Entscheidungsstichwort (Thema)

Einseitige Erledigungserklärung in der Rechtsbeschwerdeinstanz des arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren kann in den Rechtsmittelinstanzen aufgrund einer lediglich einseitigen Erledigungserklärung eingestellt werden, wenn nach der Entscheidung erster Instanz tatsächliche Umstände eintreten, die den Antragsteller hindern, seinen Antrag mit Aussicht auf Erfolg weiterzuverfolgen. Darauf, ob der Antrag von Anfang an zulässig und begründet war, kommt es nicht an (im Anschluß an BAGE 65, 105 = AP Nr. 3 zu § 83a ArbGG 1979).
  • Voraussetzung für eine Einstellung ist eine wirksame Erledigungserklärung in der Rechtsmittelinstanz. Sie setzt voraus, daß das eingelegte Rechtsmittel zulässig war. Ist dies nicht der Fall, ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.
  • Ist vor Einlegung des Rechtsmittels im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren das letzte Mitglied des von der Entscheidung der Vorinstanz betroffenen Betriebsrats aus dem fortbestehenden Betrieb ausgeschieden, ohne daß ein neuer Betriebsrat gewählt worden ist, ist ein gleichwohl eingelegtes Rechtsmittel unzulässig. Die ausgeschiedenen Betriebsratsmitglieder haben kein Restmandat.
  • Ob in einem solchen Fall die Entscheidung der Vorinstanz rechtskräftig wird, bleibt offen.
 

Normenkette

ArbGG § 83a Abs. 1, § 90 Abs. 2, § 95 S. 4; BetrVG §§ 8, 24 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Beschluss vom 08.03.1995; Aktenzeichen 7 TaBV 66/94)

ArbG Köln (Beschluss vom 23.08.1994; Aktenzeichen 1 BV 189/93)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 8. März 1995 – 7 TaBV 66/94 – wird als unzulässig verworfen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten haben um die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs über die betriebliche Altersversorgung gestritten.

Die Arbeitgeberin hatte bis zum 31. Dezember 1993 mit mehreren hundert Arbeitnehmern eine chemische Fabrik betrieben. Sie befaßt sich seither nur noch mit dem Handel mit chemischen Produkten und beschäftigt z.Z. noch 39 Arbeitnehmer.

Ihre bis zum 31. Dezember 1973 in den Betrieb eingetretenen Arbeitnehmer werden nach Maßgabe von Richtlinien für die betriebliche Altersversorgung aus dem Jahre 1958 in der Fassung vom 6. Mai 1968 versorgt, welche die Arbeitgeberin erlassen hat. Nach dieser Regelung erhalten Angestellte eine endgehaltsbezogene betriebliche Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente, die sich nach 10 Jahren Betriebszugehörigkeit seit Vollendung des 20. Lebensjahres auf 15 % beläuft und für jedes weitere Jahr um 1 % steigt. Nach VIII B 2a der Richtlinien werden die Gesamtbezüge des Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung durch Kürzung der Betriebsrente begrenzt; bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 65 % des letzten Grundgehaltes, für jedes weitere Dienstjahr soll sich dieser Prozentsatz um 0,75 % bis höchstens 80 % bei 45 Dienstjahren erhöhen. Nach Buchstabe b der genannten Vorschrift wird zumindest eine betriebliche Rente in Höhe von 40 % der ohne Berücksichtigung der Gesamtversorgungsobergrenze ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt.

Versuche der Arbeitgeberin, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat die Gesamtversorgungsobergrenze entsprechend der Entwicklung der Nettoarbeitseinkommen abzuändern, blieben erfolglos. Die deshalb von der Arbeitgeberin angerufene Einigungsstelle hat am 4. Dezember 1993 die Regelungen in Abschnitt VIII B 2a und b der Richtlinien für die Betriebliche Altersversorgung (Fassung vom 6. Mai 1968) wie folgt geändert:

  • Die Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung werden durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt begrenzt:

    Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 59 % des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitere Dienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,6 % bis zu höchstens 71 % bei 45 Dienstjahren. Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf freiwilliger Höherversicherung oder freiwilliger Weiterversicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt.

  • Unabhängig von der Bestimmung in 2.a) wird die betriebliche Rente in jedem Falle mit einem Mindestrentenbetrag in Höhe von 40 % der gemäß 1. ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt; sie darf jedoch zusammen mit der Sozialversicherungsrente 100 % des pensionsfähigen Nettoentgelts nicht überschreiten.

