Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständiges Beweisverfahren

 

Orientierungssatz

1. Die Regeln über das selbständige Beweissicherungsverfahren gelten auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren.

2. Ein selbständiges Beweisverfahren ist bereits dann zulässig, wenn die Feststellungen der Vermeidung eines Rechtsstreites dienen können, also diese abstrakte Möglichkeit der gütlichen Streitbeilegung besteht. Die positive Feststellung, dass ein Hauptsacheverfahren wahrscheinlich vermieden wird, ist nicht erforderlich.

3. Soweit nicht evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann, ist das selbständige Beweisverfahren trotz Zweifeln an der Begründetheit der vom Antragsteller verfolgten Ansprüche durchzuführen.

4. An die im selbständigen Beweisverfahren gestellten Anträge sind die selben Anforderungen zu stellen wie an den Beweisantritt durch Sachverständige im Hauptsacheverfahren. Das bedeutet:

a) Auch auf die Informationsnot der beweispflichtigen Partei ist Rücksicht zu nehmen. Eine wissenschaftliche Substantiierung der Beweisantritte wird nicht verlangt; es muss nur das Ergebnis mitgeteilt werden, zu dem der Sachverständige kommen soll, nicht der Weg, auf dem dies geschieht.

b) Allerdings ist das Verbot des Ausforschungsbeweises bei unsubstantiiertem Vortrag zu beachten. Der Verfahrensgegenstand muss zweifelsfrei abgrenzbar sein und ein Sachverständiger Art und Umfang der übertragenen Tätigkeit erkennen können. Insofern ist es ausreichend, wenn der Sachverständige auf die Begutachtung noch vorhandener Gegenstände, von denen er sich einen Eindruck verschaffen kann, verwiesen wird.

 

Normenkette

ArbGG § 46 Abs. 2; ZPO § 485 ff., § 403

 

Verfahrensgang

LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 03.04.2008; Aktenzeichen 10 Ta 192/08)

ArbG Berlin (Beschluss vom 08.11.2007; Aktenzeichen 8 Ha 22413/06)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. April 2008 – 10 Ta 192/08 – und des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. November 2007 – 8 Ha 22413/06 – unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen teilweise aufgehoben.

II. Es ist ein schriftliches Sachverständigengutachten über folgende Behauptungen einzuholen:

1. Bei dem Brand in dem Objekt F… vom 3. August 2003 ist es durch das Verbrennen der dort verwandten Ummantelungen und Isolierungen an den Rohrleitungen zu einer Freisetzung von Stoffen, Gasen bzw. Schwebteilchen gekommen, die beim Antragsteller, als dieser vom 24. September 2003 bis zum 26. September 2003 Reparaturarbeiten an Rohrleitungen und Ventilen im Keller durchführte, zu einem Zustand nach Hämoptysen (ICD-10: R04.2), Bronchitis (ICD-10: J44.8), Tracheitis (ICD-10: J40) sowie Refluxösophagitis (ICD-10: K21.0) geführt haben.

2. Die Ursächlichkeit der am Brandort vorhandenen Stoffe für die Erkrankung des Antragstellers als Vollbartträger ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger eine einfache Staubmaske trug.

3. Es wäre nicht zu den gesundheitlichen Folgen gekommen, wenn die Sanierungstätigkeiten unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen (Schutzkleidung Kategorie III, Typ 5 bis 6; Atemschutz; Schutzhandschuhe Kategorie II sowie Fußschutz S 3) durchgeführt worden wären.

III. Die weiter erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem Arbeitsgericht Berlin übertragen.

 

Tatbestand

A. Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er beantragt die Einholung eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren.

