Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutzlohn und ärztliche Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 MuSchG

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG setzt voraus, daß “nach ärztlichem Zeugnis” Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.
  • Das Beschäftigungsverbot wird in der Regel schriftlich erklärt. Eine bestimmte Form ist dafür aber nicht vorgeschrieben. Es kann auch mündlich gegenüber der Schwangeren ausgesprochen werden.
  • Ein ordnungsgemäß ausgestelltes schriftliches Beschäftigungsverbot hat einen hohen Beweiswert. Es kann nur dadurch erschüttert werden, daß der Arbeitgeber Umstände vorträgt und gegebenenfalls beweist, die zu ernsthaften Zweifeln an der Berechtigung des Beschäftigungsverbots Anlaß geben (vgl. Urteil des Senats vom 31. Juli 1996 – 5 AZR 474/95 – AP Nr. 8 zu § 3 MuSchG 1968). Ein bloßes Bestreiten des Arbeitgebers reicht dafür nicht aus.
  • Wird ein Beschäftigungsverbot zunächst nur mündlich gegenüber der Schwangeren ausgesprochen und erst später rückwirkend schriftlich bestätigt, so kann das Beschäftigungsverbot gleichwohl von Anfang an die Pflicht zur Zahlung von Mutterschutzlohn begründen. Die Schwangere trägt jedoch die Beweislast dafür, daß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG erfüllt sind.
 

Normenkette

MuSchG § 3 Abs. 1, § 11 Abs. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 27.06.1996; Aktenzeichen 7 Sa 10/96)

ArbG Berlin (Urteil vom 29.11.1995; Aktenzeichen 5 Ca 22686/95)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Mutterschutzlohn aufgrund eines ärztlichen Beschäftigungsverbots.

Die Klägerin war bei dem beklagten Rechtsanwalt und Notar als Rechtsanwalts- und Notargehilfin mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.700,00 DM beschäftigt. In der Zeit vom 4. November 1994 bis zum 13. Januar 1995 war sie arbeitsunfähig krank.

Die Krankenkasse der Klägerin, die Barmer Ersatzkasse (BEK), unterrichtete den Beklagten mit Schreiben vom 27. Januar 1995 davon, daß die Klägerin nach Mitteilung der behandelnden Ärztin seit dem 14. Januar 1995 nicht mehr arbeitsunfähig, jedoch eine Arbeitsaufnahme wegen Gefährdung der Gesundheit von Mutter oder Kind noch nicht möglich sei. Das Schreiben enthielt ferner einen Hinweis auf die §§ 3, 11 MuSchG. Der Beklagte antwortete der BEK mit Schreiben vom 13. Februar 1995, die Arbeitnehmerin könne weiterhin Krankengeld fordern, wenn es sich um einen anormalen, krankhaften Schwangerschaftsverlauf handele. Dies könne er anhand der vorliegenden Informationen nicht beurteilen. Die BEK erwiderte mit Schreiben vom 16. März 1995, die behandelnde Ärztin habe ausdrücklich das weitere Vorliegen eines krankhaften und die Arbeitsunfähigkeit rechtfertigenden Befundes verneint. Mit Schreiben vom 20. März 1995 forderte der Beklagte die Klägerin auf, ihm eine ärztliche Bescheinigung zu übermitteln, der die Gründe des Beschäftigungsverbotes zu entnehmen seien. Er zahlte der Klägerin im März 1995 1.775,11 DM netto unter Vorbehalt der Rückforderung.

Nunmehr übersandte die Klägerin dem Beklagten ein Attest der Ärztin mit dem Datum des 11. April 1995, das folgenden Wortlaut hat:

“Obengenannte Patientin war wegen Blutungen bei Gravidität bis zum 10.01.1995 krankgeschrieben.

Danach bestand ein normaler Schwangerschaftsverlauf.

Da sonographisch weiterhin ein tiefer Plazentasitz nachgewiesen war, wurde am 11.01.1995 ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen.”

Am 5. April 1995 hatte die behandelnde Ärztin auf der Kopie des Schreibens des Beklagten vom 13. Februar 1995 handschriftlich folgendes vermerkt:

“11.01.95 Beschäftigungsverbot!

D: Risikoschwangerschaft

Blutungen bei tiefem Plazentasitz

eine Weiterbeschäftigung würde Leben von Mutter und Kind in Gefahr bringen.”

