Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Koalitionsvertrages zugunsten Dritter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein von tariffähigen Parteien geschlossener Vertrag kann nicht gegen den eindeutig erklärten Willen der Vertragsparteien rechtlich als Tarifvertrag gewertet werden.

2. Ein solcher eindeutig erklärter Wille der Vertragsparteien liegt vor, wenn nach einer Niederschriftserklärung zu dem von ihnen als "Vereinbarung" bezeichneten Vertrag einer der Vertragsparteien die Entscheidung darüber eingeräumt ist, "ob eine entsprechende tarifrechtliche Regelung angestrebt werden soll".

3. Die Vereinbarung zwischen dem Freistaat Sachsen und der GEW - Landesverband Sachsen - vom 15. Juni 1992 über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern an den öffentlichen Schulen des Freistaates ist danach kein Tarifvertrag i.S.d. TVG; sie ist vielmehr ein (sonstiger) Koalitionsvertrag zugunsten Dritter.

4. Die Auslegung eines solchen Koalitionsvertrages ist nach den für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Regeln vorzunehmen.

5. Die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 enthält keine vertragliche Verpflichtung des Freistaates Sachsen, das im Schuljahr 1992/1993 geltende Regelstundenmaß für vollbeschäftigte Lehrkräfte an öffentlichen Schulen für nachfolgende Schuljahre beizubehalten, verbietet ihm also nicht dessen von ihm vorgenommene Erhöhung ab 1. August 1993.

 

Normenkette

TVG § 1; Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15. Juni 1992 (an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen)

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 15.11.1995; Aktenzeichen 3 Sa 411/95)

ArbG Dresden (Urteil vom 12.09.1994; Aktenzeichen 2 Ca 8434/93)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. November 1995 - 3 Sa 411/95 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 12. September 1994 - 2 Ca 8434/93 - wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Regelstundenzahl für vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte an öffentlichen Schulen des Beklagten (Freistaat Sachsen) von ihnen vertraglich auf die im Schuljahr 1992/1993 geltende Zahl der Unterrichtsstunden festgeschrieben und die vom Beklagten einseitig vorgenommene Erhöhung des Regelstundenmaßes für einen Teil der Lehrkräfte mit Wirkung vom Schuljahresbeginn 1993/1994 infolgedessen vertragswidrig ist. Diesen Standpunkt nimmt die klagende Gewerkschaft (Landesverband Sachsen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - GEW Sachsen) zur Rechtfertigung ihrer verschiedenen Klageanträge ein.

Das Kabinett des Beklagten faßte am 5. Mai 1992 den Beschluß (Kabinettsbeschluß über die Schulentwicklungsplanung), die Zahl der Lehrer- und Erzieherstellen an öffentlichen Schulen bis zum 31. Dezember 1992 auf 42.250 inkl. 750 KW-Stellen abzubauen. Außerdem hatte der Beklagte die Absicht, das seinerzeit geltende Regelstundenmaß für vollbeschäftigte Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu erhöhen, was zu einem noch größeren Personalabbau geführt hätte. Nach dem Kabinettsbeschluß vom 5. Mai 1992 kam es zu Verhandlungen der Parteien, die dessen Umsetzung unter Vermeidung bedarfsbedingter Kündigungen von Lehrkräften und Erziehern zum Ziel hatten. In diesen setzte sich die Klägerin damit durch, daß durch die Einführung einer Anrechnungsstunde für die dienstliche Fortbildung von Grundschullehrern die beabsichtigte Arbeitszeiterhöhung um eine Stunde zurückgenommen wurde. Die Verhandlungen, bei denen der Beklagte durch die Staatsministerien für Finanzen und Kultus vertreten war, führten zum Abschluß der "Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15.6.1992" - nachfolgend kurz: Vereinbarung vom 15. Juni 1992 -, deren wesentlicher Inhalt die weitestgehende Sicherung der Arbeitsplätze von Lehrkräften und Erziehern durch die Einführung von breitgestreuter Teilzeitarbeit war. Diese wird ergänzt durch zwei Anlagen, eine Protokollerklärung und eine Niederschriftserklärung. Die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 hat, soweit sie für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung ist, folgenden Wortlaut:

1. Geltungsbereich

Diese Vereinbarung gilt für alle in allgemeinund berufsbildenden Schulen sowie in sonstigen Einrichtungen, die dem SMK unterstehen, tätigen Lehrkräfte und Erzieher, die sich am 31. Mai 1992 in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat Sachsen befanden bzw. nach dem 31. Mai 1992 eingestellt werden.

Diese Vereinbarung gilt nicht für Lehrkräfte an Fach- und Ingenieurschulen sowie sonstigen Bildungseinrichtungen, die dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus nach dem 1. Januar 1992 aus anderen Ressorts zugeordnet wurden bzw. noch werden.

2. Teilzeitbeschäftigung

2.1. Angestellten, die vom Geltungsbereich dieser Vereinbarung erfaßt werden, ist zur Vermeidung von ordentlichen Kündigungen wegen mangelnden Bedarfs, bei ersatzloser Auflösung der Beschäftigungsstelle, bei Verschmelzung, Eingliederung und bei wesentlicher Änderung des organisatorischen Aufbaus der Beschäftigungsstelle sowie bei anderen dringenden betrieblichen Erfordernissen eine Minderung des Beschäftigungsumfanges im Wege einer Teilzeitbeschäftigung anzubieten. Die Minderung des Beschäftigungsgrades darf 50 v. H. eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers nicht übersteigen. Maßgeblich hierfür ist das jeweils geltende Regelstundenmaß (1). Die Einzelheiten werden individualvertraglich nach dem in der Anlage 1 beigefügten Vertragsmuster geregelt.

