Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnfortzahlung bei Hauttransplantation für Dritten

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Organspender hat bei komplikationslosem Verlauf der Transplantation keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 1 Abs 1 Satz 1 LFZG). Der Verdienstausfall des Spenders gehört vielmehr zu den Kosten der Krankenhilfe bzw der Heilbehandlung des Empfängers der Organspende und ist daher von der Krankenkasse bzw der Berufsgenossenschaft des Empfängers zu tragen (im Anschluß an BSG 12.12.1972, 3 RK 47/70 = BSGE 35, 102).

 

Normenkette

RVO §§ 561, 560, 189 S. 1; SGB X § 115 Abs. 1; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 07.08.1985; Aktenzeichen 5 Sa 497/85)

ArbG Bonn (Entscheidung vom 06.03.1985; Aktenzeichen 3 Ca 3012/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Lohnfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) zusteht.

Bei der Beklagten ist der Arbeitnehmer H-J V beschäftigt (im folgenden kurz: der Versicherte). Dessen Bruder G V erlitt am 19. Mai 1984 bei seinem Arbeitgeber einen Arbeitsunfall durch Berühren einer Starkstromleitung und zog sich dabei Verbrennungen dritten Grades zu. Zur Rettung des Verletzten waren Hauttransplantationen in erheblichem Umfang erforderlich. Dafür stellte sich außer dem Vater des Verletzten auch H-J V zur Verfügung. Er mußte sich deshalb vom 17. Juni bis zum 11. Juli 1984 im Krankenhaus aufhalten und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für diese Zeit vor. Da die Beklagte die Lohnfortzahlung verweigerte, gewährte die Klägerin ihm gemäß Verwaltungsvereinbarung über die Techniker-Krankenkasse Bonn Verletztengeld gemäß §§ 560, 561 RVO in Höhe von 1.354,50 DM. Wegen dieses Betrages nimmt die Klägerin die Beklagte in Anspruch. Sie hat vorgetragen:

Die Hautübertragung bei G V habe aus dringenden medizinischen Gründen vorgenommen werden müssen. Der Spender sei infolge der Behandlung unverschuldet arbeitsunfähig krank gewesen. Von einer durch den Spender verschuldeten Arbeitsunfähigkeit könne nicht gesprochen werden, weil bei ihm kein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vorgelegen habe. Vielmehr sei seine Entscheidung, dem verunglückten Bruder durch eine Transplantation zu helfen, ethisch hochrangig gewesen. Die Beklagte schulde ihrem Arbeitnehmer H-J V daher Lohnfortzahlung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG. Die Klägerin hat demgemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.354,50 DM

nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Dezember 1984 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht: Ihr Arbeitnehmer H-J V sei, als er sich für die Hauttransplantation zur Verfügung gestellt habe, nicht krank gewesen. Weiter müsse man davon ausgehen, daß bei ihm eine selbstverschuldete Krankheit vorgelegen habe. Überdies habe H-J V nicht im eigenen Interesse gehandelt, sondern im Interesse des Empfängers der Hautspende. Hierfür brauche aber nicht der Arbeitgeber einzustehen. Vielmehr gehörten die Lohnausfälle des Spenders zu den Heilbehandlungskosten des Empfängers und seien daher von dessen Kranken- oder Unfallversicherung zu tragen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die ihr Klageziel weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Versicherten H-J V gegen die Beklagte auf Lohnfortzahlung für die Zeit seines Krankenhausaufenthalts zu Recht verneint. Ein solcher Anspruch konnte daher auch nicht auf die Klägerin übergehen.

I. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Zwar war der Versicherte, wie durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen, vom 17. Juni bis zum 11. Juli 1984 arbeitsunfähig krank, gleichwohl stand ihm aber ein Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen die Beklagte nicht zu, weil nicht alle Voraussetzungen erfüllt waren, von deren Vorliegen die Verpflichtung des Arbeitgebers abhängt, das Arbeitsentgelt weiterzugewähren. § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG stellt eine gesetzliche Ausgestaltung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar. Wenn das Gesetz dem Arbeitgeber auferlegt, im Krankheitsfall den Lohn fortzuzahlen, so bedeutet dies, daß der Arbeitgeber das allgemeine Krankheitsrisiko seiner Arbeitnehmer tragen soll (so zutreffend BGH Urteil vom 20. Juni 1974 - III ZR 27/73 - AP Nr. 1 zu § 4 LohnFG, zu III 2 b der Gründe). Wird der Arbeitnehmer aufgrund eines ärztlichen Eingriffs, der zur Knochen-, Gewebe- oder Organtransplantation unumgänglich ist, krank und ist er deswegen zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung außer Stande, dann überschreitet diese Arbeitsunfähigkeit die Grenze des allgemeinen vom Arbeitgeber zu tragenden Krankheitsrisikos, weil sie den Arbeitnehmer nicht wie ein normales Krankheitsschicksal trifft. Vielmehr nimmt der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit bewußt als unvermeidbare Begleiterscheinung hin, um mit der Organspende eine ethisch hochstehende und rechtlich zulässige Hilfeleistung für einen anderen zu erbringen. Eine auf diese Weise verursachte Arbeitsunfähigkeit wird nicht mehr von dem sozialen Schutzzweck der die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall regelnden Grundnorm des § 1 Abs.1 Satz 1 LohnFG erfaßt, so daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in diesem Fall nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn dem Arbeitnehmer wegen des Lohnausfalls ein Anspruch gegen den Versicherungsträger zusteht, der für die Heilbehandlung des Organempfängers aufzukommen hat.

II. Ein Anspruch im vorgenannten Sinne steht dem Arbeitnehmer V der Beklagten im vorliegenden Falle gegen die Berufsgenossenschaft des Hautempfängers zu.

1. Die Übertragung von körpereigenem Gewebe auf einen Dritten (Organtransplantation) ist Teil der Krankenhilfe für den Organempfänger, wenn die Behandlung im Rahmen von dessen gesetzlicher Krankenversicherung erfolgt. Daher sind die gesamten Aufwendungen für die Behandlung des Organspenders bei komplikationslosem Verlauf der Organentnahme als Nebenleistung zu der dem Empfänger zu gewährenden Krankenhilfe von dessen Krankenkasse zu tragen. Das hat das Bundessozialgericht bereits durch Urteil vom 12. Dezember 1972 mit näherer Begründung ausgeführt (BSGE 35, 102, 103 f.).

Diese vom Bundessozialgericht für die Krankenversicherung entwickelten Grundsätze sind auch auf die Unfallversicherung anzuwenden. Die Organtransplantation ist Teil der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung des Organempfängers. Die Aufwendungen für den Organspender sind daher vom Unfallversicherungsträger des Empfängers zu übernehmen (vgl. Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. vom 29. Januar 1976 - VB 11/76 - DOK 1976, 530 mit zust. Anm. von Gerlach; vgl. ferner Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl., Bd. II, Stand 1986, S. 559 l, m). Das muß in gleicher Weise auch für den Lohnausfall gelten (so zutreffend Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Stand April 1986, S. 20).

2. Da der Bruder des Versicherten H-J V einen Arbeitsunfall erlitten hat, hatte der Versicherte als Organspender einen Anspruch auf Ersatz seines Verdienstausfalls gegen die Klägerin als den zuständigen Träger der Unfallversicherung des Verletzten G V.

Dieser Anspruch war vom Bestehen eines Lohnfortzahlungsanspruchs gegen die Beklagte nicht abhängig. Die Kranken- oder Unfallversicherungen der Organempfänger erfüllen den Anspruch des Organspenders auf Ersatz des Verdienstausfalls in der Regel durch die Zahlung von Krankengeld oder Verletztengeld. Dies ist auch hier geschehen. Nach § 189 Satz 1, § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO ruht allerdings der Anspruch auf Kranken- bzw. Verletztengeld, soweit Arbeitsentgelt gezahlt wird. Bei der vorliegenden Fallgestaltung kommt aber, wie oben dargelegt, ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nicht in Betracht.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Buschmann Fischer

 

Fundstellen

Haufe-Index 440339

BAGE 52, 313-316 (LT)

BAGE, 313

BB 1987, 406

DB 1987, 540-540 (LT1)

NJW 1987, 1508

NJW 1987, 1508-1508 (LT)

ARST 1988, 4-5 (LT)

NZA 1987, 487-488 (LT)

RdA 1986, 406

SAE 1987, 241-242 (LT1)

USK, 86129 (LT1)

AP § 1 LohnFG (LT), Nr 68

EzA § 1 LohnFG, Nr 81 (LT1)

MDR 1987, 435-435 (LT)

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