Entscheidungsstichwort (Thema)

Bildungsurlaub nach dem Hessischen Bildungsurlaubsgesetz

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Arbeitnehmer hat die Darlegungs- und Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Bildungsurlaub nach dem BiUrlG HE. Er ist verpflichtet, im Streitfall den Gerichten für Arbeitssachen den Inhalt der Bildungsveranstaltung vorzutragen.

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 27.11.1989; Aktenzeichen 11 Sa 767/89)

ArbG Marburg (Entscheidung vom 03.03.1989; Aktenzeichen 2 Ca 679/88)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Bildungsurlaubsanspruch nach dem Hessischen Bildungsurlaubsgesetz (HBUG).

Die Klägerin ist seit mehr als 15 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Am 11. Oktober 1988 teilte sie der Beklagten schriftlich ihre Teilnahme an einem Seminar des DGB-Bildungswerks Hessen e. V. in der Zeit vom 7. - 11. November 1988 mit. Die Veranstaltung mit dem Titel "Frauen in Ausbildung, Beruf, Familie und Gesellschaft - Situationsvergleich zwischen Hessen und Mazedonien" war vom Hessischen Sozialminister unter dem Aktenzeichen - I A 8 a - 55 n - 8145 - 599/88 - als Bildungsveranstaltung nach § 9 Abs. 7 HBUG anerkannt.

Die Beklagte bat die Klägerin um Vorlage eines Themenplans. Als die Klägerin ablehnte, verweigerte die Beklagte die Lohnzahlung für die Zeit der Teilnahme an dem Seminar.

Nach dem Besuch der Veranstaltung hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 907,00 DM

brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus er-

gebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1988 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiter ihr Ziel der Klageabweisung. Sie rügt die Verletzung der Vorschriften des HBUG und des Art. 19 Abs. 4 GG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es für die Beurteilung des Streitfalls nicht allein darauf an, daß die umstrittene Veranstaltung vom Hessischen Sozialminister als Bildungsmaßnahme nach § 9 Abs. 7 HBUG anerkannt worden ist. Vielmehr ist von den Gerichten für Arbeitssachen auch zu beurteilen, ob das Seminar inhaltlich den gesetzlichen Zielvorgaben des § 1 Abs. 1 - 3 HBUG entspricht oder nicht.

I. Die Anerkennung einer Bildungsmaßnahme durch das Hessische Sozialministerium nach § 9 Abs. 7 HBUG hat nicht die Bedeutung, verbindlich festzulegen, daß die Voraussetzungen des § 1 HBUG gegeben seien.

Vielmehr kommt der Anerkennung lediglich die Funktion zu, diejenigen Bildungsveranstaltungen von vornherein auszuschließen, die zwar den gesetzlichen Vorgaben des § 1 HBUG entsprechen und für die deshalb ein Anspruch bestehen könnte, die aber z. B. mangels Anerkennungsantrag noch nicht anerkannt sind oder mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden und deshalb nicht anerkannt werden können (§ 9 Abs. 7 i. V. mit § 9 Abs. 6 HBUG). Die Anerkennung der Bildungsveranstaltung ist neben der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 - Abs. 4 HBUG lediglich eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für den Anspruch auf Gewährung von Bildungsurlaub. Deshalb schließt die ministerielle Anerkennung der einzelnen Veranstaltungen deren inhaltliche Überprüfung durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht aus. Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts "Anerkennung" zwingt die Gerichte für Arbeitssachen nur dazu, den Verwaltungsakt als solchen und seinen Inhalt als gegeben hinzunehmen (vgl. zum Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen Urteil des BAG vom 3. August 1989 - 8 AZR 335/87 - EzA § 7 Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen Nr. 4). Die Tatbestandswirkung umfaßt nicht zugleich die Beurteilung, daß die Veranstaltung mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmt. Das ergibt die Auslegung des Gesetzes.

