Entscheidungsstichwort (Thema)

Karenzentschädigung bei Weiterbeschäftigungsangebot

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Karenzentschädigung wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nach § 74 HGB entfällt nicht dadurch, daß der Arbeitnehmer sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Altersgründen aus dem Arbeitsleben zurückzieht.

2. Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach dem Arbeitsvertrag mit Vollendung des 63. Lebensjahres endet, unterläßt nicht böswillig anderweiten Erwerb im Sinne des § 74c HGB, wenn er sich nicht mehr um eine weitere Beschäftigung bemüht.

3. Der Arbeitgeber kann durch das Angebot der Weiterbeschäftigung an den Arbeitnehmer dessen Anspruch auf Karenzentschädigung nicht beseitigen oder mindern. Lehnt der Arbeitnehmer ein solches Weiterbeschäftigungsangebot ab, so unterläßt er nicht böswillig anderweiten Erwerb im Sinne des § 74c HGB.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 615; HGB §§ 74c, 75a

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 15.09.1988; Aktenzeichen 6 Sa 8/88)

ArbG Regensburg (Entscheidung vom 30.11.1987; Aktenzeichen 5 Ca 1339/87 N)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot schuldet.

Der Kläger war bei der Beklagten als stellvertretender Abteilungsleiter tätig. Zu seinem Aufgabengebiet gehörte die gesamte technische Bearbeitung und Auftragsabwicklung für Licht- und Leitungsmaste. Im schriftlichen Arbeitsvertrag verpflichtete sich der Kläger, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Dienstverhältnisses Wettbewerb zu unterlassen. Als Entschädigung sollte ihm für die Dauer des Wettbewerbsverbots ein Betrag in Höhe der Hälfte der zuletzt gezahlten Bezüge zustehen. Nach dem Arbeitsvertrag sollte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats enden, in dem der Kläger das 63. Lebensjahr vollendete. Das war Ende April 1987 der Fall.

Mit Schreiben vom 29. April 1987 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots verzichte und daß der Kläger damit einen Anspruch auf Karenzentschädigung für den Zeitraum eines Jahres habe, auf die all das, was der Kläger an Einkommen anderweitig erziele oder zu erzielen unterlasse, angerechnet werde.

Einige Zeit vor diesem Schreiben hatte die Beklagte dem Kläger eine Weiterbeschäftigung angeboten. Dieses Angebot hatte der Kläger aus persönlichen Gründen abgelehnt. Der Kläger hatte sich nämlich bereits im November 1986 einen neuen PKW und Wohnwagenanhänger bestellt, um damit nach dem 30. April 1987 eine mehrmonatige Europarundreise zu machen. Tatsächlich führte der Kläger diese Fahrt von Mai bis Oktober 1987 durch und bezog ab 1. Mai 1987 ein vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Angestelltenversicherung.

Der Kläger verlangte von der Beklagten ab Mai 1987 eine Karenzentschädigung von monatlich 3.254,-- DM. Die Beklagte lehnte den Anspruch ab.

Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

1. 22.778,-- DM brutto Karenzentschädigung

für Mai bis November 1987,

2. für die Monate Dezember 1987 bis ein-

schließlich April 1988, fällig jeweils

am Monatsletzten, einen Betrag in Höhe

von jeweils 3.254,-- DM brutto monatlich

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kläger könne keine Karenzentschädigung beanspruchen, weil er sich auf die Entschädigung die Einkünfte anrechnen lassen müsse, die er während der Karenzzeit böswillig nicht erzielt habe. Der Kläger habe seine gesamten Lebensumstände - etwa die frühzeitig geplante längere Urlaubsreise - so eingerichtet, daß er mit dem Erreichen des 63. Lebensjahres nicht mehr arbeiten müsse. Dies sei der "klassische Fall" eines böswilligen Unterlassens im Sinne des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB. Von dem ausscheidenden Arbeitnehmer müsse verlangt werden, daß er sich um anderweiten Verdienst bemühe. Die Karenzentschädigung sei keine zusätzliche Altersversorgung. Auch habe der Kläger böswillig die Möglichkeit eines anderweiten Verdienstes dadurch ausgeschlagen, daß er das ihm von ihr selbst unterbreitete Weiterbeschäftigungsangebot abgelehnt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Dem Kläger steht die verlangte Karenzentschädigung zu.