Dieser Spruch betrifft nach Angaben der Arbeitgeberin 86 ihrer Mitarbeiter und ehemaligen Mitarbeiter. Er wurde dem Betriebsrat, am 10. Dezember 1993 zugestellt. Mit dem am 22. Dezember 1993 bei Gericht eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat den Spruch angefochten.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die Einigungsstelle sei für die vorgenommene Regelung nicht zuständig gewesen. Die Verschlechterung einer Versorgungsregelung durch Betriebsvereinbarung scheide bei einem “sterbenden” Betrieb wie dem der Arbeitgeberin nach Treu und Glauben aus. Die Geschäftsgrundlage der ursprünglichen Regelung sei auch nicht weggefallen. Im übrigen sei der Spruch ermessensfehlerhaft.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 4. Dezember 1993 zur Neuregelung der “Richtlinien für die betriebliche Altersversorgung für Arbeiter und Angestellte” unwirksam ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Die Einigungsstelle sei für die Regelung der hier anstehenden Entgeltfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zuständig gewesen. Der Spruch weise auch weder Rechtsfehler auf, noch sei er ermessensfehlerhaft erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat unter Zurückweisung des Antrages im übrigen festgestellt, daß der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei, soweit mit ihm die Regelung in Abschnitt VIII B Nr. 2b der Richtlinien geändert worden sei. Gegen diesen Beschluß haben beide Beteiligten Beschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und auf die Beschwerde der Arbeitgeberin den Antrag des Betriebsrates insgesamt zurückgewiesen.

Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts ist den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten am 27. April 1995 zugestellt worden. Bereits zuvor, zum 31. März 1995, waren die letzten seit der Betriebsratswahl vom 27. April 1994 verbliebenen Betriebsratsmitglieder aus dem Unternehmen ausgeschieden. Der bis dahin amtierende Betriebsrat hatte keine neue Betriebsratswahl eingeleitet. Bis heute ist kein neuer Betriebsrat gewählt worden.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen.

1. Trotz der Erledigungserklärung des Verfahrensbevollmächtigten des antragstellenden Betriebsrats kann das Verfahren nicht nach § 95 Satz 4, § 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingestellt werden, weil die Arbeitgeberin der Erledigungserklärung widersprochen hat.

a) In den Rechtsmittelinstanzen des arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens kann der Antragsteller das Verfahren nicht einseitig für erledigt erklären, um so eine Entscheidung über den zunächst gestellten Antrag zu verhindern. Eine Erledigung können nur alle Beteiligten gemeinsam erklären (§ 83a Abs. 1, § 90 Abs. 2, § 95 Satz 4 ArbGG). Eine Besonderheit gegenüber dem Urteilsverfahren besteht nur insoweit, als nach § 83a Abs. 3 ArbGG die Zustimmung der übrigen Beteiligten zur Erledigungserklärung des Antragstellers als erteilt gilt, wenn die Beteiligten sich nicht innerhalb einer zu bestimmenden Frist gegenteilig äußern (BAG Beschluß vom 10. Juni 1986 – 1 ABR 59/84 – BAGE 52, 150 = AP Nr. 26 zu § 80 BetrVG 1972; Beschluß vom 15. September 1987 – 1 ABR 44/86 – BAGE 56, 108 = AP Nr. 46 zu § 99 BetrVG 1972; Beschluß vom 26. April 1990 – 1 ABR 79/89 – BAGE 65, 105 = AP Nr. 3 zu § 83a ArbGG 1979; Beschluß vom 23. Juni 1993 – 2 ABR 58/92 – AP Nr. 2 zu § 83a ArbGG 1979). Eine übereinstimmende Erledigungserklärung liegt nicht vor. Die Arbeitgeberin hat der Erledigungserklärung der Gegenseite widersprochen.

b) Bei einer lediglich einseitigen Erledigungserklärung hat das Rechtsmittelgericht im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren zu prüfen, ob das Verfahren tatsächlich erledigt ist. Ist das der Fall, so ist das Verfahren ebenso einzustellen, wie wenn die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt hätten. Fehlt es an einem erledigenden Ereignis, so liegt in der Erledigungserklärung eine mangels Zustimmung unzulässige Antragsrücknahme, so daß über den Antrag in der Sache zu entscheiden ist. Voraussetzung für eine Einstellung nach einseitiger Erledigungserklärung ist im Beschlußverfahren anders als im Erkenntnisverfahren mithin nicht, daß der Sachantrag ursprünglich zulässig und begründet war. Allein ein tatsächlich erledigendes Ereignis und die einseitige Erledigungserklärung durch den Antragsteller führen zur Einstellung des Verfahrens nach § 83a ArbGG (BAGE 65, 105 = AP Nr. 3 zu § 83a ArbGG 1979; Beschluß vom 23. Juni 1993 – 2 ABR 58/92 – AP Nr. 2 zu § 83a ArbGG 1979).