(1) Es gilt das Regelstundenmaß nach Anlage 2. Für die GEW Sachsen ist diese Zusage nur bis Ende des Schuljahres 1992/1993 bindend.

2.2. Die Teilzeitbeschäftigung nach Ziff. 2.1. wird unbefristet gewährt.

3. Kündigungsschutz

3.1. Während der Zeitdauer der unter Ziff. 2 bestimmten Teilzeitbeschäftigung und derselben Zeitdauer nach Ablauf dieser Teilzeitbeschäftigung, höchstens jedoch für einen Zeitraum von insgesamt sechs Jahren nach Abschluß des Änderungsvertrages (Anlage 1), ist eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber aus den Kündigungsgründen der Ziff. 2.1. ausgeschlossen. Voraussetzung ist jedoch, daß der Beschäftigungsumfang 82,5 v. H. eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Angestellten nicht überschreitet.

...

7. Schlußbestimmungen

7.1. Diese Vereinbarung tritt am 15. Juni 1992 in Kraft.

7.2. Künftige tarifvertragliche Regelungen bleiben von dieser Vereinbarung unberührt.

7.3. Die Unterzeichner dieser Vereinbarung gehen davon aus, daß das vereinbarte Teilzeitbeschäftigungsmodell und gegebenenfalls erforderliche Änderungskündigungen das mildere Mittel gegenüber der Bedarfskündigung sind. Soweit bis zum 3. Juli 1992 nicht sichergestellt ist, daß der Stellenabbau auf 42.250 zum 31. Dezember 1992 erreicht werden kann, führt das SMK die notwendigen bedarfsbedingten Kündigungen so durch, daß das geplante Abbauziel zum Stichtag 31. Dezember 1992 gesichert ist.

7.4. Das SMK informiert die GEW Sachsen regelmäßig. Das erste Gespräch im Sinne dieser Vereinbarung findet am 2. Juli 1992 statt.

Die Klägerin hatte in den Verhandlungen vor dem Abschluß der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 erstrebt, in § 7 "Schlußbestimmungen" als Ziff. 5. folgende Kündigungsregelung aufzunehmen:

Diese Vereinbarung kann frühestens zum 1. Juni 1998 unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

Unabhängig von Ziff. 7.5. Satz 1 kann Anlage 2 der Vereinbarung frühestens zum 1. Juli 1993 mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

Damit hatte sie sich gegenüber dem Beklagten nicht durchsetzen können.

Die Anl. 2 trägt die Überschrift "Verwaltungsvorschrift über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen". Diese hat auszugsweise folgenden Inhalt:

2. Regelstundenmaß

2.1. Das Regelstundenmaß ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die vollbeschäftigte Lehrkräfte im Durchschnitt wöchentlich zu erteilen haben. Eine Unterrichtsstunde wird mit 45 Minuten berechnet.

2.2. Das Regelstundenmaß beträgt für Lehrkräfte an

1. ... 2. ... 3. Gymnasien 24 Unterrichtsstunden 4. Sportlehrer, a) ... b) die an der gymnasialen Oberstufe unterrichten (Kurssystem) 27 Unterrichtsstunden 5. ... 6. Berufsbildenden Schulen (einschließlich berufsbildender Schulen für Behinderte) a) wenn sie ausschließlich theoretischen Unterricht erteilen 24 Unterrichtsstunden b) wenn sie theoretischen und fachpraktischen Unterricht erteilen 26 Unterrichtsstunden c) ...

7. Schulen des 2. Bildungsweges a) ... b) Abendgymnasien 22 Unterrichtsstunden c) Kolleg 24 Unterrichtsstunden

...

5. Anrechnungen

...

5.7. Anrechnungen für Lehrer an Grundschulen

Lehrkräfte, die regelmäßig Unterricht an Grundschulen erteilen, wird für dienstliche Fortbildungsmaßnahmen im Schuljahr 1992/1993 eine Anrechnung von einer Unterrichtsstunde in der Woche gewährt.

Ziff. 1. der "Niederschriftserklärung der Unterzeichner der Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15.6.1992" hat folgenden Wortlaut:

Die Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15. Juni 1992 wird dem Sächsischen Kabinett zur Billigung und zur Entscheidung, ob eine entsprechende tarifrechtliche Regelung angestrebt werden soll, vorgelegt.

In der "Protokollerklärung zur Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern" ist die Bildung einer paritätischen Kommission aus je zwei Vertretern des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus und der Klägerin zur Umsetzung der Vereinbarung geregelt. Ziel der Arbeit dieser Kommission war es, "verbindliche Absprachen zur Umsetzung o.g. Vereinbarung zu treffen und eine umfassende Information beider Seiten zu gewährleisten" (Ziff. 3. der Protokollerklärung).

In Umsetzung der Ziff. 1 der Niederschriftserklärung befaßte sich das Kabinett des Beklagten mit der Vereinbarung vom 15. Juni 1992. Es billigte diese, lehnte aber eine entsprechende tarifrechtliche Regelung ab.

Das Sächsische Staatsministerium für Kultus veröffentlichte die Regelungen der Anl. 2 zur Vereinbarung zum 15. Juni 1992 mit geringfügigen inhaltlichen Änderungen in seinem Amtsblatt 9/1992 vom 27. Juli 1992, dort als "Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen vom 2. Juli 1992" bezeichnet. Während die Regelung der Ziff. 5.7. der Anl. 2 in der amtlich veröffentlichten Fassung fehlt, ist dort als Ziff. 6. folgende in der Anl. 2 nicht enthaltene Vorschrift angefügt:

6. Inkrafttreten

Diese Verwaltungsvorschrift tritt am 1.8.1992 in Kraft.

