Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmißbräuchliche Berufung auf ein Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

Wer zunächst ein Urteil erstreitet, durch das rechtskräftig festgestellt wird, daß der Kläger nicht freier Mitarbeiter, sondern Arbeitnehmer ist, dann aber auf eigenen Wunsch mit dem Arbeitgeber einen Vertrag abschließt, durch den das Arbeitsverhältnis aufgehoben wird, um wieder als freier Mitarbeiter tätig zu werden, handelt rechtsmißbräuchlich, wenn er später erneut die Feststellung verlangt, ungeachtet des Aufhebungsvertrags habe ein Arbeitsverhältnis bestanden.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats:

"Rechtskräftiges Obsiegen des Arbeitnehmers im Statusprozeß; Aufhebung des Arbeitnehmerstatus auf Initiative des Arbeitnehmers, jahrzehntelange Fortsetzung der Zusammenarbeit als freie Mitarbeit, sodann erneute Berufung auf den Arbeitnehmerstatus - Rechtsmißbrauch."

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 30.08.1995; Aktenzeichen 2 Sa 578/95)

ArbG Köln (Entscheidung vom 21.02.1995; Aktenzeichen 1 Ca 5585/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht.

Der 1944 in Jordanien geborene Kläger ist seit Dezember 1976 ohne Unterbrechung im Arabischen Sprachdienst der Nah- und Mittelost-Redaktion der Beklagten als Interviewer, Sprecher, Übersetzer und - nach seiner Behauptung - auch als Moderator tätig. Diese Tätigkeit behandelten die Parteien als freie Mitarbeit. Der der IG Medien angehörende Kläger erhielt eine Vergütung nach den Vorschriften des Honorar-Tarifvertrags für freie Mitarbeiter auf der Basis von Einzelhonoraren je Arbeitseinsatz. Dem Umfang nach war der Kläger teilzeittätig.

1980 bezog der Kläger etwa 64.000,00 DM aus der Tätigkeit für die Beklagte, 1981 nur noch 42.000,00 DM. Der Rückgang der Honorareinnahmen veranlaßte den Kläger, am 5. Mai 1982 beim Arbeitsgericht Köln Klage zu erheben mit dem Antrag festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe. Das Arbeitsgericht Köln gab der Klage durch sein Urteil vom 28. September 1982 (- 1 Ca 4046/82 -) statt. Das Urteil wurde rechtskräftig. Die Beklagte bot dem Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 1983 an, rückwirkend ab Klageerhebung (5. Mai 1982) einen Arbeitsvertrag über eine Teilzeittätigkeit von 20 Wochenstunden als Übersetzer/Sprecher abzuschließen. Das Arbeitsverhältnis sollte den Bestimmungen der für Arbeitnehmer der Beklagten geltenden Tarifverträge unterliegen, insbesondere dem Manteltarifvertrag, dem Versorgungstarifvertrag und dem Vergütungstarifvertrag. Die Bezüge sollten sich nach der VergGr. V Stufe 3 richten; sie hätten zunächst 1.744,00 DM und ab 1. Juli 1982 1.806,00 DM brutto monatlich betragen. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß der angebotene Vertrag hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit und der Vergütungshöhe angemessen war. Der Kläger lehnte die Unterzeichnung eines entsprechenden, auf den 13. April 1983 datierten Arbeitsvertrags ab, da er nur ein Grundgehalt von 1.806,00 DM erreiche. Er bat die Beklagte, das bestehende Arbeitsverhältnis aufzuheben und mit ihm wieder in freier Mitarbeit zusammenzuarbeiten. Unter dem 7./8. Juli 1983 unterzeichneten die Parteien einen "Aufhebungsvertrag" mit folgendem Inhalt:

"Die Parteien stimmen überein, daß das gericht-

lich festgestellte Arbeitsverhältnis einvernehm-

lich ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum

05.05.1982 (Klageeinreichung) aufgehoben wird.

Die Vertragsparteien stellen sich gegenseitig von

allen durch das Arbeitsverhältnis begründeten

Rechten und Pflichten frei. Die seit 01.01.1983

- dem Zeitpunkt des Beginns regelmäßger Gehalts-

zahlungen - erbrachten Leistungen werden wie bis-

her nach dem Honorarrahmen abgegolten. Die Ge-

haltszahlungen werden als Abschlagszahlungen ge-

wertet und gegen die Honorarzahlungen aufgerech-

net. Die Zusammenarbeit zwischen Herrn T und

der D kann auf der Basis freier

Mitarbeit fortgesetzt werden."

