Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Betriebspartner können in einem Sozialplan vereinbaren, daß ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit einer Betriebsstillegung vorzeitig durch Eigenkündigung ausscheidet, eine niedrigere Abfindung erhält.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.09.1992; Aktenzeichen 18 Sa 743/92)

ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 15.04.1992; Aktenzeichen 3 Ca 196/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Abfindung aus dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 13./14. November 1991.

Der Kläger war seit dem 1. August 1983 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Einkaufsdisponent beschäftigt. Sein Bruttogehalt betrug zuletzt 5.980,-- DM im Monat. Im Laufe des Rechtsstreits wurde die Beklagte mit der früheren Arbeitgeberin des Klägers, der H GmbH verschmolzen.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten unterhielt in O die Betriebsstätten E und P , in denen Heimtierprodukte hergestellt wurden. Nachdem sie sich entschlossen hatte, zunächst zum 31. Dezember 1991 die Betriebsstätte E und sodann bis zum 30. Juni 1992 die Betriebsstätte in der P stillzulegen, vereinbarte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Betriebsrat am 13./14. November 1991 einen Interessenausgleich und Sozialplan, in dem hinsichtlich der Zahlung von Abfindungen u.a. geregelt ist:

"2. Abfindung

Alle Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis auf-

grund betriebsbedingter Kündigung bis spätestens

30.06.1992 endet, erhalten eine Abfindung im

Sinne des § 10 Kündigungsschutzgesetz. Diese un-

terliegt nicht der Sozialversicherung, ist steu-

erfrei (§ 3 Nr. 9 Einkommenssteuergesetz) im Rah-

men der steuerfreien Höchstbeträge und ist auf

das vom betroffenen Arbeitnehmer bezogene Ar-

beitslosengeld nicht anrechenbar (§ 117 AFG).

...

2.1. Abfindung bei Eigenkündigung

Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz wegfällt und die

mit Zustimmung des Arbeitgebers vor ihrem Kündi-

gungstermin durch Eigenkündigung ausscheiden, er-

halten die für sie errechnete Abfindung zur Hälf-

te."

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 14. November 1991 fristgemäß zum 31. März 1992. Danach fand am 5. Dezember 1991 zwischen den Parteien ein Gespräch über eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses statt, da dem Kläger außerhalb der Betriebe der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine anderweitige Beschäftigung angeboten worden war. Eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers kam nicht zustande. Mit Schreiben vom 6. Dezember 1991 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß er "laut Interessenausgleich und Sozialplan einen Abfindungsbetrag in Höhe von 36.288,23 DM" erhalten werde.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 1991 kündigte der zwischenzeitlich am Hauptsitz der Beklagten in B eingesetzte Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1991; zu diesem Zeitpunkt stellte er seine Tätigkeit ein. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten zahlte an den Kläger mit dem Dezembergehalt unter Bezugnahme auf Abschnitt B 2.1. des Interessenausgleichs und Sozialplans eine um die Hälfte gekürzte Abfindung von 18.144,12 DM.

Mit seiner Klage vom 21. Januar 1992 begehrt der Kläger die Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrags von 18.144,11 DM. Er ist der Auffassung, ihm stehe der volle Abfindungsbetrag aus dem Interessenausgleich und Sozialplan zu, da die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit ihrer Kündigung vom 14. November 1991 die Voraussetzungen für die Zahlung der vollen Abfindung bereits erfüllt habe; eine nachträgliche Reduzierung der Abfindung sei nicht möglich. Außerdem habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Schreiben vom 6. Dezember 1991 die Auszahlung der vollen Abfindung in Höhe von 36.288,23 DM bestätigt und damit ein bindendes Schuldanerkenntnis abgegeben. Ferner sei das Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten insoweit treuwidrig gewesen, als sie ihn im Gespräch am 5. Dezember 1991 praktisch zu einer Eigenkündigung gezwungen und dadurch erhebliche weitere Gehaltskosten eingespart habe. Ohne seine Kündigung zum 31. Dezember 1991 wäre die finanzielle Belastung der Beklagten erheblich höher gewesen. Hinzukomme, daß er nach dem Interessenausgleich und Sozialplan ab 31. Dezember 1991 sowieso freizustellen gewesen wäre, da er nicht zu Aufräumarbeiten, sondern zu anderen Arbeiten im Hauptbetrieb der jetzigen Beklagten in B eingesetzt worden sei. Schließlich sei der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, da der Leiter der Buchhaltung S und der Produktionsleiter V mit Rücksicht auf ihr vorzeitiges Ausscheiden Abfindungen von jeweils 100.000,-- DM erhalten hätten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine restli-