Auf Betreiben der Klägerin wurde die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 etwa acht Monate nach ihrer Unterzeichnung in die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit geführten Tarifregister eingetragen.

Die 8. Sitzung der Paritätischen Kommission fand am 16. Dezember 1992 statt. In dem diese Sitzung betreffenden "Beschlußprotokoll" ist unter Ziff. 1. die Feststellung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) festgehalten, "daß das Ziel der Teilzeitvereinbarung vom 15.6.1992 zum 31.12.1992 erreicht ist".

Im März 1993 gab die Klägerin eine "Kommentierung zur Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15.6.1992" heraus. In dieser hat sie im 2. Teil Buchst. B unter III. den Satz 2 der "Fußnote zu Ziff. 2.1." wie folgt kommentiert:

...

2.) "Für die GEW Sachsen ist diese Zusage nur bis Ende des Schuljahres 1992/1993 bindend."

Mit dieser Aussage hat die GEW Sachsen klar zu erkennen gegeben, daß die einseitige Festlegung der Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen mit der Verwaltungsvorschrift (Anlage 2) nur als notgedrungenes Zugeständnis vor dem Hintergrund der Sicherung von 4.500 Arbeitsplätzen, bezogen auf die Teilzeitvereinbarung vom 15.6.1992, zu werten ist und zeitlich aus Sicht der GEW Sachsen lediglich bis zum Ende des Schuljahres 1992/1993 befristet sein soll. Damit hat die GEW Sachsen bei Abschluß der Teilzeitvereinbarung vom 15.6.1992 dem Freistaat Sachsen als Vertragspartner deutlich gemacht, daß die Arbeitszeitregelung für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen gem. der Verwaltungsvorschrift (Anlage 2) nicht auf Dauer festgeschrieben sein soll. Zukünftig, d. h., nach Ablauf des Schuljahres 1992/93 wird die Verkürzung der Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen eine der Kardinalforderungen der GEW Sachsen sein.

Mit Wirkung vom 1. August 1993 änderte das Sächsische Staatsministerium für Kultus "unter Wahrung der Beteiligungsrechte der Personalvertretung gem. § 77 Ziff. 1 SächsPersVG" die "Verwaltungsvorschrift ... zur Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen vom 27.7.1992", indem es für die nachgenannten Lehrkräfte deren Regelstundenmaß wie folgt erhöhte:

...

- Gymnasien a) Lehrkräfte in den Klassen 5 - 10 27 Ustd. b) Lehrkräfte mit mindestens 6 Stunden in der Oberstufe (Kurssystem) 26 Ustd. c) Lehrkräfte mit mehr als 8 Stunden in der Oberstufe (Kurssystem) 25 Ustd.

...

- Berufsbildende Schulen (einschließlich berufsbildender Schulen für Behinderte)

a) wenn sie ausschließlich theoretischen Unterricht erteilen 26 Ustd. b) wenn sie theoretischen und fachpraktischen Unterricht erteilen 27 Ustd. ...

- Schulen des 2. Bildungsweges ... b) Abendgymnasien 25 Ustd. c) Kollegs 26 Ustd.

- Sportlehrer b) die an der gymnasialen Oberstufe unterrichten (Kurssystem) 28 Ustd.

Die Klägerin hat im Wege einstweiliger Verfügung erstrebt, dem Beklagten aufzugeben, die Erhöhung des Regelstundenmaßes zu unterlassen. Sie ist damit in beiden Rechtszügen erfolglos geblieben.

Mit ihrer Hauptsacheklage erstrebt sie die Verpflichtung des Beklagten, es zu unterlassen, von den vollbeschäftigten ihr als Mitglieder angehörenden Lehrkräften eine über die bis zum Schuljahresende 1992/1993 hinausgehende Regelstundenzahl zu verlangen, hilfsweise die Feststellung dieser Unterlassungspflicht, weiter hilfsweise die Feststellung der Vertragswidrigkeit der einseitigen Erhöhung des Regelstundenmaßes durch den Beklagten.

Ihre Auffassung, der Beklagte sei vertraglich an die Regelung der Lehrerarbeitszeiten in der Anl. 2 zur Vereinbarung vom 15. Juni 1992 gebunden, hat die Klägerin mit umfangreichen Ausführungen begründet. Im Kern gehen diese dahin, diese Vereinbarung habe den "Charakter eines Tarifvertrages"; mit der "Niederschriftserklärung" sei lediglich auf interne Gepflogenheiten des Beklagten Rücksicht genommen worden. Selbst wenn man die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 rechtlich nicht als Tarifvertrag bewerte, handele es sich um einen die Vertragsparteien bindenden Vertrag. Die Regelung über die Pflichtstundenzahl in der Anl. 2 sei Bestandteil der Vereinbarung geworden und vom Beklagten nicht einseitig abänderbar. Die Verweisung auf das "jeweils geltende" Regelstundenmaß in Ziff. 2.1. der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 trage dem Umstand Rechnung, daß das Regelstundenmaß nach Schulform, -stufe und Fach zum Teil unterschiedlich hoch sei. Ohne eine vertragliche Bindung des Beklagten an das Regelstundenmaß der Anl. 2 sei ihre zeitlich auf das Ende des Schuljahres 1992/1993 begrenzte Bindung an dieses sinnlos; denn eine Bindung an eine unverbindliche Regelung mache keinen Sinn. Die vertragliche Verbindlichkeit der Regelung über das Regelstundenmaß folge auch aus Sinn und Zweck der Vereinbarung vom 15. Juni 1992. Wäre der Beklagte nicht auch seinerseits an die einschlägigen Arbeitszeitregelungen der Anl. 2 gebunden, hätte er durch nachträglich einseitige Erhöhung der Arbeitszeit bereits die Umsetzung der Teilzeitvereinbarung be- oder sogar verhindern können.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung bis zur Höhe von 500.000,00 DM festzusetzenden Ordnungsgeldes zu verurteilen, es zu unterlassen, ohne Einverständnis der Klägerin von den vollbeschäftigten, als Mitglieder der GEW tarifgebundenen Lehrkräften im wöchentlichen Stundendurchschnitt die Erteilung von einer für Lehrkräfte

