Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungszuschlag. Krankheitsbedingte Fehlzeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Krankheitsbedingte Fehlzeiten führen nicht zum Wegfall von Leistungszuschlägen gemäß § 4 Abs 4 Unterabs 1 BZT-G/NRW.

 

Normenkette

Bezirks-Zusatztarifvertrag zum BMT-G für den Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen vom 11. September 1962 (BZT-G/NRW) § 4 Abs. 4; BMT-G II § 20

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 27.07.1988; Aktenzeichen 7 Sa 290/88)

ArbG Köln (Urteil vom 08.01.1988; Aktenzeichen 14 Ca 8414/87)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen des Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 27. Juli 1988 – 7 Sa 290/88 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Weitergewährung eines Leistungszuschlages gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW.

Der schwerbehinderte Kläger ist bei der Beklagten seit April 1964 als Bühnenarbeiter beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) in der Fassung des 33. Ergänzungstarifvertrages vom 9. Januar 1987 – in Kraft getreten mit Wirkung zum 1. Januar 1987 – Anwendung. Die Beklagte zahlte dem Kläger zuletzt einen Leistungszuschlag gemäß § 4 Abs. 4 des Bezirks-Zusatztarifvertrages für das Land Nordrhein-Westfalen (BZT-G/NRW) zu § 20 BMT-G II. § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW lautet:

An Arbeiter, deren Leistungen dauernd über dem Durchschnitt der Leistungen liegen, die normalerweise von Arbeitern der gleichen Berufsgruppe erwartet werden können, werden Leistungszuschläge gezahlt. Sie müssen im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Betriebes bzw. der Verwaltung liegen und dürfen

im Einzelfall 

10 v.H.

des Monatstabellenlohnes der Stufe 1 der Lohngruppe des Arbeiters

und insgesamt 

3, 5 v.H.

der Summe der Monatstabellenlöhne der Stufe 1 des Betriebes, der Verwaltung bzw. des Verwaltungszweiges nicht überschreiten. …

Die jederzeit widerruflichen Leistungszuschläge gewährt der Arbeitgeber auf Schriftlich begründeten Vorschlag der für die Abnahme der Werkprüfung eingesetzten oder einer gleichwertigen dem Beruf entsprechenden Kommission.

Mit Schreiben vom 6. Juli 1987 widerrief die Beklagte die Gewährung des Leistungszuschlages ab 1. August 1987, weil der Kläger im Jahr 1984 an 116 Arbeitstagen, im Jahr 1985 an 119 Arbeitstagen, im Jahr 1986 an 89 Arbeitstagen und bis zum 30. Juni 1987 an 47 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war. In den Zeiten der Arbeitsfähigkeit erbrachte der Kläger dauernd über dem Durchschnitt liegende Arbeitsleistungen.

Der Kläger begehrt mit der Klage die Zahlung der Leistungszulage für die Monate August bis Oktober 1987. Er ist der Auffassung, die Leistungszulage könne nicht wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten widerrufen werden.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 210,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungszulage seien entfallen, da der Kläger aufgrund der in den letzten Jahren aufgetretenen hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten nicht mehr dauernd überdurchschnittliche Leistungen im Sinne von § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW erbracht habe. Bei dem Begriff der “dauernd über dem Durchschnitt liegenden Leistungen” sei darauf abzustellen, welche Leistungen normalerweise von Arbeitnehmern der gleichen Berufsgruppe erwartet werden könnten. Es sei eine Gesamtbetrachtung der Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Fehlzeiten anzustellen. Die so definierten Leistungen erreichten allein wegen der häufigen Krankheitszeiten nicht das Durchschnittsniveau. Deshalb sei es unerheblich, ob der Kläger bei Ausübung seiner Tätigkeit überdurchschnittliche Leistungen erbracht habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihr Ziel der Klageabweisung, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht zum Widerruf der Leistungszulage berechtigt gewesen. Zwar sei der Widerruf gemäß § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW jederzeit möglich doch unterliege der Widerruf nicht dem freien Ermessen des Arbeitgebers. Er sei als tarifvertragliche Regelung an die sachlichen Voraussetzungen gebunden, daß der Arbeiter keine dauernd über dem Durchschnitt liegende Leistung mehr erbringe und damit die tarifliche Voraussetzung für die Zahlung des Zuschlags entfallen sei. Dies gelte jedoch nicht, wenn der Arbeiter längere Zeit krank sei. Denn bei einem Arbeiter, der in der Vergangenheit diese Voraussetzungen erfüllt habe, bestehe die tatsächliche Vermutung, daß er sie auch in Zukunft erfüllen werde. Diese tatsächliche Vermutung könne zwar erschüttert werden, wenn der Arbeiter für längere Zeit nicht arbeite; dies gelte jedoch nicht, wenn das Fehlen auf Arbeitsunfähigkeit beruhe.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

