Entscheidungsstichwort (Thema)

Mittelbare Diskriminierung bei Direktversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Lebensversicherung zusagt (Direktversicherung), kann je nach dem Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit der begünstigten Arbeitnehmer Gruppen bilden, die die Höhe der Versicherungsleistung und der dafür aufzubringenden Versicherungsprämien bestimmen.
  • Bei einer versicherungsförmigen Versorgung wird die Einteilung der Arbeitnehmer in voll-, überhalbzeitig und unterhalbzeitig Beschäftigte dem Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gerecht.
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Lebensversicherung, § 1; GG Art. 3 Abs. 3; EWGVtr Art. 119; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 28.10.1992; Aktenzeichen 5 Sa 204/92)

ArbG Kiel (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen 1b Ca 2195/91)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 28. Oktober 1992 – 5 Sa 204/92 – teilweise aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 21. Mai 1992 – 1 b Ca 2195/91 – teilweise abgeändert.
  • Die Urteilsformel wird wie folgt gefaßt:

    • Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin so zu stellen wie sie stünde, wenn die Beklagte zugunsten der Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1984 eine Lebensversicherung mit einem Beitrag von 22,20 DM monatlich zu den Bedingungen des Gruppenversicherungsvertrages mit der Provinzial Lebensversicherungsanstalt Schleswig-Holstein abgeschlossen hätte.
    • Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
  • Im übrigen werden die Berufungen der Parteien und die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
  • Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aus Gründen der Gleichbehandlung eine betriebliche Altersversorgung gewähren muß.

Die Klägerin, über 50 Jahre alt und verheiratet, ist seit 1963 bei der Beklagten beschäftigt. Die regelmäßige volle Arbeitszeit beträgt bei der Beklagten 39 Wochenstunden. Die Klägerin arbeitet 17 Wochenstunden.

Im Jahre 1984 schloß die Beklagte für ihre Mitarbeiter bei der Provinzial Lebensversicherungsgesellschaft eine Gruppenlebensversicherung ab. In einem Schreiben der Beklagten an die Mitarbeiter vom 20. Januar 1984 heißt es dazu:

  • “Der Aufsichtsrat … hat in seiner Sitzung am 14.12.1983 beschlossen, für alle Mitarbeiter der Gesellschaft, die mindestens die Hälfte der tariflichen Arbeitszeit tätig sind und bisher von der zusätzlichen Altersversorgung der Gesellschaft keinen Gebrauch gemacht haben sowie das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine Zusatzversicherung auf der Basis eines festen Betrages von DM 66,60 abzuschließen. Da diese Zusatzversicherung in Form einer Gruppenversicherung abgeschlossen wird, sollten nach Möglichkeit alle Beschäftigten, die die o.a. Voraussetzungen erfüllen, dieser Versicherung beitreten.
  • Im einzelnen gilt folgendes:
  • Bei Vollbeschäftigten mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren übernimmt die Gesellschaft den Betrag in Höhe von DM 66,60 voll. Bis zum Erreichen der 10jährigen Betriebszugehörigkeit trägt die Gesellschaft 2/3 des Betrages = DM 44,40, der Beschäftigte als Eigenbeteiligung 1/3 = DM 22,20.
  • Bei Teilzeitbeschäftigten mit mindestens der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren übernimmt die Gesellschaft einen anteiligen Betrag in Höhe von DM 44,40. Bis zum Erreichen der 10jährigen Betriebszugehörigkeit trägt die Gesellschaft 2/3 des Betrages = DM 29,60, der Beschäftigte als Eigenbeteiligung 1/3 = DM 14,80.
  • Bei vorzeitigem Ausscheiden eines Mitarbeiters aus dem Unternehmen erhält der Beschäftigte die von ihm geleistete Eigenbeteiligung zurück.
  • …”

Teilzeitkräfte mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von weniger als 19,5 Stunden waren hiernach von der Teilnahme an der Gruppenversicherung ausgeschlossen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1993 hat die Beklagte nach entsprechender Änderung des Gruppenlebensversicherungsvertrags mit der Provinzial auch die unterhalbzeitig beschäftigten Mitarbeiter in das Versorgungswerk einbezogen. Voraussetzung für die Versicherung ist nach einem Beschluß des Aufsichtsrats der Beklagten vom 1. Juli 1993, daß der unterhalbzeitig beschäftigte Arbeitnehmer noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet hat. Die Versicherung wird “auf der Basis eines festen Betrages von DM 22,20 abgeschlossen”; bis zum Erreichen einer 10jährigen Betriebszugehörigkeit hat der versicherte Mitarbeiter eine Eigenbeteiligung von 7,40 DM zu tragen.

