Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit von Betriebskollektivverträgen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Gerichte für Arbeitssachen entscheiden im Beschlußverfahren in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Wirksamkeit oder den Inhalt von Betriebskollektivverträgen nach § 28 Abs. 2 AGB-DDR, die vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossen worden sind.
  • In einem Betriebskollektivvertrag konnten vor dem 1. Juli 1990 zwischen Betrieb und Betriebsgewerkschaftsleitung keine Abfindungsansprüche für Arbeitnehmer begründet werden, die infolge von Umstrukturierungs- oder Rationalisierungsmaßnahmen entlassen werden.
 

Normenkette

ArbGG 1979 § 2a Abs. 1 Nr. 1; AGB-DDR i.d.F. v. 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) § 28 Abs. 2, § 93 Abs. 2, §§ 112, 116 Abs. 2, § 117 Abs. 2, §§ 121, 152 Abs. 3; Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537), Gemeinsames Protokoll A I 1, Anl. II Abschn. I 1 und Abschn. IV 5; Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik v. 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357) § 30 Nr. 3; Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz v. 11. Juli 1990 (GBl. I S. 715); Einigungsvertrag v. 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 12b; Anl. II Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 4

 

Verfahrensgang

BezirksG Meiningen (Beschluss vom 19.07.1991; Aktenzeichen TaBV 1/91)

KreisG Suhl (Beschluss vom 22.03.1991; Aktenzeichen 31 A 933/90)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluß des Bezirksgerichts Meiningen – Senat für Arbeitsrecht – vom 19. Juli 1991 – TaBV 1/91 – aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluß des Kreisgerichts des Stadt- und Landkreises Suhl – Erste Kammer für Arbeitsrecht – vom 22. März 1991 – 31 A 933/90 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 (abgeschlossen zwischen der Betriebsleitung der VEB Backwaren Suhl und der Betriebsgewerkschaftsleitung) hinsichtlich der in Punkt 4.2 getroffenen Regelung über die Zahlung von Abfindungen bei fristgemäßer Kündigung unwirksam ist.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Der Arbeitgeber betrieb in Thüringen in der Rechtsform eines Volkseigenen Betriebes (VEB) einen Betrieb zur Herstellung von Backwaren mit Betriebsstätten in den Orten Suhl und Meiningen. Er beschäftigte im November 1990 im Betrieb Suhl noch 195 Arbeitnehmer und im Betrieb Meiningen 45 Arbeitnehmer, nachdem im Sommer 1990 schon wenigstens 21 Arbeitnehmer aufgrund fristgemäßer Kündigung ausgeschieden waren.

Der Arbeitgeber hat vorgetragen, im Mai/Juni 1990 habe er erkannt, daß bei Einführung der sozialen Marktwirtschaft der Betrieb in der bisherigen Unternehmensstruktur nicht würde fortgeführt werden können. Es wäre daher ein umfängliches Rationalisierungsprogramm erforderlich geworden. Welche Rationalisierungsmaßnahmen im einzelnen der Arbeitgeber plante, ist nicht bekannt. Im September 1990 soll der Betrieb in Meiningen stillgelegt worden sein.

Am 19. Juni 1990 vereinbarte der Arbeitgeber mit der Betriebsgewerkschaftsleitung schriftlich ein “Sozialprogramm zum Schutz der Interessen der Belegschaft der VEB Backwaren Suhl bzw. der PGH Backwaren Suhl bei Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen” (im folgenden nur Sozialprogramm), das – soweit hier von Interesse – wie folgt lautet:

Sozialprogramm

Ziel dieses Programms ist die soziale Sicherstellung von Angehörigen des VEB Backwaren Suhl bzw. der PGH Backwaren Suhl (Stammbetrieb und BT Meiningen), die durch Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen freigesetzt werden.

Gesetzliche Grundlagen hierfür bilden das Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16.06.1977 in Verbindung mit der Verordnung über die Gewährung staatlicher Unterstützung und betrieblicher Ausgleichszahlung an Bürger während der Zeit der Arbeitsvermittlung vom 09.02.1990 (GBL. Teil I, Nr. 7/90), Verordnung über Gewährung von Vorruhestandsgeld (Gesetzblatt Teil I, Nr. 12, vom 06.03.1990) und des Gewerkschaftsgesetzes.

Treten weitere einschlägige Rechtsvorschriften in Kraft, wird das Programm aktualisiert.

Treten gesetzliche Rechtsvorschriften außer Kraft, werden sie auch als Bestandteil des Sozialprogramms gestrichen.

  • Grundsätze

    • Die Vertragsparteien bejahen die wirtschaftliche Notwendigkeit von Rationalisierungsmaßnahmen. Damit im Zusammenhang stehende Planungen und Maßnahmen müssen wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen.

    Als Strukturveränderungen, insbesondere Rationalisierungen, gelten folgende Maßnahmen:

    • Auflösung eines Betriebes/Betriebsteile innerhalb eines Unternehmens.
    • Räumliche Verlegung oder Ausgliederung des/eines Betriebes oder von Betriebsteilen; Zusammenschluß mit anderen Betrieben;
    • Einstellung, Verringerung oder Veränderung von Teilen des Leistungsprogramms, insbesondere Auflösung, Abtrennung oder Verkleinerung von Abteilungen und Veränderungen der Vertriebsform auch in einzelnen Abteilungen;
    • Änderungen in der Betriebs- oder Arbeitsorganisation sowie in den Betriebsanlagen;
    • Einführung neuer Betriebsmittel oder Arbeitstechniken oder deren Weiterentwicklung.
  • Zusammenarbeit mit dem Vertretungsorgan

    • Um die Weiterbeschäftigung zu gewährleisten und Kündigungen zu vermeiden, hat der Leiter des Unternehmens u.a. folgende Maßnahmen durchzuführen:

      • Einstellungsstopp
      • Beschränkung von Überstunden
      • Vereinbarung von Teilzeitarbeit
      • Vereinbarung über befristete Kurzarbeit bei vollem Lohnausgleich.
      • Veränderung der Arbeitsaufgabe Arbeitsplatz (ggf. noch Umschulung)
      • Anwendung der Regelung über Vorruhestand

      Die Änderungs- und Überleitungsverträge sind spätestens drei Monate vor Übernahme der neuen Tätigkeit abzuschließen. Mit Zustimmung des Werktätigen können auch kürzere Fristen vereinbart werden.

