Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung nach dem ArbWeitBiG NW und Lohnfortzahlung

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Bestätigung der Rechtsprechung Urteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 = BB 1993, 253; Arbeitskampf während des Besuches einer Weiterbildungsveranstaltung.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 25.07.1991; Aktenzeichen 4 Sa 23/90)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 30.11.1989; Aktenzeichen 3 Ca 1413/89)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Lohnfortzahlungsanspruch nach dem nordrhein-westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG).

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Druckindustrie. Sie beschäftigt den Kläger seit dem 21. Juni 1971 als Arbeiter in ihrem in Bochum gelegenen Betrieb.

Anfang des Jahres 1989 teilte der Kläger der Beklagten schriftlich mit, daß er beabsichtige, im Rahmen des AWbG vom 26. Februar bis 3. März 1989 das Seminar "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" in der DGB-Bundesschule Hattingen zu besuchen. Der Kläger legte zu dem Zweck eine Broschüre über "Bildungsurlaubsmöglichkeiten" in der Hans-Böckler-Schule in Hattingen vor.

Mit Schreiben vom 31. Januar 1989 forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr nachzuweisen, daß das Seminar den gesetzlichen Voraussetzungen des AWbG entspreche. Der Kläger nahm in der Zeit vom 26. Februar bis 3. März 1989 an der Veranstaltung in Hattingen teil. Nach dem Besuch der Veranstaltung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 16. Mai 1989 die Entgeltfortzahlung ab.

Mit der am 24. Juli 1989 erhobenen Klage hat der Kläger seinen Verdienstausfall in Höhe von 802,40 DM brutto geltend gemacht. Er hat behauptet, die Beklagte habe ihn für die Schulungsteilnahme von der Arbeit freigestellt.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

802,40 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, es handele sich inhaltlich um eine Funktionärschulung, die zudem nicht allgemein zugänglich gewesen und nicht von einem anerkannten Träger durchgeführt worden sei. Außerdem sei der Kläger an den Tagen, an denen im Betrieb der Beklagten gestreikt worden sei, um 6.50 Uhr und 7.45 Uhr sowie um 13.30 Uhr und 14.00 Uhr vor dem Betrieb gesehen worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers ist begründet; denn die Beklagte ist zur Lohnfortzahlung nach § 7 Satz 1 AWbG verpflichtet, weil sie den Kläger zur Teilnahme an einer Veranstaltung der Arbeitnehmerweiterbildung von der Arbeit freigestellt hat.

1. Das Landesarbeitsgericht ist von einem falschen rechtlichen Gesichtspunkt ausgegangen. Es hat verkannt, daß die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit durch den Arbeitgeber zum Zwecke der Weiterbildung nach § 1 Abs. 1 AWbG regelmäßig eine hinreichende, anspruchsbegründende Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 Satz 1 AWbG ist (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 429/91 - DB 1994, 51, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen), soweit der Arbeitnehmer an der Bildungsveranstaltung tatsächlich teilnimmt (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 - DB 1994, 52). Auf das Vorliegen der vom Landesarbeitsgericht geprüften Anerkennungsvoraussetzungen i. S. v. § 9 Satz 1 AWbG oder gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte i. S. v. § 5 Abs. 2 AWbG kommt es nicht an (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - DB 1993, 1825); denn die durch die Abgabe einer Freistellungserklärung gewährte Freizeit kann nicht wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert werden (vgl. BAG Urteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 - aaO).

2. Das Landesarbeitsgericht hat § 1 Abs. 1 AWbG nicht angewendet, als es die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe ihn zur Teilnahme an der Veranstaltung freigestellt, unberücksichtigt gelassen hat.

Da die Beklagte die Behauptung des Klägers nicht bestritten hat, ist nach § 138 Abs. 3 ZPO die Freistellung als zugestanden anzusehen. Soweit die Beklagte in der Revisionsverhandlung dazu neue Tatsachen vortragen hat, dürfen diese nach § 561 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden; denn ohne daß zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben werden, ist das Revisionsgericht an das Parteivorbringen gebunden, das aus dem Berufungsurteil ersichtlich ist (§ 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

3. Der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 Satz 1 AWbG entfällt nicht deshalb, weil während des Seminarbesuches in dem Betrieb der Beklagten gestreikt worden ist. In allen Fällen, in denen der Arbeitnehmer vor Beginn des Arbeitskampfes von dem Arbeitgeber von der Arbeitspflicht freigestellt war, kann sich die Pflicht zur Lohnfortzahlung nicht auf die Arbeitskampfparität auswirken (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. April 1992 - 1 AZR 377/91 - AP Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Dies gilt auch für den Arbeitnehmerweiterbildungsanspruch; denn der Arbeitnehmerweiterbildungsanspruch wird ohne Rücksicht darauf verbraucht, ob der Arbeitgeber während des Arbeitskampfes überhaupt eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gehabt hätte. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer aktiv an dem Streik teilnimmt oder der Arbeitgeber zum Kampfmittel der Abwehraussperrung greift und ausdrücklich auch die Arbeitnehmer einbezieht, deren Arbeitspflicht vorübergehend schon aus anderen Gründen suspendiert ist (BAGE 58, 332 = AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG Urteil vom 7. April 1992 - 1 AZR 377/91 - aaO).

Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger sich aktiv am Streik beteiligt hat. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger seine Anwesenheitspflicht während der Weiterbildungsveranstaltung verletzt hätte. Dazu gibt der Vortrag der Beklagten, soweit er nach § 561 Abs. 1 ZPO der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt, keinen Anhalt. Die Zeiten, an denen der Kläger nach Behauptung der Beklagten vor dem Tor des Betriebes am 2. und 3. März 1989 gesehen worden ist, lagen sämtlich außerhalb der Unterrichtszeiten, die für die Teilnehmer der nahegelegenen Bildungseinrichtung täglich von 9.00 Uhr bis 12.30 Uhr sowie 15.00 Uhr bis 17.45 Uhr festgesetzt waren.

II. Die unterlegene Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dr. Leinemann Dörner Düwell

Holze Schwarz

 

Fundstellen

Haufe-Index 441808

EzB AWbG Nordrhein-Westfalen § 7, Nr 57 (ST1)

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