Die Beklagte beschäftigte am 1. November 1991 einschließlich der Geschäftsführung insgesamt 124 Mitarbeiter. Vollzeitbeschäftigt waren 53 Mitarbeiter, davon 37 Männer und 16 Frauen. Teilzeitbeschäftigt mit mehr als 19,5 Wochenstunden waren 21 Mitarbeiter, sämtlich Frauen. Teilzeitbeschäftigt mit weniger als 19,5 Wochenstunden waren 50 Mitarbeiter, davon 4 Männer und 46 Frauen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, durch den Ausschluß der unterhalbzeitig Beschäftigten von der Gruppenversicherung werde sie als Frau diskriminiert. Die Regelung der Beklagten benachteilige wesentlich mehr Frauen als Männer. Aufgrund des Lohngleichheitsgebots des Art. 119 EWG-Vertrag habe sie einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Ihr stehe, wie dieser Gruppe, ein Zuschuß von monatlich 66,60 DM zu. Mindestens habe sie Anspruch auf einen Zuschuß von monatlich 44,40 DM, wie er den Arbeitnehmern mit mehr als 19,5 Wochenstunden gezahlt werde. In der Revisionsinstanz macht sie nur noch einen Anspruch auf Gleichstellung mit den überhalbzeitig beschäftigten Teilzeitkräften geltend.

Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, an sie bei Eintritt des Versorgungsfalles Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der Höhe zu gewähren, wie sie Teilzeitbeschäftigten mit mindestens der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit nach der Versorgungsregelung vom 20. Januar 1984 aus der Zusatzversicherung gewährt werden.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die unterschiedliche Behandlung der unterhalbzeitig beschäftigten Mitarbeiter sei sachlich gerechtfertigt. Diese Mitarbeiter führten zum überwiegenden Teil nur einfache manuelle Arbeiten aus. Dementsprechend geringer seien sie auch beim Lohn eingestuft. Es müsse dem Arbeitgeber gestattet sein, solche Arbeitnehmergruppen von der betrieblichen Zusatzversorgung auszuschließen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, für die Klägerin eine Zusatzversicherung abzuschließen und dazu monatlich 44,40 DM beizutragen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf den im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag der Klägerin festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin im Versorgungsfall Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der Höhe zu gewähren, die den Teilzeitbeschäftigten mit mindestens der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit nach der Versorgungsregelung vom 20. Januar 1984 gewährt würden.

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

A. Der in der Revisionsinstanz noch anhängige Sachantrag der Klägerin ist hinreichend bestimmt. Er bringt mit ausreichender Klarheit zum Ausdruck, was begehrt wird: Die Beklagte soll der Klägerin eine Versorgung in der Höhe verschaffen, wie wenn die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte mit mehr als 19,5 Wochenstunden nach der Versorgungsregelung vom 20. Januar 1984 begünstigt wäre oder, wenn die Klägerin nicht mehr versichert werden kann, unmittelbar an sie Leistungen gleicher Höhe erbringen. Erreicht werden soll eine Gleichstellung auch hinsichtlich des Beitrags der Beklagten in Höhe von 44,40 DM monatlich, wie ihn die länger als halbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer erhalten.

Gegen das rechtliche Interesse der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung des Versorgungsanspruchs bestehen keine Bedenken (§ 256 Abs. 1 ZPO). Ein Arbeitnehmer muß schon vor Eintritt eines Versorgungsfalls erkennen können, welche Versorgungsleistungen ihm zustehen werden.

B. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Versorgung zu gewähren, die derjenigen der überhalbzeitig beschäftigten Mitarbeiter entspricht und auf einer monatlichen Prämie von 44,40 DM beruht. Die Beklagte ist jedoch nur verpflichtet, eine Versorgung zu gewähren, die auf einer monatlichen Prämie von 22,20 DM beruht.