Der am 4. Oktober 1961 geborene Antragsteller war im Jahre 2003 Arbeitnehmer der Antragsgegnerin, die in den Bereichen Heizung, Ölfeuerung, Tankschutz und Sanitär tätig ist. Am 3. August 2003 brannten in dem Gebäude F…, zwei Verschläge von Mietern im Dachgeschoss und zwei Verschläge von Mietern im Kellergeschoss. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlin wurde die Akte – 1 Bra Js 4338/03 – angelegt. In Bezug auf den entstandenen Brandschaden erstellte die Antragsgegnerin unter dem Datum des 6. August 2003 ein schriftliches Angebot über Reparaturarbeiten an Rohrleitungen und Ventilen im Keller nach Brandschaden. Die Bezeichnung zu Position 1 des Angebots lautete:

“Demontage der verbrannten Isolierungsmaterialien incl. fachgerechte Entsteigestränge (Sondermüll), Schmutz- und Erschwerniszulage sind mit einberechnet (Beachtung der Arbeitsschutzrichtlinie, Arbeitszeiten mit Unterbrechung).”

Die Antragsgegnerin erhielt den Auftrag. Sie wies den Antragsteller an, die Arbeiten im Keller durchzuführen, was dieser unter Verwendung einer von ihm im Gebäude aufgefundenen Staubmaske, jedoch ohne sonstige Schutzkleidung vom 24. bis 26. September 2003 tat. Nach einem Bescheid der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft war der Antragsteller anschließend vom 29. September 2003 bis 5. November 2003 arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 24. Oktober 2003 bis 5. November 2003 befand der Antragsteller sich in stationärer Behandlung in der Lungenklinik H…. In dem Bericht der Klinik vom 5. November 2003 heißt es auszugsweise:

“DIAGNOSEN:

– Z.n. Hämoptysen (ICD-10: R 04.2)

– Bronchitis (ICD-10: J 44.8)

– Insulinabhängiger Diabetes mellitus (ICD-10: I 10.90)

– Tracheitis (ICD-10: J 40)

– Refluxösophagitis (ICD-10: K 21.0)

ANAMNESE:

Die Einweisung des Pat. erfolgte wg. Bronchitis und Hämoptysen zur weiteren Diagnostik und Therapie. Der Pat. berichtete über folgenden Verlauf: vom 24.09. – 26.09. arbeitete Herr S… in einem Keller, nachdem es dort gebrannt hatte; am 26.09.03 Hämoptysen, thorakales Brennen, Kopfschmerzen. Er habe Aspirin eingenommen und sei am Montag darauf zum Lungenarzt gegangen. Ambulant durchgeführte Allergieteste waren negativ. Lungenfunktionell zeigte sich eine Obstruktion. Die Sputumuntersuchung ergab den Nachweis von Mundflora, mikroskopisch konnten keine säurefesten Stäbchen gesehen werden. Herr S… erhielt Prednisolon per os und bronchiendilatierende Sprays.

Altanamnestisch berichtete der Pat. über folgende Erkrankungen: insulienpflichtiger Diabetes mellitus seit 2002 bekannt, vor ca. 10 Jahren Schulterluxation links mit konsekutiver OP, Refluxösophagitis (ÖGD im Frühjahr 2003), übliche Kinderkrankheiten. (…)”

Mit dem vorliegenden Verfahren strebt der Antragsteller ua. die sachverständige Feststellung der Kausalität der durchgeführten Arbeiten für seine Erkrankungen an. Nachdem der Antragsteller zunächst unter dem 10. Juli 2006 das selbständige Beweisverfahren beim Landgericht Berlin eingeleitet hatte, wurde es von dort mit Beschluss vom 18. August 2006 an das Arbeitsgericht Berlin verwiesen. Das Arbeitsgericht hat das Begehren des Antragstellers zunächst mit Beschluss vom 7. November 2006 – 8 Ca 15960/06 – im Hinblick auf § 104 Abs. 1 SGB VII zurückgewiesen. Der Antragsteller habe kein rechtliches Interesse an dem Gutachten, weil selbst bei unterstellter Bejahung der sachverständig zu klärenden Fragen ein Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin nur bei Vorsatz anzunehmen wäre. Der Vorsatz müsse sich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dabei auch auf die eingetretenen Verletzungsfolgen beziehen. Diese Voraussetzungen seien vom Antragsteller nicht dargetan.

