten oder ob der örtliche Sozialplan durch eine andere, zu Lasten der dortigen Arbeitnehmer gehende Regelung abgelöst werden sollte. Von dieser Kompetenz hat der Gesamtbetriebsrat Gebrauch gemacht und für die nach dem 31. Dezember 1999 im Rahmen der Unternehmenssanierung vorzunehmenden betriebsbedingten Kündigungen oder vom Arbeitgeber veranlaßten Eigenkündigungen eine abweichende Abfindungsvereinbarung im Sozialplan 2000 getroffen. Die sich danach errechnende Abfindung wurde an den Kläger gezahlt. Für einen weitergehenden Anspruch fehlt es nach der wirksamen Ablösung des Sozialplans 1998 durch den Sozialplan 2000 an einer Rechtsgrundlage.

 

Unterschriften

Wißmann, Schmidt, Kreft, Wohlgemuth, Metz

 

Fundstellen

Haufe-Index 738273

BAGE, 60

BB 2002, 1104

BB 2002, 1487

DB 2002, 1276

ARST 2002, 171

EWiR 2002, 743

NZA 2002, 688

SAE 2003, 41

ZIP 2002, 1498

AP, 0

EzA-SD 2002, 14

EzA

MDR 2002, 954

PERSONAL 2002, 53

ZInsO 2003, 820

AUR 2002, 238

SPA 2002, 6

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