Die Mutterschutzfrist vor der Geburt begann am 12. April 1995. Am 10. Mai 1995 stellte die Oberärztin des Kreiskrankenhauses W… der Klägerin folgende ärztliche Bescheinigung aus:

“O.g. Patientin wird seit dem 01.05.95 von uns betreut.

Es besteht derzeit eine normale Schwangerschaft in der 38. Woche.

Sonografisch stellten wir nach wie vor eine tiefsitzende Plazenta fest, was jedoch z.Zt. ohne Blutungen keinen Krankheitswert hat.”

Das Kind der Klägerin wurde am 26. Mai 1995 geboren.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Mutterschutzlohn für die Zeit vom 14. Januar bis zum 11. April 1995 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 7.740,00 DM abzüglich im März erhaltener 1.775,11 DM netto. Sie hat sich auf das ärztliche Attest vom 11. April 1995 berufen und vorgetragen, vom 14. Januar bis zum 11. April 1995 keine Blutungen mehr gehabt zu haben. Sie sei in diesem Zeitraum also nicht mehr arbeitsunfähig krank gewesen. Sie sei durchgehend von derselben Frauenärztin betreut worden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.740,00 DM abzüglich bereits erhaltener 1.775,11 DM netto Mutterschaftslohn für die Zeit vom 14. Januar bis 11. April 1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat ferner widerklagend beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, an ihn 2.700,00 DM brutto zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen: Nachdem er das Schreiben der BEK vom 27. Januar 1995 erhalten habe, habe er die Klägerin mindestens in einem Telefongespräch darauf hingewiesen, daß er den Standpunkt der BEK nicht teile, zumal nicht einmal ein ärztliches Zeugnis vorliege, dem die Gründe für das Beschäftigungsverbot im einzelnen zu entnehmen seien. Das Attest vom 11. April 1995 habe keinen Beweiswert, da es erst nachträglich ausgestellt worden sei, keinen Hinweis darauf enthalte, ob das Beschäftigungsverbot bis zur Entbindung oder aber nur vorübergehend erteilt werde, und da sich die Bescheinigungen vom 11. und 5. April 1995 widersprächen. Im übrigen sei die Klägerin wegen ihrer tiefsitzenden Plazenta weiter arbeitsunfähig krank gewesen. Da die Klägerin keinen Anspruch auf Mutterschutzlohn habe, sei sie auch zur Rückzahlung der im März 1995 gezahlten 2.700,00 DM brutto verpflichtet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seine erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden. Die Klägerin hat für den streitbefangenen Zeitraum Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1, § 3 Abs. 1 MuSchG.

I.1. Nach § 3 Abs. 1 MuSchG dürfen “werdende Mütter … nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist”. Es muß gerade die “Fortdauer der Beschäftigung” sein, die Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind gefährdet; die Gefährdung muß von der Fortsetzung der Arbeit ausgehen. Es ist nicht erforderlich, daß der konkrete Arbeitsplatz oder die konkret auszuführende Arbeit als solche gesundheitsgefährdend sind. Ein Beschäftigungsverbot kann vielmehr auch dann ausgesprochen werden, wenn die Beschäftigung für nicht schwangere Frauen keinerlei Gefährdung mit sich bringt, aber aufgrund der individuellen Verhältnisse gerade der schwangeren Frau die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährden würde.

Das ärztliche Beschäftigungsverbot kann – den medizinischen Erfordernissen entsprechend – für jede Beschäftigung der Schwangeren im Betrieb des Arbeitgebers ausgesprochen werden. Es kann aber auch auf bestimmte Beschäftigungen oder Arbeiten unter bestimmten Umständen beschränkt werden. Dann darf der Arbeitgeber der Frau eine andere zumutbare Arbeit zuweisen (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 12. März 1997 – 5 AZR 766/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ist der gegenständliche Umfang des Beschäftigungsverbots in dem ärztlichen Zeugnis nicht näher umschrieben, so bezieht es sich zumindest auf die von der Schwangeren zuletzt ausgeführte Tätigkeit. Will der Arbeitgeber die Schwangere anderweitig beschäftigen, so ist der Umfang des Beschäftigungsverbots zu präzisieren. Entsprechende Fragen des Arbeitgebers hat der Arzt zu beantworten, soweit der Schwangeren eine sachgerechte Antwort nicht selbst möglich ist.

