Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung eines schwerbehinderten Auszubildenden

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Auszubildenden bedarf der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle.

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 11.03.1987; Aktenzeichen 7 Sa 1164/86)

ArbG Köln (Entscheidung vom 19.08.1986; Aktenzeichen 15 Ca 3249/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer gegenüber einer schwerbehinderten Auszubildenden wegen der Entwendung eines Barbetrags in Höhe von 60,-- DM ausgesprochenen fristlosen Kündigung.

Die Klägerin stand seit 1. September 1984 auf der Grundlage des Ausbildungsvertrags vom 24. September 1984 bei der Beklagten in Ausbildung zum "Bürokaufmann". Die Beklagte ist eine Einkaufsgenossenschaft. Sie hat ein Büro mit zwei Angestellten. Die Ausbildung sollte bis zum 31. März 1987 dauern. Laut Bescheid des Versorgungsamtes Köln vom 4. März 1983 wurde bei der Klägerin aufgrund von "1. Diabetes mellitus. 2. Hypothyreose. 3. Rez. Kniegelenkergüsse li." ein Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 % festgestellt. Am 27. März 1986 entwendete die Klägerin aus der Schreibtischschublade einer Angestellten einen Barbetrag in Höhe von 60,-- DM. Zur Rede gestellt gab die Klägerin dies zu und unterschrieb wegen des Vorfalls eine schriftliche Bestätigung. Mit Schreiben vom 7. April 1986 erklärte die Beklagte der Klägerin gegenüber die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses mit sofortiger Wirkung. In ihrer am 22. April 1986 erhobenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin darauf hingewiesen, sie sei zu 60 % schwerbehindert. Die Beklagte hatte es unterlassen, zu der Kündigung die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle einzuholen. Unter dem 28. April 1986 schrieb die Beklagte an die Hauptfürsorgestelle. Diese hat das Schreiben als einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung angesehen und ihn mit Bescheid vom 6. Mai 1986 mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe damit die Frist des § 18 Abs. 2 SchwbG (a.F.) versäumt. Die Beklagte hat Widerspruch eingelegt, der Widerspruchsausschuß das Verfahren ausgesetzt. Der ebenfalls angerufene Schlichtungsausschuß bei der Industrie- und Handelskammer Köln hat durch Spruch vom 23. Juni 1986 erklärt, er halte die Kündigung für rechtsunwirksam, weil die notwendige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht erfolgt und das Kündigungsschreiben formell unzureichend sei.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Schwerbehinderteneigenschaft sei der Beklagten bekannt gewesen. Ihr Vater habe dem Geschäftsführer im November 1984 mitgeteilt, sie sei 50 % schwerbehindert und es sei mit einer Erhöhung auf 60 % zu rechnen. Der Geschäftsführer habe ihr erklärt, er werde sich eine entsprechende Notiz in der Akte machen. Außerdem sei ihre Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig gewesen. Sie habe mehrmals täglich an ihrer Arbeitsstelle Insulin spritzen und sich auch bei ihrer Ernährung entsprechend einstellen müssen. Den Diebstahl habe sie in einem Zustand der sogenannten Hypoglykämie, d.h. der Unterzuckerung, begangen. Ursache sei wahrscheinlich die an dem fraglichen Tag nicht konsequente Einhaltung der Diät gewesen. Dieser Zustand führe beim Diabetiker zu Verhaltensstörungen, er könne sein Verhalten nicht ändern, obwohl ihm klar sei, was er tue. Nach Behebung der Hypoglykämie könne er sich an nichts mehr erinnern. Die Klägerin hat Zahlung der monatlichen Ausbildungsvergütung von 643,-- DM für April bis Juni abzüglich erhaltener 204,17 DM netto für April begehrt und beantragt