1. Der Wortlaut von § 5 Abs. 3 Satz 1 HBUG ist nicht eindeutig. Er läßt sowohl die Interpretation als zusätzliches Tatbestandsmerkmal als auch die Auslegung zu, mit der Anerkennung werde verbindlich festgelegt, es handele sich um eine Bildungsveranstaltung mit einem der gesetzlich geforderten Inhalte.

2. Die frühere Fassung des HBUG vom 24. Juni 1974 (GVBl Hessen I 1974, 300) sah nur die Anerkennung des Trägers der Bildungsveranstaltung vor, nicht auch die der einzelnen Bildungsveranstaltungen. Mit der neuen Regelung über die Anerkennung der einzelnen Bildungsveranstaltungen könnte zwar im Gesetzgebungsverfahren beabsichtigt gewesen sein, einen gerichtlich auszutragenden Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Inhalte der Bildungsveranstaltungen dadurch auszuschließen, daß der zuständige Minister die Übereinstimmung des Seminarinhalts mit dem Gesetz abschließend bewertet. Abgesehen davon, daß dieser Wille des Gesetzgebers im maßgebenden Wortlaut des Gesetzes nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen ist, bestehen insoweit aber auch verfassungsrechtliche Bedenken, weil die mit der Pflicht, die Bildungsurlaubsansprüche jeweils zu erfüllen, auch kostenmäßig belasteten Arbeitgeber weder einzeln noch durch ihre Verbände hinlänglich am Verfahren über die Anerkennung der Bildungsveranstaltungen beteiligt sind.

3. Der Anerkennung einer einzelnen Bildungsveranstaltung kann nach § 9 Abs. 7 HBUG unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Anforderungen keine weitere Bedeutung als der eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals zukommen, weil andernfalls § 5 Abs. 3 und § 9 Abs. 7 HBUG nicht mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i. V. mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren wären.

a) Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist, der Rechtsweg offen. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Beschluß vom 15. Dezember 1987 (BVerfGE 77, 308 - AP Nr. 62 zu Art. 12 GG - EzA § 7 Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen Nr. 1) bei der Prüfung, ob (auch) die Bestimmungen des Hessischen Gesetzes über den Anspruch auf Bildungsurlaub mit dem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit vereinbar sind, ohne nähere Begründung angenommen, daß es "den Fachgerichten auch obliege, bei thematisch umstrittenen Bildungsveranstaltungen zu erkennen, ob diese inhaltlich den gesetzlichen Zielvorgaben (berufliche und politische Weiterbildung) entsprechen." Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß Arbeitgeber die ministerielle Entscheidung nicht ohne Rechtsschutzmöglichkeit hinzunehmen haben, sondern ihnen Gelegenheit zu geben ist, diese in einem rechtsstaatlich ausgeformten Verfahren überprüfen zu lassen. Eine Auslegung der gesetzlichen Regelung, die jegliche Rechtsschutzmöglichkeit verneint und damit dem Arbeitgeber auch für inhaltlich ungeeignete und damit zu Unrecht anerkannte Bildungsveranstaltungen eine Pflicht zur Gewährung von Bildungsurlaub und Fortzahlung der Vergütung auferlegt, würde den Arbeitgeber in seinem Grundrecht nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzen, weil damit eine nicht mehr zumutbare Belastung des Arbeitgebers verbunden wäre.

b) Die Überprüfung, ob eine thematisch umstrittene Bildungsveranstaltung inhaltlich den gesetzlichen Zielvorgaben entspricht, obliegt den Gerichten für Arbeitssachen. Sie ist auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren über die Lohnfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers möglich. Die Verwaltungsgerichte sind für die Überprüfung nicht zuständig.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht ausgeführt, welches Fachgericht für die Gewährung des dem Arbeitgeber zuzubilligenden Rechtsschutzes in welchem Verfahren zuständig ist. Die Kompetenz der Gerichte für Arbeitssachen folgt aber aus der Ausgestaltung des Anerkennungsverfahrens.