II. Der Anspruch des Klägers auf Leistungszulage gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW ist begründet, da der Widerruf der Zulage durch die Beklagte nicht gerechtfertigt war.

1. Gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW werden an die Arbeiter Leistungszuschläge gezahlt, deren Leistungen dauernd über dem Durchschnitt der Leistungen liegen, die normalerweise von Arbeitern der gleichen Berufsgruppe erwartet werden können. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger unstreitig bei seiner Tätigkeit als Bühnenarbeiter.

2. Der Widerruf dieser Leistungszulage ist rechtsunwirksam.

a) Gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 2 BZT-G/NRW kann zwar diese tarifvertragliche Leistungszulage jederzeit widerrufen werden, doch ist der Widerruf nur dann rechtswirksam, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungszulage gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW entfallen sind. Denn § 4 Abs. 4 Unterabs. 1. BZT-G/NRW verpflichtet den Arbeitgeber zur Gewährung der Zulage, wenn “dauernd über dem Durchschnitt liegende Leistungen” vorliegen. Dann ist der Arbeitgeber aber auch nur bei Wegfall dieser Voraussetzungen zum Widerruf berechtigt.

b) Entgegen der Auffassung der Revision erfüllt der Kläger aber die Voraussetzung “dauernd” über dem Durchschnitt liegender Leistungen i.S. von § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW trotz seiner hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten.

Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Tarifvorschrift des § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW ergeben keinen Anhalt dafür, daß mit dem Begriff “dauernd”, der nach allgemeinem Sprachgebrauch bedeutet “für längere Zeit in gleichbleibender Weise vorhanden” (vgl. Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl. 1985, Bd. 10, S. 172) oder “ständig, ununterbrochen, regelmäßig” (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 2. Bd. 1981, S. 161), zeitlich ununterbrochene Leistung während längerer Gesamtzeiträume oder Bemessungszeiträume, wie z.B. dem des Monatslohnes gemäß § 20 Abs. 2 BMT-G II. gemeint ist.