Im Rahmen eines gegen diese Entscheidung geführten Beschwerdeverfahrens hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nach umfangreichen rechtlichen Hinweisen und einem daraufhin erheblich geänderten Antrag und Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 22. Januar 2007 mit Beschluss vom 20. Februar 2007 – 10 Ta 2137/06 – den Beschluss des Arbeitsgerichts aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen.

Im nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren änderte der Antragsteller nach entsprechenden Hinweisen des Gerichts vom 31. Mai 2007 erneut seine Anträge.

Er hat zuletzt beantragt:

Im Wege der Beweissicherung das schriftliche Gutachten eines Sachverständigen über folgende Fragen einzuholen:

1. Ist durch den Brand in dem Objekt F… vom 3. August 2003 (Brandschadenakte der Staatsanwaltschaft Berlin mit dem Aktenzeichen – 1 Bra Js 4338/03 –) ein Brand der Gefahrenbereichsstufe 1 bzw. 2 entstanden, da wegen der dort lagernden Gegenstände (mehrere Zimmertüren, Plastikmaterial, Holzstoffe, Kunststoffe) sowie der verbrannten ca. 150 bis 200 Meter Ummantelungen an den zu sanierenden Rohrleitungen eine so starke Hitzeentwicklung stattgefunden hat, sodass bei der Durchführung von Brandschadensanierungsmaßnahmen durch den Antragsteller auf Anweisung der Antragsgegnerin gemäß den Richtlinien zur Brandschadensanierung ein besonderer Arbeitsplan sowie besondere Schutzmaßnahmen durch die Antragsgegnerin hätte festgestellt und durchgeführt werden müssen und hätte die Einhaltung der Schutzmaßnahmen nach den Richtlinien der Brandschadensanierung (BGR 128 – kontaminierte Bereiche) Handlungspflichten für die Antragsgegnerin dergestalt zur Folge gehabt, dass die Reinigungs- und Sanierungstätigkeiten unter Einhaltung der empfohlenen Schutzmaßnahmen nach Anhang 8 der Richtlinie zur Brandschadensanierung nämlich

– Schutzkleidung Kategorie III Typ 5 bis 6

– Atemschutz

– Schutzhandschuhe Kategorie II sowie

– Fußschutz S 3

dazu geführt, dass beim Antragsteller die gesundheitlichen Folgen (Hämoptysen (ICD-10: R 04.2), Bronchitis (ICD-10: J 44.8), Tracheitis (ICD-10: J40) sowie Refluxösophagitis (ICD-10: K21.0) nicht eingetreten wären?

2. Haben die in den Kellerverschlägen gelagerten Gegenstände, die sich aus der Brandschadenakte der Staatsanwaltschaft Berlin mit dem Aktenzeichen – 1 Bra Js 4338/03 – ergeben (Isolierungen von Rohrleitungen, Matratzen, Kunststoffe, Holzstoffe, Elektrokabel und ca. 150 bis 200 Versorgungs- und Rohrleitungen, Fernseher, Radios, Zimmertüren mit Lackierung versehen etc.) wegen der Brandentwicklung zu einer überstarken Rauchentwicklung und multiplen toxischen Gasentwicklung geführt, die beim Kläger zusätzlich zu der bisher vorliegenden Erkrankung eines insulinpflichtigen Typs – II – Diabetes mellitus, der seit dem Jahr 2002 besteht, zu einem Zustand nach Hämoptysen (ICD-10: R04.2), Bronchitis (ICD-10: J44.8), Tracheitis (ICD-10: J40) sowie Refluxösophagitis (ICD-10: K21.0) führen können?

3. Haben die bei den unter dem Antrag 1 im Objekt F… entstandenen toxischen Stoffe, Gase und Schwebeteilchen beim Kläger zu einem Zustand nach Hämoptysen, Bronchitis, Tracheitis sowie Refluxösophagitis führen können?

