Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsanspruch. Krankheit des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat der Arbeitgeber den Urlaubszeitpunkt bestimmt und erkrankt der Arbeitnehmer vor Urlaubsantritt oder während des Urlaubs arbeitsunfähig, so entfällt dadurch nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Urlaub zu erteilen, wenn der Arbeitnehmer wieder zur Erfüllung seiner Arbeitspflicht in der Lage und der Urlaubsanspruch noch nicht durch Fristablauf erloschen ist.

 

Orientierungssatz

Auslegung des § 8 Abs 4 des Bundesrahmentarifvertrages für die Apothekenmitarbeiter in der Fassung vom 23.1.1983.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG § 9; BGB § 275; BUrlG § 13; BGB § 300 Abs. 2, § 242 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.10.1985; Aktenzeichen 13 Sa 1193/85)

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 27.06.1985; Aktenzeichen 4 Ca 577/85)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Apothekerin beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft Vereinbarung der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter (BRTV) anzuwenden.

§ 8 Abs. 4 BRTV i. d. F. vom 23. Januar 1983 lautet:

"Lassen besondere Umstände des Betriebs ausnahms-

weise die Verwirklichung des Urlaubs nicht zu, so

ist der Urlaub auf das nächste Jahr zu übertragen.

Im Falle der Übertragung muß der Urlaub in den

ersten 3 Monaten des folgenden Kalenderjahres

gewährt und genommen werden. Ist auch die Über-

tragung nicht mehr möglich, so ist jeder Urlaubs-

tag mit 1/25 des monatlichen Bruttogehaltes abzu-

gelten."

Die Klägerin war während des ganzen Jahres 1984 bei der Beklagten tätig. Die Parteien hatten vereinbart, daß aus betrieblichen Gründen der Resturlaub der Klägerin für das Jahr 1984 vom 29. Dezember 1984 bis zum 6. Januar 1985 gewährt werden sollte. Ab 7. Januar 1985 sollte die Mutterschutzfrist der Klägerin beginnen. Am 2. Januar 1985 wurde die Klägerin arbeitsunfähig krank. Die Niederkunft der Klägerin war am 8. Februar 1985.

Die Beklagte hat sich geweigert, der Klägerin Abgeltung für vier Urlaubstage in Höhe von 640,-- DM zu gewähren, die sie wegen ihrer Krankheit nicht hat nehmen können.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 640,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit 7. Mai 1985 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin den von ihr als Abgeltung begehrten Betrag zu zahlen.

1. Der Klägerin hat für das Kalenderjahr 1984 vor dem 29. Dezember 1984 noch ein Resturlaubsanspruch von sechs Arbeitstagen zugestanden. Hiervon hat sie am 29. und 30. Dezember 1984 zwei Urlaubstage erhalten. Im übrigen ist der Anspruch nach § 8 Abs. 4 Satz 1 BRTV auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen.

Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 BRTV ist der Urlaub auf das nächste Jahr zu übertragen, wenn besondere Umstände des Betriebs ausnahmsweise die Verwirklichung des Urlaubs nicht zulassen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift besteht zwischen den Parteien kein Streit. Damit bedarf es keiner Erwägung des Senats, ob rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vorschrift wegen der darin möglicherweise enthaltenen Beschränkung der Übertragung des Urlaubsanspruchs bestehen (vgl. dazu die Senatsentscheidung vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist durch die Festlegung des Urlaubs auf die Zeit vom 2. bis zum 6. Januar 1985 in seinem Bestand nicht etwa deshalb berührt worden, weil die Klägerin am 2. Januar 1985 arbeitsunfähig krank geworden ist.

Erteilt der Arbeitgeber den Urlaub im Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum und erkrankt der Arbeitnehmer arbeitsunfähig vor Urlaubsantritt oder noch während des Urlaubs, wird die Urlaubserfüllung zwar unmöglich. Die Bestimmung des Urlaubszeitpunkts durch den Arbeitgeber führt indes nicht zur Beschränkung seiner Pflicht zur Erteilung des Urlaubs und bei Unmöglichkeit der Leistung zu deren Untergang, wie dies z. B. in § 243 Abs. 2, § 275 und § 300 Abs. 2 BGB vorgesehen ist. Vielmehr kann die Erfüllung des Urlaubsanspruchs zeitlich innerhalb der gesetzlichen oder tariflichen Befristung nachgefordert werden, gleichgültig, ob der Arbeitnehmer im Urlaub erkrankt war (§ 9 BUrlG) oder den Urlaub nicht hat antreten können.

Hier war die Klägerin während ihres Urlaubs erkrankt. Ihr Urlaubsanspruch bestand damit jedenfalls bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März 1985 nach § 8 Abs. 4 Satz 2 BRTV. Daß sie während dieser Zeit wegen der Mutterschutzfristen gehindert war, den Urlaub zu nehmen, ändert am Bestehen des Anspruchs nichts.

3. Da die Klägerin den Urlaubsanspruch von vier Arbeitstagen nicht bis zum Ende des Übertragungszeitraums verwirklichen konnte, ist er nach § 8 Abs. 4 Satz 3 BRTV mit 1/25 des monatlichen Bruttogehalts für jeden Urlaubstag abzugelten.

Nach § 8 Abs. 4 Satz 3 BRTV ist der Urlaub abzugelten, wenn "auch die Übertragung nicht mehr möglich" ist.

Das Landesarbeitsgericht hat hierzu angenommen, daß der Tarifvertrag nur so verstanden werden könne, daß der Abgeltungstatbestand gegeben sein solle, wenn der Urlaub im Übertragungszeitraum nicht mehr genommen werden kann. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Sie ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem für die Tarifauslegung in erster Linie maßgeblichen Tarifwortlaut, wohl aber aus dem Zusammenhang und dem Sinn und dem von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck der Regelung (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Vorschrift schließt an die Regelung in § 8 Abs. 4 Satz 1 BRTV an. Danach bleibt der Urlaubsanspruch erhalten, wenn er aus den dort genannten Gründen nicht verwirklicht werden kann. Nach § 8 Abs. 4 Satz 3 BRTV soll der Urlaub abgegolten werden, wenn auch die Übertragung nicht möglich ist. Damit haben erkennbar die Tarifvertragsparteien auch weitere Hinderungsgründe für die Verwirklichung des Urlaubs einbezogen. Dies kann nicht nur, wie der Tarifwortlaut an sich nahelegt, auf die Übertragung selbst beschränkt sein. Denn die Übertragung des Urlaubsanspruchs tritt von selbst ein, sie bedarf keiner Handlung von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer und hängt nicht von der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs ab (Urteil des erkennenden Senats vom 24. November 1987 - 8 AZR 140/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Daher ist die Übertragung selbst immer möglich, wenn zuvor die nach dem Gesetz oder dem Tarifvertrag vorausgesetzten Leistungshindernisse vorgelegen haben. Aus der Verknüpfung beider Sätze durch das Wort "auch" ist zu schließen, daß es den Tarifvertragsparteien nicht auf die Übertragung selbst, sondern auf das Bestehen von Leistungshindernissen ankommt, die der Erfüllung des Urlaubsanspruchs entgegenstehen. Trifft das zu, ist der Urlaubsanspruch jedenfalls dann abzugelten, wenn er vom Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person, etwa wegen Arbeitsunfähigkeit oder wie hier aus Gründen des Mutterschutzes, im Übertragungszeitraum nicht verwirklicht werden konnte.

Damit ist davon auszugehen, daß der Urlaubsanspruch der Klägerin in Höhe von vier Urlaubstagen mit dem Ende des Übertragungszeitraums sich in einen Abgeltungsanspruch nach § 8 Abs. 4 Satz 3 BRTV umgewandelt hat. Gegen die Wirksamkeit einer solchen Abgeltungsregelung im fortbestehenden Arbeitsverhältnis bestehen keine Bedenken, weil die Abgeltung von Urlaubsansprüchen, die nach dem Gesetz bereits verfallen wären, nicht gegen das für das fortbestehende Arbeitsverhältnis geltende Abgeltungsverbot verstößt (BAG Urteil vom 26. Mai 1983 - 6 AZR 273/82 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung; Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1987 - 8 AZR 171/86 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Durch § 8 Abs. 4 Satz 2 BRTV haben die Tarifvertragsparteien eine über § 7 Abs. 4 BUrlG hinausgehende Regelung getroffen.

4. Die Angriffe der Revision gegen diese Auffassung rechtfertigen keine andere Beurteilung. Soweit die Revision darauf hinweist, die Tarifvertragsparteien hätten die Urlaubsabgeltung der gesetzlichen Regelung anpassen wollen, kann dem nicht zugestimmt werden. Für eine Anpassung an die gesetzliche Regelung hätte es überhaupt keiner Bestimmung bedurft, da nach § 7 Abs. 3 BUrlG die Pflicht zur Urlaubserteilung ohne weiteres mit dem Ende des Übertragungszeitraums erlischt.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Wittek

Harnack Hennecke

 

Fundstellen

BAGE 00, 00

BB 1988, 2108-2109 (LT1)

DB 1988, 2466-2467 (LT1)

EBE/BAG 1988, 23-24 (LT1)

AuB 1989, 96 (K)

Stbg 1989, 142-142 (T)

Gewerkschafter 1989, Nr 6, 39-39 (ST1)

JR 1989, 132

NZA 1989, 137-138 (LT1)

RdA 1988, 383

AP § 9 BUrlG (LT1), Nr 10

AR-Blattei, ES 1640 Nr 313 (LT1)

AR-Blattei, Urlaub Entsch 313 (LT1)

EzA § 13 BUrlG, Nr 35

EzBAT § 51 BAT, Nr 11 (LT1)

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