Die Parteien verhielten sich in der Folgezeit so, als habe es zwischen ihnen nie ein Arbeitsverhältnis gegeben. Dementsprechend wurde der Kläger auch nicht in die betriebliche Altersversorgung aufgenommen; ebensowenig wurden Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Der Kläger erzielte weiterhin die höheren Honorareinnahmen für freie Mitarbeiter. Sie schwankten in den Jahren 1984 bis 1993 zwischen 57.000,00 DM und 88.000,00 DM. Zum großen Teil beruhten die Honorare darauf, daß die Beklagte die Mitarbeit des Klägers an Wochenendsendungen nach der Leistungsart 23 des Honorarrahmen-Tarifvertrags für freie Mitarbeiter als Moderatorentätigkeit ansah und vergütete. Mit ihrem Schreiben vom 15. Juli 1993 kündigte die Beklagte dem Kläger gem. Ziff. 5.2 des Tarifvertrags für arbeitnehmerähnliche Personen der D eine wesentliche Einschränkung seiner künftigen Tätigkeit an. Ab 23. Oktober 1993 wurde der Kläger nur noch als Sprecher bezahlt; dies hatte eine erhebliche Verringerung seiner Honorareinnahmen zur Folge.

Der Kläger hat geltend gemacht, der Aufhebungsvertrag stelle es den Parteien frei, ihre Zusammenarbeit auf der Basis des freien Dienstvertrags oder auf der eines Arbeitsvertrags fortzusetzen. Er, der Kläger, könne sich darauf stützen, nunmehr doch Arbeitnehmer der Beklagten zu sein, weil seit Abschluß des Aufhebungsvertrags wesentliche Tätigkeitsänderungen eingetreten seien.

Der Kläger hat - soweit für den in die Revision gelangten Teil des Rechtsstreits noch von Bedeutung - beantragt

festzustellen, daß zwischen den Parteien seit Ab-

schluß des Aufhebungsvertrages ein Arbeitsver-

hältnis bestanden habe.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat entgegnet: Die tatsächliche Zusammenarbeit habe sich nicht geändert. Wegen des Aufhebungsvertrags könne sich der Kläger nicht mehr darauf berufen, doch Arbeitnehmer der Beklagten geworden zu sein. Der Kläger setze sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, wenn er zunächst jahrelang das erheblich höhere Honorar für freie Mitarbeit entgegennehme, um sodann rückwirkend wieder Arbeitnehmerschutzrechte zu beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat - für die Revision nicht mehr von Bedeutung - festgestellt, daß das Rechtsverhältnis der Parteien durch zwischenzeitliche Kündigungen nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht. Den weitergehenden Antrag festzustellen, daß dieses Rechtsverhältnis ein Arbeitsverhältnis sei, hat es abgewiesen. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts haben beide Parteien Berufung eingelegt; das Landesarbeitsgericht hat beide Berufungen zurückgewiesen. Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts hat nur der Kläger Revision eingelegt. Mit ihr begehrt er die Feststellung, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der Kläger kann sich wegen Rechtsmißbrauchs (§ 242 BGB) gegenüber der Beklagten nicht darauf berufen, zu ihr in einem Arbeitsverhältnis gestanden zu haben. Rechtsmißbrauch liegt hier unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens vor. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewußt oder unbewußt eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen und das Vertrauen im Rechtsverkehr untergraben, wenn es erlaubt wäre, sich nach seinem Belieben mit seinen früheren Erklärungen und seinem früheren Verhalten derart in Widerspruch zu setzen. Das Verbot des Selbstwiderspruchs hindert Vertragsparteien auch daran, sich auf die Unwirksamkeit eines Vertrages zu berufen, den sie viele Jahre lang als rechtswirksam angesehen und beiderseits erfüllt haben (Soergel/Teichmann, 12. Aufl. 1990, § 242 BGB Rz 317 ff.; Erman/Werner, 9. Aufl. 1993, § 242 BGB Rz 79). Insbesondere ist das Vertrauen des anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Teils schutzwürdig, daß eine bestimmte Rechtslage gegeben sei, vor allem dann, wenn er von dem anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist (Roth in MünchKomm, 3. Aufl., § 242 BGB Rz 333). Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht es als rechtsmißbräuchlich angesehen, daß ein Hausgewerbetreibender zunächst seinem Auftraggeber versichert hatte, aus tatsächlichen Gründen nicht der Gleichstellung nach dem Heimarbeitsgesetz zu unterfallen, dann aber später unter Berufung auf seine Gleichstellung Nachforderungen gegen den Auftraggeber erhob (BAG Urteil vom 10. Juli 1969 - 5 AZR 489/68 - AP Nr. 6 zu § 2 HAG).