  • Änderung bzw. Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses

      • Besteht die Möglichkeit, dem Werktätigen eine andere zumutbare Arbeit entsprechend der gesetzlichen Regelungen im Betrieb bzw. Betriebsteil zu übertragen, ist ihm ein Änderungsvertrag anzubieten. Ein anderer Arbeitsplatz ist gleichwertig, wenn die Tätigkeit nach derselben Tarifgruppe vergütet wird.
      • Nimmt der Werktätige den ihm angebotenen geringer bewerteten Arbeitsplatz an, ist seine spätere Bewerbung um einen gleichwertigen Arbeitsplatz im Rahmen der Auswahl unter gleich geeigneten Bewerbern bevorzugt zu berücksichtigen.
    • Qualifizierung/Umschulung

    • Überleitungsvertrag

      Ist eine Weiterbeschäftigung im Betrieb nicht möglich, ist dem Werktätigen ein Angebot zur Übernahme einer Arbeit in einem anderen Betrieb durch den Überleitungsvertrag zu unterbreiten, sofern der Betrieb bzw. das Arbeitsamt eine solche Arbeit nachweisen können.

      Auch dieser ist mindestens 3 Monate vor Eintritt der Veränderung abzuschließen, sofern die Partner nicht anderweitige Vereinbarungen treffen.

    • Fristgemäße Kündigung

      Die Kündigung eines Arbeitsrechtsverhältnisses im Zusammenhang mit einer Rationalisierungsmaßnahme ist nur bei nachweislichem Wegfall des Arbeitsplatzes auf Grund dieser Maßnahme zulässig.

      Sie bedarf der vorherigen Zustimmung des Vertretungsorgans des Betriebes. Der Betrieb unterstützt alle Werktätigen, deren Arbeitsrechtsverhältnis gekündigt wurde auch weiterhin hinsichtlich der Aufnahme einer neuen Tätigkeit.

    • Besonderer Kündigungsschutz

      Kündigungsverbot besteht gegenüber folgenden Werktätigen:

  • Finanzielle Absicherung

    • Überbrückungsgeld

      Jeder Werktätige, der infolge von Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit im Betrieb oder in einem anderen Betrieb übernimmt und den aktuellen tariflichen Lohndurchschnitt des bisherigen Arbeitsplatzes nicht erreicht, hat Anspruch auf die Differenz zwischen dem bisherigen und dem neuen Nettolohn, bezogen auf 12 Monate.

    • Kommt trotz Bemühungen der Werktätigen bzw. des Betriebes nach Ablauf der Kündigung kein neues Arbeitsrechtsverhältnis zustande, erfolgt die Zahlung einer staatlichen Unterstützung und eine betriebliche Ausgleichszahlung.

    Abfindung bei fristgemäßer Kündigung

    • Als Abfindung ist ein Betrag von 12 Monatsverdiensten festgesetzt. Diese Abfindung wird Brutto berechnet und als Netto ausgezahlt.

      Es erfolgt keine Anrechnung anderer Leistungen. Die Abfindung unterliegt nicht der Beitragspflicht zur SV und ist lohnsteuerfrei.

    • Hat der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, so ist ein Betrag von 15 Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, so ist ein Betrag von 18 Monatsverdiensten festzusetzen.

      Diese Festlegung gilt nicht für Altersund Invalidenrentner.

      Vorruhestand

    • Für Werktätige, die unter die Vorruhestandsregelung gemäß Verordnung vom 08.02.1990 – GBL I, Nr. 7/1990 fallen und neben dem Vorruhestandsgeld keine anderweitigen Einkünfte neben dem Vorruhestandsgeld haben, wird eine einmalige Abfindung in folgender Höhe gezahlt:

      im 5. Jahr vor Erreichen des Rentenalters 

       -5000,- DM

      im 4. Jahr

       -4000,- DM

      im 3. Jahr

       -3000,- DM

      im 2. Jahr

       -2000,- DM

      im 1. Jahr

       -1000,- DM

  • Weitere Regelungen

    • Werktätige, denen fristgemäß gekündigt wurde, haben für das laufende Kalenderjahr Anspruch auf den vollen Jahresurlaub.
    • Endet das Arbeitsrechtsverhältnis nach einer fristgemäßen Kündigung nicht am letzten Werktag eines Monats, sondern im Laufe des Monats wird der Hausarbeitstag für diesen Monat gewährt.
  • Schlußbestimmungen

    • Das Sozialprogramm gilt nicht für fristlose Entlassungen.
    • Das Sozialprogramm tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft.

Der Arbeitgeber kündigte in der Folgezeit 21 Arbeitnehmern fristgemäß zum 31. Juli, 6., 8. und 31. August sowie zum 30. September 1990. Wann die Kündigungen im einzelnen ausgesprochen wurden, ist nicht bekannt. An 15 dieser gekündigten Arbeitnehmer zahlte der Arbeitgeber noch vor dem 1. Juli 1990 die Hälfte der nach dem Sozialprogramm geschuldeten Abfindung in Mark der DDR, insgesamt 184.533,36 Mark. Die an die 21 Arbeitnehmer nach dem Sozialprogramm insgesamt zu zahlenden Abfindungen belaufen sich auf 318.244,20 Mark bzw. DM.

Am 26. November 1990 schlossen der Arbeitgeber und die Betriebsgewerkschaftsleitung eine “Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan der Suhler Backwaren GmbH i. A.”, die auszugsweise wie folgt lautet:

“Beide Parteien sind sich einig, daß das am 19.6.1990 abgeschlossene Sozialprogramm von Anfang an für Null und nichtig erklärt wird und so behandelt wird, als sei es nie abgeschlossen worden.

Zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile von Mitarbeitern wird zwischen der BGL/Betriebsrat und der Geschäftsführung/Unternehmensleitung nachstehender Sozialplan vereinbart.

  • Zwischen den Parteien gilt der § 613a BGB als vereinbart (Betriebszugehörigkeit beginnend mit dem Tag der Arbeitsaufnahme bzw. Lehrbeginn; Urlaub; Tarife usw.)
  • Mitarbeiter, die wegen Strukturveränderungen ihren Arbeitsplatz verlieren, erhalten eine Abfindung nach folgendem Punktesystem:

    Jedem Arbeitnehmer werden pro Dienstjahr 2 Punkte auf seinem Punktekonto für jedes volle Dienstjahr gutgeschrieben.

    Dabei werden nur die Zeiten bis zum 55. Lebensjahr berücksichtigt.

  • Verheiratete Mitarbeiter erhalten 4 Punkte zusätzlich und für jedes unterhaltspflichtige Kind 2 Punkte.
  • Alleinerziehende erhalten 8 Punkte und für jedes unterhaltspflichtige Kind 4 Punkte.
  • Bei der Berechnung der Punktezahl bezüglich der Betriebszugehörigkeit wird pro Punkt eine Summe von 250,-- DM festgelegt.
  • Bei Kündigungen durch den Arbeitnehmer ist keine Abfindung zu zahlen.
  • Bei fristloser Kündigung durch den Arbeitgeber wird ebenfalls keine Abfindung gezahlt.
  • Bei Ablehnung von zumutbaren Arbeitsplätzen durch den Arbeitnehmer erfolgt keine Abfindung, wenn der zeitliche Aufwand für den Weg zwischen der Wohnung und Arbeitsstelle dem im Territorium üblichen Zeitaufwand von vergleichbaren Werktätigen entspricht.
  • Diese Vereinbarung tritt am 26.11.1990 in Kraft.

In der Zwischenzeit hatten eine Reihe der gekündigten 21 Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Klage erhoben auf Zahlung der restlichen Abfindung sowie der Hälfte der in Mark der DDR schon gezahlten Abfindung. In einem dieser Verfahren hat das Kreisgericht Suhl – Kammer für Arbeitsrecht – durch Urteil vom 11. September 1990 (– 31 A 325/90 –) der Klage stattgegeben. Das Verfahren über die Berufung des Arbeitgebers gegen dieses Urteil ist vom Bezirksgericht Meiningen – Senat für Arbeitsrecht – bis zum Abschluß des vorliegenden Verfahrens ausgesetzt worden (– BAB 40/90 –). Ausgesetzt worden sind ebenfalls die weiteren vor dem Kreisgericht Suhl anhängigen Klageverfahren der übrigen Arbeitnehmer.

U.a. mit Rücksicht auf diese Verfahren hat der Arbeitgeber am 13. November 1990 das vorliegende Verfahren anhängig gemacht, mit dem er die Feststellung der Unwirksamkeit der Nrn. 3 und 4 des Sozialprogramms vom 19. Juni 1990 erstrebt hat.

Mit Rücksicht auf die sich abzeichnenden notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen sei das Sozialprogramm zum Schutz der Interessen der Belegschaft mit der Betriebsgewerkschaftsleitung vereinbart worden. Zu der Zeit sei absehbar gewesen, daß das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik auch Geltung in der DDR erlangen werde. In Anlehnung an dieses Gesetz, dessen Regelung und dessen Text jedoch unbekannt gewesen seien, sei das Sozialprogramm vereinbart worden. Erfahrungen über den möglichen Inhalt eines Sozialplanes nach dem Betriebsverfassungsgesetz habe man nicht gehabt. Daraus erkläre sich, daß das Sozialprogramm den individuellen Verhältnissen der Arbeitnehmer nicht gerecht werde und die wirtschaftliche Lage des Betriebes nicht berücksichtige. Über das Volumen des Sozialplanes und über dessen Finanzierbarkeit habe man sich keine Gedanken gemacht. In der Folgezeit habe sich herausgestellt, daß mehr Arbeitnehmer entlassen werden müßten als zunächst gedacht. Die Wirtschaftliche Lage des Betriebes habe sich laufend verschlechtert, so daß der Betrieb bald mit Verlust gearbeitet habe (Juli 14.000,-- DM, August 1.000,-- DM, September 102.000,-- DM, Oktober 83.000,-- DM, November 42.000, -- DM, Dezember 231.000, -- DM). Nur aufgrund einer Bürgschaft der Treuhand sei ein Liquiditätskredit bewilligt worden.

Diese Umstände machten deutlich, daß das Sozialprogramm, das als ein Sozialplan i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes angesehen werden müsse, unwirksam sei. Sozialpläne müßten den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entsprechen und dürften nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen § 75 BetrVG verstoßen. Die erforderliche Billigkeitskontrolle führe dazu, daß der Sozialplan in seinen Bestimmungen der Nrn. 3 und 4 unwirksam sei. Auch sei infolge der eingetretenen Entwicklung die Geschäftsgrundlage für diesen Sozialplan weggefallen.

Der VEB Backwaren Suhl ist am 1. Juli 1990 in die Backwaren Suhl GmbH umgewandelt worden. Die Geschäftsanteile dieser GmbH sind am 1. März 1991 von einer Bamberger Firma erworben worden.

Anfang 1991 ist ein Betriebsrat nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gewählt worden.

Der Arbeitgeber hat beantragt

festzustellen, daß das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 in den Punkten 3 und 4 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er ist der Ansicht, daß das Sozialprogramm wirksam abgeschlossen worden sei. Die später abgeschlossene Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan vom 26. November 1990 habe das Sozialprogramm jedenfalls für die bis zu diesem Zeitpunkt gekündigten Arbeitnehmer nicht aufheben oder ändern können. Die gekündigten Arbeitnehmer hätten auf die Geltung des Sozialprogramms vertraut und nur mit Rücksicht auf die ihnen nach dem Sozialprogramm zustehenden Abfindungen davon abgesehen, Kündigungsschutzklage zu erheben.

Sowohl das Kreisgericht als auch das Bezirksgericht haben den Antrag des Arbeitgebers mit der Begründung abgewiesen, dieser Antrag sei unzulässig. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Antrag weiter, den er jedoch auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Regelung über die Zahlung einer Abfindung bei fristgemäßer Kündigung beschränkt hat.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist begründet.

I. Der Antrag des Arbeitgebers ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zulässig.

1. Das Bezirksgericht hat unter weitgehender Bezugnahme auf die Entscheidung des Kreisgerichts den Antrag des Arbeitgebers für unzulässig gehalten. Nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG könnten inmBeschlußverfahren nur Angelegenheiten aus dem BetrVG entschieden werden. Voraussetzung für ein Beschlußverfahren sei daher das Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen den Verfahrensbeteiligten, aus dem die Streitigkeit erwachsen sei. Ein solches betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis sei vorliegend nicht gegeben. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialprogramms am 19. Juni 1990 habe das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik in der damaligen DDR noch nicht gegolten. Rechtsgrundlage des Sozialprogramms sei das Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. Juni 1977 gewesen (AGB-DDR). Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes hätten Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmervertretungen und Betrieben nicht der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung unterlegen. Am 19. Juni 1990 habe demzufolge kein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis begründet werden können. Die Vereinbarung einer arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit sei nicht möglich.

Mit dieser Begründung kann der Antrag des Arbeitgebers nicht abgewiesen werden.

2. Das vorliegende Verfahren ist am 13. November 1990 beim Kreisgericht Suhl anhängig geworden. Zu dieser Zeit galt seit dem 3. Oktober 1990 nach dem Einigungsvertrag Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 15 im Gebiet der ehemaligen DDR das Arbeitsgerichtsgesetz der Bundesrepublik in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979.

Die Zulässigkeit eines Antrages auf Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt sich grundsätzlich nach dem Verfahrensrecht, das zur Zeit des Anhängigwerdens des Verfahrens gilt, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Neues Verfahrensrecht erfaßt unter den gleichen Voraussetzungen auch bereits anhängige Verfahren (BVerfGE 39, 156, 167). Darauf, wann die Streitigkeit entstanden ist und zu welcher Zeit das tatsächliche Geschehen sich ereignet hat, aus dem der Streit rührt, kommt es nicht an. Es ist daher für die Zulässigkeit des vorliegenden Antrages auch ohne Bedeutung, ob vor dem 1. Juli 1990 – oder dem 3. Oktober 1990 – Streitigkeiten zwischen dem Betrieb und einer Betriebsgewerkschaftsleitung nicht justitiabel waren, nachdem die §§ 296 ff. AGB-DDR gerichtliche Entscheidungen nur für Arbeitsstreitfälle zwischen Werktätigen und ihrem Betrieb geregelt und für zulässig erklärt hatten.

Unschädlich ist daher auch, daß in der Zeit vom 1. Juli bis 2. Oktober 1990 im Gebiet der ehemaligen DDR es trotz der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes an einer Regelung des gerichtlichen Verfahrens für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten fehlte, nachdem auch das Gesetz über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht vom 29. Juni 1990 (GBl. I S. 505) eine Zuständigkeit der Schiedsstellen und der Gerichte nur für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis normiert hatte.

3. Die Zulässigkeit des Antrages des Arbeitgebers ergibt sich aus § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Danach sind die Arbeitsgerichte – nach dem Einigungsvertrag Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1w die Kreisgerichte – Kammer für Arbeitsrecht – ausschließlich zuständig für Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, über die gemäß Abs. 2 nach den Vorschriften für das Beschlußverfahren zu entscheiden ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird mit dieser Vorschrift das Beschlußverfahren für alle Streitigkeiten eröffnet, die aus dem Betriebsverfassungsrecht schlechthin entstehen können. Immer dann, wenn die durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelte Ordnung des Betriebes und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit sind, soll darüber im Beschlußverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entschieden werden (Beschluß des Ersten Senats vom 5. November 1985 – 1 ABR 56/83 – AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972). Das gilt auch dann, wenn Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe im Streit sind, die sich nicht aus dem Betriebsverfassungsgesetz selbst ergeben, ihre Grundlage vielmehr in anderen Rechtsvorschriften oder in einem Tarifvertrag haben können (Beschluß des Ersten Senats vom 16. Juli 1985 – 1 ABR 9/83 – AP Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Beschluß vom 10. September 1985 – 1 ABR 28/83 – AP Nr. 3 zu § 117 BetrVG 1972).

Eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz ist auch ein Streit der Betriebspartner über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Betriebsvereinbarung. § 2 Abs. 1 Nr. 4k ArbGG 1953 bestimmte ausdrücklich, daß die Arbeitsgerichte im Beschlußverfahren auch entscheiden über das Bestehen oder Nichtbestehen oder die Durchführung von Betriebsvereinbarungen. Diese Rechtslage ist durch die Neufassung der Zuständigkeitsregelung für das Beschlußverfahren durch § 124 BetrVG, wie sie heute in § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG enthalten ist, nicht geändert worden. Sinn der Neuregelung war nicht, die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten einzuschränken, sondern allein, die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte durch eine Generalklausel auf alle betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten auszudehnen, auch soweit sie bislang nicht von dem Zuständigkeitskatalog erfaßt wurden (so Beschluß des Ersten Senats vom 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191, 196 ff. = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972, zu B II 1a der Gründe). Dabei war die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht auf den Fall beschränkt, daß vom Bestehen oder Nichtbestehen einer Betriebsvereinbarung Rechte oder Pflichten der Betriebspartner gegeneinander abhängig waren. Die Zuständigkeit erstreckte sich vielmehr auch auf Streitigkeiten über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung und damit auch auf deren Auslegung (Dietz/Nikisch, ArbGG, 1954, § 2 Rz 186).

Es ist daher im vorliegenden Fall unschädlich, daß von der Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Sozialprogramms nicht Rechte oder Pflichten der Betriebspartner in ihrem Verhältnis zueinander abhängen, die Frage vielmehr ausschließlich von Bedeutung ist für das Verhältnis des Arbeitgebers zu den entlassenen Arbeitnehmern, die gegen den Arbeitgeber Ansprüche auf Zahlung von Abfindungen aus dem Sozialprogramm geltend machen.

4. Das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 ist allerdings keine Betriebsvereinbarung i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Betriebsverfassungsgesetz ist vielmehr erst durch das Gesetz der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357) mit Wirkung vom 1. Juli 1990 für das Gebiet der DDR in Kraft gesetzt worden.

Das Sozialprogramm ist ein Betriebskollektivvertrag i. S. von § 28 AGB-DDR. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung war der Betriebskollektivvertrag zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung abzuschließen. Nach Abs. 2 sind in dem Betriebskollektivvertrag konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung aufzunehmen. Außerdem sind in ihm die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren sind.

Jedenfalls für diese “arbeitsrechtlichen Regelungen” ist anerkannt, daß der Betriebskollektivvertrag ein Normenvertrag war. Er ist Rechtsquelle für arbeitsrechtliche Ansprüche der Werktätigen (Grundriß des Arbeitsrechts, herausgegeben von einem Autorenkollektiv, 1980, S. 63 ff.). Er ist Bestandteil des Systems arbeitsrechtlicher Regelungen zur rechtlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Arbeitsrecht der DDR, bearbeitet von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Professor Dr. Michas, 1970, S. 125 ff.). Er wird zwischen dem Betrieb und der Vertretung der Werktätigen abgeschlossen und dient damit der eigenverantwortlichen rechtlichen Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Arbeitsrecht, aaO).

Damit entspricht der Betriebskollektivvertrag – jedenfalls soweit er “arbeitsrechtliche Regelungen” enthält – seiner Funktion und Wirkung nach der Betriebsvereinbarung i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes. Auch die aufgrund eines Mitbestimmungsrechtes oder freiwillig zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarten Betriebsvereinbarungen sind Zeichen der gleichberechtigten Teilhabe der Arbeitnehmer an der Gestaltung der betrieblichen Verhältnisse und ihrer arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Arbeitgeber. Betriebsvereinbarungen wirken, soweit sie Rechte und Pflichten begründen, normativ und zwingend, § 77 Abs. 4 BetrVG.

Dieser aufgezeigten Ähnlichkeit und Gleichwertigkeit des Betriebskollektivvertrages mit der Betriebsvereinbarung steht nicht entgegen, daß als Vertragspartner des Betriebskollektivvertrages auf Arbeitnehmerseite nicht eine von allen Arbeitnehmern gewählte Vertretung steht, sondern lediglich die Betriebsgewerkschaftsleitung, die nicht von allen Werktätigen des Betriebes gewählt wurde, sondern nur von den in der Gewerkschaft organisierten Mitgliedern der Betriebsgewerkschaftsorganisation (Mampel, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, S. 118). Nach § 30 Nr. 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357) nehmen bis zur Wahl eines Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewählt worden sind, die den Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 zustehenden Rechte und Pflichten wahr. Gleiches gilt für die in der Verordnung des Ministerrats vom 11. Juli 1990 (GBl. I S. 715) genannten Arbeitnehmervertretungen. Diese Bestimmungen sind durch den Einigungsvertrag (Anl. II Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 4) aufrechterhalten worden.

Ist damit der Betriebskollektivvertrag ein Normenvertrag zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaftsleitung als gesetzlich bestimmtem Vertreter der Arbeitnehmer des Betriebes zur Regelung von Arbeitsbedingungen und Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe der Arbeitnehmer des Betriebes an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, so ist es gerechtfertigt, den Betriebskollektivvertrag nach Funktion und Wirkung einer Betriebsvereinbarung jedenfalls insoweit gleich zu achten, als ein Streit über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Betriebskollektivvertrages einem Streit über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung i. S. von § 2a Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gleichsteht mit der Folge, daß im Beschlußverfahren auch darüber zu entscheiden ist, ob ein Betriebskollektivvertrag wirksam ist oder nicht. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Entscheidungen über den Antrag des Arbeitgebers im vorliegenden Verfahren ist damit entgegen der Ansicht des Kreisgerichts und des Bezirksgerichts gegeben.

5. An der vom Arbeitgeber erbetenen Feststellung besteht auch das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Schon zwischen den gegenwärtigen Betriebspartnern besteht Streit über die Wirksamkeit des Sozialprogramms. Der Betriebsrat hält dieses Sozialprogramm jedenfalls für die vor dem 26. November 1990 gekündigten Arbeitnehmer für wirksam, der Arbeitgeber ist gegenteiliger Ansicht. Daß der Betriebsrat für die Wirksamkeit des Sozialprogramms nur im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eintritt, steht dem nicht entgegen. Diese Fallkonstellation ist immer dann gegeben, wenn der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung für wirksam hält. Weitere eigene Rechte des Betriebsrates auf – erneute – Mitbestimmung in dieser Angelegenheit sind dann nicht im Streit.

Unschädlich ist auch, daß der Arbeitgeber an der erbetenen Feststellung jedenfalls in erster Linie im Hinblick auf mögliche Verpflichtungen aus dem Individualarbeitsverhältnis der gekündigten Arbeitnehmer interessiert ist. Zwar ist es zutreffend, daß über die Wirksamkeit des Sozialprogramms in den Leistungsprozessen der gekündigten Arbeitnehmer auch als Vorfrage entschieden werden könnte. Das nimmt dem Arbeitgeber jedoch nicht das rechtliche Interesse an einer einheitlichen und verbindlichen Entscheidung über die Wirksamkeit des Sozialprogramms. Die im vorliegenden Verfahren zwischen den Betriebspartnern über diese Frage ergehende Entscheidung entfaltet Rechtskraftwirkung auch gegenüber den Arbeitnehmern, die Ansprüche aus dem Sozialprogramm geltend machen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 17. Februar 1992 (– 10 AZR 448/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen) ausgesprochen und im einzelnen begründet. Das Kreisgericht und das Bezirksgericht haben daher auch zu Recht die vor ihnen anhängigen Verfahren der gekündigten Arbeitnehmer auf Zahlung der Abfindungen aus dem Sozialprogramm ausgesetzt.

6. Die gekündigten Arbeitnehmer, die Abfindungsansprüche aus dem Sozialprogramm geltend machen, sind im vorliegenden Verfahren nicht beteiligt. Beteiligte nach § 10 ArbGG und damit nach § 83 Abs. 3 ArbGG zu hören sind nur Stellen und Personen, die durch die erbetene Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen werden. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Ersten und Siebten Senats (Beschluß vom 13. März 1984 – 1 ABR 49/82 – AP Nr. 9 zu § 83 ArbGG 1979; BAGE 49, 267 = AP Nr. 13 zu § 83 ArbGG 1979; Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 89/89 – EzA § 60 BetrVG 1972 Nr. 2). Die gekündigten Arbeitnehmer werden von der erbetenen Entscheidung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung nicht betroffen. Sie haben nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine solche Stellung nicht mehr inne. Daß sie individualrechtlich am Ausgang dieses Verfahrens interessiert sind, rechtfertigt ihre Beteiligung nicht. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung vom 17. Februar 1992 begründet.

II. Der Antrag des Arbeitgebers ist begründet.

1. Der Betriebskollektivvertrag “Sozialprogramm” ist unwirksam.

a) Der mögliche Inhalt eines Betriebskollektivvertrages wird in § 28 Abs. 2 AGB-DDR geregelt. In den Betriebskollektivvertrag sind konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung aufzunehmen. Das betrifft vor allem Verpflichtungen zur Entwicklung und Förderung schöpferischer Initiative der Werktätigen im sozialistischen Wettbewerb für die Erfüllung und gezielte Überbietung der Planaufgaben, zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie zur Entwicklung eines hohen Kultur- und Bildungsniveaus und zur Förderung der sportlichen Tätigkeit der Werktätigen. Außerdem sind in ihm die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren sind. Der Betriebskollektivvertrag muß den Rechtsvorschriften entsprechen. Festlegungen, die dagegen verstoßen, sind rechtsunwirksam. Nähere Einzelheiten werden durch Grundsätze bestimmt, die vom Ministerrat und vom Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes gemeinsam erlassen werden, § 28 Abs. 3 AGB-DDR. Diese Grundsätze sind als Richtlinien durch Beschluß des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 10. Juli 1975 (GBl. I S. 581 ff.) erlassen worden.

Danach enthalten Betriebskollektivverträge zunächst – und wohl auch in erster Linie – gegenseitige Verpflichtungen der Betriebspartner, des Betriebsleiters und der Betriebsgewerkschaftsleitung, hinsichtlich der in Satz 2 im einzelnen genannten Angelegenheiten und Aufgaben. Darüber hinaus ist – wie dargelegt – der Betriebskollektivvertrag auch ein Normenvertrag, indem er arbeitsrechtliche Regelungen enthält, also Normen, die das Verhältnis des Arbeitnehmers (Werktätigen) zum Betrieb regeln. Solche Normen zu schaffen steht jedoch nicht im Belieben von Betriebsleitern und Betriebsgewerkschaftsleitung, sie sind vielmehr zur Schaffung solcher Normen verpflichtet, soweit Rechtsvorschriften solche Regelungen vorschreiben. Das ist beispielsweise in § 93 Abs. 2, § 112, § 116 Abs. 2, § 117 Abs. 2 und § 152 Abs. 3 AGB-DDR für betriebliche Auszeichnungen, für vorbildliche Erfüllung der Arbeitsaufgaben, für Erschwerniszuschläge, für die im Betrieb zur Anwendung kommenden Prämienformen, für die Zahlung von Jahresprämien für das Arbeitskollektiv und für die Übernahme von Kosten einer Aus- und Weiterbildung durch den Betrieb geschehen.

Durch die genannten Rechtsvorschriften wird jedoch nicht nur eine Verpflichtung von Betriebsleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung zur Vereinbarung von Betriebskollektivverträgen begründet, aus der Regelung in § 28 Abs. 2 Satz 3 AGB-DDR folgt vielmehr, zusätzlich, daß Betriebskollektivverträge überhaupt nur insoweit abgeschlossen werden können, als Rechtsvorschriften eine Regelung durch Betriebskollektivvertrag vorschreiben. Daher bestimmt auch Ziff. I Nr. 4 der genannten Richtlinien, daß der Betriebskollektivvertrag Festlegungen über Ansprüche der Werktätigen enthält, die entsprechend den Rechtsvorschriften im Betriebskollektivvertrag zu treffen “sind”. Ziff. I Nr. 6 der Richtlinie weist noch einmal darauf hin, daß bei der Ausarbeitung der Betriebskollektivverträge die Rechtsvorschriften und die rahmenkollektivvertragrechtlichen Bestimmungen einzuhalten sind, andernfalls die Festlegungen in den Betriebskollektivverträgen unwirksam sind.

Betriebsleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung hatten daher nur eine beschränkte Regelungskompetenz. Für Betriebskollektivverträge galt insbesondere nicht das Günstigkeitsprinzip, durch Betriebskollektivvertrag konnten keine Ansprüche der Arbeitnehmer begründet werden, die über das gesetzlich Zulässige hinausgingen. Gleiches gilt auch für den Einzelarbeitsvertrag im Verhältnis zu Vorschriften des Arbeitsrechts, der Rahmenkollektivverträge und der Betriebskollektivverträge. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 AGB-DDR konnten im Arbeitsvertrag Vereinbarungen nur im Rahmen der arbeitsrechtlichen Bestimmungen getroffen werden. Lediglich § 46 AGB-DDR sah vor, daß mit “Angehörigen der Intelligenz” unter besonderen Voraussetzungen besondere Rechte und Pflichten vereinbart werden konnten. Ein solcher Einzelvertrag bedurfte jedoch der Zustimmung des zuständigen zentralen Staatsorgans.

b) Konnten danach durch Betriebskollektivvertrag Ansprüche für Arbeitnehmer nur insoweit begründet werden, als Rechtsvorschriften dies ausdrücklich zuließen, so fehlt es an einer Norm, die eine betriebskollektivvertragliche Regelung von materiellen Leistungen an Arbeitnehmern erlaubte, die infolge von Rationalisierungsmaßnahmen ihren Arbeitsplatz verloren oder sonstige materielle Nachteile erlitten. § 121 AGB-DDR schrieb vielmehr vor, daß an Werktätige, die infolge von Rationalisierungsmaßnahmen oder Strukturveränderungen eine andere Arbeit übernehmen und dadurch in absehbarer Zeit ihren bisherigen Durchschnittslohn nicht wieder erreichen können, ein einmaliges Überbrückungsgeld in Höhe der Jahressumme der voraussichtlichen Minderung des Durchschnittslohnes erhalten. Eine Bestimmung, daß Einzelheiten dieses Überbrückungsgeldes oder dessen Erhöhung durch Betriebskollektivvertrag zu regeln sind, fehlt. In § 121 Abs. 2 AGB-DDR wird vielmehr bestimmt, daß durch Anführung “Rechtsvorschriften” festgelegt werden kann, daß Werktätige bei Vorliegen besonderer Bedingungen ein höheres Überbrückungsgeld erhalten. Nach der Terminologie des AGB-DDR sind unter Rechtsvorschriften aber nicht Normen eines Betriebskollektivvertrages zu verstehen.

Hinzu kommt, daß die finanzielle Absicherung von Bürgern, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und zeitweilig keine Berufstätigkeit ausüben können, durch die Verordnung über die Gewährung staatlicher Unterstützung und betrieblicher Ausgleichszahlung an Bürger während der Zeit der Arbeitsvermittlung vom 8. Februar 1990 (GBl. I S. 41) geregelt wurde. Danach haben solche Bürger unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf eine Unterstützung gegen die Arbeitsverwaltung. Darüber hinaus verpflichtet § 4 dieser Verordnung den Betrieb, dem der Bürger zuletzt angehört hat, zur Zahlung einer Ausgleichszahlung i. H. der Differenz zwischen der Unterstützung rund 70 % des bisherigen Nettodurchschnittslohnes. Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung vom 16. Februar 1990 (GBl. I S. 93) enthalten in § 4 Regelungen über die Finanzierung der betrieblichen Ausgleichszahlung, die aus dem Lohnfond zu zahlen sind.

Die Gesamtheit der dargestellten Regelungen macht deutlich, daß dem Arbeitsrecht der ehemaligen DDR die Möglichkeit fremd war, in einem Betriebskollektivvertrag Ansprüche der Arbeitnehmer auf Abfindungen oder ähnliche Leistungen im Falle ihrer Kündigung aus Rationalisierungs- oder Umstrukturierungsgründen zu begründen. Rationalisierungsschutzabkommen oder Sozialpläne konnten daher durch Betriebsleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung nicht vereinbart werden (so auch Schaub, Die Ablösung kollektivrechtlicher Vereinbarungen in den neuen Bundesländern, BB 1991, 685, 686). Das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 ist ein solcher Betriebskollektivvertrag, der nach den zu dieser Zeit noch geltenden Rechtsvorschriften des AGB-DDR nicht geschlossen werden durfte. Er widersprach diesen Rechtsvorschriften und ist daher nach § 28 Abs. 2 Satz 5 rechtsunwirksam (so auch Schaub, aaO).

2.a) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 nur wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes in der ehemaligen DDR vereinbart wurde. Zwar heißt es in Art. 17 des Staatsvertrages vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537), daß in der Deutschen Demokratischen Republik u.a. die Betriebsverfassung entsprechend dem Recht der Bundesrepublik gilt. Näheres dazu ergibt sich aber aus dem gemeinsamen Protokoll über Leitsätze und aus den Anlagen II und III. Unter A I 1 des gemeinsamen Protokolls ist niedergelegt, daß das Recht der Deutschen Demokratischen Republik nach den Grundsätzen einer freiheitlichen, demokratischen, förderativen, rechtsstaatlichen und sozialen Ordnung gestaltet “wird”. Nach der Anlage II Abschn. I 1 und Abschn. IV 5 war die DDR verpflichtet, u.a. das Betriebsverfassungsgesetz bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Staatsvertrages in Kraft zu setzen. Daraus folgt, daß nicht schon mit Unterzeichnung des Staatsvertrages vom 18. Mai 1990 u.a. auch das Betriebsverfassungsgesetz in der ehemaligen DDR gelten sollte. Das Betriebsverfassungsrecht sollte vielmehr in der DDR dadurch zur Geltung gebracht werden, daß die DDR das Betriebsverfassungsgesetz zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Staatsvertrages verabschiedete und in Kraft setzte. Nach Art. 38 trat der Staatsvertrag an dem Tage in Kraft, an dem die Regierungen der Bundesrepublik und der DDR einander mitgeteilt haben, daß die erforderlichen verfassungsrechtlichen und sonstigen innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind. Das war aber erst am 30. Juni 1990 der Fall. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte daher auch nach dem Staatsvertrag auf dem Gebiet der DDR die bisherige Rechtsordnung weiter in Kraft bleiben.

Der Achte Senat hat daher in seinem Urteil vom 13. Februar 1992 (– 8 AZR 269/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, daß ein – wenn auch nur kurze Zeit – vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossener Tarifvertrag zu seiner Wirksamkeit noch der Bestätigung und Registrierung nach den Vorschriften des § 14 Abs. 2 AGB-DDR bedurfte. Trotz Abschluß des Staatsvertrages und der bevorstehenden Wirtschafts- und Währungsunion sei nicht anzunehmen, daß in dem Gebiet der ehemaligen DDR vor dem 1. Juli 1990 zwei getrennte Wirtschaftsordnungen – und damit auch zwei verschiedene Rechtsordnungen – nebeneinander gelten sollten, eine weiter zentral gelenkte und daneben eine freie, im Sinne der Bundesrepublik Deutschland.

Daraus folgt auch für den vorliegenden Fall, daß bis zum 30. Juni 1990 das von einer zentralen Lenkung der Wirtschaft geprägte Arbeitsrecht der DDR in Kraft bleiben sollte und nicht schon gewissermaßen im Vorgriff auf die im Staatsvertrag vereinbarte Wirtschafts- und Arbeitsordnung das Arbeitsrecht der Bundesrepublik – und damit auch das Betriebsverfassungsgesetz – gelten sollte.

b) Eine Befugnis der Betriebsleitungen und Betriebsgewerkschaftsleitungen zum Abschluß von “Sozialplänen” schon vor dem 1. Juli 1990 folgt auch nicht daraus, daß durch § 13 des in der DDR in Kraft gesetzten Betriebsverfassungsgesetzes und die genannte Verordnung vom 11. Juli 1990 bestimmt worden ist, daß die vor dem 31. Oktober 1990 nach demokratischen Grundsätzen in geheimer Abstimmung von der Belegschaft – oder der Mehrheit der Belegschaft – gewählten Arbeitnehmervertretungen die Aufgaben des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrnehmen. Auch solche Aufgaben ergaben sich erst mit dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes am 1. Juli 1990. Erst von diesem Zeitpunkt an waren diese Arbeitnehmervertretungen als Betriebsräte “anerkannt”. Das übersieht Däubler (Arbeitsverträge und Kollektivverträge im Übergang, AuR 1991, 196, 198), wenn er darauf abstellt, daß die “Anerkennung” der “vorläufigen Betriebsräte” sich nicht nur auf die Existenz des Gremiums als solches, sondern auch auf die von ihm vorgenommenen Rechtsakte und Verträge erstrecke und zwar auch auf solche, die vor dem 1. Juli 1990 vorgenommen worden seien. Es braucht daher im vorliegenden Verfahren auch nicht entschieden zu werden, ob die am 19. Juni 1990 im Betrieb des Arbeitgebers bestehende Betriebsgewerkschaftsleitung zu den auf diese Weise “anerkannten” Arbeitnehmervertretungen gehörte.

3. Der Senat hat erwogen, ob nicht Betrieb und Betriebsgewerkschaftsleitung das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 lediglich im Vorgriff und schon auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes, dessen Geltung ab dem 1. Juli 1990 bereits feststand, im Hinblick auf eine für die Zeit der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes geplante Betriebsänderung vereinbaren wollten. Eine solche Annahme ist jedoch vorliegend nicht begründet.

a) Dagegen spricht zunächst der Wortlaut des Sozialprogramms. In diesem heißt es ausdrücklich, daß gesetzliche Grundlage das Arbeitsgesetzbuch der DDR i. Verb. mit der Verordnung über die Gewährung staatlicher Unterstützungen und betrieblicher Ausgleichszahlungen an Bürger während der Zeit der Arbeitsvermittlung vom 9. Februar 1990 und der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld und das Gewerkschaftsgesetz sind. Für den Fall, daß weitere einschlägige Rechtsvorschriften in Kraft treten, haben sich Arbeitgeber und Betriebsgewerkschaftsleitung ausdrücklich eine “Aktualisierung” vorbehalten. Auch sonst baut das Sozialprogramm in seinen Regelungen weitgehend auf dem am 19. Juni 1990 noch geltenden Arbeitsrecht auf, wie insbesondere die Bestimmungen unter Nr. 3 über die Änderung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausweisen. Die hier getroffenen Bestimmungen über den Überleitungsvertrag, die fristgemäße Kündigung und den besonderen Kündigungsschutz entsprechen nahezu wörtlich den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches.

b) Davon abgesehen kommt im vorliegenden Falle hinzu, daß die Rationalisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen, die Anlaß für das Sozialprogramm waren, nicht für eine Zeit nach dem 30. Juni 1990 geplant waren, sondern schon für eine Zeit zuvor, und daß mit diesen Umstrukturierungsmaßnahmen schon vor dem 1. Juli 1990 begonnen wurde.

Die Beteiligten haben zwar nicht – trotz der Anfrage – vorgetragen, wann die einzelnen Kündigungen ausgesprochen worden sind. Der Umstand, daß an 15 der gekündigten 21 Arbeitnehmern die Hälfte der Abfindung nach dem Sozialprogramm noch in Mark der DDR gezahlt worden ist, besagt jedoch, daß jedenfalls diese 15 Kündigungen noch vor dem 1. Juli 1990 ausgesprochen wurden. Die Arbeitnehmer verlangen die Aufwertung dieses Teils ihrer Abfindung gerade mit der Begründung, daß die Abfindungen nach dem Sozialprogramm mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also nach dem 30. Juni 1990, fällig werden sollten, nicht aber schon mit dem Ausspruch der Kündigung. Sie seien daher zu früh gezahlt worden, was unzulässig sei. Dieser “zu frühe Zeitpunkt” kann aber nur ein Zeitpunkt vor dem 1. Juli 1990 gewesen sein, da er andernfalls für die Frage der Umstellung der Abfindungsforderung keine Rolle spielen würde.

Damit bezog sich das Sozialprogramm noch auf eine vor dem 1. Juli 1990 geplante und jedenfalls begonnene “Betriebsänderung”. Für eine solche konnten aber – wie dargelegt – durch Betriebskollektivvertrag keine materiellen Leistungen an die von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen werden. Damit ist das Sozialprogramm als Betriebskollektivvertrag, jedenfalls soweit es Abfindungen an die von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer vorsieht, unwirksam.

Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob ein solches Vorgehen zulässig gewesen wäre. Ebenso kann auch insoweit unentschieden bleiben, ob die Betriebsgewerkschaftsleitung als “vorläufiger Betriebsrat” hätte angesehen werden können und zur Vereinbarung eines Sozialplanes i. S. von § 112 BetrVG befugt gewesen wäre.

4. Der Betriebsrat hat geltend gemacht, das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 sei als “Firmentarifvertrag” anzusehen, der zwischen dem Betrieb als Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaftsleitung als betriebliche Gliederung der zuständigen Gewerkschaft abgeschlossen worden sei. Auch aus dieser Überlegung ergibt sich nicht, daß das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 wirksam ist.

Es erscheint schon fraglich, ob eine Betriebsgewerkschaftsleitung befugt war, “Tarifverträge” abzuschließen. Der Abschluß von Rahmenkollektivverträgen war nach den §§ 10 und 11 AGB-DDR nur Aufgabe der Zentralvorstände der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften, sofern diese Befugnis nicht anderen Organen ausdrücklich erteilt worden war. § 3 des Gesetzes über die Rechte der Gewerkschaften in der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. März 1990 (GBl. I S. 110) berechtigt lediglich die “Gewerkschaften” Verträge und Vereinbarungen abzuschließen, und weist in § 12 den Betriebsgewerkschaftsleitungen nur die Aufgabe zu, Betriebskollektivverträge abzuschließen.

Die Frage braucht nicht entschieden zu werden. Selbst wenn davon ausgegangen wird, das Sozialprogramm vom 19. Juni 1990 sei ein Firmen-Tarifvertrag, ist dieser nicht wirksam geworden. Tarifverträge wurden bis zum 30. Juni 1990 nach § 14 Abs. 2 AGB-DDR nur mit der Bestätigung und Registrierung durch das zuständige zentrale Staatsorgan wirksam (BAG Urteil vom 13. Februar 1992 – 8 AZR 269/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen). An dieser Bestätigung und Registrierung des Sozialprogramms fehlt es. Die Vertragspartner des Sozialprogramms haben dieses nach dem 30. Juni 1990 auch nicht bestätigt, vielmehr in der “Betriebsvereinbarung” vom 26. November 1990 erklärt, das Sozialprogramm sei “von Anfang an null und nichtig”. Damit ist das Sozialprogramm auch als “Tarifvertrag” unwirksam.

5. Der Senat hat im vorliegenden Falle nicht darüber zu entscheiden, ob die entlassenen Arbeitnehmer trotz der Unwirksamkeit des Sozialprogramms einen Anspruch auf die in diesem Programm geregelten Abfindungen etwa deswegen haben, weil dieses Sozialprogramm als individualrechtliche Gesamtzusage Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses geworden ist oder weil der Arbeitgeber aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes zur Zahlung von Abfindungen verpflichtet ist (vgl. Schaub, BB 1991, 685, 687). Das Sozialprogramm scheidet als Anspruchsgrundlage für einen Abfindungsanspruch aus.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Dr. Müller-Glöge, Brocksiepe, Hecker

 

Fundstellen

Haufe-Index 846712

BAGE, 281

BB 1992, 1135

BB 1993, 217

JR 1993, 440

NZA 1992, 1135

RdA 1992, 352

ZIP 1993, 533

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