I. Der Anspruch auf Karenzentschädigung ergibt sich aus der vertraglichen Wettbewerbsabrede in Verbindung mit § 74 HGB.

1. Die Parteien konnten in dem Arbeitsvertrag wirksam ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren. Es kann dahinstehen, ob der Kläger als stellvertretender Abteilungsleiter überwiegend im technischen Bereich oder mehr im kaufmännischen Bereich tätig war. Auch wenn der Kläger nicht als kaufmännischer Angestellter (Handlungsgehilfe) im Sinne des § 59 HGB, sondern als technischer (gewerblicher) Angestellter anzusehen wäre (zur Abgrenzung vgl. BAGE 19, 267 = AP Nr. 19 zu § 133 f GewO), steht dies einem Anspruch auf Karenzentschädigung nicht entgegen. Die für Wettbewerbsverbote mit kaufmännischen Angestellten geltenden Vorschriften der §§ 74 ff. HGB sind auch auf Wettbewerbsverbote mit sonstigen Arbeitnehmern, die nicht kaufmännische Angestellte sind, entsprechend anzuwenden (vgl. BAGE 22, 125, 132 ff. = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel, zu IV und V der Gründe; 22, 324, 326, 327 = AP Nr. 26 zu § 74 HGB, zu I der Gründe). Die Parteien haben überdies in ihrer Wettbewerbsvereinbarung ausdrücklich auf die §§ 74 bis 75 e HGB hingewiesen.

2. Der Anspruch auf Karenzentschädigung ist nicht dadurch entfallen, daß der Kläger mit 63 Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Ruhestand trat und vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Angestelltenversicherung bezog. Für einen Anspruch auf Karenzentschädigung kommt es nur darauf an, daß der Arbeitnehmer den ihm verbotenen Wettbewerb unterläßt. Abgesehen vom Sonderfall der Verbüßung einer Freiheitsstrafe (§ 74 c Abs. 1 Satz 3 HGB) ist es gleichgültig, aus welchem Grund der Arbeitnehmer sich der Konkurrenz enthält. Das Wettbewerbsverbot verliert seinen Sinn nicht dadurch, daß der Arbeitnehmer Rente bezieht, da der Arbeitnehmer auch als Rentner noch Wettbewerb treiben kann. Der Anspruch auf Karenzentschädigung entfällt daher auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer sich aus Altersgründen ganz aus dem Arbeitsleben zurückzieht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1976 - 3 AZR 376/75 - AP Nr. 1 zu § 74 b HGB; BAG Urteil vom 30. Oktober 1984 - 3 AZR 213/82 - BAGE 47, 130 = AP Nr. 46 zu § 74 HGB; BAG Urteil vom 26. Februar 1985 - 3 AZR 162/84 - AP Nr. 30 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel).

3. Die Interessen des Arbeitgebers sind ausreichend durch § 75 a HGB geschützt. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung verzichten, daß er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung frei wird. Die Beklagte hätte daher ein Jahr vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf das Wettbewerbsverbot verzichten können, um von der Zahlungsverpflichtung frei zu werden.

Die Beklagte hat erst durch Schreiben vom 29. April 1987 unmittelbar vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf das Wettbewerbsverbot verzichtet. Dies hatte nach § 75 a HGB zur Folge, daß der Kläger vom Verbot frei wurde und die Beklagte die Karenzentschädigung lediglich für ein Jahr schuldete. Dementsprechend hat der Kläger Karenzentschädigung von Mai 1987 bis April 1988 verlangt. Dieser Anspruch steht dem Kläger zu. Wenn die Beklagte auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots keinen Wert mehr legte und von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung frei werden wollte, hätte sie ihre Verzichtserklärung spätestens im April 1986 abgeben müssen.

II. Der Anspruch des Klägers auf Karenzentschädigung ist nicht dadurch gemindert, daß er sich anderweiten Erwerb anrechnen lassen muß.

1. Nach § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB muß sich der Angestellte unter bestimmten, vom Gesetz näher geregelten Voraussetzungen auf die Wettbewerbsentschädigung anrechnen lassen, was er während der Karenzzeit durch anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt.

