Entscheidungsstichwort (Thema)

Verrechnung übertariflicher Zulage mit Erhöhung des Tarifgehalts

 

Leitsatz (amtlich)

Zahlt der Arbeitgeber übertarifliche Zulagen, deren jederzeitigen Widerruf er sich gegenüber einem Teil der Belegschaft vorbehalten hat, so hat der Betriebsrat mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Steigerungen des Tarifgehalts aufgrund von Alterssprüngen, Höhergruppierungen oder Erhöhungen der tariflichen Leistungszulage bei den jeweils betroffenen Arbeitnehmern auf die übertarifliche Zulage anrechnet.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 27.06.1996; Aktenzeichen 5 TaBV 129/95)

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.04.1995; Aktenzeichen 5 BV 243/94)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juni 1996 – 5 TaBV 129/95 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn die Arbeitgeberin übertarifliche Zulagen auf Gehaltserhöhungen infolge einer Höhergruppierung, eines Alterssprunges oder einer Erhöhung tariflicher Leistungszulagen anrechnet.

Die Arbeitgeberin ist durch Zusammenfassung von Teilen der S. AG mit der früheren N. AG entstanden. In ihrem Frankfurter Betrieb beschäftigt sie über 1.000 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Hessenmetall. Neben dem tariflichen Arbeitsentgelt erhalten nahezu alle Arbeitnehmer übertarifliche Zulagen. Eine mitbestimmte Regelung hierüber existiert im Frankfurter Betrieb nicht.

Die dort beschäftigten Arbeitnehmer haben abhängig davon, von welchem Arbeitgeber sie eingestellt worden sind, unterschiedliche Arbeitsverträge:

  • Mit den von der S. AG übernommenen Arbeitnehmern, die fast die Hälfte der Belegschaft ausmachen, sind „Arbeitsbedingungen” vereinbart, in denen es u.a. heißt: „Bei außertariflichen Zulagen bleibt ein jederzeitiger Widerruf vorbehalten”.
  • Die Arbeitsverträge der von der N. AG eingestellten Arbeitnehmer enthalten keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich übertariflicher Zulagen. Das Unternehmen gehörte keinem Arbeitgeberverband an und wandte auch keine Tarifverträge an.
  • Die jetzige Arbeitgeberin verwendet Formularverträge, in denen folgendes bestimmt ist: „Sofern in Ihrem Gehalt eine außertarifliche Zulage eingeschlossen ist, behalten wir uns die Möglichkeit vor, Tariferhöhungen aufgrund von Alterssprüngen und Umgruppierungen auf diese freiwillig gewährte Zulage anzurechnen. Ihr Bruttogehalt wird dadurch nicht vermindert”.

Ob und in welcher Weise die Arbeitgeberin bisher von den danach bestehenden Anrechnungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat, ist nicht festgestellt.

Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten darüber, ob die Arbeitgeberin ohne Zustimmung des Betriebsrats übertarifliche Zulagen auf Gehaltserhöhungen anrechnen kann, wurde die Einigungsstelle angerufen. Diese beschloß am 16. Mai 1994 mit der Stimme des Vorsitzenden, sich für die Fälle der Anrechnung von Höhergruppierungen, Erhöhungen der Leistungszulage und Alterssprüngen auf übertarifliche Vergütungen für unzuständig zu erklären. In der Begründung zu dem Spruch ist im wesentlichen ausgeführt, der Arbeitgeberin verbleibe bei derartigen Anrechnungen kein Spielraum für eine anderweitige Regelung.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle habe sein Mitbestimmungsrecht verkannt. Er habe bei Anrechnungsfällen der streitigen Kategorien mitzubestimmen, weil für das Vorgehen der Arbeitgeberin insoweit ein Spielraum vorhanden sei. Dem stehe nicht entgegen, daß eine anderweitige Anrechnungsentscheidung den Widerruf der Zulage oder möglicherweise sogar Änderungskündigungen gegenüber anderen Arbeitnehmern voraussetze. Sollten aber individualrechtliche Anrechnungsmöglichkeiten tatsächlich fehlen, so könne sich die Arbeitgeberin hierauf dem Betriebsrat gegenüber nicht berufen, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine mitbestimmte Regelung über die Gewährung von Zulagen und deren mögliche Anrechnung auf Tariferhöhungen nicht bestehe. Anrechnungs- und Widerrufsvorbehalte seien nämlich ebenso wie ihr Fehlen als betriebliche Gehaltsgrundsätze mitbestimmungspflichtig.