2. Ein Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, daß die Schwangere mit der Arbeit aussetzt. Das Beschäftigungsverbot muß die nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten der Arbeit und den damit verbundenen Verdienstausfall sein. Für die Zeit, in der die Schwangere arbeitsunfähig krank ist, ist dieser alleinige Ursachenzusammenhang nicht gegeben. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber – nach Ablauf des Sechswochenzeitraums – nicht mehr zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle verpflichtet ist.

Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (§ 3 Abs. 1 EFZG) und Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung (§ 3 Abs. 1 MuSchG) schließen sich gegenseitig aus. Beruhen die Beschwerden auf der Schwangerschaft, so kommt es darauf an, ob es sich um einen krankhaften Zustand handelt, der zur Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren führt. Ist dies der Fall, so ist kein Beschäftigungsverbot auszusprechen, sondern krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Haben die Schwangerschaftsbeschwerden dagegen keinen Krankheitswert oder führen sie nicht zur Arbeitsunfähigkeit, so kommt das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG in Betracht. Je nachdem hat die Schwangere entweder einen – gesetzlich auf sechs Wochen beschränkten – Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegen den Arbeitgeber (§ 3 EFZG) und anschließend auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V), oder sie hat gegen den Arbeitgeber einen – nicht auf sechs Wochen beschränkten – Anspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (zuletzt BAG Urteil vom 12. März 1997 – 5 AZR 766/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

3. Nach § 3 Abs. 1 MuSchG bedarf es eines “ärztlichen Zeugnisses”. Regelmäßig wird der Nachweis für den Ausspruch des Beschäftigungsverbots dadurch erbracht, daß die schwangere Frau dem Arbeitgeber eine entsprechende schriftliche Bescheinigung des Arztes vorlegt. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, bedeutet das aber nicht, daß ein Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 MuSchG nur für die Zeit ab Vorlage eines schriflichen ärztlichen Zeugnisses bestehen kann.

Allerdings soll nach der in der Literatur ganz herrschenden Meinung das Beschäftigungsverbot erst mit der Vorlage des ärztliches Zeugnisses “wirksam” werden (Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 7. Aufl. 1994, § 3 Rz 10; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl. 1981, § 3 Rz 14, 15; Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, 7. Aufl., Stand April 1997, § 11 MuSchG Rz 53; Heilmann, MuSchG, 2. Aufl. 1991, § 3 Rz 12; MünchArbR/Heenen, 1993, § 219 Rz 20). Die Vorlage betrifft aber zunächst nur die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung (vgl. insbesondere Heilmann, aaO). Die Folgerung, daß die werdende Mutter, die nicht gearbeitet hat, erst ab Vorlage der ärztlichen Bescheinigung Mutterschutzlohn verlangen kann, wird – soweit ersichtlich – nur vom Landesarbeitsgericht Bremen gezogen (Urteil vom 25. Januar 1991 – 4 Sa 198/90 – und – 4 Sa 290/90 – LAGE § 11 MuSchG, Nr. 1), und zwar ohne nähere Begründung.

Der Literatur ist insofern zuzustimmen, als der Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 4 MuSchG durch verbotswidrige Beschäftigung der Schwangeren erst dann begehen kann, wenn er von dem Beschäftigungsverbot Kenntnis hat. Die Ansicht, daß ein Anspruch auf Mutterschutzlohn erst ab dem Zeitpunkt der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung besteht, trifft dagegen nicht zu.

§ 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG stellt einen solches Erfordernis nicht auf. Es heißt dort nur, daß die Schwangere “wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 …” mit der Arbeit aussetzt. Der Anspruch auf Mutterschutzlohn besteht ab dem Zeitpunkt, in dem ein Arzt ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hat, weil Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist. Das Verbot kann auch mündlich gegenüber der Schwangeren ausgesprochen werden. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des Mutterschutzgesetzes und insbesondere dessen § 3 Abs. 1. Der Wortlaut der Vorschrift steht dem nicht entgegen. Berufstätige Frauen sollen während einer Schwangerschaft und innerhalb gewisser Zeiten nach der Entbindung vor Lohnausfall geschützt werden. Damit soll jeder Anreiz entfallen, entgegen den gesetzlichen Beschäftigungsverboten die Arbeit fortzusetzen (BAGE 48, 173 = AP Nr. 11 zu § 11 MuSchG 1968). Dieser Zweck würde gefährdet, wenn der Anspruch allein wegen unterlassener Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung entfiele, obwohl der Arzt gegenüber der Schwangeren mündlich ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hat.