Der Kläger hat weder anrechenbares anderweites Arbeitseinkommen erzielt noch böswillig unterlassen, solche Einkünfte zu erzielen. Böswillig im Sinne von § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB handelt der Arbeitnehmer, der eine ihm mögliche und den gesamten Umständen nach zumutbare Tätigkeit nicht aufnimmt (ständige Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 13. November 1975 - 3 AZR 38/75 AP Nr. 7 zu § 74 c HGB). Das Bestehen einer solchen Möglichkeit hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen (BAGE 19, 194, 205 f. = AP Nr. 1 zu § 74 c HGB, zu 6 c der Gründe).

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Alter von 63 Jahren aus dem Arbeitsleben zurückgezogen und sogleich eine längere Urlaubsreise angetreten. Um eine anderweite Beschäftigung hat sich der Kläger nicht gekümmert. Der Kläger konnte sich mit 63 Jahren auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Ruhe setzen, zumal die Parteien dies im Arbeitsvertrag selbst so vorgesehen haben. Dort ist in § 10 nämlich festgelegt, daß das Arbeitsverhältnis mit der Vollendung des 63. Lebensjahres ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist endet. Der Kläger handelte daher nicht treuwidrig, wenn er sich unter diesen Umständen mit 63 Jahren aus dem Arbeitsleben zurückzog. Auf die Frage, ob der Kläger noch am Arbeitsmarkt zu vermitteln gewesen wäre, kommt es, entgegen der Ansicht der Revision, nicht an.

2. Der Kläger hat anderweiten Erwerb nicht dadurch böswillig unterlassen, daß er es abgelehnt hat, in der Karenzzeit für die Beklagte tätig zu werden. Auch darin folgt der Senat dem Landesarbeitsgericht.

Zwar hält es der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts für möglich, daß im Falle des Annahmeverzugs des Arbeitgebers die Ablehnung eines befristeten neuen Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer ein böswilliges Unterlassen anderweiten Erwerbs im Sinne des § 615 Satz 2 BGB darstellen kann (BAGE 35, 324 = AP Nr. 32 zu § 615 BGB; BAGE 50, 164 = AP Nr. 39 zu § 615 BGB).

Diese Rechtsprechung läßt sich aber nicht auf den Fall des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots übertragen. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht der Anspruch auf Karenzentschädigung, wenn der Arbeitnehmer sich an das Wettbewerbsverbot hält und Wettbewerb unterläßt. Es würde dem Sinn und Zweck des Wettbewerbsverbots einschließlich der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung widersprechen, wenn der Arbeitgeber durch das Angebot der Weiterbeschäftigung den Entschädigungsanspruch beseitigen oder mindern könnte. Auf diese Weise könnte der Arbeitgeber nämlich die Vorteile des Wettbewerbsverbots annehmen, ohne Entschädigung dafür zu zahlen. Dies widerspräche dem Grundsatz der bezahlten Karenz (§ 74 Abs. 2 HGB). Daher unterläßt ein Arbeitnehmer nicht böswillig anderweiten Erwerb im Sinne des § 74 c HGB, wenn er das Angebot des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung ablehnt. Der Senat hat die Ablehnung eines solchen Angebots nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer nicht als böswilliges Unterlassen im Sinne von § 74 c HGB angesehen und die Ablehnungsgründe dabei für unerheblich erklärt (Urteil vom 18. Oktober 1976 - 3 AZR 376/75 - AP Nr. 1 zu § 74 b HGB). Dies muß auch gelten, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung aus Altersgründen endet.

Dr. Heither Griebeling Dr. Wittek

Seyd Mattes

 

Fundstellen

Haufe-Index 438799

BB 1991, 911

BB 1991, 911-912 (LT1-3)

DB 1991, 1125 (LT1-3)

DStR 1991, 822-822 (T)

AiB 1991, 211-212 (ST1,LT3)

AuB 1991, 186 (KT)

Stbg 1991, 337-338 (T)

Stbg 1991, 436 (T)

ARST 1991, 96-97 (LT1-3)

JR 1991, 352

JR 1991, 352 (S)

NZA 1991, 308-309 (LT1-3)

RdA 1991, 124

ZAP, EN-Nr 429/91 (S)

AP § 74 HGB (LT1-3), Nr 61

EzA § 74c HGB, Nr 29 (LT1-3)

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