Der Betriebsrat hat beantragt,

  1. festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 16. Mai 1994 (Anlage zur Antragsschrift) unwirksam ist;
  2. festzustellen, daß er in den Fällen der Anrechnung von Höhergruppierungen, Erhöhung von Leistungszulagen und bei Alterssprüngen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG hat;
  3. hilfsweise festzustellen, daß er das Mitbestimmungsrecht hat gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG in den Fällen, in denen in engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Arbeitnehmer höhere Tarifgehälter aufgrund von Höhergruppierung, Erhöhung der Leistungszulagen oder Alterssprüngen erhalten und wenn insoweit eine Verrechnung vorgenommen wird oder wenn eine Höhergruppierung bei veränderter Tätigkeit einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer erfolgt.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung besteht kein Mitbestimmungsrecht. Dies ergebe sich daraus, daß sie bei der Anrechnungsentscheidung keinen Spielraum für eine anderweitige Gestaltung habe. Die Voraussetzungen für die Erhöhung des Tarifgehalts lägen immer nur bei den von der Anrechnung betroffenen Arbeitnehmern vor, so daß keine Möglichkeit bestehe, das mit einer Anrechnungsentscheidung verbundene Kürzungsvolumen durch gleichzeitige Verminderung der Zulagen anderer Arbeitnehmer auf mehrere Betroffene zu verteilen. Auch soweit gegenüber einem Teil der Arbeitnehmer der jederzeitige Widerruf der Zulage vorbehalten sei, gelte nichts anderes. Die bloße Absicht, das Zulagenvolumen anders zu verteilen, könne einen Widerruf oder gar eine Änderungskündigung nicht rechtfertigen. Außerdem sei es ihr nicht zumutbar, anläßlich jeder Höhergruppierung eines einzelnen Arbeitnehmers die Zulagen einer Vielzahl anderer Arbeitnehmer, deren Tarifgehalt sich gar nicht geändert habe, neu festzusetzen. Schließlich ergebe sich ein Mitbestimmungsrecht bei Anrechnungen auch nicht etwa daraus, daß die bisherige Zulagenregelung ohne Zustimmung des Betriebsrats zustande gekommen sei. Wenn er mit dieser Regelung nicht einverstanden sei, könne er mit Hilfe seines Mitbestimmungsrechts eine andere durchsetzen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptanträgen stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptanträgen des Betriebsrats zu Recht stattgegeben.

I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von der Zulässigkeit der Anträge ausgegangen.

Dabei sind die Anträge so zu verstehen, daß es dem Betriebsrat in der Sache nur um die Feststellung des von ihm in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrechts geht. Dies ergibt sich aus seinem gesamten Vorbringen. Der auf die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtete Feststellungsantrag zu 1. hat daneben nur erläuternden Charakter. Der einzige Inhalt des Spruchs ist die Erklärung, die Einigungsstelle sei unzuständig, weil der Betriebsrat nicht mitzubestimmen habe. Da hierdurch die erneute Anrufung der Einigungsstelle und eine Entscheidung der streitigen Regelungsfrage nicht eingeschränkt oder gar ausgeschlossen wird, hat der Betriebsrat schon mit einer Feststellung, daß das Mitbestimmungsrecht besteht, sein Verfahrensziel erreicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über Bestand und Inhalt eines Mitbestimmungsrechts im Wege eines allgemeinen Feststellungsverfahrens geklärt werden (vgl. zuletzt Beschluß vom 23. Juli 1996 – 1 ABR 17/96 – AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, zu B II 1 der Gründe). Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist zu bejahen, da die Arbeitgeberin sich des Rechts berühmt, Anrechnungen der streitigen Art mitbestimmungsfrei vorzunehmen. Darauf, ob sie das bisher tatsächlich schon getan hat, kommt es insoweit nicht an.