- an Gymnasien über 24 UStd.,

- an berufsbildenden Schulen, wenn sie ausschließlich theoretischen Unterricht erteilen über 24 UStd., wenn sie theoretischen und fachpraktischen Unterricht erteilen über 26 UStd.,

- an Abendgymnasien über 22 UStd.,

- an Kollegs über 24 UStd.,

- und für Sportlehrer/-innen mit Unterricht an der gymnasialen Oberstufe (Kurssystem) über 27 UStd.

hinausgehende Regelstundenzahl zu verlangen;

hilfsweise,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, es zu unterlassen, von den vollbeschäftigten, als Mitglieder der GEW tarifgebundenen Lehrkräften im wöchentlichen Stundendurchschnitt die Erteilung von einer für Lehrkräfte

- an Gymnasien über 24 UStd.,

- an berufsbildenden Schulen, wenn sie ausschließlich theoretischen Unterricht erteilen über 24 UStd., wenn sie theoretischen und fachpraktischen Unterricht erteilen über 26 UStd.,

- an Abendgymnasien über 22 UStd.,

- an Kollegs über 24 UStd.

- und für Sportlehrer/-innen mit Unterricht an der gymnasialen Oberstufe (Kurssystem) über 27 UStd.

hinausgehenden Regelstundenzahl zu verlangen;

weiter hilfsweise,

festzustellen, daß die vom Beklagten ohne Einverständnis der Klägerin vorgenommene von der Festsetzung des Regelmaßes in Anlage 2 der "Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern" vom 15. Juni 1992 abweichende Erhöhung des Regelstundenmaßes für vollzeitbeschäftigte, als Mitglieder der GEW tarifgebundene Lehrkräfte

- an Gymnasien mit Unterricht in den Klassen 5 bis 10 auf 27 UStd., mit mindestens 6 Stunden Unterricht in der Oberstufe (Kurssystem) auf 26 UStd., mit mehr als 8 Stunden Unterricht in der Oberstufe (Kurssystem) auf 25 UStd.,

- an berufsbildenden Schulen, wenn sie ausschließlich theoretischen Unterricht erteilen auf 26 UStd.,

wenn sie theoretischen und fachpraktischen Unterricht erteilen auf 27 UStd.

- an Abendgymnasien auf 25 UStd.,

- an Kollegs auf 26 UStd.

- und für Sportlehrer/-innen mit Unterricht in der gymnasialen Oberstufe (Kurssystem) auf 28 UStd.,

als im Durchschnitt wöchentlich zu erteilende Anzahl von Unterrichtsstunden gegen die "Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern" vom 15. Juni 1992 verstößt.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die Parteien seien sich darüber einig gewesen, mit den der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 vorausgegangenen Verhandlungen keine Tarifvertragsverhandlungen zu führen. Sie hätten eine Vereinbarung unterhalb der Ebene tarifvertraglicher Regelungen abschließen wollen. Die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 sei nach Form und Inhalt mit einem Interessenausgleich vereinbar. Gegenstand der Vereinbarung sei lediglich die Einführung breitgestreuter Teilzeitbeschäftigung. Da in der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 die zulässige Minderung des Beschäftigungsumfanges bestimmt worden sei, habe dafür eine Bezugsgröße gefunden werden müssen. Als solche sei das Regelstundenmaß gewählt worden. Dafür sei auf die Verwaltungsvorschrift über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen verwiesen worden. Im übrigen folge seine Berechtigung zur einseitigen Änderung des Regelstundenmaßes auch daraus, daß in Ziff. 2 auf das "jeweils geltende" Regelstundenmaß verwiesen worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtzug hat die Klägerin ihre Anträge geringfügig modifiziert (Weglassung der Worte "ohne Einverständnis der Klägerin" im Hauptantrag und im zweiten Hilfsantrag) weiterverfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts nach dem Hauptantrag erkannt und auf Antrag des Beklagten die vorläufige Vollstreckbarkeit ausgeschlossen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist weder nach dem Hauptantrag noch nach den Hilfsanträgen begründet.

I. Die Klage ist zulässig. Der Ansicht des Beklagten, ihr fehle das Rechtsschutzinteresse, da die Klägerin nicht beschwert sei, folgt der Senat nicht. Denn das Rechtsschutzinteresse liegt in der Nichterfüllung des von der Klägerin behaupteten materiellen Anspruchs auf Unterlassung der Erhöhung des Regelstundenmaßes für vollbeschäftigte ihr als Mitglieder angehörende Lehrkräfte (vgl. Urteil des Senats vom 29. April 1992 - 4 AZR 432/91 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Durchführungspflicht = BAGE 70, 165, 171, m.w.N.), gleich ob es sich bei der Vereinbarung vom 15. Juni 1992, aus der die Klägerin ihren Anspruch herleitet, um einen Tarifvertrag i.S.d. TVG oder um einen (sonstigen) Koalitionsvertrag zugunsten Dritter handelt.

Sonst ist zur Zulässigkeit der Klage nichts zu bemerken.

II. Die damit zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Denn die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen des Beklagten ist - jedenfalls für die Zeit ab Schuljahresbeginn 1993/1994 - nicht kollektivvertraglich auf den Stand des Schuljahres 1992/1993 festgeschrieben. Der Beklagte schuldet der Klägerin daher nicht die von ihr geforderte Unterlassung der Erhöhung des Regelstundenmaßes zum (1. August 1993) und verhält sich mit dieser Erhöhung nicht vertragswidrig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, es bedürfe keiner Entscheidung, ob die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 ein Tarifvertrag i.S.d. TVG sei. Es hat allerdings insoweit bemerkt, insbesondere Ziff. 1. der Niederschriftserklärung der Unterzeichner der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 lege eher die Annahme nahe, daß die Parteien in der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 selbst noch keinen Tarifvertrag sehen wollten. Da die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 die Anforderungen eines schuldrechtlichen Koalitionsvertrages - in Gestalt eines Hauskoalitionsvertrages - zugunsten Dritter erfülle, seien daraus der Klägerin auch dann, wenn die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 nicht bereits als Tarifvertrag zu qualifizieren sei, die von ihr geltend gemachten Forderungsrechte erwachsen.

1.1 Methodisch folgt der Senat diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Bewertung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 als Hauskoalitionsvertrag zugunsten Dritter setzt der Sache nach voraus, daß sie kein Tarifvertrag i.S.d. TVG ist; denn die Regelung des § 4 Abs. 1 TVG über die Wirkung tarifvertraglicher Inhaltsnormen unterscheidet sich grundlegend von den Rechtswirkungen eines Vertrages zugunsten Dritter.

Gleichwohl ist der rechtlichen Bewertung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 durch das Landesarbeitsgericht als Koalitionsvertrag zugunsten Dritter zuzustimmen, denn die von ihm offengelassene Frage, ob diese Tarifvertragsqualität hat, ist eindeutig zu verneinen.

Zwar setzt die rechtliche Bewertung eines Vertrages als Tarifvertrag i.S.d. Tarifvertragsgesetzes nicht dessen Benennung mit diesem Begriff durch die Vertragsparteien voraus. Auch ein "Vereinbarung" genannter Vertrag kann als Tarifvertrag zu bewerten sein, wenn er der Sache nach als solcher anzusehen ist (Urteil des Senats vom 26. Januar 1983 - 4 AZR 224/80 - BAGE 41, 307 = AP Nr. 20 zu § 1 TVG). Indes ist dies dann nicht möglich, wenn dies dem erklärten Willen der tariffähigen Vertragspartner widerspricht (Gamillscheg, Kollektives Arbeitrecht, Bd. 1, § 12 Ziff. 9 c; Plander, Nichttarifliche Übereinkünfte zwischen Gewerkschaften und Trägern öffentlicher Gewalt, in: Festschrift für Kehrmann, 1997, 295, 307). Für einen derartigen Vertragswillen kommen einer Reihe verschiedener Gründe in Betracht (Plander, aaO, S. 300 ff.).

Im vorliegenden Fall ergibt sich der Wille der Parteien, den Inhalt der von ihnen am 15. Juni 1992 erzielten Einigung nicht als Tarifrecht vereinbaren zu wollen, mit einer jeglichen Zweifel ausschließenden Eindeutigkeit aus Ziff. 1. der Niederschriftserklärung zu dieser Vereinbarung. Nach dieser haben sie sich darauf geeinigt, daß "die Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern vom 15.6.1992 ... dem Sächsischen Kabinett zur Billigung und Entscheidung, ob eine entsprechende tarifrechtliche Regelung angestrebt werden soll", vorgelegt werden soll. Einer Entscheidung des Sächsischen Kabinetts, "ob eine entsprechende tarifrechtliche Regelung angestrebt werden soll", hätte es nicht bedurft, wenn die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 nach dem Willen der Vertragsparteien selbst Tarifqualität gehabt hätte. Zwar hätte das von den Parteien am 15. Juni 1992 erzielte Verhandlungsergebnis seinem Inhalt nach auch als Tarifvertrag vereinbart werden können. Seine Bewertung als solcher scheitert jedoch an dem entgegenstehenden eindeutig erklärten Willen der Parteien. Daran vermag auch die unzulässigerweise erfolgte Eintragung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 in die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit geführten Tarifregister nichts zu ändern.

Nur bei der Bewertung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 als nichttariflicher Vertrag, die auch Plander (aaO, S. 297) für richtig hält, der diese als Beispiel für eine "Übereinkunft nichttariflicher Art" anführt, kann diese mit dem Landesarbeitsgericht rechtlich als Koalitionsvertrag zugunsten Dritter eingeordnet werden.

1.2 Insoweit folgt der Senat dem Landesarbeitsgericht. Auch tariffähige Koalitionen können nichttarifliche Vereinbarungen treffen (BAG Urteile vom 28. September 1983 - 4 AZR 200/83 - BAGE 43, 312, 320 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität, m.w.N.; vom 28. Juli 1988 - 6 AZR 349/87 - BAGE 59, 177, 185 = AP Nr. 1 zu § 5 TV Arb Bundespost, m.w.N.; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1616 f.; Gamillscheg, aaO, § 12 Ziff. 9; Kempen/ Zachert, TVG, 3. Aufl., § 1 Rz 366, Löwisch/Rieble, TVG, Grundl., Rz 85 ff.). Dafür gibt es in der Vertragspraxis eine Fülle von Beispielen (Plander, aaO, S. 295 f.; Eich, Tarifverträge und Sozialpartnerbeziehungen am Beispiel der chemischen Industrie, NZA 1995, 149 f.; Molitor, Außertarifliche Sozialpartnervereinbarungen, Festschrift für Stahlhacke, 1995, S. 339 f.). Deren Bezeichnung ist uneinheitlich: Neben ihrer Benennung als "Koalitionsvertrag" finden sich z.B. Begriffe wie "sonstige Kollektivverträge", "Sozialpartner-Vereinbarungen", "Außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen" oder "softagreement".