I. Die Beklagte muß der Klägerin Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gewähren. Die Bestimmung der Versorgungsregelung der Beklagten, die die Teilzeitarbeitnehmer mit weniger als der Hälfte der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von der betrieblichen Zusatzversicherung ausschließt, ist nichtig (§ 134 BGB). Sie stellt eine mittelbare Diskriminierung der Frauen dar. Eine solche Regelung verstößt gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag.

1. Nach Art. 119 EWG-Vertrag muß jeder Mitgliedstaat den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und beibehalten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist diese Bestimmung, die zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehört, unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten (EuGH Urteil vom 8. April 1976 – Rs 43/75 – Defrenne II – EuGHE 1976, 455 ff.; seitdem ständige Rechtsprechung; vgl. auch Urteil des Senats vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 – AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Die Arbeitnehmer haben einen Rechtsanspruch darauf, daß ihre Arbeitgeber das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag beachten.

2. Der Anwendungsbereich des Art. 119 EWG-Vertrag erstreckt sich auf betriebliche Versorgungsleistungen. Nach Art. 119 Abs. 2 EWG-Vertrag sind unter “Entgelt” im Sinne dieses Artikels nicht nur die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter, sondern alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, “die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt”. Der Entgeltbegriff ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weit auszulegen (EuGH Urteil vom 25. Mai 1971 – Rs 80/70 – Defrenne I – EuGHE 1971, 445). Betriebsrenten werden im Laufe eines Arbeitslebens erdient. Sie stellen eine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Vergütung im weiteren Sinne und damit auch im Sinne des Art. 119 Abs. 2 EWG-Vertrag dar (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag).

3. Art. 119 EWG-Vertrag verbietet nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung. Dabei kommt es nicht auf die Motive, sondern auf die objektiven Auswirkungen einer Entgeltregelung an. Der Arbeitgeber muß sich der geschlechtsspezifischen Benachteiligung nicht bewußt sein.

Der Europäische Gerichtshof hat das Verbot der mittelbaren Diskriminierung konkretisiert. Ein Arbeitgeber, der Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausschließt, verletzt Art. 119 EWG-Vertrag, wenn diese Maßnahme wesentlich mehr Frauen als Männer trifft und die nachteiligen Folgen auf dem Geschlecht oder der Geschlechterrolle beruhen, es sei denn, das Unternehmen legt dar, daß diese Maßnahme auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Nur wenn ein “wirkliches Bedürfnis” für die unterschiedliche Behandlung besteht, ist eine geschlechtsspezifisch wirkende ungleiche Behandlung gerechtfertigt (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP, aaO). Diese Entscheidung bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 23. Januar 1990, aaO, m.w.N.).

4. Nach diesen Maßstäben verstößt die Beschränkung der betrieblichen Zusatzversorgung auf vollzeitig und über halbzeitig beschäftigte Arbeitnehmer gegen Art. 119 EWG-Vertrag.

a) Der objektive Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung ist erfüllt. Die Versorgungsregelung der Beklagten unterscheidet drei Gruppen von Arbeitnehmern, die Vollzeitbeschäftigten, die länger als halbzeitig Beschäftigten und die unterhalbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer. Diese Unterscheidung ist zwar geschlechtsneutral formuliert, sie benachteiligt mit dem Ausschluß der unterhalbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer aber wesentlich mehr Frauen als Männer. Die ungleiche Wirkung ist nur mit den Geschlechterrollen zu erklären.

Die Benachteiligung der Frauen liegt im Streitfall offen zu Tage: Von den 50 Arbeitnehmern der benachteiligten Gruppe sind 46 Frauen und nur 4 Männer. Auch wenn man die anderen Gruppen in die Betrachtung einbezieht, zeigt sich die deutlich ungleiche Wirkung der Versorgungsregelung: Von insgesamt 83 weiblichen Mitarbeitern erhalten nur 16 (Vollbeschäftigte) und 21 (Teilzeitbeschäftigte), zusammen also 37 Frauen die betriebliche Versorgung; 46 Frauen erhalten sie nicht. Von den insgesamt 37 (Vollbeschäftigten) und 4 (Teilzeitbeschäftigten), zusammen also 41 Männern, erhalten 37 die Versorgung, lediglich 4 nicht. Mit anderen Worten: Es erhalten 90,2 % der Männer, aber nur 44,5 % der Frauen eine Versorgung.