Damit ist vor einer Einstellung des Verfahrens aufgrund einer einseitigen Erledigungserklärung nur zu prüfen, ob nach Rechtshängigkeit Umstände eingetreten sind, die den Antragsteller hindern, seinen Antrag mit Aussicht auf Erfolg weiterzuverfolgen, weil dieser jedenfalls jetzt aufgrund dieser Umstände unzulässig oder unbegründet geworden ist. Darauf, ob der Antrag von Anfang an zulässig und begründet war, kommt es nicht an. Die Prüfung ist auch noch in der Rechtsmittelinstanz möglich, wenn das erledigende Ereignis nach Erlaß der zweitinstanzlichen Entscheidung eingetreten ist. Sie setzt aber eine wirksame Erledigungserklärung in der Rechtsbeschwerdeinstanz voraus, die nur möglich ist, wenn diese Instanz überhaupt erreicht wurde, wenn also die Rechtsbeschwerde zulässig ist (BAG Beschluß vom 28. Juni 1994 – 1 ABR 59/93 – AP Nr. 4 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung, zu B I 1 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).

2. Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Einstellung des Verfahrens aufgrund einseitiger Erledigungserklärung aus, weil die Rechtsbeschwerde unzulässig ist.

a) Dies ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht daraus, daß die Rechtsmittelschrift das eingelegte Rechtsmittel als Revision bezeichnet hat. Die Rechtsmittelschrift enthält die für ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren typische Bezeichnung der Beteiligten, kennzeichnet die Parteivertreter als Verfahrensbevollmächtigte und bezeichnet die angefochtene Entscheidung als Beschluß mit einem für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren vorgesehenen Aktenzeichen. Der Bewertung des so eingelegten Rechtsmittels als Rechtsbeschwerde i.S. des § 92 ArbGG steht hiernach nichts entgegen (vgl. nur Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 89 Rz 17, m.w.N.).

b) Die Rechtsbeschwerde ist aber unzulässig, weil zum Zeitpunkt ihrer Einlegung der Rechtsmittelführer nicht mehr existierte und damit auch nicht mehr parteifähig (vgl. BGHZ 74, 212, 214), im Beschlußverfahren also nicht mehr beteiligtenfähig war. Er war damit auch nicht mehr in der Lage, ein Rechtsmittel einzulegen.

Im Betrieb der Arbeitgeberin besteht seit dem 1. April 1995 kein Betriebsrat mehr. Alle gewählten Mitglieder und Ersatzmitglieder waren zu diesem Zeitpunkt aus dem Betrieb ausgeschieden. Damit war deren Mitgliedschaft im Betriebsrat nach § 24 Abs. 1 Nr. 4, § 8 BetrVG erloschen. Es gab keine Person mehr, welche die Amtsgeschäfte des Betriebsrates auch nur vorübergehend i.S. von § 22 BetrVG hätte weiterführen können.

Den ausgeschiedenen Betriebsratsmitgliedern stand kein über den 31. März 1995 hinausgehendes Restmandat mehr zu, das ihre Beteiligtenfähigkeit hätte begründen können. Ein solches Restmandat kommt nur in Betracht, wenn ein Betrieb stillgelegt wurde und Arbeitnehmer, die einen neuen Betriebsrat wählen könnten, dem Betrieb nicht mehr angehören. In einem solchen Fall haben die aus dem Betrieb als Arbeitnehmer bereits ausgeschiedenen frühreren Betriebsratsmitglieder ein Restmandat, um die mit der Betriebsstillegung zusammenhängenden Rechte des Betriebsrats weiterhin wahrnehmen zu können (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 21 Rz 54, m.w.N.).

3. Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Darüber, ob hierdurch der angefochtene Beschluß des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig wird, muß der Senat ebensowenig entscheiden wie über den Umfang einer etwa eingetretenen Rechtskraft.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Weinmann, Horst Schmitthenner

 

Fundstellen

Haufe-Index 884813

JR 1997, 220

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