1. festzustellen, daß das Ausbildungsverhältnis

zwischen den Parteien durch die

mit Schreiben vom 7. April 1986 ausgesprochene

fristlose Kündigung nicht beendet

ist, sondern fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

1.929,-- DM brutto abzüglich gezahlter

204,17 DM netto nebst 4 % Zinsen

seit Rechtshängigkeit sowie 156,-- DM

vermögenswirksame Leistung zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin

zu unveränderten Arbeitsbedingungen

weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, aufgrund des Diebstahls sei ihr die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses mit der Klägerin unzumutbar geworden. Von der Schwerbehinderung habe sie erst nach der Kündigung am 17. April 1986 in einem Telefonat mit dem Vater der Klägerin erfahren. Dem damaligen und inzwischen verstorbenen Geschäftsführer der Beklagten R habe die Klägerin ihre Schwerbehinderteneigenschaft nicht mitgeteilt. Diese sei auch nicht offenkundig gewesen. Den Angestellten sei nicht aufgefallen, daß die Klägerin Insulin gespritzt habe. Diese habe vielmehr jeden Tag in erheblichem Umfang Coca-Cola, Fritten und Süßigkeiten zu sich genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen Fehlens der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle durch Urteil vom 19. August 1986 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

A. Die Klage ist zulässig.

Zwar ist das nach § 111 Abs. 2 ArbGG vorgesehene Verfahren vor dem zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden gebildeten Ausschuß erst nach Klageerhebung vom 22. April 1986 am 23. Juni 1986 durchgeführt worden. Mit der Erledigung dieses Verfahrens vor der streitigen Verhandlung am 19. August 1986 wurde die Klage aber nachträglich zulässig (Senatsurteil vom 25. November 1976 - 2 AZR 751/75 - AP Nr. 4 zu § 15 BBiG).

B. Den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung hat der Senat nicht folgen können. Die Kündigung ist nach den §§ 12 ff. SchwbG 1979 in Verbindung mit § 134 BGB rechtsunwirksam.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Schwerbehindertengesetz sei auf die Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses nicht anzuwenden, ist rechtsfehlerhaft.

I. Zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung galt das Schwerbehindertengesetz in der Fassung vom 8. Oktober 1979 (SchwbG 1979). Das am 1. August 1986 in Kraft getretene Schwerbehindertengesetz in der Fassung vom 26. August 1986 (BGBl. I, S. 1421, ber. BGBl. I, S. 1550) hat an den hier maßgeblichen Vorschriften inhaltlich nichts geändert. § 12 SchwbG 1979 ist wortgleich mit § 15 SchwbG 1986. Dasselbe gilt mit Ausnahme der Verweisung auf § 16 für das Verhältnis zwischen § 18 Abs. 1 und 2 SchwbG 1979 und § 21 Abs. 1 und 2 SchwbG 1986. Inhaltlich - soweit im Streitfall von Bedeutung - auch nicht geändert haben sich die außerdem einschlägigen § 17 Abs. 1 in Verb. mit § 6 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 und § 6 Abs. 1 SchwbG 1979, die nun § 20 Abs. 1 Nr. 2 in Verb. mit § 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 und § 7 Abs. 1 SchwbG 1986 entsprechen.

Nach §§ 12, 18 Abs. 1 SchwbG 1979 bedurfte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle.

II. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, Berufsausbildungsverhältnisse seien nach fachlichem Sprachgebrauch keine Arbeitsverhältnisse. Bei ihnen sei nicht die Leistung von Arbeit das Wesentliche, sondern die Ausbildung. Auch das Schwerbehindertengesetz sehe Auszubildende als eine besondere Gruppe an und nicht als eine Untergruppe der Arbeiter und Angestellten. Es definiere zwar in § 6 Abs. 1 SchwbG die Stellen, auf denen Auszubildende beschäftigt würden, auch als Arbeitsplätze. Das geschehe aber nur zum Zwecke der Bestimmung des Umfangs der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers im zweiten Abschnitt des Gesetzes. Hieraus den Schluß zu ziehen, das Schwerbehindertengesetz habe entgegen dem fachlichen Sprachgebrauch auch Berufsausbildungsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse verstanden, sei zwingend nicht möglich. Auch aus dem Sinn und Zweck des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte im vierten Abschnitt des Gesetzes lasse sich dies nicht entnehmen. Der Sinn und Zweck sage nichts darüber aus, in welchem Umfang er verwirklicht werden solle. Dies bedürfe der Festlegung durch den Wortlaut des Gesetzes. Dabei müsse bei einer Regelung wie in § 12 SchwbG der Wortlaut aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit besonders klar sein. § 12 SchwbG beschränke sich aber klar und eindeutig auf Arbeitsverhältnisse.