Vom Wortlaut der Vorschrift ist der Begriff “dauernd” auf die “über dem Durchschnitt liegenden Leistungen” der Tätigkeit bezogen. Auch Sinn und Zweck der tariflichen Regelung bestätigen, daß allein die Leistungen während der Tätigkeit zu beurteilen sind. Es handelt sich bei § 4 Abs. 4 Unterabs. 1 BZT-G/NRW um einen Leistungszuschlag in Form einer pauschalen Zulage (§ 25 Abs. 5 BMT-G II), die im Höchstfall 10 % des Monatstabellenlohns der Stufe 1 der Lohngruppe des jeweiligen Arbeiters nicht übersteigen darf und die er erhält, wenn die in der Tarifnorm allein anspruchbegründende Voraussetzung der dauernd über dem Durchschnitt liegenden Leistungen erfüllt ist. Dabei wird aber bei der pauschalen Zulage weder auf einen zeitlichen Umfang noch auf die Güte des Arbeitsergebnisses im Sinne einer meßbaren Leistung für konkrete Arbeit abgestellt, wie dies beispielsweise beim Akkordlohn der Fall ist. Vielmehr ist die Regelung in dem Sinne zu verstehen, daß der Arbeitgeber allgemein die überdurchschnittliche Leistung des Arbeiters belohnt, indem er ihm eine ständige Zulage zum regelmäßigen Tariflohn in der Form eines entsprechend erhöhten Lohnes gewährt. Damit knüpft aber die Zulage ausschließlich an die personenbezogene Arbeitsleistung an. Die über dem Durchschnitt liegende Leistung der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit stellt somit das einzige tarifrechtliche Kriterium für den Erhalt der Zulage dar. Krankheitsbedingte Fehlzeiten können deshalb keine Berücksichtigung finden. Die Zulage ist damit selbständiger, gesondert neben der Grundvergütung bestehender Lohnbestandteil und stellt somit reines Arbeitsentgelt als Gegenleistung des Arbeitgebers für erbrachte Arbeitsleistung des anspruchsberechtigten Arbeiters dar. Da es sich bei dem Zuschlag um Entlohnung für Arbeitsleistung handelt, darf hinsichtlich des Begriffs “dauernd” nur auf solche Zeiträume abgestellt werden, in denen der Arbeiter zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Denn in den Zeiten, in denen er zur Pflicht von der Arbeitsleistung wegen Arbeitsunfähigkeit kraft Gesetzes befreit ist, ist es ihm unmöglich, überdurchschnittliche Arbeitsleistung zu erbringen. Diese Zeiten dürfen deshalb nicht leistungsmindernd berücksichtigt werden. Der in der tariflichen Regelung enthaltene Zeitfaktor “dauernd” kann sich deshalb nur auf Zeiträume beziehen, in denen eine Pflicht zur Arbeitsleistung besteht, so daß krankheitsbedingte Fehlzeiten tarifrechtlich keine Berücksichtigung finden und damit der Widerruf nicht begründet werden kann. Nur wenn während der Zeiten, in denen eine Pflicht zur Arbeit besteht, keine dauernd überdurchschnittlichen Leistungen mehr vorliegen, z.B. weil sich die Krankheit auf die tatsächlich zu erbringende Arbeitsleistung auswirkt, ist die Beklagte zum Widerruf berechtigt. Dafür gibt es im vorliegenden Fall jedoch keinen Anhaltspunkt.

Auch aus dem Gesamtzusammenhang ist nicht ersichtlich, daß die Leistungszulage wegen anderer Umstände entfallen soll als den ausdrücklich normierten Voraussetzungen der überdurchschnittlichen Leistung der ausgeführten Tätigkeit. Die tarifliche Regelung der Leistungszulage gemäß § 4 Abs. 4 BZT-G/NRW enthält keine Elemente einer Anwesenheitsprämie. Denn es wird nirgends vorausgesetzt, daß der Anspruchsberechtigte innerhalb einer bestimmten Zeitspanne regelmäßig und pünktlich an seinem Arbeitsplatz erscheint. Würde man dann aber die krankheitsbedingten Fehlzeiten berücksichtigen und deshalb das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals “dauernd” bei krankheitsbedingten Fehlzeiten verneinen, bekäme die Zulage den Charakter einer Anwesenheitsprämie.

Gemäß § 4 Abs. 4 Unterabs. 5 BZT-G/NRW gilt der Leistungszuschlag u.a. bei der Berechnung des Urlaubslohnes als Bestandteil des Monatsgrundlohnes. Gemäß § 34 Abs. 3 BMT-G II wird anstelle des Arbeitsentgeltes im Sinne des Lohnfortzahlungsgesetzes als Krankenlohn der Urlaubslohn gezahlt. Damit haben die Tarifvertragsparteien selbst bestimmt, daß die Zulage als Lohnbestandteil bei Krankheit am Lohnschutz teilnehmen soll. Sie ist damit fortzuzahlendes Arbeitsentgelt i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz. Wäre der Arbeitgeber bei Krankheitsbedingten Fehlzeiten berechtigt, die Zulage zu widerrufen, so könnte er in diesen Fällen immer die Vorschrift des § 4 Abs. 4 Unterabs. 5 BZT-G/NRW mittelbar umgehen.

III. Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Jobs, Schneider, Dörner, Dr. Steinhäuser, Marx

 

Fundstellen

Dokument-Index HI841052

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