2. Die Voraussetzungen des Rechtsmißbrauchs liegen vor. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28. September 1982 - 1 Ca 4046/82 - zu dem Ergebnis gelangt ist, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Parteien wären durch das Urteil nicht gehindert gewesen, in tatsächlicher Hinsicht ihre Zusammenarbeit dahin zu ändern, daß kein Arbeitsverhältnis (mehr) vorlag. Dies haben die Parteien jedoch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht getan. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr festgestellt, daß der Kläger selbst zunächst vorgetragen hatte, die Zusammenarbeit habe sich nicht geändert, und daß er der Einlassung der Beklagten, dies treffe zu, ausdrücklich zugestimmt habe. Es hat sodann den nachfolgenden Vortrag des Klägers hinsichtlich einer Änderung der tatsächlichen Umstände der Zusammenarbeit als unsubstantiiert angesehen. Dem ist der Kläger zwar in der Revision mit Verfahrensrügen entgegengetreten. Diese Verfahrensrügen greifen jedoch nicht durch (§ 565 a ZPO).

a) Das widersprüchliche Verhalten des Klägers i.S.d. § 242 BGB liegt darin, auf seine Initiative hin mit der Beklagten am 7./8. Juli 1983 einen Vertrag geschlossen zu haben, durch den das rechtskräftig festgestellte Arbeitsverhältnis rückwirkend ab dem Tag der Klageerhebung "aufgehoben" werden sollte und die Parteien ihre Zusammenarbeit "auf der Basis freier Mitarbeit" fortsetzen wollten. Die Beklagte durfte hierauf zumindest für die Zukunft vertrauen. Die Initiative zu der vertraglichen Regelung ist nicht von ihr, sondern vom Kläger ausgegangen. Die Parteien haben dann über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren ihre Zusammenarbeit auf der Basis von Honorarverträgen fortgesetzt. Derartige Honorarverträge sind nur für Leistungen freier Mitarbeiter der Beklagten möglich, nicht aber dann, wenn die Arbeitsleistung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht worden ist. Der Kläger hat aus dieser Art der Zusammenarbeit erhebliche Vorteile gezogen; seine Bruttoeinnahmen lagen um ein Vielfaches über dem, was er bei gleichem Tätigkeitsaufwand als Arbeitnehmer der Beklagten hätte erzielen können.

b) Das Vertrauen der Beklagten, der Kläger werde ihr gegenüber nicht geltend machen, ihr Arbeitnehmer zu sein, verdient Schutz. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Kläger zunächst die Feststellung, im Arbeitsverhältnis zu stehen, gerichtlich erstritten hatte, sich die Beklagte sodann gegenüber dem Kläger urteilskonform verhielt und der Kläger, der im ersten arbeitsgerichtlichen Statusprozeß anwaltlich vertreten war, seinen Arbeitnehmerstatus vertraglich aufgehoben wissen wollte. Die Beklagte durfte sich auch darauf verlassen, daß der Kläger insoweit seine Einstellung dauerhaft geändert hatte. Denn es waren vorrangig finanzielle Gründe, die den Kläger hierzu bewogen haben. Als freier Mitarbeiter hatte er die Chance, erheblich höhere Verdienste zu erzielen als in einem Arbeitsverhältnis mit demselben Tätigkeitsumfang. Tatsächlich hat der Kläger als freier Mitarbeiter auch entsprechend hohe Einkünfte erzielt.

Griebeling Schliemann

Zugleich für den

wegen Urlaubs an

der Unterzeichnung

verhinderten Richter

Dr. Reinecke

Griebeling

Müller Rolf Steinmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 440473

BAGE 00, 00

BAGE, 11

BB 1997, 1592 (Leitsatz 1)

BB 1997, 1850-1851 (Leitsatz 1 und Gründe)

DB 1997, 1778 (Leitsatz 1)

NJW 1997, 2617

NJW 1997, 2617-2618 (Leitsatz und Gründe)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 131/97 (Leitsatz 1)

WiB 1997, 1040 (Leitsatz)

ARST 1997, 187 (Leitsatz 1)

NZA 1997, 817

NZA 1997, 817-818 (Leitsatz 1 und Gründe)

SAE 1998, 124

ZTR 1997, 379 (Leitsatz 1)

AP 00, Nr 00

AP, 0

ArbuR 1997, 288 (Leitsatz 1)

EzA-SD 1997, Nr 13, 12 (Leitsatz 1)

MDR 1997, 852

MDR 1997, 852 (Leitsatz und Gründe)

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