che Abfindung in Höhe von 18.144,11 DM brutto zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, aufgrund seiner Eigenkündigung - bei der er die Kündigungsfrist nicht eingehalten habe - habe der Kläger nach Abschnitt B 2.1. des Interessenausgleichs und Sozialplans allenfalls einen Anspruch auf die Hälfte der Abfindung. Sinn der Sozialplanregelung sei es gewesen, eine geordnete Betriebsstillegung zu gewährleisten; dazu sei die weitere Tätigkeit des Klägers bis zu seinem regulären Kündigungstermin erforderlich gewesen. Ein treuwidriges Verhalten könne ihr nicht vorgeworfen werden. Auch die Tätigkeiten des Klägers in Bielefeld seien wegen der schon beabsichtigten Verschmelzung als "Aufräumarbeiten" anzusehen. Mit Zustimmung des Arbeitgebers vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidende Arbeitnehmer sollten wegen der zu erwartenden weniger gravierenden wirtschaftlichen Nachteile auch nur eine reduzierte Abfindungszahlung erhalten. Die um die Hälfte herabgesetzte Abfindung stelle noch eine ausreichende Entschädigung für den langjährigen Besitzstand dar. Die Mitarbeiter S und V , die seit 32 bzw. 35 Jahren beschäftigt waren und lange Kündigungsfristen sowie vergleichsweise hohe Gehälter gehabt hätten, seien mit dem Kläger nicht vergleichbar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur vollen Abfindungszahlung verurteilt. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Wiederherstellung des Ersturteils. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die zweite Hälfte des vollen Abfindungsbetrags aus dem Interessenausgleich und Sozialplan vom 13./14. November 1991 nicht zu. Die Abfindung ist in Höhe von 18.144,12 DM zutreffend errechnet und an den Kläger ausbezahlt worden.

1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht zunächst ausgeführt, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht aus dem Wortlaut des Interessenausgleichs und Sozialplans hergeleitet werden kann. Danach haben Anspruch auf die volle Abfindungszahlung nur die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis aufgrund betriebsbedingter Kündigung durch den Arbeitgeber bis spätestens 30. Juni 1992 endet. Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz wegfällt und die mit Zustimmung des Arbeitgebers vor ihrem Kündigungstermin durch Eigenkündigung ausscheiden, erhalten die für sie errechnete Abfindung nur zur Hälfte. Nach dieser Regelung hat der Kläger allenfalls einen Anspruch auf Zahlung der halben Sozialplanabfindung, weil er mit seiner eigenen Kündigung vom 17. Dezember 1991 zum 31. Dezember 1991 vor seinem Kündigungstermin, dem 31. März 1992, also rechtzeitig ausgeschieden ist.

2. Dem Landesarbeitsgericht kann aber insoweit nicht gefolgt werden, als es annimmt, die Kürzung der Abfindung in Abschnitt B 2.1. des Interessenausgleichs und Sozialplans für den Fall der vorzeitigen arbeitnehmerseitigen Eigenkündigung verstoße gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und sei daher unwirksam.

Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Der wichtigste Unterfall der Behandlung nach Recht und Billigkeit ist dabei der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz.

Bei der Regelung eines Sozialplans haben die Betriebsparteien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen weiten Regelungsspielraum. Sie sind bei Abschluß eines Sozialplans grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, welche Nachteile, die der Verlust eines Arbeitsplatzes mit sich bringt, durch eine Abfindung ausgeglichen werden sollen (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 80/90 - AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972). Die Betriebsparteien dürfen nach der Schwere der möglichen Nachteile und deren Vermeidbarkeit differenzieren. Der Inhalt des Sozialplans muß aber immer dem Normzweck von § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechen, die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder doch zu mildern, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Mit einem begrenzten Sozialplanvolumen soll den von der Betriebsstillegung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt werden (BAG Urteil vom 28. Oktober 1992 - 10 AZR 129/92 - AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972). Dieser Überbrückungshilfe bedarf auch ein Arbeitnehmer, der selber kündigt, weil er einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat, da er alle Anwartschaften beim bisherigen Arbeitgeber verliert und beim neuen Arbeitgeber zunächst keinen Kündigungsschutz hat (BAG Urteil vom 15. Januar 1991, aaO).

Nach diesen Grundsätzen verstößt der Interessenausgleich und Sozialplan vom 13./14. November 1991 nicht gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Arbeitnehmer, die durch Eigenkündigung ausscheiden, werden nicht generell von der Zahlung einer Sozialplanabfindung ausgeschlossen. Ein Verstoß gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann daher nicht bereits - wie im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1991 (aaO) - mit einem generellen Ausschluß von Sozialplanleistungen bei Eigenkündigung begründet werden.