4. Konnte allein oder im Zusammenhang mit dem Brandschaden verbrannte Isolierwolle zu den beim Kläger aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Zustand nach Hämoptysen, Bronchitis, Tracheitis sowie Refluxösophagitis) führen?

5. Konnten die durch den Antragsteller eingeatmeten Gase und Schwebeteilchen zu Vergiftungserscheinungen und den beim Antragsteller aufgetretenen Schädigungen der inneren und äußeren Organe führen (Zustand nach Hämoptysen, Bronchitis, Tracheitis, Refluxösophagitis), durch die der Antragsteller heute noch beeinträchtigt wird?

6. Konnten diese beim Kläger aufgetretenen Vergiftungserscheinungen und Schädigungen der inneren und äußeren Organe durch den Brand im Objekt F… vom 3. August 2003 entstehen?

7. Hat die Tatsache, dass der Antragsteller Diabetiker ist und zudem Amalgamfüllungen in seinen Zähnen trägt Einfluss (und wenn ja welchen) genommen auf die bei dem Antragsteller festgestellten gesundheitlichen Schäden (Hämoptysen (ICD-10: R04.2), Bronchitis (ICD-10: J44.8), Tracheitis (ICD-10: J40) sowie Refluxösophagitis (ICD-10: K21.0))?

8. Konnte das Tragen einer einfachen Staubmaske den Antragsteller am Einatmen der kontaminierten Stoffe hindern, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Antragsteller zu Zeitpunkt des Einsatzes in den Räumen der F… “Vollbartträger” war?

Mit Beschluss vom 8. November 2007 hat das Arbeitsgericht auch den geänderten Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung hieß es, die Rechtsbeschwerde sei mit einer Frist von einem Monat einzulegen und gleichzeitig oder innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich zu begründen. Beide Fristen begännen mit der Zustellung des Beschlusses. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 16. April 2008 zugestellt. Mit seiner am 28. April 2008 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen und mit am 9. Juni 2008 eingegangenen Schriftsatz begründeten Rechtsbeschwerde verfolgt der Beschwerdeführer seine zuletzt gestellten Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.

I. Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, sie wurde vom Landesarbeitsgericht gemäß § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. An diese Zulassungsentscheidung ist der Senat nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebunden (BAG 28. Februar 2003 – 1 AZB 53/02 – BAGE 105, 195, zu B I 2 der Gründe). § 490 Abs. 2 ZPO ändert daran nichts. Nach dieser Vorschrift ist nur ein dem Antrag stattgebender Beschluss unanfechtbar.

2. Die Rechtsbeschwerde wurde frist- und ordnungsgemäß eingelegt (§ 575 Abs. 1 ZPO). Sie ist auch nicht deshalb unzulässig, weil sie verspätet begründet wurde.

Allerdings hat der Beschwerdeführer die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nicht eingehalten. Die Begründungsfrist beträgt einen Monat beginnend mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung (§ 575 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO). Sie lief damit am Freitag, dem 16. Mai 2008 ab. Dem steht § 9 Abs. 5 ArbGG nicht entgegen. Zwar ist danach eine anfechtbare Entscheidung mit einer Belehrung über das Rechtsmittel zu versehen und bei unterbliebener oder unrichtig erteilter Belehrung die Einlegung des Rechtsmittels wenigstens innerhalb eines Jahres nach der Zustellung der Entscheidung noch zulässig. Die Bestimmung gilt jedoch nur für die Einlegung, nicht für die Begründung des Rechtsmittels (BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – BAGE 109, 265, zu II 1c der Gründe mwN).

Es konnte jedoch auch ohne Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden (§ 236 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz ZPO). Die erst ab Behebung des Hindernisses – hier Unkenntnis der korrekten Frist – laufende einmonatige Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO) stand einer Wiedereinsetzung nicht entgegen. Die Rechtsbeschwerdebegründung ist am 9. Juni 2008 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass dem Antragsteller vor diesem Zeitpunkt die Nichteinhaltung der Frist bewusst war. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er auf die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung des Landesarbeitsgerichts vertraute und von einer zweimonatigen Begründungsfrist ausging. Auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen lagen vor. Der Beschwerdeführer durfte sich auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen; der Fehler war hier nicht so offenkundig, dass nicht einmal der Anschein einer richtigen Belehrung entstehen konnte (vgl. BAG 19. September 2007 – 3 AZB 35/05 – AP InsO § 55 Nr. 15 = EzA ZPO 2002 § 91 Nr. 2, zu II 1d bb der Gründe; 25. Januar 2007 – 5 AZB 49/06 – AP SGB II § 16 Nr. 1 = EzA ZPO 2002 § 233 Nr. 6, zu B I 2 der Gründe).

3. Der Antragsteller hat – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – in seiner Rechtsbeschwerdebegründung ab Seite 9 auch die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll, hinreichend bestimmt bezeichnet und sich sachlich mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung auseinandergesetzt (vgl. § 575 Abs. 3 Nr. 3 lit. a ZPO; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 78 Rn. 53).

II. Die Rechtsbeschwerde ist nur teilweise begründet.

1. Nach § 46 Abs. 2 ArbGG sind die Regelungen der ZPO über die Beweissicherung auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbar (ErfK/Koch 8. Aufl. § 58 ArbGG Rn. 2; Zwanziger ZZP Bd. 109 [1996], 79). Die zum 1. April 1991 neu gestalteten Bestimmungen über das selbständige Beweisverfahren ermöglichen in § 485 Abs. 2 ZPO eine von einem Beweissicherungsbedürfnis – wie es etwa § 485 Abs. 1 ZPO voraussetzt – unabhängige Erhebung des Sachverständigenbeweises. Voraussetzung ist insoweit lediglich, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat (BGH 16. September 2004 – III ZB 33/04 – NJW 2004, 3488, zu II 1 der Gründe; vgl. Herget FS Vollkommer S. 97).

Das mit einem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens befasste Gericht ist verpflichtet, dem Antrag entweder stattzugeben oder ihn zurückzuweisen, wenn es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung für das selbständige Beweisverfahren fehlt, oder wenn der Beweisantrag unzulässig ist (vgl. BGH 4. November 1999 – VII ZB 19/99 – NJW 2000, 960 = MDR 2000, 224, zu II 2a der Gründe; Reichold in Thomas/Putzo 29. Aufl. § 490 ZPO Rn. 3).

2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend das Vorliegen eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO angenommen.

a) Ein Feststellungsinteresse ist nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Dabei ist zu beachten, dass nach dem Gesetzestext bereits die abstrakte Möglichkeit der gütlichen Streitbeilegung genügt (“dienen kann”) und nicht die positive Feststellung verlangt wird, dass ein Hauptsacheverfahren vermieden werden wird (vgl. Zwanziger ZZP Bd. 109 [1996], 81). Der Begriff des “rechtlichen Interesses” ist daher weit zu fassen.

b) Unerheblich ist deshalb, dass die Antragsgegnerin sich unter anderem gerade auf ihr fehlendes Verschulden beruft und daher nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass sie die Ansprüche anerkennen wird, wenn der Gutachter die Behauptungen des Antragstellers bestätigt (vgl. Zöller/Herget ZPO 26. Aufl. § 485 Rn. 7a mwN). Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass ein für die Antragsgegnerin negatives Ergebnis des Gutachtens bei ihr zumindest die Bereitschaft für eine vergleichsweise Regelung der Frage auslöst. Sollte sich in einem möglicherweise trotz allem zu führenden Prozess ergeben, dass es auf die Beweiserhebung durch das Gutachten für die Entscheidung über die Ansprüche des Antragstellers gar nicht ankommt, kann diesem Umstand selbst bei einem Obsiegen des Antragstellers im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 96 ZPO Rechnung getragen werden (vgl. BGH 21. Januar 2003 – VI ZB 51/02 – BGHZ 153, 302, zu II 2b bb der Gründe).

c) Auf mögliche Zweifel an der Begründetheit der vom Antragsteller verfolgten Ansprüche kommt es nicht an.

aa) Grundsätzlich ist es dem Gericht verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen (BGH 16. September 2004 – III ZB 33/04 – NJW 2004, 3488, zu II 2 der Gründe; 4. November 1999 – VII ZB 19/99 – NJW 2000, 960 = MDR 2000, 224, zu II 2b (1) der Gründe).

Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse unter diesem Gesichtspunkt ausschließlich dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Es muss ein völlig eindeutiger Fall vorliegen, in dem evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH 16. September 2004 – III ZB 33/04 – aaO). Das rechtliche Interesse entfällt nicht allein dadurch, dass nach der Feststellung des Zustands einer Person, der hierfür maßgeblichen Gründe und des Wegs zur Beseitigung des Schadens im Rahmen des Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO, noch nicht die rechtlichen Fragen des Verschuldens und der Kausalität der Verletzung für den Schaden geklärt sind und hierüber gegebenenfalls doch noch in einem gerichtlichen Verfahren gestritten werden wird (vgl. BGH 21. Januar 2003 – VI ZB 51/02 – BGHZ 153, 302, zu II 2b cc der Gründe).

bb) Das Landesarbeitsgericht ist daher zu Recht bereits in seinem Beschluss vom 20. Februar 2007 der vom Arbeitsgericht Berlin im Beschluss vom 7. November 2006 vertretenen Rechtsansicht entgegengetreten, dass vorliegend das rechtliche Interesse des Antragstellers bereits zu verneinen sei, weil § 104 Abs. 1 SGB VII eine Haftung nur bei Vorsatz der Antragsgegnerin, der sich auch auf die eingetretenen Verletzungsfolgen erstrecken müsse, vorsehe. Das Fehlen des Vorsatzes auf Seiten der Antragsgegnerin ist nicht evident. Dies folgt schon aus dem Inhalt ihres Angebots vom 6. August 2003, aus dem sich ergibt, dass ihrem Geschäftsführer die Notwendigkeit der Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften bewusst war. In Bezug auf ein vorsätzliches Verhalten ihres Organs ist die Zurechnung des Verschuldens bei einer juristischen Person nicht eindeutig ausgeschlossen (vgl. LG Fulda 9. April 1987 – 2 O 389/86 – VersR 1987, 1202; aA wohl ErfK/Rolfs 8. Aufl. § 104 SGB VII Rn. 24 aE).

3. Der Antrag erfüllt nicht in vollem Umfange die Voraussetzungen eines zulässigen Beweisantrags.

a) Der Antragsteller hat die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, nur teilweise hinreichend iSd. § 487 Nr. 2 ZPO bezeichnet.

aa) Die Vorschrift entspricht der allgemeinen Regelung über den Beweisantritt beim Sachverständigenbeweis in § 403 ZPO, nach der der Beweis durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten wird. § 403 ZPO nimmt zur Beweiserleichterung auf die Informationsnot der beweispflichtigen Partei Rücksicht und verlangt keine wissenschaftliche (sachverständige) Substantiierung (BGH 10. Oktober 1994 – II ZR 95/93 – NJW 1995, 130, zu 4b der Gründe; HK-ZPO/Eichele 2. Aufl. § 403 Rn. 2). Es muss nur das Ergebnis mitgeteilt werden, zu dem der Sachverständige kommen soll, nicht der Weg, auf dem dies geschieht (BGH 10. Oktober 1994 – II ZR 95/93 – aaO mwN). Andererseits gilt auch im Rahmen des § 487 Nr. 2 ZPO das Verbot des Ausforschungsbeweises bei unsubstantiiertem Vortrag (Zöller/Herget ZPO 26. Aufl. § 487 Rn. 4; Musielak/Huber ZPO 6. Aufl. § 487 Rn. 3). Der Vortrag muss so substantiiert sein, dass der Verfahrensgegenstand zweifelsfrei abgrenzbar ist und ein Sachverständiger Art und Umfang der übertragenen Tätigkeit erkennen kann (KG 1. Oktober 1998 – 10 W 6456/98 – NJW-RR 1999, 1369, zu II 2a der Gründe). Die Anforderungen dürfen im selbständigen Beweisverfahren allerdings nicht überspannt werden, weil die Beweiserhebung auf Kosten des Antragstellers stattfindet, der zudem meist keine oder nur eine unzureichende Vorstellung über eine Schadensursache haben wird, und weil keine streitige, der Rechtskraft fähige Sachentscheidung ergeht (vgl. Herget und Huber jeweils aaO).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze gilt Folgendes:

(1) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausreichend berücksichtigt, dass auch Prozesshandlungen auslegungsfähig und -bedürftig sind. Es ist gegebenenfalls eine Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger Erklärungen anzustellen (Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. vor § 128 Rn. 25). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht (BGH 24. November 1999 – XII ZR 94/98 – NJW-RR 2000, 1446 mwN). Die Zurückweisung eines Antrags als unzulässig kommt erst in Betracht, wenn trotz eines entsprechenden Hinweises keine Klarstellung oder Konkretisierung erfolgt und auch eine Auslegung des Antrags nicht möglich ist (vgl. GK-ArbGG/Dörner Stand September 2008 § 81 Rn. 40).

(2) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller die für die Erstellung des Gutachtens notwendigen Anknüpfungstatsachen mit seinen Umschreibungen “dort lagernde Gegenstände (mehrere Zimmertüren, Plastikmaterial, Holzstoffe, Kunststoffe)” bzw. “die in den Kellerverschlägen gelagerten Gegenstände, die sich aus der Brandschadenakte der Staatsanwaltschaft Berlin mit dem Aktenzeichen 1 Bra Js 4338/03 ergeben (Isolierungen von Rohrleitungen, Matratzen, Kunststoffe, Holzstoffe, Elektrokabel und ca. 150 bis 200 Meter Versorgungs- und Rohrleitungen, Fernseher, Radios, Zimmertüren mit Lackierungen versehen etc.)” nicht hinreichend konkret beschrieben und damit nicht die notwendigen Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Beurteilung angegeben hat. Es ist offenkundig, dass ein Gutachter wissen muss, welche Materialen verbrannt sein sollen, um feststellen zu können, welche Stoffe bei ihrer Verbrennung entstehen und freigesetzt werden können. Eine solche notwendige Eingrenzung des Gutachterauftrags ist den Anträgen auch unter Berücksichtigung des übrigen Vorbringens des Antragstellers nicht zu entnehmen. Dabei würden tatsächlich die Anforderungen an die Substantiierung überspannt, wenn man verlangen würde, dass die einzelnen Materialien, aus denen sich die verbrannten Gegenstände zusammensetzten, im Einzelnen bezeichnet werden. Der Antragsteller hat hier aber schon die verbrannten Gegenstände selbst nicht konkret bezeichnet. Dies war ihm durchaus zumutbar. Er hat nicht vorgetragen, dass er die Nutzer der Verschläge um Mitteilung der verbrannten Gegenstände gebeten habe.

(3) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch übersehen, dass der Antragsteller mit Schriftsatz vom 21. Februar 2008, dort Seite 2, klargestellt hat, dass die Isolierungen und Ummantelungen der Rohrleitungen nicht vollständig verbrannt waren und nur teilweise – durch den Antragsteller – entfernt und ersetzt werden mussten. Nach Vortrag des Antragstellers befinden sich daher noch erhebliche Mengen des in Frage stehenden Materials – erstmals in der Beschwerdebegründung als OKAPAK SE DIN 4102-B1 P-BWV 03-1-16.5.49 bezeichnet – in dem Objekt. Der Sachverständige ist befugt, zu seiner eigenen Information eine Ortsbesichtigung durchzuführen (vgl. Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. § 402 Rn. 5a). Es ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Sachverständige auf diese Weise ohne weiteres in der Lage ist, auch heute noch Art und Zusammensetzung der Isolierung und Ummantelung der Rohre zu ermitteln.