1.3 Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 auch als Koalitionsvertrag zugunsten Dritter gewertet. Zwar muß im Zweifel davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragparteien sich dieser Gestaltungsmöglichkeit nicht bedienen wollen, da sie kraft ihrer Tarifautonomie die Möglichkeit zu unmittelbarer Rechtsetzung nach dem TVG besitzen (BAG Urteil vom 26. Januar 1983 - 4 AZR 224/80 - aaO). Im vorliegenden Fall haben die Parteien aber nach ihrem eindeutig erklärten Willen kein Tarifrecht geschaffen. Sie haben andererseits aber präzise Verpflichtungen und Ansprüche begründet. Die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 enthält in Ziff. 2.1. als wesentlichen Bestandteil die Verpflichtung des Beklagten, den "Angestellen, die vom Geltungsbereich dieser Vereinbarung erfaßt werden", eine "Minderung des Beschäftigungsumfangs im Wege einer Teilzeitbeschäftigung anzubieten", die nach Ziff. 3.1. mit einer Beschränkung der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung verbunden ist. Damit erwächst dem an einer Teilzeitbeschäftigung interessierten Angestellten ein Anspruch auf entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages. Die Vereinbarung enthält damit Regelungen, die ihre Bewertung als Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB gebieten. Dies ergibt sich zudem aus einer Reihe weiterer Vorschriften. So ist sowohl in Ziff. 4.1. als auch in Ziff. 4.2. vereinbart, daß für dort näher geregelte Fallgestaltungen der vereinbarte "Kündigungsschutz" ebenfalls "gilt". Nach Ziff. 6. "gilt" hinsichtlich der Vergütung von Mehrarbeit der teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte eine dort genannte Verwaltungsvorschrift. In den Schlußbestimmungen ist vereinbart, daß die Vereinbarung "am 15. Juni 1992 in Kraft" tritt.

Soweit die Revision meint, daß ein etwaiger Anspruch der Klägerin aus der Vereinbarung lediglich so zu erfüllen sei, wie die Protokollerklärung das vorsehe, kann dem nicht zugestimmt werden. Die Protokollerklärung, die die Arbeit der Paritätischen Kommission regelt, macht deutlich, daß die Parteien angesichts des zeitnahen Zieles für die Umsetzung der Vereinbarung (31. Dezember 1992) die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit erkannt haben. Sie haben deshalb in der Protokollerklärung zu Informationsverpflichtungen des Beklagten und zu Verfahrensfragen spezielle Regelungen getroffen. Die Ansprüche der unter den Geltungsbereich der Vereinbarung fallenden Angestellten aus dieser selbst sind davon nicht berührt.

2. Aus der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 ergibt sich aber keine vertragliche Bindung des Beklagten an die in der Anl. 2 zur Vereinbarung enthaltene Bestimmung des Regelstundenmaßes für die Zeit ab Schuljahresbeginn 1993/1994. Der dazu vom Landesarbeitsgericht vertretenen gegenteiligen Auffassung folgt der Senat nicht.

2.1 Das Landesarbeitsgericht hat diese im wesentlichen damit begründet, den Parteien sei es darum gegangen, Massenkündigungen durch eine breitgestreute Teilzeitarbeit zu vermeiden. Als Alternative zu einem Koalitionsvertrag/Tarifvertrag hätte sich nur ein rein individualrechtliches Vorgehen angeboten. Bei der erforderlichen Anzahl von Teilzeitbeschäftigungen hätte das nicht zum Erfolg geführt. Erforderlich seien deshalb sichere, durch die Tarifvertragsparteien - gemeint: Vertragsparteien - geschaffene Rahmenbedingungen gewesen. Hierzu habe die Regelung der Unterrichtsverpflichtung von vollzeitbeschäftigten Lehrern gehört. Diese habe verbindlichen Charakter tragen müssen. Denn mit der Möglichkeit der jederzeitigen Veränderbarkeit hätte der Zweck der Vereinbarung vom 15. Juni 1992, nämlich die Verhinderung von Kündigungen, beliebig, sogar schon kurze Zeit nach Abschluß der Vereinbarung, unterlaufen werden können. Als feste Bezugsgröße für die Einführung breitgestreuter Teilzeitarbeit sei das Regelstundenmaß während der Geltungsdauer der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 nicht einseitig abänderbar. Die Verweisung auf das "jeweils" geltende Regelstundenmaß sei "eher" dahin zu deuten, daß dieses für die verschiedenen Lehrergruppen unterschiedlich hoch sei. Die Nichtübernahme der von der Klägerin vorgeschlagenen Kündigungsregelung betreffend die Anl. 2 könne dafür sprechen, die Parteien hätten lediglich die Kündigung der gesamten Vereinbarung ermöglichen wollen.

2.2 Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

2.2.1 Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht ausdrücklich dazu geäußert, ob die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderliche Auslegung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 nach den Regeln für die Auslegung von Schuldverträgen nach §§ 133, 157 BGB oder denjenigen von Tarifverträgen vorzunehmen ist. Es scheint jedoch von letzterem auszugehen. Denn es befaßt sich zunächst mit dem Wortlaut der Vereinbarung, dann mit deren Systematik - sowie ihrem Sinn und Zweck - und behandelt abschließend noch einen Umstand aus ihrer Entstehungsgeschichte. Auf die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen aus den Verhandlungen über die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 ist es hingegen nicht eingegangen. Damit hat das Landesarbeitsgericht der Sache nach bei der von ihm vorgenommenen Auslegung die für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Regeln angewandt.

2.2.2 Dies hält der Senat auch für geboten. Wenn die Koalitionen nichttarifliche Vereinbarungen treffen, geschieht auch dies regelmäßig zur Erfüllung ihrer Ordnungsaufgabe. In der Literatur wird daher der Standpunkt vertreten, Leitlinie für die Entwicklung richterrechtlicher Grundsätze für Koalitionsverträge "unterhalb der Ebene der anerkannten Tarifvereinbarungen" müsse die Annäherung an tarifrechtliche Grundsätze sein (Kempen/ Zachert, aaO, § 1 Rz 366). Ob diese Auffassung in dieser Allgemeinheit zutreffend ist, kann hier dahinstehen. Der Streitfall erfordert lediglich die Entscheidung, welche Regeln für die Auslegung eines (nichttariflichen) Koalitionsvertrages gelten, und zwar eines Koalitionsvertrages mit Regelungen eines Vertrages zugunsten Dritter. Die Auslegung eines solchen Vertrages ist nach den für die Auslegung von Tarifverträgen geltenden Regeln vorzunehmen. Denn er betrifft regelmäßig - wie im Normalfall ein Tarifvertrag - eine Vielzahl von Personen, wie dies auch bei der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 der Fall ist, zu deren Gunsten er Ansprüche zur Entstehung bringt. Insbesondere die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 hat nach dem Willen der Parteien eine tarifvertragsersetzende Funktion, wie sich aus der Niederschriftserklärung ergibt. Dort haben sie deren Ablösung durch "eine entsprechende tarifrechtliche Regelung" ins Auge gefaßt, die dann an der ablehnenden Haltung des Beklagten gescheitert ist. Bei einer solchen Funktion eines Koalitionsvertrages ist dieser wie ein Tarifvertrag auszulegen.

Damit unterliegt die Auslegung der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 der selbständigen Beurteilung durch den Senat (BAG Urteil vom 30. September 1971 - 5 AZR 123/71 - AP Nr. 121 zu § 1 TVG Auslegung).

2.2.3 Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. Senatsurteil vom 21. Juni 1993 - 4 AZR 468/92 - AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).

2.2.4 Wortlaut, Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte sowie - als Parallele zur praktischen Tarifübung - Umstände im Verhalten der Klägerin nach Abschluß der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 sprechen deutlich dagegen, daß der Inhalt der Verwaltungsvorschrift vom 2. Juli 1992 zwischen den Parteien als Vertragsrecht vereinbart ist.

2.2.4.1 Der Wortlaut der Ziff. 2.1. der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 unter Mitberücksichtigung der Fußnote 1 ist nicht eindeutig. Er spricht aber nach Auffassung des Senats weit eher gegen die vertragliche Festschreibung des Regelstundenmaßes für Lehrkräfte und Erzieher auf den Inhalt der - späteren - Verwaltungsvorschrift vom 2. Juli 1992. Die Auslegung, die die Klägerin den Worten "jeweils geltenden" gibt, überzeugt nicht. Sie geht dahin, damit habe klargestellt werden sollen, daß das für die jeweilige Schulform, Schulstufe und Fach angesetzte Regelstundenmaß maßgeblich sein solle (gegenstandsbezogene Deutung). Dafür hätte es der Worte "jeweils geltende" nicht bedurft. Es hätte schlicht heißen können: "Es gilt das Regelstundenmaß nach Anl. 2". Daß bei der Minderung der Beschäftigung die Arbeitszeit "eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers" maßgebend ist, haben die Vertragsparteien bereits in Satz 2 der Ziff. 2.1. der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 ausdrücklich bestimmt. Vergleichbar ist aber nur ein in derselben Schulform, Schulstufe, demselben Fach eingesetzter Lehrer. Das insoweit einschlägige Regelstundenmaß ergibt sich damit auch ohne den Jeweiligkeitszusatz bei der Verweisung aus der Anl. 2. Um auszudrücken, daß es nach Schulform etc. unterschiedliche Regelstundenmaße gibt, waren die Worte "jeweils geltende" somit überflüssig. Nötig waren sie hingegen, um zum Ausdruck zu bringen, daß die in Ziff. 2.1. vereinbarte Verweisung keine statische ist (zeitbezogene Deutung).

Gegen die von der Klägerin vertretene Auslegung spricht auch der Wortlaut der Überschrift der Vereinbarung vom 15. Juni 1992. In dieser haben die Vertragsparteien den Vertragsgegenstand als "Vereinbarung über die freiwillige Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften und Erziehern" bezeichnet, nicht hingegen darin als weiteren, wohl sogar noch bedeutsameren Regelungsgegenstand die Regelung der "Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen" genannt. Dies spricht dagegen, daß die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 auch eine vertragliche Regelung des vorgenannten Gegenstandes enthält.

Es widerspricht auch den Gepflogenheiten kollektivvertraglicher Praxis, einem so wichtigen Vertragsgegenstand, wenn man sich über diesen wirklich materiell geeinigt hat, lediglich über eine noch dazu mißdeutige Verweisung vertragliche Geltung zu verschaffen.

2.2.4.2 Die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs stützt dieses Auslegungsergebnis.

Bei einer vertraglichen Einigung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen des Beklagten wäre eine Aussage im Vertragsinhalt zur Laufzeit der Arbeitszeitregelung oder deren Kündbarkeit durch die Parteien zu erwarten gewesen. Eine solche Regelung enthält die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 jedoch nicht.

Gegenstand der Vereinbarung ist nach der Präambel die sozialverträgliche Gestaltung des Stellenabbaus an den öffentlichen Schulen des Beklagten "bis zum 31.12.1992". Tatsächlich war die in Ziff. 2. der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 vereinbarte Teilzeitbeschäftigung bis zu diesem Zeitpunkt umgesetzt. Darüber besteht Einigkeit zwischen den Parteien. Die Arbeitszeit der vollbeschäftigten Lehrkräfte war lediglich eine Rechnungsgröße für das Teilzeitbeschäftigungsmodell, nicht mehr. Dem entspricht es, wenn auf sie lediglich per Fußnote verwiesen wird. Angesichts der zeitlichen Befristung der Umsetzung des Teilzeitmodells bis zum 31. Dezember 1992 bestand lediglich Bedarf für eine verbindliche Rechnungsgröße bis zu diesem Zeitpunkt, bis zu dem der Beklagte das Regelstundenmaß auch nicht geändert hat. Es bestand aber wegen der Befristung der Umsetzung des Teilzeitmodells bis zum 31. Dezember 1992 keine zwingende Veranlassung, über die Lehrerarbeitszeit für nachfolgende Schuljahre eine verbindliche Regelung zu treffen. Dies spricht dagegen, die lediglich kraft Verweisung für die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 bedeutsame Regelung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen des Beklagten als solche zu deuten.

2.2.4.3 Auch Umstände aus der Entstehungsgeschichte der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 sprechen dagegen, daß in dieser das Regelstundenmaß ihrer Anl. 2 über das Schuljahresende 1992/1993 hinaus vertraglich festgeschrieben worden ist.

Die Klägerin hat in den Verhandlungen über die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 als deren Ziff. 7.5. die im Tatbestand im Wortlaut wiedergegebene Kündigungsregelung (Kündbarkeit der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 im allgemeinen frühestens zum 1. Juni 1998, der Anlage 2 frühestens zum 1. Juli 1993) erstrebt. Damit hat sie sich nicht durchsetzen können. Angesichts dessen erscheint es ausgeschlossen, die Fußnote 1 zu Ziff. 2.1. der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 dahin auszulegen, daß der Beklagte sich an die Regelung der Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in der Anl. 2 über das Schuljahr 1992/1993 hinaus vertraglich gebunden hat.

Bei der Entstehungsgeschichte der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 bestand für die Vertragsparteien keine Veranlassung, auf eine Verwaltungsvorschrift des Beklagten zu verweisen, wenn deren Inhalt in Wirklichkeit als Vertrag von ihnen vereinbart worden ist. Die Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschrift hätte dann einen Sinn gehabt, wenn diese schon existent gewesen wäre. Bei deren Übernahme wäre dieses Faktum von den Vertragspartnern zu berücksichtigen gewesen. Die die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen des Beklagten ab dem Schuljahr 1992/1993 regelnde Verwaltungsvorschrift lag bei den Verhandlungen der Parteien über die Vereinbarung vom 15. Juni 1992 erst im Entwurf vor. Ergebnis ihrer Verhandlungen war u.a. deren inhaltliche Modifizierung. Sollte deren Inhalt als Vertragsrecht zwischen den Parteien gelten, hätte sie diesen selbst vereinbaren können und nicht den Weg einer Verweisung auf eine erst später existent gewordene Verwaltungsvorschrift wählen müssen. Diese Regelungstechnik spricht dafür, daß sich der Beklagte damit durchgesetzt hat, die Lehrerarbeitszeit einseitig durch Verwaltungsvorschrift festsetzen zu können.

2.2.5 Schließlich sprechen auch Umstände im Verhalten der Klägerin nach Abschluß der Vereinbarung vom 15. Juni 1992 - gewissermaßen als Parallele zur praktischen Tarifübung - gegen die von ihr nunmehr vertretene Qualifizierung und Auslegung der Anl. 2.

Der Beklagte hat den Inhalt der Anl. 2 mit den im Tatbestand dargestellten geringfügigen Modifikationen - Weglassung der Ziff. 5.7., Hinzufügung einer Ziff. 6. - im Amtsblatt des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 27. Juli 1992 veröffentlicht, ohne daß die Klägerin, wie mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in ihrem Vortrag angenommen werden muß, dies als unzulässige Abweichung von vertraglich Vereinbartem beanstandet hat. Dies spricht für das Fortbestehen der Befugnis des Beklagten zur einseitigen Festsetzung des Regelstundenmaßes.

Auch in der im Tatbestand wiedergegebenen Kommentierung der "Fußnote zu Ziff. 2.1." durch die Klägerin ist keine Rede davon, aus der vereinbarten Fußnote ergebe sich, daß die Arbeitszeit für Lehrkräfte durch tarifvertragliche/kollektivvertragliche Vereinbarung zwischen ihr und dem Beklagten über das Schuljahr 1992/1993 für den Beklagten verbindlich festgeschrieben worden sei. Im Gegenteil: Sie führt selbst aus, daß für die Dauer der Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen "die einseitige Festlegung" -scil.: durch den Freistaat Sachsen - maßgebend sei; insoweit habe sie ein "notgedrungenes Zugeständnis vor dem Hintergrund der Sicherung von 4.500 Arbeitsplätzen" machen müssen. Genau darauf beharrt mit Recht der Beklagte.

3. Mangels einer vertraglichen Festschreibung des Regelstundenmaßes für Lehrkräfte an seinen öffentlichen Schulen jedenfalls für die Zeit ab Beginn des Schuljahres 1993/1994 ist der Beklagte weder verpflichtet, dessen Erhöhung ab dem genannten Zeitpunkt zu unterlassen, noch verstößt er mit der angeordneten Erhöhung gegen die Vereinbarung vom 15. Juni 1992. Damit ist die Klage nach allen Anträgen unbegründet.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub Schneider Bott Müller-Tessmann Peter Jansen

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 05.11.1997 durch Bartel, Regierungshauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BAGE, 45

BB 1998, 904

FA 1998, 199

FA 1998, 99

NZA 1998, 654

RdA 1998, 251

ZTR 1998, 265

AP, 0

ArbuR 1998, 251

AuA 1999, 233

RiA 1998, 274

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