Die Regelung in Abschnitt B 2.1. des Interessenausgleichs und Sozialplans, wonach die errechnete Abfindung nur zur Hälfte zu zahlen ist, wenn der Arbeitnehmer durch Eigenkündigung vor seinem Kündigungstermin mit Zustimmung des Arbeitgebers ausscheidet, ist nicht zu beanstanden. Damit wollten die Betriebsparteien zum einen - wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat - einen geordneten Ablauf der Betriebsstillegung gewährleisten und zum anderen dem Umstand Rechnung tragen, daß Arbeitnehmer, die durch Eigenkündigungen vor Ablauf ihrer Kündigungsfrist ausscheiden, in der Regel einen neuen Arbeitsplatz haben werden und die wirtschaftlichen Nachteile aufgrund der Betriebsstillegung bei ihnen daher weniger einschneidend sind. Diese Regelung ist sachlich begründet und daher wirksam. Sie sieht auch für die Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, eine Überbrückungshilfe im Hinblick auf die verlorenen Anwartschaften und den geminderten Bestandsschutz vor; dadurch, daß diese Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe der Hälfte der normalen Sozialplanabfindung erhalten, orientiert sich diese Regelung an den aufgrund der Betriebsstillegung zu erwartenden Nachteilen und verstößt somit - jedenfalls in der vorliegenden Ausgestaltung - nicht gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Von der Halbierung der Abfindungssumme werden nur diejenigen Arbeitnehmer betroffen, die vor ihrem Kündigungstermin - also vorzeitig - durch Eigenkündigung ausscheiden.

3. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ergibt sich der Anspruch des Klägers auch nicht aus einem selbständigen Schuldanerkenntnis der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Das Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 6. Dezember 1991, wonach der Kläger laut Interessenausgleich und Sozialplan einen Abfindungsbetrag in Höhe von 36.288,23 DM erhält, kann nicht als selbständiges Schuldanerkenntnis ausgelegt werden. Auch vom Empfängerhorizont her ist es nicht so zu verstehen, daß die Beklagte damit - ohne Rücksicht auf die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - die Zahlung der vollen Sozialplanabfindung zusagen wollte, zumal ihr am 6. Dezember ein vorzeitiges Ausscheiden des Klägers noch nicht bekannt war. Die Beklagte nahm ausdrücklich auf den Interessenausgleich und Sozialplan Bezug, womit auch für den Kläger deutlich war, daß sie nur das bestätigte, was nach dem Sozialplan nach dem Stand vom 6. Dezember zu zahlen war.

4. Der Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus einem Verstoß gegen Treu und Glauben. Allein durch die Verweigerung einer einvernehmlichen Vertragsauflösung zum 31. Dezember 1991 in dem Gespräch am 5. Dezember 1991 läßt sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht begründen. Auch der Einsatz des Klägers in B verstieß nicht gegen Treu und Glauben, sondern entsprach dem Arbeitsvertrag, wonach sich die Verpflichtung des Klägers, seine Arbeitskraft und -zeit ausschließlich und in vollem Umfang der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu widmen, auch auf die Unternehmen erstreckte, die zu dieser in keinem Gesellschaftsverhältnis stehen.

5. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, kann der Kläger den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zu den Mitarbeitern S und V stützen; insoweit ist das Vorliegen vergleichbarer Sachverhalte nicht dargetan.

6. Die Voraussetzungen für die Zahlung der vollen Sozialplanabfindung sind nicht bereits durch das Kündigungsschreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 14. November 1991 erfüllt worden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht durch die Kündigung vom 14. November 1991 mit dem 31. März 1992 beendet worden, sondern durch die Kündigung des Klägers vom 17. Dezember 1991 mit dem 31. Dezember 1991.

Nach allem steht dem Kläger mehr als die halbe Abfindung nicht zu, so daß die Klage abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Matthes Dr. Freitag Hauck

Femppel Holze

 

Fundstellen

Haufe-Index 436641

BAGE 74, 62-68 (LT1)

BAGE, 62

BB 1994, 359

BB 1994, 359-360 (LT1)

DB 1994, 102 (LT1)

DStR 1994, 404-404 (K)

NJW 1994, 1365

NJW 1994, 1365 (L)

EBE/BAG 1993, 191-192 (LT1)

AiB 1994, 319 (LT1)

BetrR 1994, 14-16 (LT1)

BetrVG, (12) (LT1)

WiB 1994, 516-517 (LT)

NZA 1994, 139

NZA 1994, 139-140 (LT1)

ZIP 1993, 1808

ZIP 1993, 1808-1810 (LT1)

AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 71

AR-Blattei, ES 1470 Nr 51 (LT1)

EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 70 (LT1)

MDR 1994, 926-927 (LT)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge