Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Sonn- und Feiertagszuschlag

 

Orientierungssatz

Aus der Ausgleichsfunktion von Sonn- und Feiertagszuschlägen folgt, dass diese Zuschläge in der Regel auf den für die entsprechende Arbeit individuell geschuldeten Lohn gezahlt werden. Soll sich der Zuschlag an einer davon abweichenden Bezugsgröße orientieren, etwa der des tariflichen Grundstundenlohns, muss dies in der tariflichen Regelung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen.

 

Normenkette

Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin vom 7. Juli 2003 (MTV) § 14 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 13.09.2005; Aktenzeichen 3 Sa 696/05)

ArbG Berlin (Urteil vom 27.01.2005; Aktenzeichen 25 Ca 19062/04)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen tariflichen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Sonn- und Feiertagszuschlägen.

Der Kläger ist seit dem 7. Mai 1994 als Wachinspektor bei der Beklagten beschäftigt. Auf Grund eines zwischen den Parteien im Jahre 1999 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs zahlte die Beklagte an den Kläger einen Bruttostundenlohn von (nunmehr) 6,43 Euro.

Seit dem 1. April 2004 ist die Beklagte Mitglied im Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V. (BDWS), der am 7. Juli 2003 mit der Gewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag (im Folgenden: MTV) und einen Entgelttarifvertrag (im Folgenden: ETV) für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin abgeschlossen hatte. Diese Tarifverträge sind seit dem 1. April 2004 allgemeinverbindlich.

Der Kläger hat von der Beklagten – soweit in der Revision noch streitig – für die Monate April bis Juni 2004 die Zahlung von tariflichen Sonn- und Feiertagszuschlägen in rechnerisch unstreitiger Höhe verlangt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die in § 14 Ziff. 1 MTV vorgesehene Erhöhung um 50 – 100 % sei von dem ihm zu zahlenden Effektivstundenlohn von 6,43 Euro zu berechnen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 141,56 Euro netto zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Berechnungsgrundlage der tariflich vorgesehenen prozentualen Sonn- und Feiertagszuschläge nur der Tariflohn, nicht aber ein höherer einzelvertraglich geschuldeter Stundenlohn sein könne.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Klage wegen des noch streitigen Betrages abzuweisen, weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Sonn- und Feiertagszuschlag auf seinen einzelvertraglich vereinbarten Stundenlohn von 6,43 Euro gemäß § 14 Ziff. 1 MTV zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die tariflichen Zuschläge auf der Grundlage des zwischen den Parteien vereinbarten, übertariflichen Stundenlohnes zu berechnen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei es grundsätzlich möglich, als Bezugsgröße einer tariflichen Leistung an den tatsächlichen und nicht nur den tariflichen Verdienst des Arbeitnehmers anzuknüpfen. Dies hätten die Tarifvertragsparteien in § 14 Ziff. 1 MTV auch getan. Der dort als Bezugsgröße genannte Begriff “Stundenlohn” sei zwar für sich genommen nicht aussagekräftig. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebe sich aber, dass die Tarifvertragsparteien hier von dem real gezahlten Stundenlohn ausgingen und nicht von dem tariflich vorgesehenen Stundenlohn. Durch die gesonderte Erwähnung der Geltung des Günstigkeitsprinzips in § 2 Ziff. 3 MTV sei ferner die Absicht der Tarifvertragsparteien verdeutlicht worden, bei allen Ansprüchen, die sich aus dem MTV ergäben, vom Inhalt der schriftlichen Vergütungsabrede der Arbeitsvertragsparteien auszugehen.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend in der Begründung. Der Kläger hat einen Anspruch auf Sonn- und Feiertagszuschläge, deren prozentuale Berechnung nach § 14 Ziff. 1 MTV sich nach der ihm von der Beklagten geschuldeten, individuell vereinbarten Grundvergütung von 6,43 Euro pro Stunde richtet.

1. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt auf Grund Allgemeinverbindlicherklärung der MTV.

2. Die tariflichen Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit sind auf den dem Arbeitnehmer tatsächlich gezahlten Stundenlohn zu zahlen. Das ergibt die Auslegung von § 14 Ziff. 1 MTV.

a) Der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende MTV hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

“§ 2 Tarifvorrang

1. Durch diesen Tarifvertrag werden alle Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, die Anwendung finden, abschließend geregelt.

3. Für alle Ansprüche der Arbeitnehmer, die diesen aufgrund schriftlicher Individualarbeitsvertragsregelung – in Form eines einheitlichen Arbeitsvertrages oder einer schriftlichen Ergänzung – hinsichtlich eines konkreten Geldbetrages, Urlaubsgewährung oder sonstiger günstigerer Arbeitsbedingungen gewährt wurden, gilt zu Gunsten der Arbeitnehmer das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG.

§ 14 Zuschläge

1. Neben dem Stundenlohn sind folgende Zuschläge zu zahlen

a) für Arbeitnehmer, die vor dem 18. Juli 2003 Zuschläge gemäß dieser Ziffer 1a) erhalten haben

für Nachtarbeit

von

23.00 Uhr

bis

6.00 Uhr

20 %

für Sonntagsarbeit

von

0.00 Uhr

bis

24.00 Uhr

50 %

für Feiertagsarbeit

von

0.00 Uhr

bis

24.00 Uhr

100 %

§ 23 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall richtet sich nach der jeweils gültigen gesetzlichen Regelung und wird nach der Bezugsmethode – durchschnittlicher tariflicher Grundlohn der letzten sechs Monate – errechnet.

§ 25 Betriebliche Sonderzahlungen

Folgende betriebliche Sonderzahlungen werden gewährt:

A

Betriebszugehörigkeit

bei 10-jähriger Betriebszugehörigkeit

25 % des Monatsgehaltes/-lohnes

bei Vollzeitbeschäftigten mind. jedoch

400,- Euro

bei 25-jähriger Betriebszugehörigkeit

ein Monatsgehalt/-lohn

bei 40-jähriger Betriebszugehörigkeit

zwei Monatsgehälter/-löhne.

Die Sonderzahlung richtet sich nach der Regelung im § 23 – durchschnittlicher tariflicher Grundlohn der letzten sechs Monate.

…”

b) Die Auslegung eines Tarifvertrags durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 – 3 AZR 468/01 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 184 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 36). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (zB Senat 30. Mai 2001 – 4 AZR 269/00 – BAGE 98, 35, 38 f.; 7. Juli 2004 – 4 AZR 433/03 – BAGE 111, 204, 209).

c) Gemessen an diesen Kriterien ist die Auslegung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Der Begriff des Stundenlohnes in § 14 Ziff. 1 MTV umfasst den dem Arbeitnehmer individuell geschuldeten Stundenlohn, nach dem sich die in § 14 Ziff. 1 MTV geregelten prozentualen Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit richten.

aa) Zutreffend erkennt das Landesarbeitsgericht, dass der Wortlaut von § 14 Ziff. 1 MTV allein nicht zu einer eindeutigen Auslegung führt. Der Begriff des “Stundenlohnes” sagt für sich genommen nichts darüber aus, ob damit der tarifliche Stundenlohn oder der individuell geschuldete Stundenlohn gemeint ist.

bb) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass der Begriff des “Stundenlohnes” in § 14 Ziff. 1 MTV an den effektiven und nicht an den tariflichen Stundenlohn anknüpft.

(1) Die Tarifvertragsparteien haben an mehreren Stellen des MTV und des ETV Bezug genommen auf eine Lohngröße. Dabei haben sie zur genaueren Bestimmung dieser Lohngröße mehrfach das Attribut “tariflich” verwandt. So wird die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG – “nach der Bezugsmethode – durchschnittlicher tariflicher Grundlohn der letzten sechs Monate” bestimmt (§ 23 MTV). Auch die Bemessung betrieblicher Sonderzahlungen richtet sich nach dem “durchschnittlichen tariflichen Grundlohn der letzten sechs Monate” (§ 25 Buchst. A MTV). Zwar ist hier nicht von einem tariflichen “Stundenlohn” die Rede. Dass insoweit auf den durchschnittlichen Tarifgrundlohn abgestellt wird, erklärt sich aber daraus, dass von den genannten Vorschriften auch die Angestellten erfasst werden, deren Gehälter monatsweise berechnet werden (§ 4 iVm. § 6 ETV). Mit der zusätzlichen Bezeichnung “tariflich” ist jedenfalls klargestellt, dass individuelle Vergütungsverpflichtungen, die über die Tarifvergütungen hinausgehen, nicht von der Bezugsgröße erfasst werden. Das macht im Umkehrschluss deutlich, dass mit dem Begriff “Stundenlohn” ohne Verwendung des Attributs “tariflich” durch die Tarifvertragsparteien gerade nicht tarifliche Stundenlöhne, sondern die real gezahlten Stundenlöhne gemeint sind.

(2) Es ist davon auszugehen, dass diese Formulierungen von den Tarifvertragsparteien bewusst gewählt worden sind. Denn auch an anderer Stelle ist der differenzierte Sprachgebrauch der Tarifvertragsparteien bei der Bezeichnung von Lohnbezugsgrößen erkennbar. So bestimmt § 19 Ziff. 2 MTV, dass die Vergütung für vom Arbeitgeber angeordneten und während der Arbeitszeit absolvierten Unterricht “nach dem Lohnausfallprinzip, ohne Berücksichtigung von Zuschlägen gem. § 14” MTV gezahlt wird. Bei Arbeitsausfall durch die Wahrnehmung von gerichtlichen oder behördlichen Terminen erfolgt die Vergütung gleichfalls “nach dem Lohnausfallprinzip ohne Zuschlag” (§ 22 Ziff. 1 MTV). Abweichend von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 23 MTV, siehe oben) werden Feiertage, die auf einen Urlaubstag fallen, “nach dem Lohnausfallprinzip ohne Zuschläge” vergütet (§ 24 Ziff. 5 MTV). In den sonstigen Urlaubsbestimmungen erfolgt die Verweisung auf das BUrlG und damit auf die dort vorgesehene differenzierte Referenzmethode (vgl. dazu ErfK/Dörner 6. Aufl. § 11 BUrlG Rn. 4 ff.). § 21 Ziff. 1, Ziff. 4 MTV bestimmt, dass bei Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts aus Anlass bestimmter Ereignisse (Eheschließung, Tod von Verwandten usw., aber auch Teilnahme an Tarifverhandlungen) Vergütung “nach dem Lohnausfallprinzip” gewährt wird, ohne dass von den Tarifvertragsparteien hier der Abzug der Zuschläge erwähnt wird.

(3) Aus diesen Regelungen wird im Übrigen deutlich, dass mit der Bezugnahme auf das Lohnausfallprinzip auch an anderen Stellen des MTV nicht auf den tariflichen, sondern auf den individuell geschuldeten, ggf. auch übertariflichen Lohn abgestellt wird. Die Auffassung der Revision, die Berechnung der tariflichen Zuschläge knüpfe bereits deshalb allein an den tariflichen Stundenlohn an, weil für die Tarifvertragsparteien nicht erkennbar sei, welche einzelvertraglichen Regelungen zu einer übertariflichen Vergütung existieren, ist deshalb unzutreffend. Der entgegenstehende Wille der Tarifvertragsparteien kommt im Wortlaut der genannten Regelungen deutlich zum Ausdruck und ist deshalb für die tarifunterworfenen Arbeitsvertragsparteien verbindlich.

cc) Entgegen der Auffassung der Revision spricht auch der Sinn und Zweck des Tarifvertrags nicht gegen die Auslegung des Landesarbeitsgerichts. Bereits der Ausgangspunkt der Revision, die Belastung der Arbeitnehmer durch ungünstige Arbeitszeiten, für die die Zuschlagsregelung einen angemessenen Ausgleich bieten solle, sei unabhängig davon, wie hoch der Stundenlohn ist, ist nicht zutreffend. Wenn man die Belastung durch ungünstige Arbeitszeiten zweier verschieden arbeitender und entlohnter Arbeitnehmer vergleicht, entspricht die zusätzliche Belastung proportional der normalen Belastung. Es ist deshalb sachgerecht und naheliegend, die Vergütung für normale Arbeitszeiten proportional zu steigern, wenn nachts und an Sonn- und Feiertagen gearbeitet wird. Eine andere Regelung – etwa nominell gleiche Stundenbeträge für alle Arbeitnehmer, worauf die Revision verweist – ist zwar prinzipiell möglich, von den Tarifvertragsparteien jedoch vorliegend nicht vereinbart worden (Senat 23. August 2006 – 4 AZR 444/05 –). Angesichts der Ausgleichsfunktion der Zuschläge hätte eine von dem zwischen den Parteien vereinbarten Stundengrundlohn abweichende Bezugsgröße für die Zuschläge durch die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien deutlich werden müssen (so zu dieser Frage bereits RAG 4. Januar 1930 – RAG 375/29 – SAE 1930, 169: “zur Rechtfertigung der Annahme, dass … eine Berechnung auf anderer Grundlage gewollt (sei), würde es besonderer Rechtfertigungsgründe bedürfen, die zweifelsfrei erhellen”; zust. Anm. Nipperdey RAGE 8, 93, 95; ebenso Schaub/Linck ArbR-Hdb. 11. Aufl. § 105 Rn. 3). Dies ist jedoch nicht geschehen.

dd) Ob der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dieses Ergebnis sei überdies auch durch die in § 2 Ziff. 3 MTV erfolgte Erwähnung des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) gerechtfertigt, zu folgen ist, kann deshalb dahingestellt bleiben.

3. Die sich aus der Zugrundelegung des individuellen Stundengrundlohns von 6,43 Euro ergebenden Zahlungsansprüche des Klägers auf Sonn- und Feiertagszuschläge in den Monaten April bis Juni 2004 sind in der Höhe rechnerisch unstreitig.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Bepler, Bott, Creutzfeldt, Valentien, Pfeil

 

Fundstellen

Haufe-Index 1740349

BB 2007, 1172

DB 2007, 1141

AP, 0

EzA-SD 2007, 21

EzA

NZA-RR 2007, 368

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