(4) Der Antragsteller hat auch seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinreichend konkret bezeichnet. Das Krankheitsbild wurde offensichtlich der Diagnose aus dem Bericht der Lungenklinik H… vom 5. November 2003 entnommen. Die Bezugnahme auf ärztliche Befunde genügt grundsätzlich zur Substantiierung. Eine weitere Konkretisierung ist dem medizinischen Laien regelmäßig nicht zumutbar (vgl. zum Kündigungsrecht BAG 7. November 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50, zu B I 2c bb der Gründe; Kittner/Däubler/Zwanziger-Kittner/Deinert KSchR 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 104; ErfK/Oetker 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 125).

(5) Der Antrag zu 8) kann im Hinblick auf den sonstigen Vortrag des Antragstellers dahingehend ausgelegt werden, dass er behauptet, allein die von ihm verwandte Staubmaske habe die Kausalkette nicht unterbrechen können. So verstanden handelt es sich um einen nach § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässigen Antrag.

(6) Nachdem der Antragsteller trotz gerichtlichen Hinweises an der ergebnisoffenen Fragestellung des Antrags zu 7) festgehalten hat, hat das Landesarbeitsgericht diesen Antrag jedoch zutreffend als unzulässigen Ausforschungsantrag zurückgewiesen. Es fehlt an den notwendigen Angaben für eine zulässige Beweisaufnahme. Der Antragsteller hat in keiner Weise konkretisiert, was der Hinweis auf Amalgamfüllungen mit seinem Rechtsschutzziel zu tun haben soll. Auch die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Zuckererkrankung und den im Antrag genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen wurde nicht konkretisiert.

b) Den übrigen Anträgen stehen durchgreifende Bedenken entgegen.

aa) Soweit der Antragsteller mit dem Antrag zu 1) das Bestehen von Handlungspflichten des Arbeitgebers durch das Gutachten festgestellt wissen will, handelt es sich nicht um einen nach § 485 Abs. 2 ZPO zulässigen Gegenstand, sondern um eine Rechtsfrage, deren Beurteilung letztlich dem Gericht obliegt. Soweit der Antragsteller dagegen die Feststellung begehrt, dass die Gesundheitsschäden nicht eingetreten wären, wenn bestimmte Schutzmaßnahmen getroffen worden wären, handelt es sich um die Frage der Kausalität des Verhaltens der Beklagten für die Gesundheitsbeeinträchtigung und damit um eine zulässige Fragestellung.

bb) Die Anträge 3) bis 6) wiederholen im Wesentlichen den Inhalt des Antrags zu 2). Der Antragsteller hat trotz mehrfacher Hinweise nicht klargestellt, welcher eigenständige Inhalt ihnen zukommen soll.

4. Der Antrag konnte daher wie aus dem Tenor ersichtlich zusammengefasst werden. In diesem Umfang waren die Sachentscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Die weiter erforderlichen Maßnahmen werden entsprechend § 577 Abs. 4, § 572 Abs. 3 ZPO dem Arbeitsgericht als Gericht des ersten Rechtszugs übertragen (vgl. BGH 22. Juli 2004 – IX ZB 161/03 – BGHZ 160, 176, zu IV 3 der Gründe). Dieses wird auch zu erwägen haben, ob es mit den Parteien einen Erörterungstermin über eine gütliche Beilegung des Streits durchführt (vgl. § 492 Abs. 3 ZPO).

C. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind im Rechtsstreit über die Hauptsache Teil des Verfahrens (§ 493 ZPO) und damit der Verfahrenskosten. Im Übrigen gilt § 494a ZPO. Für eine abweichende Verteilung der Rechtsmittelkosten, etwa nach dem Rechtsgedanken des § 96 ZPO, besteht kein Anlass.

 

Unterschriften

Kremhelmer, Zwanziger, Schlewing

 

Fundstellen

Haufe-Index 2090765

DB 2009, 352

FA 2009, 95

NZA 2009, 112

EzA-SD 2009, 16

EzA

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