b) Die Verletzung des Lohngleichheitsgebots ist nicht gerechtfertigt. Für die Ungleichbehandlung der unterhalbzeitig beschäftigten Mitarbeiter besteht kein wirkliches Bedürfnis:

(1) Nicht jeder sachliche Grund, der zum Ausschluß des Willkürverbotes bei dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder nach § 2 Abs. 1 BeschFG ausreicht, rechtfertigt eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten. Das aus Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 119 EWG-Vertrag folgende Diskriminierungsverbot stellt strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Differenzierung. Art. 3 Abs. 3 GG, der ein über den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), den arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und § 2 Abs. 1 BeschFG hinausgehendes Differenzierungsverbot enthält, ist nur dann nicht verletzt, wenn die biologische oder funktionale Verschiedenheit das zu ordnende Lebensverhältnis so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten (BVerfG seit BVerfGE 6, 389, 422 f.). Art. 119 EWG-Vertrag stellt zwar keine so hohen Anforderungen. Aber auch nach dieser Vorschrift genügt nicht jede Zweckmäßigkeitserwägung. Die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter muß einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und sie muß für die Erreichung dieses Zieles geeignet und nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein (BAG Urteil vom 23. Januar 1990, aaO, m.w.N.).

(2) Die Auffassung, dem Arbeitgeber müsse ein eigener, von den Gerichten hinzunehmender Ermessensspielraum bleiben, wenn er Gruppen bilde und auf diesem Wege unterschiedliche Leistungen gewähre, ist unzutreffend. Es geht darum, dem zwingenden Verbot einer diskriminierenden Regelung Geltung zu verschaffen. Auch der Grundsatz der Vertragsfreiheit scheitert bei Gruppenbildungen an den Regeln übergeordneten, zwingenden Rechts (Urteil des Senats vom 28. Juli 1992 – 3 AZR 173/92 – AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 2b (3) der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).

(3) Die Beklagte hat keine erheblichen, die Benachteiligung rechtfertigenden Tatsachen vorgetragen. Die Beklagte macht geltend, die unterhalbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer leisteten nur einfache, überwiegend manuelle Dienste; sie würden unangemessen und überproportional begünstigt, wenn ihnen die Versorgung gewährt werde. Dieser Einwand überzeugt nicht. Die Beklagte hat ihre Versorgungsregelung nicht etwa als Leistungs- oder Erschwerniszulage ausgestaltet, sondern ausschließlich vom Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit abhängig gemacht. Dafür gibt es bei Zusagen der betrieblichen Altersversorgung, die zusätzlich zum Barlohn gewährtes Arbeitsentgelt darstellen, keinen Grund. Auch der Hinweis auf eine bei dieser Arbeitnehmergruppe eintretende Überversorgung ist unbeachtlich. Die Versorgungsregelung der Beklagten stellt nicht auf einen bestimmten Versorgungsbedarf ab, sondern gewährt den begünstigten Arbeitnehmern eine zusätzliche Leistung ohne Rücksicht darauf, ob individuell oder typischerweise ein Bedarf besteht, und ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer mit Versorgungseinkünften aus anderen Quellen rechnen kann oder nicht. Eine Gesamtversorgungsobergrenze ist nicht vorgesehen.

5. Die rückwirkende Inanspruchnahme der Beklagten scheitert nicht an dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG. Das Vertrauen in die Rechtsgültigkeit der Versorgungsordnung war nicht so verläßlich begründet, daß das Gericht es aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit schützen müßte (Urteil des Senats vom 20. November 1990 – BAGE 66, 264, 276 ff. = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, zu IV der Gründe; BVerfG Beschluß vom 28. September 1992 – 1 BvR 496/87 – AP Nr. 32 zu Art. 19 EWG-Vertrag). Seit 1974 ist höchstrichterlich geklärt, daß Frauen bei freiwilligen Lohnzulagen nicht benachteiligt werden dürfen (BAG Urteil vom 11. September 1974 – 5 AZR 567/73 – AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung wurde 1976 in die Richtlinie 76/207 der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen. Den Grundgedanken hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1958 (BVerfGE 8, 51, 64) formuliert.

6. Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede ist unbegründet. Die Klägerin verlangt Gleichbehandlung und Anerkennung eines Anspruchs auf Teilhabe an der Versorgung schlechthin. Dieser Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren (BAG Urteil vom 27. Februar 1990 – 3 AZR 213/88 – AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Vordienstzeiten, zu 4a der Gründe).

II. Hinsichtlich des Umfangs der Gleichstellung ist die Revision der Beklagten begründet. Die Klägerin kann nicht verlangen, daß ihr eine betriebliche Altersversorgung in der gleichen Höhe gewährt wird wie den überhalbzeitig beschäftigten Teilzeitkräften.

1. Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag verlangt nicht nur, daß gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird, diese Rechtsnorm verlangt auch, daß Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit unterschiedlich behandelt wird. So wenig eine Teilzeitkraft das volle Arbeitsentgelt einer Vollzeitkraft oder einer längerzeitig arbeitenden Teilzeitkraft verlangen kann, so wenig hat sie Anspruch auf eine gleichhohe Versorgungsleistung wie längerzeitig arbeitende Mitarbeiter. Der Klägerin steht nur eine anteilige Versorgungsleistung zu.

a) Die Beklagte hat in ihrem Unternehmen drei Gruppen gebildet, die voll beschäftigten Arbeitnehmer, die überhalbzeitig und die unterhalbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer. Diese Gruppenbildung beruht auf einem groben Maßstab. Individuell der jeweiligen Arbeitszeit entsprechende Ergebnisse bei der Versorgung lassen sich damit nicht erreichen. Die Gruppenbildung ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte wickelt ihre betriebliche Versorgung über einen Lebensversicherer ab. Mit diesem muß sie die Versicherungsverträge zugunsten ihrer Mitarbeiter abschließen. Sie kann nicht einseitig durchsetzen, daß der Versicherer so viele unterschiedliche Prämiensätze und entsprechend unterschiedliche Versorgungsleistungen akzeptiert, wie es unterschiedliche individuelle Arbeitszeiten im Unternehmen der Beklagten gibt. Es ist daher nicht geboten, mit einer exakt auf die jeweilige individuelle Arbeitsleistung abgestimmten Prämienregelung exakt anteilig gleiche Versorgungsleistungen zu gewähren. Das Lohngleichheitsgebot wird dann nicht verletzt, wenn eine pauschalierende Regelung Leistungen sicherstellt, die den unterschiedlichen Umfang der Arbeit in den einzelnen Gruppen angemessen entgilt. Diesen Anforderungen wird die Gruppenbildung der Beklagten noch gerecht.

b) Der Klägerin steht hiernach nur eine Versorgungsleistung zu, die mit einer monatlichen Prämie von 22,20 DM zu erreichen ist. Eine höhere Versorgung kann sie als Teilzeitbeschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit nicht verlangen.

2. Für die Berechnung dieser Versorgung ist die Klägerin so zu stellen, als sei sie schon seit dem 1. Januar 1984, dem Beginn der betrieblichen Versorgung der Beklagten, bei der Provinzial mit einer Prämie von monatlich 22,20 DM versichert worden. Seither wird die Klägerin durch den vollständigen Ausschluß vom betrieblichen Versorgungswerk rechtswidrig diskriminiert.

Daß die Beklagte ihr Versorgungswerk erst nach Erlaß des Berufungsurteils für die unterhalbzeitig beschäftigten Arbeitnehmer geöffnet hat, ist unerheblich. Die Klägerin hatte schon vor Schluß der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz hilfsweise eine wie auch immer von der Beklagten zu erbringende Versorgung verlangt. Zudem wäre die über 50 Jahre alte Klägerin auch nach der geänderten Versorgungsregelung der Beklagten vom 1. Juli 1993 von der Versicherung ausgeschlossen, weil sie inzwischen das Höchsteintrittsalter überschritten hat.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Stabenow, Großmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 856645

BAGE, 309

BB 1994, 222

BB 1994, 76

NZA 1994, 315

ZIP 1994, 554

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