Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnung. keine Entfernung wegen Zeitablaufs

 

Orientierungssatz

1. Der Arbeitgeber kann nur im Ausnahmefall verpflichtet sein, auch solche Vorgänge aus den Personalakten zu entfernen, die auf einem wahren Sachverhalt beruhen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, daß eine weitere Aufbewahrung des Vermerks zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führt, andererseits aber der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist.

2. Der Verbleib eines durch die Ereignisse überholten und überflüssigen Vorgangs in der Personalakte rechtfertigt noch nicht den Anspruch auf Entfernung dieses Aktenbestandteils. Schon gar nicht, wenn die beurkundeten Vorgänge für die weitere berufliche Beurteilung und Entwicklung des Arbeitnehmers nicht bedeutungslos geworden sind.

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 23.10.1987; Aktenzeichen 6/2 Sa 675/87)

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 18.02.1987; Aktenzeichen 7 Ca 329/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte wegen Zeitablaufs verpflichtet ist, fünf berechtigte Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Der Kläger ist seit dem 3. Juli 1972 bei der Beklagten beschäftigt und wird als stellvertretender Vorarbeiter eingesetzt.

Die Beklagte hat ihn in folgenden Fällen schriftlich abgemahnt:

Unter dem 23. Oktober 1980, 14. Mai 1981 und 23. Juni 1983 hat sie unentschuldigtes Fernbleiben des Klägers von der Arbeit an jeweils zwei Tagen gerügt und für den Wiederholungsfall stets eine Kündigung angedroht.

Am 2. September 1983 hat der Kläger erneut unentschuldigt gefehlt. Die Beklagte hat daraufhin die Anhörung des Betriebsrats zu einer von ihr beabsichtigten fristlosen Kündigung des Klägers eingeleitet. Als am Nachmittag desselben Tages gegen 15.30 Uhr ein Attest des Klägers einging, wurde das Kündigungsverfahren abgebrochen und dem Kläger "zum allerletztenmal" für den Wiederholungsfall eine fristlose Kündigung angedroht.

Am 12. Januar 1984 hat der Kläger in angetrunkenem Zustand seinen Meister angerufen und einen Tag Urlaub erbeten. Die Beklagte hat ihm deswegen eine "allerletzte Abmahnung wegen erneuter Unzuverlässigkeit" erteilt.

Diese fünf Abmahnungen hat die Beklagte zur Personalakte des Klägers genommen und dem Betriebsrat jeweils eine Kopie davon übersandt.

Am 27. August 1986 blieb der Kläger nach einem Ehestreit der Arbeit fern. Die Beklagte hat ihm daraufhin mit Schreiben vom 28. August 1986 zum 12. September 1986 das Arbeitsverhältnis fristgerecht aufgekündigt und sich zur Begründung zusätzlich auf die vorhergehenden fünf Abmahnungen berufen. Nachdem das Arbeitsgericht Zweifel daran erkennen ließ, ob die vorhergehenden fünf Abmahnungen kündigungsrechtlich noch zu berücksichtigen seien, hat die Beklagte ihre Kündigung zurückgenommen und der Kläger seine Kündigungsschutzklage.

Daraufhin hat er in diesem Rechtsstreit Klage auf Entfernung der fünf schriftlichen Abmahnungen aus seiner Personalakte erhoben und ausgeführt, daß sie wegen Zeitablaufs aus der Personalakte zu entfernen seien, weil er danach keinen erneuten Anlaß zur Abmahnung gegeben habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, aus der Personal-

akte des Klägers die Verwarnung vom 23. Oktober

1980, Verwarnung vom 14. Mai 1981, Abmahnung vom

23. Juni 1983 sowie 2. September 1983 und Abmahnung

vom 12. Januar 1984 zu entfernen und zu vernichten.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, daß die berechtigten Abmahnungen nicht nach Ablauf einer bestimmten Zeit aus der Personalakte zu entfernen seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das vorinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger will mit der Revision die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Der Kläger bestreitet die in dem Abmahnungsschreiben enthaltenen Vorwürfe nicht. Die Parteien sind nur unterschiedlicher Ansicht darüber, wann eine ursprünglich berechtigte Abmahnung aus der Personalakte wieder zu entfernen ist. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Zeitablauf allein rechtfertige noch nicht den Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen. Damit ist es der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, wonach eine ursprünglich berechtigte Abmahnung durch Zeitablauf gegenstandslos werden kann, wenn sich der Arbeitnehmer längere Zeit danach einwandfrei geführt hat (BAG Urteil vom 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 5 der Gründe; BAG Urteil vom 21. Mai 1987 - 2 AZR 313/86 - Der Betrieb 1987, 2367, zu II 1 der Gründe, gegen die Kritik von Conze in Der Betrieb 1987, 889 f. sowie derselbe in Der Betrieb 1987, 2358 f.). Dafür läßt sich - und sei es auch nur für den Regelfall - keine bestimmte Frist aufstellen (BAG aa0).

