Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachgewährung von Freischichten wegen Krankheit

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird entsprechend der durch den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der nordrhein-westfälischen Eisen-, Elektro-und Zentralheizungsindustrie vom 30. April 1980 idF des Änderungs-TV vom 3. Juli 1984 ermöglichten Arbeitszeitgestaltung die Betriebsnutzungszeit von 40 Stunden wöchentlich oder acht Stunden täglich beibehalten und erfolgt der Ausgleich zu einer festgelegten geringeren individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch Freischichten, so kann durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, daß eine bereits zugeteilte Freischicht durch Krankheit verbraucht ist.

 

Orientierungssatz

Vergleiche Urteil des BAG vom 2.12.1987 - 5 AZR 557/86.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG § 9; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 15.10.1986; Aktenzeichen 3 Sa 520/86)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 17.01.1986; Aktenzeichen 1 Ca 509/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine unbezahlte Freischicht zusteht, weil sie ihm am Tage seiner Erkrankung nicht gewährt werden konnte.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1986 als Inspektor in der Fertigmontage gegen einen Brutto-Stundenlohn von z.Z. 17,90 DM tätig. Er gehört seit 1984 dem 39-köpfigen Betriebsrat an. Während seiner Arbeitszeit übt er tatsächlich nur noch Betriebsratstätigkeit aus.

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten mindestens kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die jeweils gültigen Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen. Mit Wirkung vom 1. April 1985 vereinbarten die Tarifvertragsparteien durch Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 (künftig: ÄTV) zur Änderung des Manteltarifvertrages vom 30. April 1980 (künftig: MTV) für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW in dessen § 2 und § 3 unter anderem:

§ 2

Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit/

Ausbildungszeit

1. Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne

Pausen beträgt 38 1/2 Stunden.

Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit

kann zwischen 37 und 40 Stunden betragen

(Vollzeitbeschäftigte).

Die Spanne zwischen 37 und 40 Stunden soll

angemessen ausgefüllt werden. Dabei sind die

betrieblichen Bedürfnisse zu berücksichtigen

(§ 3).

3. Wenn keine andere Regelung getroffen wird, beträgt

die regelmäßige tägliche Arbeitszeit bis

zu 8 Stunden.

4. Die nach Nr. 1 und 2 festgesetzte Arbeitszeit/

Ausbildungszeit vermindert sich um die

Arbeitsstunden/Ausbildungsstunden, die infolge eines

gesetzlichen Wochenfeiertages ausfallen.

§ 3

Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit/

Ausbildungszeit

1. Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des

Volumens, das sich aus der für den Betrieb nach

§ 2 Nr. 1 Abs. 1 festgelegten Arbeitszeit ergibt,

durch Betriebsvereinbarung näher geregelt. Dabei

können für Teile des Betriebes, für einzelne

Arbeitnehmer oder für Gruppen von Arbeitnehmern

unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten

zwischen 37 und 40 Stunden festgelegt werden.

6. Aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeitszeit

wird die Auslastung der betrieblichen Anlagen

und Einrichtungen nicht vermindert. Bei einer

Differenz zwischen Betriebsnutzungszeit und

der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer

kann der Zeitausgleich auch in Form von freien

Tagen erfolgen. Dabei muß zur Vermeidung von

Störungen im Betriebsablauf eine möglichst

gleichmäßige Anwesenheit der Arbeitnehmer gewährleistet

sein. Bei der Festlegung der freien

Tage sind die Wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen."

In Ausführung von § 3 Nr. 1 des ÄTV schloß die Beklagte mit ihrem Betriebsrat unter dem 15. März 1985 eine Betriebsvereinbarung (künftig: BV), die in Nr. 1 und 9 lautet:

1 Wechselschicht Früh/Spät

------------------------

Die bisherige Arbeitszeitregelung von 40

Stunden/Woche einschließlich Arbeitsbeginn,

Arbeitsende und Pausenzeiten, wird beibehalten.

Als Zeitausgleich zur Erreichung

der ab 1. April 1985 geltenden durchschnittlichen

tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit

von 38,5 Stunden werden 6 Freischichten im

Jahr 1985 und 9 Freischichten im Jahr 1986

gewährt.

Im Jahre 1985 liegen 2 Freischichten vor den

Werksferien, und zwar je 1 im Mai und 1 im

Juni. Sie werden individuell gewährt.

9

Beim Zusammentreffen einer Freischicht mit

einem Tarifurlaubstag verschiebt sich der

TU-Tag. Beim Zusammentreffen mit Krankheit

ist die Freischicht verbraucht."

Der Kläger sollte turnusgemäß am 13. Mai 1985 eine unbezahlte Freischicht erhalten. Ab 9. Mai 1985 erkrankte er jedoch bis über den 13. Mai 1985 hinaus. Deswegen hat er von der Beklagten vergeblich wegen seiner Arbeitsunfähigkeit am 13. Mai 1985 die Nachgewährung einer unbezahlten Freischicht an einem anderen Tag verlangt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm für

die am 13. Mai 1985 wegen Arbeitsunfähigkeit

entfallene Freischicht eine

Freischicht an einem anderen Tag zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und hierzu ausgeführt: In der Betriebsvereinbarung sei ausdrücklich geregelt, daß beim Zusammentreffen mit Krankheit die Freischicht verbraucht sei. Diese Regelung sei rechtswirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf einen unbezahlten Freizeitausgleich dafür, daß er nach Zuteilung der Freischicht an dem dafür vorgesehenen Tag krank geworden ist.

I. Ein gesetzlicher Anspruch hierauf besteht nicht, denn es fehlt an einer gesetzlichen Regelung über die Gewährung von Freischichten. Ebensowenig kann der Kläger seinen Anspruch auf einen Tarifvertrag stützen, denn § 3 Nr. 1 ÄTV trifft hierüber keine Regelungen, sondern überläßt es den Betriebspartnern, durch Betriebsvereinbarung die Einzelheiten des Zeitausgleiches zu regeln, der sich daraus ergibt, daß die Betriebsnutzungszeit von 40 Stunden wöchentlich bei gleichzeitiger Herabsetzung der regelmäßigen individuellen Arbeitszeit auf 38,5 Stunden beibehalten wird.

Die hierzu unter dem 15. März 1985 abgeschlossene Betriebsvereinbarung gibt für den Anspruch des Klägers aber nichts her, sondern schließt ihn im Gegenteil ausdrücklich aus: Nach Nr. 9 der vorgenannten Regelung ist die Freischicht beim Zusammentreffen mit Krankheit verbraucht.

II. Der vereinbarte Ausschluß der Freischicht im Krankheitsfall ist rechtswirksam. Diese Regelung verstößt weder gegen zwingendes Gesetzesrecht noch gegen Tarifrecht.

1. Der Kläger will aus einer entsprechenden Anwendung des § 9 BUrlG herleiten, daß ebenso wie Tage einer Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet werden dürfe, das für einen Freizeitausgleich im Rahmen der tariflichen Arbeitszeitverkürzung gelten müsse.

Der Hinweis des Klägers in diesem Zusammenhang auf § 9 BUrlG geht fehl, denn diese Bestimmung gilt nur für den gesetzlich garantierten Erholungsurlaub (vgl. BAGE 21, 63, 64 = AP Nr. 1 zu § 9 BUrlG zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 599/76 - AP Nr. 8 zu § 9 BUrlG zu 2 b der Gründe). Ob und in welchen Fällen darüber hinaus eine entsprechende Anwendung des § 9 BUrlG in Betracht kommt, wenn dem Arbeitnehmer über den Erholungsurlaub hinaus zusätzliche Freizeit zu Erholungszwecken gewährt wird (vgl. zusammenfassend BAG Urteil vom 1. Juli 1974 - 5 AZR 600/73 - AP Nr. 5 zu § 9 BUrlG zu 3 b der Gründe) kann offen bleiben, denn der Freizeitausgleich im Rahmen der tariflichen Arbeitszeitverkürzung ist mit einer Urlaubsgewährung nicht vergleichbar. Der Arbeitnehmer erhält einen freien Tag nämlich nur dafür, daß er über den tariflichen Rahmen hinaus an anderen Tagen bereits Arbeitsleistungen erbracht und bezahlt erhalten hat. Dieser Freizeitausgleich dient nicht einem zusätzlichen Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers, sondern der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit. Ebenso wie ein Arbeitnehmer, der Überstunden geleistet hat, keinen besonderen Anspruch auf Arbeitsfreistellung oder Vergütung erlangt, wenn er an den Tagen, an denen der Freizeitausgleich vorgesehen war, arbeitsunfähig erkrankt (BAGE 49, 273 = AP Nr. 13 zu § 17 BAT), kann der Kläger hier keinen zusätzlichen Freizeitausgleich beanspruchen.

2. Die Regelung gemäß Nr. 9 der Betriebsvereinbarung, wonach bei einem Zusammentreffen mit Krankheit die Freischicht verbraucht ist, verstößt auch nicht gegen das Lohnfortzahlungsgesetz. Dieses Gesetz sichert dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer während der Dauer seiner Krankheit die Vergütung, die er verdient hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig gewesen wäre (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG). Das ist eine Entgeltsicherung, die nichts darüber aussagt, wie sich eine Arbeitsfreistellung im Rahmen einer tariflichen Arbeitszeitverkürzung auswirkt. Wenn die Parteien schon vor der Erkrankung für einen bestimmten Tag eine unbezahlte Arbeitsfreistellung vereinbart haben, dann ist damit der Freistellungsanspruch gewährt (vgl. BAGE 43, 1, 2 f. = AP Nr. 53 zu § 1 LohnFG zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 25. Februar 1986 - 3 AZR 328/84 - AP Nr. 4 zu § 15 MTB II, zu 2 b und c der Gründe).

III. Ebensowenig verstößt der in der Betriebsvereinbarung vereinbarte Wegfall einer Freischicht beim Zusammentreffen mit einer Krankheit gegen einen Tarifvertrag. Durch den Tarifvertrag ist nicht gewährleistet, daß ein Arbeitnehmer die ihm zustehende Freizeit auch nutzen kann. Es fehlt an Sonderregelungen für die Nachgewährung von Freischichten, die auf einen Krankheitstag entfallen. Der Kläger verweist allerdings auf eine Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien für die Metallindustrie Süd-Württemberg Hohenzollern, die in einer Verhandlung der tariflichen Schiedsstelle im April 1985 zustande gekommen sei. Hierbei handelt es sich aber um einen "Vergleich" - also um eine Regelung im Wege gegenseitigen Nachgebens - für einen anderen Tarifbezirk, die nicht für das hier maßgebende Tarifwerk gilt. Es ist auch keine Tarifnorm ersichtlich, aus der der Freizeitausgleich hergeleitet werden könnte.

Das Berufungsgericht hat bereits zutreffend ausgeführt, daß der Betriebsrat und der Arbeitgeber mit dem vereinbarten Wegfall der Freischicht am Krankheitstag in der Betriebsvereinbarung sich in den Grenzen ihrer Regelungsmacht gehalten haben. Nach § 3 Nr. 6 ÄTV kann bei einer Differenz zwischen Betriebsnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen. Daran haben sich die Betriebspartner gehalten. Zwar sind bei der Festlegung der freien Tage die Wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Das ist aber nur bis zum Zeitpunkt der Festlegung möglich. Wenn der Kläger danach erkrankt, so zwingt der Tarifwortlaut nicht dazu, neue Änderungswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Die Tarifvertragsparteien brauchten die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht selbst festzulegen, sie konnten dies Arbeitgeber und Betriebsrat übertragen. Eine solche Bestimmung ist zulässig (BAG Beschluß vom 18. August 1987 - 1 ABR 30/86 - AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 1987, 779 = DB 1987, 2257, zu B II 3 b der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Schleinkofer Dr. Hirt

 

Fundstellen

Haufe-Index 440377

DB 1988, 1402-1402 (LT1)

NZA 1988, 739-740 (LT1)

RdA 1988, 253

AP § 1 LohnFG (LT1), Nr 76

AR-Blattei, Arbeitszeit I Entsch 7 (LT1)

AR-Blattei, ES 240.1 Nr 7 (LT1)

EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 37 (LT1)

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