III. Diese rein begriffliche Auslegung greift zu kurz.

1. Da die Begriffe in den einzelnen Gesetzen zum jeweiligen Normsinn in Beziehung zu setzen sind, ist es verfehlt, den Begriff Ausbildungsverhältnis als den verschiedenen Gesetzen übergeordnet definieren zu wollen. Vielmehr ist die Frage, ob die Elemente des Arbeitsverhältnisses oder des Erziehungsverhältnisses überwiegen, nicht einheitlich, sondern im Hinblick auf die jeweilige Rechtsfrage und den Zweck des Gesetzes, um dessen Anwendung auf den schwerbehinderten Auszubildenden es geht, zu entscheiden (Urteil des Senates vom 29. November 1984 - 2 AZR 354/83 - AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969 = EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 19). So ist anerkannt, daß § 9 MuSchG auf Ausbildungsverhältnisse Anwendung findet (BVerwG Urteil vom 26. August 1970 - V C 1.68 - AP Nr. 32 zu § 9 MuSchG). Ebenso ist entschieden, daß Auszubildende an Warnstreiks zu Verhandlungen über Ausbildungsvergütung teilnehmen dürfen (BAG Urteil vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 - AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter B III 2 b der Gründe und Urteil vom 29. Januar 1985 - 1 AZR 179/84 - AP Nr. 83, aaO, unter B 2 der Gründe).

2. Das Schwerbehindertengesetz 1979 regelte (wie nunmehr das Schwerbehindertengesetz 1986 in den §§ 15 bis 22) seinen persönlichen Anwendungsbereich selbst. Der besondere Kündigungsschutz war im vierten Abschnitt (§§ 12 bis 19) normiert. Nach § 17 Abs. 1 SchwbG 1979 galten die Vorschriften dieses Abschnitts nicht für Schwerbehinderte, die auf Stellen im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 SchwbG beschäftigt waren. Dort waren Ausbildungsplätze nicht genannt. Dagegen waren nach § 6 Abs. 1 SchwbG 1979 Arbeitsplätze im Sinne des Gesetzes auch die Stellen, auf denen Auszubildende beschäftigt wurden. § 6 Abs. 1 SchwbG 1979 auf den zweiten Abschnitt, der die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers regelte, zu beschränken, ist nicht angängig, denn diese Vorschrift definierte die Arbeitsplätze im Sinne "dieses Gesetzes", nicht etwa dieses Abschnitts. Andererseits wurden durch § 17 SchwbG nur die in § 6 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 SchwbG genannten Stellen vom vierten Abschnitt über den Kündigungsschutz ausgenommen, nicht aber die in § 6 Abs. 1 genannten Stellen der Auszubildenden. Bei den in § 6 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 SchwbG genannten Stellen, die nach § 17 SchwbG vom Kündigungsschutz der §§ 12 ff. SchwbG ausgenommen waren, handelte es sich auch in erster Linie um Dienstverhältnisse, die nicht als Arbeitsverhältnisse charakterisiert werden können. Weil die in § 17 SchwbG aufgezählten Ausnahmen abschließend waren (vgl. KR-Etzel, 2. Aufl., §§ 12 - 17 SchwbG Rz 32), mußte der Begriff Arbeitsverhältnis in § 12 SchwbG die Rechtsverhältnisse von Auszubildenden im Sinne von § 6 Abs. 1 SchwbG umfassen. Bereits bei einer Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs zwischen den §§ 6 und 17 SchwbG 1979 hätte das Berufungsgericht daher zu dem Ergebnis kommen müssen, daß auch die Kündigung eines schwerbehinderten Auszubildenden der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bedarf.