aa) Im Verwaltungsverfahren der ministeriellen Anerkennung von Bildungsveranstaltungen ist der einzelne Arbeitgeber, ein Zusammenschluß von Arbeitgebern oder eine Spitzenorganisation der Arbeitgeber nicht beteiligt. Das Landeskuratorium für Jugendbildung und das Landeskuratorium für Erwachsenenbildung, in denen die hessischen Arbeitgeber über das Bildungswerk der hessischen Wirtschaft vertreten sind, werden lediglich vor der Anerkennung der Eignung von Trägern nach § 9 Abs. 1 - Abs. 6 HBUG angehört, § 9 Abs. 2 Satz 1 HBUG. Bei der Anerkennung einzelner Bildungsveranstaltungen fehlt sogar diese Form der Mitwirkung. Die Landeskuratorien erhalten insoweit lediglich eine Aufstellung über die anerkannten Bildungsveranstaltungen und einen Erfahrungsbericht, § 9 Abs. 10 Satz 2 HBUG. Mangels Beteiligung berührt der Schlußentscheid des Ministers, die Anerkennung nach § 9 Abs. 7 HBUG, keine im Verfahren begründete Rechtsposition der Arbeitgeber. Eine Klagebefugnis i. S. des § 42 Abs. 2 VwGO kann ihnen deshalb nicht zukommen.

bb) Die das Verfahren abschließende Anerkennung ist ein den Antrag stellenden Träger begünstigender Verwaltungsakt. Er allein ist dessen Adressat. Privatrechtliche Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien werden durch die Anerkennung einer Bildungsveranstaltung nicht unmittelbar betroffen. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Freistellung und Fortzahlung der Vergütung für die Dauer der Bildungsveranstaltung ist nicht Regelungsgegenstand des Verwaltungsaktes. Die Belastung des Arbeitgebers tritt erst ein, wenn ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Bildungsurlaub geltend macht. Insofern liegt lediglich eine mittelbare Belastung der einzelnen Arbeitgeber vor, die für sich genommen noch keine Klagebefugnis i. S. des § 42 Abs. 2 VwGO begründet.

cc) Der einzelne Arbeitgeber könnte allenfalls eine Klagebefugnis zur Anfechtung des Anerkennungsbescheides haben, wenn die Bestimmungen über das Anerkennungsverfahren auch bezweckten, die Interessen der hessischen Arbeitgeber zu schützen, nur für Bildungsveranstaltungen in Anspruch genommen zu werden, die den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen. Dann gewährte § 9 Abs. 7 i. V. mit § 9 Abs. 3 und Abs. 4 HBUG ein subjektives öffentliches Recht der Arbeitgeber auf gesetzestreue Entscheidung, bei dessen Verletzung der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet wäre. Der Senat kann den Vorschriften des HBUG über die Anerkennung von einzelnen Bildungsveranstaltungen einen derartigen Inhalt nicht entnehmen. Der Wille des Landesgesetzgebers, den Arbeitgeber vor unzutreffenden individuellen Anerkennungen durch die Einräumung einer Klagebefugnis vor den Verwaltungsgerichten wegen Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zu schützen, ist weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes erkennbar. Vielmehr folgt aus der fehlenden vorherigen Beteiligung irgendeiner Arbeitgeberorganisation, daß die Vorschriften lediglich Wirkungen für und gegen den antragstellenden Träger der geplanten Bildungsveranstaltung entfalten sollen.

II. Die somit aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Überprüfung der anerkannten Bildungsveranstaltung mit den Inhalten des Gesetzes obliegt der Vorinstanz. Dazu hat die Klägerin über den Inhalt des von ihr besuchten Seminars vorzutragen und insbesondere den Themenplan vorzulegen. Denn der Arbeitnehmer hat die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Bildungsurlaub nach dem HBUG.

Dr. Leinemann Dörner Dr. Müller-Glöge

Schmidt Söller

 

Fundstellen

Haufe-Index 441765

BB 1993, 435

EzB HBUG 1984 § 9, Nr 4 (LT1)

SAE 1994, 51-52 (LT1)

ZAP, EN-Nr 585/93 (S)

AP § 1 BildungsurlaubsG Hessen 1984 (LT1), Nr 1

EzA § 9 HBUG, Nr 1 (LT1)

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