Daß die Vorlage einer schriftlichen ärztlichen Bescheinigung gleichwohl sinnvoll ist, versteht sich von selbst. Ist das Beschäftigungsverbot nur mündlich ausgesprochen worden, läuft die Schwangere Gefahr, daß der Arbeitgeber die Lohnzahlung verweigert und sie die Verhängung des Verbots nicht beweisen kann.

4. Einem schriftlichen ärztlichen Zeugnis nach § 3 Abs. 1 MuSchG kommt ein hoher Beweiswert zu. Die Schwangere genügt ihrer Darlegungs- und Beweislast zunächst durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts (ähnlich Heenen, MünchArbR Bd. 2 § 219 Rz 18) gehören aber mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren Angaben zum Gesundheitszustand, über den Verlauf der Schwangerschaft und die medizinischen Begründung des Beschäftigungsverbots nicht in die Bescheinigung. Es gilt insoweit dasselbe wie für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Diese enthalten ebenfalls nicht die Diagnose. Die Frage des Arbeitgebers nach der Diagnose braucht der Arbeitnehmer nicht zu beantworten, auch nicht im Entgeltfortzahlungsprozeß (BAGE 51, 308 = AP Nr. 67 zu § 1 LohnFG).

Durch bloßes Bestreiten kann der Arbeitgeber die Schwangere oder ihren Arzt nicht verpflichten, genauere Angaben zum Verlaut der Schwangerschaft und zum Gesundheitszustand zu machen bzw. den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber, der die Bescheinigung nicht gegen sich gelten lassen will, hat vielmehr zunächst Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG Anlaß geben. Erst dann ist die Schwangere gehalten, ggf. ihren Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden und Angaben zum Verlauf der Schwangerschaft und über ihren Gesundheitszustand zu machen. Die Beweislast dafür, daß die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Beschäftigungsverbots in Wahrheit nicht vorgelegen haben, liegt beim Arbeitgeber (zuletzt BAG Urteil vom 12. März 1997, aaO, m.w.N.).

Die dargestellten Grundsätze für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gelten jedoch nur für ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigungen. Kann die Schwangere eine solche nicht vorlegen, so bleibt es ihr – entgegen der Revision – gleichwohl unbenommen, den ihr obliegenden Beweis für den Ausspruch eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG auf andere Weise zu führen. Insbesondere kann sie den Arzt als Zeugen benennen. Beweiserleichterungen kommen ihr in einem solchen Fall nicht zugute.

II. Für den Streitfall ergibt sich daraus folgendes:

1. Ausweislich der Bescheinigung vom 11. April 1995 hatte die Ärztin am 11. Januar 1995 ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Es bezog sich auf die von der Klägerin zuletzt ausgeführte Tätigkeit. Näherer Angaben zur Begründung des Beschäftigungsverbotes bedurfte es nicht.

Die ärztliche Bescheinigung ist aber deshalb nicht ordnungsgemäß, weil sie weit zurückreicht, und zwar rund drei Monate von dem Zeitpunkt der Ausstellung, und aus ihr nicht ersichtlich ist, daß die Klägerin während des bescheinigten Zeitraums in Behandlung der Ausstellerin stand. Das Landesarbeitsgericht hat also zu Recht die Bescheinigung vom 11. April 1995 nicht ausreichen lassen und Beweis über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG erhoben. Überdies widersprechen sich die Bescheinigungen vom 11. und vom 5. April 1995. Der Bescheinigung vom 5. April 1995 konnte entnommen werden, daß bei der Klägerin noch aktuell Blutungen vorlagen, was nach der Bescheinigung vom 11. April 1995 nicht der Fall war.

2. Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, daß das Beschäftigungsverbot am 11. Januar 1995 zu Recht ausgesprochen worden ist und die Klägerin allein aus diesem Grund nicht gearbeitet hat.

Es hat ausgeführt: Bei der Klägerin habe eine Risikoschwangerschaft vorgelegen, sie sei aber nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Die behandelnde Ärztin habe bekundet, zunächst seien bei der Klägerin Blutungen aufgetreten. Es sei ein tiefer Sitz der Plazenta festgestellt worden; dies habe die Ursache der Blutungen sein können. Da ein tiefer Sitz der Plazenta aber in ca. 60 % der Fälle nicht zu Komplikationen führe, könne allein aufgrund dieser Diagnose von einem Krankheitswert nicht gesprochen werden. Krankheitswert bei tiefliegender Plazenta hätten hauptsächlich die Blutungen. Die Ärztin habe das Beschäftigungsverbot wegen der Möglichkeit des Eintretens von Komplikationen ausgesprochen, nachdem ihr die Klägerin einige Umstände ihrer Arbeit, z.B. den längeren Weg zur Arbeitsstelle und das Fehlen einer Möglichkeit, sich in den Arbeitsräumen “einmal in eine Ecke zu setzen” zu können, geschildert hätte.

Das Landesarbeitsgericht hat weiter ausgeführt, die Oberärztin des Kreiskrankenhauses W… habe in ihrer Bescheinigung vom 10. Mai 1995 festgestellt, daß zu diesem Zeitpunkt eine normale Schwangerschaft bestehe. Für die Kammer stehe fest, daß bei der Klägerin ab 14. Januar 1995 eine Risikoschwangerschaft bestanden habe, d.h. eine normal verlaufende Schwangerschaft ohne Krankheitswert, aber mit dem Risiko erneut auftretender Blutungen. Das Beschäftigungsverbot sei erforderlich gewesen, um die Gesundheit der Klägerin oder des Kindes nicht zu gefährden. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zwar während des Auftretens der Blutungen auch bei Nichtbeschäftigung, nicht aber mehr seit dem 14. Januar 1995 vorgelegen, nachdem die Klägerin vier Wochen blutungsfrei geblieben sei.

Die Dauer des Beschäftigungsverbots sei nicht zu beanstanden. Die Ärztin sei erkennbar davon ausgegangen, daß eine frühere Aufhebung des Beschäftigungsverbots nicht gerechtfertigt gewesen wäre, weil dann mit dem Auftreten von Blutungen hätte gerechnet werden müssen. Das Beschäftigungsverbot sei zumindest auch wegen der Gesundheitsgefahren durch die Beschäftigung selbst und nicht allein wegen des Wegerisikos ausgesprochen worden.

3. Gegen diese Beweiswürdigung wendet sich die Revision ohne Erfolg.

a) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und der Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 ZPO – Beweiswürdigung) ist durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar, nämlich nur in Bezug auf die Wahrung der Voraussetzungen und Grenzen von § 286 ZPO. Der erkennende Senat kann daher lediglich überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt hat, ob es alle erhobenen Beweise gewürdigt hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen die Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze und andere Rechtsvorschriften ist (BAG Urteil vom 18. September 1991 – 5 AZR 581/90 – AP Nr. 10 zu § 14 MuSchG 1968 = EzA § 14 MuSchG 1968 Nr. 10).

Derartige Fehler sind dem Landesarbeitsgericht nicht vorzuwerfen. Seine Beweiswürdigung ist nicht nur möglich, sondern naheliegend.

b) Das Landesarbeitsgericht hat entgegen den Angriffen der Revision insbesondere nicht gegen Denkgesetze verstoßen. Die als Zeugin vernommene Ärztin hat die Klägerin ab Beginn der Schwangerschaft bis zumindest zur Ausstellung der Bescheinigung vom 11. April 1995 betreut. Sie konnte daher beurteilen, ob im Anspruchszeitraum die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG vorlagen. Es war nicht erforderlich, konkrete Daten für einzelne Untersuchungen zu nennen. Der im Beweistermin anwesende – sich selbst vertretende – Beklagte hat danach auch nicht gefragt. Das Landesarbeitsgericht hat die Äußerung der behandelnden Ärztin, sie habe sich über eine mögliche Aufhebung des Beschäftigungsverbots keine Gedanken gemacht, und das Vorliegen einer auf Arbeitsunfähigkeit hindeutenden Bescheinigung vom 5. April 1995 in die Beweiswürdigung einbezogen. Zu Recht hat es in der Bescheinigung der Oberärztin des Kreiskrankenhauses W… vom 10. Mai 1995 eine Bestätigung der Zeugenaussage gesehen. Danach war nach wie vor eine tiefsitzende Plazenta festzustellen, es gab aber weiterhin keine Blutungen.