Auch aus dem Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes - Eingliederung Schwerbehinderter in das Arbeitsleben, Schutz vor ungerechtfertigtem Verlust des Arbeitsplatzes und Schutz des Schwerbehinderten im Arbeitsverhältnis durch gesteigerte Fürsorgepflicht - ergeben sich keine Anhaltspunkte, Auszubildende hiervon auszuschließen (ebenso ArbG Wilhelmshaven Urteile vom 17. November 1977 - 2 Ca 796/77 - Entscheidungssammlung zum Berufsbildungsrecht EzB Nr. 1 zu § 12 SchwbG und vom 22. Dezember 1977 - 1 Ca 899/77 - EzB Nr. 1 zu § 18 SchwbG; bestätigt nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch Beschluß des LAG Niedersachsen vom 8. November 1978 - 4 Sa 13/78 - EzB Nr. 2 zu § 18 SchwbG; Wilrodt/Neumann, SchwBeschG, 3. Aufl., § 6 Rz 22; Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 17, Rz 6; Jung/Cramer, SchwbG, 3. Aufl., Einführung V und § 15 Rz 6; Thieler, SchwbG 1987, § 20 SchwbG Rz 1; h.L. auch schon für das Schwerbeschädigtengesetz: vgl. Gröninger, SchwBeschG 1961, § 6 Anm. 4).

3. Auch wer wie das Landesarbeitsgericht das Schwerbehindertengesetz nicht unmittelbar für anwendbar hält, gelangt über § 3 Abs. 2 BBiG zumindest zur mittelbaren Anwendung von §§ 12 ff. SchwbG 1979 auf Berufsausbildungsverträge (so auch LAG Berlin Urteil vom 1. Juli 1985 - 9 Sa 28/85 - Berufliche Bildung vor Gericht (BBvG) § 15 Abs. 2 BBiG - 1. Juli 1985; Neubert/Becke, SchwbG, 2. Aufl., § 15 Rz 2; Wiegand, SchwbG, Stand März 1987, § 12 Rz 16; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S. 116). Danach sind auf den Berufsausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und dem Berufsbildungsgesetz nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsgrundsätze und Rechtsvorschriften anzuwenden. Der Auffassung des Berufungsgerichts, § 3 Abs. 2 BBiG käme - weil im Abschnitt "Begründung des Berufsausbildungsverhältnisses" genannt - auf Fragen der Beendigung nicht zur Anwendung, kann nicht gefolgt werden. § 3 Abs. 2 BBiG erklärt die für den Arbeitsvertrag geltenden Vorschriften auf den Ausbildungsvertrag, nicht nur dessen Begründung für anwendbar. Nach dem Bericht des Ausschusses für Arbeit (BT-Drucks. V/4260, S. 5) hat damit sichergestellt werden sollen, daß die für Arbeitsverhältnisse geltenden Rechtsvorschriften und die von Lehre und Rechtsprechung erarbeiteten Rechtsgrundsätze, die schon damals auf das Berufsausbildungsverhältnis angewandt wurden, auch in Zukunft anwendbar sind, soweit dies nicht dessen Wesen und Zweck oder die Vorschriften des zweiten Teils des Entwurfs ausschließen. Auch soweit arbeitsrechtliche Rechtsvorschriften bestehen, die das Berufsausbildungsverhältnis wie beispielsweise das Kündigungsschutzgesetz nicht ausdrücklich einbeziehen, soll deren Anwendung sichergestellt sein (BT-Drucks. V/4260, S. 6).

4. Der besondere Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 SchwbG 1979 greift im Streitfall zugunsten der Klägerin ein, unabhängig davon, ob die Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung von der Schwerbehinderung der Klägerin wußte oder nicht. Das Schwerbehindertengesetz knüpft an den objektiven Tatbestand der Schwerbehinderteneigenschaft an. Diese war ausweislich des Bescheids des Versorgungsamtes Köln vom 4. März 1983 festgestellt. Die Klägerin hat sich innerhalb angemessener, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 39, 59 = AP Nr. 4 zu § 18 SchwbG; BAGE 30, 141 = AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG; Urteil vom 19. April 1979 - 2 AZR 469/78 - AP Nr. 5 zu § 12 SchwbG; BAGE 41, 281 = AP Nr. 9 zu § 12 SchwbG) in aller Regel mit einem Monat anzunehmender Frist auf ihre bereits festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Das Kündigungsschreiben vom 7. April 1986 ist der Klägerin am 8. April 1986 zugegangen. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, der Vater der Klägerin habe sie am 17. April 1986 telefonisch über deren Schwerbehinderung informiert. Darüberhinaus hat sie sich in der am 30. April 1986 zugestellten Klageschrift vom 22. April 1986 auf ihre Schwerbehinderung berufen.

Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin gehalten gewesen wäre, die Beklagte früher zu unterrichten (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1985 - 7 AZR 373/83 - AP Nr. 14 zu § 12 SchwbG), sind nicht ersichtlich. Wenn in der Praxis davon auszugehen ist, daß die Berufung auf die Schwerbehinderteneigenschaft oft in der Klageschrift erfolgt, die bei vollständiger Ausnutzung der dreiwöchigen Klagefrist dem Arbeitgeber regelmäßig erst in der vierten Woche nach Zugang der Kündigung zugestellt wird (BAGE 41, 281, unter II 1 der Gründe), waren sowohl die telefonische Mitteilung vom 17. April 1986 (neun Tage nach Zugang), als auch die Mitteilung in der drei Wochen und einen Tag nach Zugang der Kündigung zugestellten Klageschrift auf jeden Fall fristgemäß.

Das von der Hauptfürsorgestelle aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 28. April 1986 eingeleitete Verfahren bleibt auf den Streitfall ohne rechtlichen Einfluß. Soweit die Revision die Einholung der Zustimmung noch nachträglich für möglich hält, kann dem nicht gefolgt werden. Einer nachträglichen Zustimmung steht der klare Wortlaut des § 12 SchwbG 1979 entgegen (vorherige Zustimmung). Beruft sich der Arbeitnehmer in der Regelfrist von einem Monat auf seine Schwerbehinderteneigenschaft (und weist diese erforderlichenfalls nach), steht fest, daß vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle hätte eingeholt werden müssen und die Kündigung ohne vorherige Zustimmung nach Maßgabe der §§ 12 ff. SchwbG 1979 in Verb. mit § 134 BGB unwirksam ist (BAG Urteil vom 14. Mai 1982, BAGE 39, 59 = AP, aaO; BAGE 30, 141 = AP, aaO). Die fehlende Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hat nur dazu geführt, daß die Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 SchwbG 1979 erst vom Zeitpunkt der Kenntnis an zu laufen begonnen hat. Zu den für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen gehört auch die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers (außer BAG, aaO, auch KR-Etzel, aaO, §§ 12 - 17 SchwbG Rz 30; Thieler, aaO, § 21 Rz 7; Neubert/Becke, SchwbG, 2. Aufl., § 21 Rz 6). Der Arbeitgeber konnte deshalb vorliegend innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung der bereits festgestellten Schwerbehinderteneigenschaft die Zustimmung zu einer künftigen Kündigung beantragen. Eine Heilung der bereits ausgesprochenen Kündigung durch einen nachträglichen Antrag ist aber nicht möglich.

C. Dementsprechend war auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Dr. Harder Dr. Bobke

 

Fundstellen

Haufe-Index 437854

BAGE 57, 136-144 (LT1)

BAGE, 136

DB 1988, 1069-1070 (LT1)

SteuerBriefe 1989, 82-82 (K)

AiB 1988, 195-195 (LT1)

EzB SchwbG § 12, Nr 3 (LT1)

ARST 1988, 88-89 (LT1)

JR 1988, 396

JR 1988, 396 (S1)

NZA 1988, 428-429 (LT1)

RdA 1988, 128

RzK, IV 8c Nr 13 (LT1)

AP § 18 SchwbG (LT1), Nr 11

AR-Blattei, ES 1440 Nr 93 (LT1)

AR-Blattei, Schwerbehinderte Entsch 93 (LT1)

EzA § 18 SchwbG, Nr 8 (LT1)

VR 1988, 334 (S)

ZfSH/SGB 1988, 302-304

br 1988, 89-90 (LT1)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge