Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlrecht von Hochschul- und Fachhochschulpraktikanten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Berufsausbildung im Sinne der § 5 Abs 1 und § 60 Abs 1 BetrVG erfolgt auf betrieblicher Ebene. Davon zu unterscheiden ist die Vermittlung praktischer Kenntnisse und Erfahrungen auf Hochschul- und Fachhochschulebene. Vom Inhalt der jeweiligen Studienordnung hängt es ab, wie ein im Rahmen des Studiums abzuleistendes Praktikum einzuordnen ist. Die Hochschulen und Fachhochschulen können die Praktika als Hochschul- oder Fachhochschulmaßnahme ausgestalten, bei deren Durchführung sie sich der Betriebe bedienen, oder so regeln, daß die Studenten während des Praktikums in einer privatrechtlichen Vertragsbeziehung zum Betriebsinhaber stehen.

2. Die Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin und die Praktikanten im berufspraktischen Studiensemester der TU Berlin sind zur Berufsausbildung Beschäftigte im Sinne der § 5 Abs 1 und § 60 Abs 1 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG §§ 61, 5 Abs. 1, § 60 Abs. 1; HRG § 10 Abs. 4 S. 3, § 11 Abs. 1 S. 3, § 10 Abs. 1 S. 3; HSchulG BE 1986 § 23 Abs. 3, § 24 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 08.11.1990; Aktenzeichen 7 TaBV 4/90)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 28.06.1990; Aktenzeichen 7 BV 4/90)

 

Gründe

A. Die Arbeitgeberin hat die am 4. April 1990 in ihrem Berliner Betrieb durchgeführte Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung mit der Begründung angefochten, an dieser Wahl hätten Praktikanten teilgenommen, die keine Arbeitnehmer i. S. des § 61 in Verb. mit § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG seien.

Der Wahlvorstand ließ insgesamt 76 Personen zur Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung zu, u.a. sieben Praktikanten der Technischen Universität (TU) Berlin unterschiedlicher Fachbereiche im praktischen Studiensemester und 24 Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der Technischen Fachhochschule (TFH) Berlin. Ziel des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin ist ein besonderer Praxisbezug der Ausbildung durch "regelmäßigen Wechsel zwischen Lehrveranstaltungen an der Hochschule und betrieblichen Praxisphasen" (§ 2 Abs. 2 der Studienordnung). Nach § 3 Abs. 2 der Studienordnung gliedert sich jedes Semester in eine zwölfwöchige Ausbildungszeit an der TFH und eine unmittelbar anschließende ca. dreimonatige betriebliche Praxisphase. Die Zusammenarbeit zwischen der TFH und den beteiligten Firmen ist in der Vereinbarung zwischen der Zentralvereinigung Berliner Arbeitgeberverbände und der TFH über die Zusammenarbeit im Rahmen des Modellstudienganges (Anlage 2 der Studienordnung) sowie in den Kooperationsverträgen zwischen der TFH und den am Modellstudiengang beteiligten Firmen (Anlage 3 der Studienordnung) näher geregelt. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 der Studienordnung und § 2 Abs. 5 des Kooperationsvertrages schließen die am Modellstudiengang beteiligten Firmen mit den von ihnen betreuten Studenten einen Praktikantenvertrag ab. Die Anlage des Kooperationsvertrages enthält ein Muster des Praktikantenvertrages, das von der Arbeitgeberin verwandt wurde. In den Praktikantenverträgen mit einer Laufzeit von dreieinhalb Jahren wurden u.a. die Rechte und Pflichten der Vertragspartner, die Auflösung des Praktikantenverhältnisses und der Versicherungsschutz näher geregelt. Die Studenten erhielten nach § 4 des Praktikantenvertrages einen Erholungsurlaub und nach § 8 Satz 3 für die Zeit der Praktika ein monatliches Entgelt, das ab 1. Juli 1990 zwischen 650,-- DM und 1.600,-- DM betrug.

Die Arbeitgeberin schloß auch mit den Studenten der TU Berlin, die nach dem 5. Semester im Rahmen des praktischen Studiensemesters ein achtzehnwöchiges Praktikum ableisteten, einen schriftlichen Vertrag. Dabei verwandte sie das Vertragsmuster "Ausbildungsvertrag für das praktische Studiensemester". In diesem Vertrag wurde der Inhalt des Rechtsverhältnisses zwischen der Arbeitgeberin und den Studenten näher geregelt. U.a. erhielten die Studenten nach § 9 des Vertrages eine Vergütung. Nach § 5 des Vertrages stand ihnen aber kein Erholungsurlaub zu. Aus persönlichen Gründen konnte ihnen allerdings die Ausbildungsstelle (Arbeitgeberin) eine kurzzeitige Freistellung von der Ausbildung gewähren.

Sowohl die sieben Studenten der Technischen Universität Berlin, die im Rahmen ihres praktischen Studiensemesters ein Praktikum ableisteten, als auch die 24 Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin nahmen an der am 4. April 1990 durchgeführten Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung teil. Bei dieser Wahl wurden 46 gültige Stimmen abgegeben. Neben vier Auszubildenden wurde ein Praktikant des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin zum Jugend- und Auszubildendenvertreter gewählt. Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses wurde am 6. April 1990 ausgehängt. Am 20. April 1990 ist der Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin mit Begründung beim Arbeitsgericht eingegangen.

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, daß die 24 Studenten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin und die sieben Studenten des praktischen Studiensemesters der TU Berlin weder wahlberechtigt noch wählbar gewesen seien. Die Praktika seien Bestandteil des Studiums gewesen. Da für diese Praktikantentätigkeiten der Studentenstatus maßgebend gewesen sei, habe es sich um keine Berufsausbildung i. S. von § 61 Abs. 1 i. Verb. mit § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG gehandelt. Demgemäß seien auch nicht fünf, sondern nur drei Jugend- und Auszubildendenvertreter zu wählen gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung

im Werk Berlin vom 4. April 1990 für unwirksam zu

erklären.

Die Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie der Betriebsrat haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, daß den Praktikanten der TU und TFH Berlin das aktive und passive Wahlrecht zur Jugend- und Auszubildendenvertretung zustehe. Deshalb seien auch zu Recht nicht drei, sondern fünf Jugend- und Auszubildendenvertreter gewählt worden.

Das Arbeitsgericht hat dem Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Jugend- und Auszubildendenvertretung und des Betriebsrats ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie der Betriebsrat ihren Abweisungsantrag weiter, während die Arbeitgeberin Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Wahlanfechtungsantrag ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen als unbegründet abzuweisen.

I. Die formellen Voraussetzungen für die Wahlanfechtung sind erfüllt. Die nach § 63 Abs. 2 Satz 2 i. Verb. mit § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigte Arbeitgeberin hat die in ihrem Berliner Betrieb am 4. April 1990 durchgeführte Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung innerhalb der Frist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses angefochten (§ 63 Abs. 2 Satz 2 i. Verb. mit § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB).

Ein Wahlanfechtungsgrund nach § 63 Abs. 2 i. Verb. mit § 19 Abs. 1 BetrVG liegt jedoch nicht vor. Gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren ist nicht verstoßen worden.

II. Das Landesarbeitsgericht hat die Wahlanfechtungsvoraussetzungen mit der Begründung bejaht, weder die Praktikanten im Modellstudiengang "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin noch die Praktikanten der TU Berlin im praktischen Studiensemester seien zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte i. S. von § 5 Abs. 1 und § 60 Abs. 1 BetrVG, weil für ihr Praktikantenverhältnis der Studentenstatus maßgeblich sei. Das Praktikum werde durch die jeweilige Studienordnung vorgeschrieben und geregelt. Bei Studenten, die ein Praktikum ableisteten, fehle es an einer Eingliederung in den Betrieb. Sie blieben - anders als die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten - gleichsam an der Oberfläche des Betriebs. Bei ihnen stehe nicht die praktische Ausbildung für einen Beruf im Vordergrund, sondern es gehe um die praktische Einführung oder Übung als Bestandteil einer theoretischen, fachhochschulmäßigen oder wissenschaftlichen Ausbildung.

III. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind sowohl die 24 Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin als auch die sieben Praktikanten der TU Berlin im praktischen Studiensemester i. S. von § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt worden.

1. Der in § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG verwandte Begriff "Berufsausbildung" deckt sich nicht mit dem des Berufsbildungsgesetzes, sondern ist weiter gefaßt. Dazu zählt nicht nur die in § 1 Abs. 2 BBiG angeführte, breit angelegte berufliche Grundbildung, sondern es fallen alle Maßnahmen darunter, die auf be trieblicher Ebene berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln (BAGE 35, 59, 63 = AP Nr. 25 zu § 5 BetrVG 1972, zu III 2 a der Gründe; BAGE 36, 363, 365 = AP Nr. 26 zu § 5 BetrVG 1972, zu III 3 a der Gründe; BAGE 63, 188, 195 = AP Nr. 40 zu § 5 BetrVG 1972, zu I 1 der Gründe), so daß auch Praktikanten Arbeitnehmer i. S. des Betriebsverfassungsrechts sein können.

2. Der Umfang und die Tiefe der vermittelten beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind nicht entscheidend. Ebensowenig ist die Dauer der Praktika ausschlaggebend. Auch kurzfristigere Bildungsmaßnahmen werden erfaßt (BAGE 35, 59, 63 = AP Nr. 25 zu § 5 BetrVG 1972, zu III 2 a der Gründe).

3. Zu Recht geht allerdings das Landesarbeitsgericht davon aus, daß nicht jedes Praktikum als eine Beschäftigung zur Berufsausbildung i. S. von § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG angesehen werden kann. Da die betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften nur betriebliche Ausbildungsmaßnahmen erfassen, ist darauf abzustellen, ob die praktischen Kenntnisse und Erfahrungen auf betrieblicher Ebene oder auf Hochschul- bzw. Fachhochschulebene vermittelt werden. Das Landesarbeitsgericht rechnet die umstrittenen Praktika jedoch zu Unrecht ausschließlich der Hochschul- und Fachhochschulebene zu.

a) Soweit bereits das jeweilige Studienziel eine berufspraktische Tätigkeit erfordert, ist sie zwar nach § 10 Abs. 1 Satz 3 des Hochschulrahmengesetzes (HRG) mit den übrigen Teilen des Studiums inhaltlich und zeitlich abzustimmen und nach Möglichkeit in den Studiengang einzuordnen. Selbst wenn eine derartige Einordnung geboten ist, kann sie aber auf verschiedenen Wegen erreicht werden. § 10 Abs. 1 Satz 3 HRG schreibt keine vollständige Verschulung der Praktika vor.

b) Die Einordnung oder Nichteinordnung des Praktikums in den Studiengang ist vor allem für die Regelstudienzeit von Bedeutung. Während die in den Studiengang eingeordnete berufspraktische Tätigkeit auf die Regelstudienzeit angerechnet werden kann (§ 10 Abs. 4 Satz 3 HRG und § 23 Abs. 5 BerlHG), gilt das nicht für die anderen Formen einer berufspraktischen Ergänzung des Studiums. Diese hochschulrechtliche Bedeutung führt nicht dazu, daß jede in den Studiengang eingeordnete berufspraktische Tätigkeit lediglich eine in den Betrieb verlagerte Lehrveranstaltung der Hochschule ist. Über Art und Ausmaß einer Einordnung entscheidet die einzelne Hochschule in ihrer Studienordnung (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 HRG und § 24 Abs. 3 Satz 1 BerlHG). Vom Inhalt der jeweiligen Studienordnung hängt es ab, ob die berufspraktische Tätigkeit nur der Hochschulebene oder auch der betrieblichen Ebene zugeordnet werden kann. Die Universitäten und Fachhochschulen können die Praktika ausschließlich als Hochschulmaßnahme ausgestalten, bei deren Durchführung sie sich der Betriebe bedienen. Sie können aber auch trotz weitgehender Vorgaben und enger Verzahnung der berufspraktischen Tätigkeit mit den übrigen Teilen des Studiums die Praktika von den Betrieben eigenverantwortlich durchführen lassen.

4. Die TFH Berlin hat den Modellstudiengang "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" und die TU Berlin das berufspraktische Studiensemester so ausgestaltet, daß die Studenten während ihres Praktikums sowohl in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung zur Hochschule als auch in einem privatrechtlichen Praktikantenverhältnis zum Betriebsinhaber stehen.

a) Im Modellstudiengang "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" sind zwar die betrieblichen Praxisphasen Bestandteil des Studiums. Die Studienordnung der TFH Berlin hat aber darauf verzichtet, diesen Teil der Ausbildung ausschließlich auf der Hochschulebene abzuwickeln.

aa) Nicht allein die TFH Berlin ist den Studenten für die ordnungsgemäße Durchführung des Modellstudiengangs "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" verantwortlich. Die Ausbildung wird in enger Kooperation zwischen der TFH Berlin und den beteiligten Industriefirmen dual abgewickelt. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 der Studienordnung i. Verb. mit § 2 Abs. 5 Satz 1 des Kooperationsvertrages der TFH Berlin mit den beteiligten Firmen (Anlage 3 der Studienordnung) ist zwischen den Firmen und den von ihnen betreuten Studenten ein Praktikantenvertrag abzuschließen. § 5 Satz 2 der Studienordnung stellt unter der Überschrift "Korporationsrechtlicher Status der Studenten" ausdrücklich klar, daß die Teilnehmer am Modellstudiengang im Rahmen der betrieblichen Praxisphasen den Status von Praktikanten haben. Nach § 4 Abs. 4 Satz 4 der Studienordnung entscheiden die Firmen über die Praktikantenverträge. Durch diese Verträge werden privatrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen den Firmen und den Praktikanten begründet. Dieses Rechtsverhältnis wird im Praktikantenvertrag eingehend geregelt. Ein Muster des Praktikantenvertrages ist als Anlage dem Kooperationsvertrag beigefügt, auf den § 2 Abs. 6 Satz 2 der Studienordnung verweist. Dieses Vertragsmuster wurde auch zusammen mit der Studienordnung in den Amtlichen Mitteilungen der TFH Berlin veröffentlicht.

bb) Die Studienordnung der TFH Berlin geht nach diesen Regelungen von drei Rechtsbeziehungen aus, und zwar von dem Rechtsverhältnis der Studenten zur TFH Berlin, einem durch die Kooperationsverträge begründeten Rechtsverhältnis zwischen der TFH Berlin und den am Modellversuch beteiligten Firmen sowie einem Praktikantenverhältnis zwischen den Firmen und den Studenten. Der zwischen der TFH Berlin und den beteiligten Firmen geschlossene Kooperationsvertrag ist kein Vertrag zugunsten Dritter (der Praktikanten), sondern bedarf der privatrechtlichen Umsetzung. Grundlage des Praktikums sind die zwischen den Firmen und den Praktikanten geschlossenen Praktikantenverträge. Darin übernehmen die Vertragspartner ähnliche Pflichten, wie sie den Ausbildenden und den Auszubildenden nach dem Berufsbildungsgesetz treffen. Der Praktikant erhält auch Erholungsurlaub und ein Entgelt (§§ 4 und 8 Satz 3 des Praktikantenvertrages). Das Vorliegen einer Berufsausbildung i. S. von § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG hängt zwar nicht davon ab, ob dem Auszubildenden für die Teilnahme an der Ausbildung eine Vergütung gezahlt wird (BAGE 36, 363, 366 = AP Nr. 26 zu § 5 BetrVG 1972, zu III 3 b der Gründe). Die Zahlung einer Vergütung deutet aber in der Regel auf ein Berufsausbildungsverhältnis i. S. dieser Vorschriften hin (BAGE 63, 188, 196 = AP Nr. 40 zu § 5 BetrVG 1972, zu I 2 der Gründe).

cc) Obwohl Inhalt und Ausgestaltung des Praktikantenverhältnisses weitgehend vorgegeben sind, ändert dies nichts daran, daß diese Rechtsbeziehung durch einen privatrechtlichen Vertrag geregelt ist und die Arbeitgeberin gegenüber den Studenten eigene Rechte und Pflichten hat. Über Begründung und Beendigung dieser Rechtsbeziehung entscheiden die Vertragspartner. Das Entscheidungsrecht der Arbeitgeberin über eine vorzeitige Beendigung des Praktikantenverhältnisses wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Arbeitgeberin nach § 5 Satz 2 des Praktikantenvertrages vorher die TFH Berlin anzuhören hat. Die Auflösung des Praktikantenverhältnisses bedarf einer einseitigen, schriftlichen Willenserklärung der Arbeitgeberin oder des Praktikanten. Die Kündigung kann in Anlehnung an § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG grundsätzlich nur aus wichtigem Grund erfolgen. Selbst bei Aufgabe des Praktikums endet das Praktikantenverhältnis nicht automatisch. Vielmehr ist ähnlich wie bei der Berufsaufgabekündigung nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 BBiG eine Kündigungsfrist von vier Wochen einzuhalten.

dd) Die Einordnung der berufspraktischen Tätigkeit in den Studiengang ändert nichts daran, daß die betriebliche Praxisphase eine Berufsausbildung i. S. von § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG ist. Für die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ist allein entscheidend, ob der Praktikant aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages tätig wird. Wer unter dieser Voraussetzung in einem Betrieb ausgebildet wird, ist betriebsverfassungsrechtlich Auszubildender (so bereits der Sechste Senat im Beschluß vom 24. September 1981, BAGE 36, 363, 366 = AP Nr. 26 zu § 5 BetrVG 1972, zu III 3 b der Gründe).

ee) Zu Unrecht verneint das Landesarbeitsgericht eine Eingliederung der Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" in den Betrieb der Arbeitgeberin. Sie haben die ihnen im Rahmen der Ausbildung übertragenen Aufgaben sorgfältig auszuführen, die ihnen erteilten Weisungen zu befolgen und die im Betrieb geltenden Ordnungen zu beachten. § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 des Praktikantenvertrages entspricht dem § 9 BBiG. Die Praktikanten sind aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung in die betriebliche Organisation eingebunden und haben sich dazu verpflichtet, für die Arbeitgeberin Verrichtungen auszuführen. Damit ist auch das Tatbestandsmerkmal "beschäftigt" erfüllt.

ff) Das Urteil des Vierten Senats vom 19. Juni 1974 (BAGE 26, 198 = AP Nr. 3 zu § 3 BAT) ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht einschlägig. Diese Entscheidung betrifft die Anwendung des § 19 BBiG und die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Im vorliegenden Fall spielt es jedoch keine Rolle, ob § 19 BBiG anwendbar ist. Auch privatrechtliche Ausbildungsverhältnisse, für die das Berufsbildungsgesetz nicht gilt, können von § 60 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 BetrVG erfaßt werden. In die Rechtsetzungsbefugnis der Länder und der Hochschulen wird dadurch nicht eingegriffen. Die Studienordnung der TFH Berlin schreibt eindeutig die Durchführung des Praktikums auf privatrechtlicher, betrieblicher Ebene vor. Sie hat ein, wenngleich eng koordiniertes und verzahntes duales System gewählt.

b) Auch die Studenten der TU Berlin, die im Rahmen eines praktischen Studiensemesters ein achtzehnwöchiges Praktikum ableisteten, sind aufgrund eines privatrechtlichen Praktikantenvertrages im Betrieb der Arbeitgeberin ausgebildet worden. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts, auf die das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, verwandte die Arbeitgeberin das Vertragsmuster "Ausbildungsvertrag für das praktische Studiensemester". Dieses Vertragsmuster regelt auf privatrechtlicher Grundlage die Pflichten der "Ausbildungsstätte" und des "Studenten". Es enthält ebenso wie die Praktikantenverträge für das Modellstudium "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" der TFH Berlin Bestimmungen über die Tätigkeitspflicht und Weisungsgebundenheit der Studenten, die Anzeigepflicht bei Fernbleiben, das Entgelt und die Auflösung des Rechtsverhältnisses. Unterschiedlich sind allerdings die Urlaubsregelungen. In § 5 des "Ausbildungsvertrages für das praktische Studiensemester" ist ein Anspruch auf Erholungsurlaub ausgeschlossen worden und lediglich eine kurzfristige Freistellung von der Ausbildung aus persönlichen Gründen vorgesehen. Für die Gewährung dieser Freistellung ist jedoch die Ausbildungsstelle (Arbeitgeberin) zuständig. Der Ausschluß des Urlaubsanspruchs ändert unabhängig davon, ob er wirksam oder unwirksam ist, nichts daran, daß der betriebliche Teil der Ausbildung einen privatrechtlichen Vertrag erforderte, auf betrieblicher Ebene von der Arbeitgeberin eigenverantwortlich durchgeführt wurde und die Studenten während ihres Praktikums in den Betrieb eingegliedert waren. Diese ebenfalls dual ausgestaltete Ausbildung ist nicht anders zu beurteilen als das im Rahmen des Modellstudiengangs "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" abgeleistete Praktikum.

IV. Die Praktikanten des Modellstudienganges "Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik" waren nicht nur wahlberechtigt, sondern nach § 61 Abs. 2 BetrVG auch wählbar.

1. Es kommt nicht darauf an, ob der gewählte Praktikant des Modellstudienganges bei der Durchführung der Wahl im Betrieb tätig war oder an Lehrveranstaltungen der TFH Berlin teilzunehmen hatte. Sein Praktikantenvertrag war für die Dauer von dreieinhalb Jahren geschlossen worden. Solange der Praktikant an Lehrveranstaltungen der TFH Berlin teilnahm, ruhten lediglich seine Pflichten aus dem Praktikantenverhältnis, ohne daß dieses Rechtsverhältnis beendet wurde. Er blieb während dieser Zeit ein zur Berufsausbildung Beschäftigter des Betriebs. Es ist nicht erforderlich, daß im Zeitpunkt der Wahl tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wird.

2. Wie lange das Praktikantenverhältnis im Zeitpunkt der Wahl bereits bestanden hatte, ist unerheblich. Während die Wählbarkeit zum Betriebsrat eine sechsmonatige Betriebszugehörigkeit voraussetzt, hängt die Wählbarkeit zur Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht von einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit ab.

Dr. Seidensticker Schliemann Kremhelmer

Breier Straub

 

Fundstellen

Haufe-Index 440965

DB 1992, 1635-1636 (LT1-2)

BuW 1992, 404 (T)

BetrVG, (3) (LT1-2)

EzB BetrVG § 5, Nr 25 (LT1-2)

JR 1993, 88

JR 1993, 88 (S)

NZA 1992, 808

NZA 1992, 808-810 (LT1-2)

RdA 1992, 220

AP § 5 BetrVG 1972 Ausbildung (LT1-2), Nr 2

EzA § 5 BetrVG 1972, Nr 50 (LT1-2)

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