c) Der Beklagte rügt in diesem Zusammenhang zu Unrecht einen Verstoß gegen § 139 ZPO. Die Zeugin habe sich bei ihrer Beurteilung auf Angaben der Klägerin über den Weg zur Arbeit und über die Arbeitsräume verlassen und damit auf von der Klägerin im Prozeß nicht vorgetragene Umstände abgestellt, die sich die Klägerin im Prozeß auch nicht etwa zu eigen gemacht habe. Damit habe das Gericht gegen den Grundsatz der Parteidisposition, jedenfalls aber gegen § 139 ZPO verstoßen. Es hätte darauf aufmerksam machen müssen, daß es diese beiden Punkte (Weg zur Arbeit sowie die Möglichkeit, sich in den Arbeitsräumen “einmal in eine Ecke zu setzen”) für wesentlich hielt. Er, Beklagter, hätte dann vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß durchaus die Möglichkeit bestanden habe, sich in den Arbeitsräumen “einmal in eine Ecke zu setzen”.

Das Verfahren ist auch insoweit nicht zu beanstanden. Beweisthema war das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 MuSchG. Die beweisbelastete Partei ist nicht gehalten, die Aussage eines Zeugen vorher oder nachher ausdrücklich und in allen Einzelheiten als Parteivortrag in den Prozeß einzuführen. Im übrigen haben die Parteien zum Ergebnis der Beweisaufnahme streitig verhandelt. Damit hat sich die Klägerin die Aussage der Zeugin mindestens insoweit, als es um ihre eigenen Angaben gegenüber der Zeugin ging, zu eigen gemacht.

Das Landesarbeitsgericht war auch nicht verpflichtet, besonders darauf hinzuweisen, daß es die genannten Umstände als wesentlich erachtete. Die Verhängung von Beschäftigungsverboten beruht – ebenso wie die Feststellung krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit – notwendigerweise weitgehend auf Angaben der Arbeitnehmerin. Es lag also auf der Hand, daß das Landesarbeitsgericht sich darauf stützen konnte. Wie ausgeführt, war der – sich selbst vertretende – Beklagte im Beweistermin anwesend. Er hätte allen Anlaß gehabt, bereits in diesem Termin vorzutragen, daß die Klägerin sehr wohl die Möglichkeit gehabt habe, sich einmal von der Arbeit zurückzuziehen und sich “in die Ecke zu setzen”. Eine Zurückverweisung, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, diesen Vortrag in den Tatsacheninstanzen nachzuholen, kommt nicht in Betracht.

d) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts war auch rechtlich möglich.

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Beschäftigungsverbot “zumindest auch” wegen der Gesundheitsgefährdung durch die Beschäftigung selbst, und damit nicht nur wegen des Wegerisikos, ausgesprochen wurde. Damit handelt es sich nicht um den Fall, daß das Beschäftigungsverbot allein wegen des Wegerisikos ausgesprochen wurde, für den das Bundesarbeitsgericht einen Anspruch auf Mutterschutzlohn verneint hat (Urteil vom 7. August 1970 – 3 AZR 484/69 – AP Nr. 4 zu § 11 MuSchG 1968).

Die behandelnde Ärztin wird in ihrer Annahme, der tiefe Sitz der Plazenta habe für sich allein keinen Krankheitswert, durch die ärztliche Bescheinigung der Oberärztin des Kreiskrankenhauses W… vom 10. Mai 1995 bestätigt. Beide Ärztinnen und mit ihnen das Landesarbeitsgericht haben den entscheidenden Unterschied darin gesehen, daß es zunächst zu Blutungen gekommen war, und, nachdem diese einige Wochen lang nicht mehr aufgetreten waren, nur noch eine weniger große Gefahr des Wiederauftretens von Blutungen bestand. Gegen diese Beurteilung hat die Revision keine durchgreifenden Einwendungen erhoben. Im übrigen ist zu beachten, daß der Anspruch der Klägerin nach § 11 Abs. 1, § 3 Abs. 1 MuSchG nicht schon bei Vorliegen einer Krankheit ausgeschlossen wäre, sondern erst dann, wenn diese zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätte. Angesichts des längerfristigen Ausbleibens weiterer Blutungen gibt es dafür keine Anhaltspunkte.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Müller, Kreienbaum

 

Fundstellen

Haufe-Index 884867

BAGE, 347

BB 1998, 322

BB 1998, 56

DB 1998, 80

NJW 1998, 3439

FamRZ 1998, 477

FA 1998, 53

FA 1998, 93

JR 1998, 308

NZA 1998, 194

RdA 1998, 126

MDR 1998, 290

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