II. Die Angriffe der Revision dagegen vermögen nicht zu überzeugen. Nach Ansicht des Klägers hat das Berufungsgericht keine Einzelfallprüfung vorgenommen, sondern über die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts hinaus auf die Wiederholungsgefahr und damit auf ein neues Kriterium abgestellt. Die Bewertung der einzelnen Abmahnungen ergebe jedoch, daß unterschiedliche Tatbestände betroffen seien. Dem Kläger sei zuletzt die Verletzung der Anwesenheitspflicht im Jahre 1983 vorgeworfen worden und seitdem seien mehr als drei Jahre vergangen. Das ihm dadurch vorgehaltene Fehlverhalten sei anderer Art und habe sich nicht wiederholt. Das Landesarbeitsgericht verstoße gegen den Grundsatz, daß Abmahnungen keinen Sanktionscharakter haben dürfen.

Die Ausführungen des Klägers berechtigen ihn nicht, die Entfernung der Abmahnungen wegen Zeitablaufs zu verlangen.

1. Zwar kann ein Arbeitnehmer erreichen, daß der Arbeitgeber eine mißbilligende Äußerung aus den Personalakten entfernt, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen könne. Das folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruht (BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Darauf kann der Kläger sich schon deswegen nicht stützen, weil die Vorwürfe der Beklagten, die Gegenstand der Abmahnung sind, unstreitig richtig sind.

2. Allerdings kann ein Arbeitnehmer nicht nur die Entfernung mißbilligender Äußerungen aus den Personalakten fordern, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten. In Ausnahmefällen kann der Arbeitnehmer auch die Entfernung solcher Aktenvorgänge verlangen, die auf einer richtigen Sachverhaltsdarstellung beruhen (BAG Urteil vom 13. April 1988 - 5 AZR 537/86 - Der Betrieb 1988, 1702; BAG Urteil vom 7. September 1988 - 5 AZR 625/87 - Betriebsberater 1989, 222, 223). Dieser Anspruch ergibt sich aus der Fürsorgepflicht und erfordert im Einzelfall eine eingehende Interessenabwägung (BAG, aa0). Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß die Personalakten eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen enthalten, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Mitarbeiters geben (BAGE 7, 267, 271, 272 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAGE 24, 247, 256 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu II 2 a; BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 2 der Gründe).

Der Arbeitgeber kann nur im Ausnahmefall verpflichtet sein, auch solche Vorgänge aus den Personalakten zu entfernen, die auf einem wahren Sachverhalt beruhen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, daß eine weitere Aufbewahrung des Vermerks zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führt, andererseits aber der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (vgl. BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht (betreffend die Entfernung eines gegen den Arbeitnehmer ergangenen Strafurteils, das ein strafbares Verhalten im außerdienstlichen Bereich betraf) sowie BAG Urteil vom 15. Juli 1987 - 5 AZR 215/86 - Der Betrieb 1987, 2571 (zur Entfernung eines durch die Ereignisse überholten amtsärztlichen Gutachtens, das den Arbeitnehmer in seiner beruflichen Entwicklungsmöglichkeit belastet) und BAG Urteil vom 13. April 1988 -5 AZR 537/86 - (betrifft die Entfernung eines Schriftwechsels wegen Gehaltsabzugs für vier Stunden wegen Teilnahme an einem Warnstreik, ohne daß der Arbeitnehmer sich gegen die Gehaltskürzung gewandt hatte).

Allerdings würde allein der Verbleib eines durch die Ereignisse überholten und überflüssigen Vorgangs in der Personalakte noch nicht den Anspruch auf Entfernung dieses Aktenbestandteils rechtfertigen (BAG Urteil vom 13. April 1988 - 5 AZR 537/86 - Der Betrieb 1988, 1702, zu III der Gründe).

3. Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte, weil die beurkundeten Vorgänge für die weitere berufliche Beurteilung und Entwicklung des Klägers nicht bedeutungslos geworden sind. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, daß sie für den weiteren beruflichen Aufstieg sowie für eine Versetzung oder für ein Zeugnis wichtig sein können. Ob die abgemahnten Vorfälle außerdem für eine Kündigung bei einem erneuten Fehlverhalten des Klägers noch Berücksichtigung finden können, kann dahingestellt bleiben.

Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht als unstreitig festgestellt, daß der Kläger - wie er meint - sich nach den von ihm beanstandeten Abmahnungen einwandfrei verhalten hätte. Dagegen spricht bereits die vom Kläger mit der Revisionsschrift eingereichte Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens am 27. August 1986. Es handelt sich um einen Vorfall, der der Beklagten zunächst Veranlassung zur fristgerechten Kündigung gegeben hat. Der Kläger hat in der Revisionsschrift diese Vorwürfe nicht ausdrücklich bestritten, sondern lediglich bemerkt, daß diese Abmahnung nicht "Streitgegenstand" sei.

Die vom Kläger zu Unrecht beanstandete Einzelfallprüfung führt demnach dazu, daß die Beklagte zur Entfernung der vorhergehenden Abmahnungen nicht verpflichtet ist.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Halberstadt Dr. Stadler

 

Fundstellen

Haufe-Index 440116

RzK, I 1 47 (ST1)

ZTR 1989, 236-237 (ST1)

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