II. Die Anträge des Betriebsrats sind begründet. Er hat bei der Anrechnung übertariflicher Zulagen auf Steigerungen des Tarifgehalts infolge von Höhergruppierungen, Alterssprüngen und der Erhöhung von Leistungszulagen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Allerdings ergibt sich das Mitbestimmungsrecht nicht bereits, wie der Betriebsrat meint, daraus, daß er bei der Schaffung des Zulagensystems nicht beteiligt worden ist. Beansprucht der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht für eine Vollzugsmaßnahme, hier für die Anrechnung, so muß diese für sich alleine mitbestimmungspflichtig sein (BAGE 71, 164, 175 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 3 d der Gründe).

1. Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen besteht ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen dann, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsrelationen ändern. Das ist dann der Fall, wenn sich das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander verschiebt. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, daß für eine anderweitige Regelung der Anrechnung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Das gleiche gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAGE 69, 134, 164 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 4–6 der Gründe).

Dieses Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Gestaltung von Einzelfällen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage, ob ein kollektiver und damit mitbestimmungspflichtiger Tatbestand vorliegt, nicht notwendigerweise von der Zahl der Betroffenen ab. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer betreffen; andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten. Die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen richtet sich danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Hierbei kann allerdings die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Es widerspräche dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, wenn der Arbeitgeber es allein dadurch ausschließen könnte, daß er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils „individuelle” Vereinbarungen trifft und dabei die Formulierung einer allgemeinen Regel vermeidet. Sonst könnte mit der Behauptung, nur individuell entscheiden zu wollen, jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden (ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. Urteil vom 9. Juli 1996 – 1 AZR 690/95 – AP Nr. 86 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 1 der Gründe).

2. Danach sind die streitigen Anrechnungsvorgänge mitbestimmungspflichtig.

a) Bei den Anrechnungen, die hier eine große Anzahl von Arbeitnehmern betreffen, handelt es sich um einen kollektiven Tatbestand. Dieser Annahme steht nicht die Besonderheit des vorliegenden Falles entgegen, daß die Anrechnung nicht im Zusammenhang mit einer allgemeinen Tariferhöhung erfolgt, sondern jeweils nur aus Anlaß von Steigerungen des Tarifentgelts, die in den persönlichen Verhältnissen der im Einzelfall betroffenen Arbeitnehmer begründet sind, wie Alterssprüngen und Höhergruppierungen. Zwar bedeutet das, daß die Arbeitgeberin anders als bei allgemeinen Tariferhöhungen das Zulagenvolumen nicht generell absenkt und gleichzeitig bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern die Zulagen anrechnet, sondern in Einzelschritten vorgeht und mit jeder einzelnen Anrechnungsentscheidung den Dotierungsrahmen weiter einengt. Das ändert aber nichts daran, daß vorliegend Strukturformen des Entgelts betroffen sind, denn die Anrechnung setzt an der Erfüllung genereller Kriterien an, der Erhöhung des Tarifgehalts aufgrund von Alterssprüngen, Höhergruppierungen oder der Steigerung tariflicher Leistungszulagen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Arbeitgeberin müsse mitbestimmungsfrei anrechnen können, um auf diese Weise die Höhe der Zulagen den Leistungen oder der sozialen Lage der jeweils betroffenen Arbeitnehmer anpassen zu können. Sowohl soziale als auch Leistungsgesichtspunkte haben kollektiven Bezug, da sie den Vergleich mit anderen Arbeitnehmern erfordern (BAGE 77, 86, 92 = AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 2 der Gründe).

b) Durch die Anrechnung verändert sich jeweils das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander. Bei den Arbeitnehmern, deren Tarifgehalt sich z.B. wegen eines Alterssprungs erhöht, vermindern sich die Zulagen oder entfallen sogar ganz, während sie bei den übrigen Arbeitnehmern unverändert bleiben. Insoweit besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter erkannt, daß die Mitbestimmung vorliegend auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen wird, daß der Arbeitgeberin für eine anderweitige Gestaltung der Anrechnung kein Spielraum verbliebe. Die Arbeitgeberin ist nicht daran gehindert, mit der in der jeweiligen Anrechnungsentscheidung zum Ausdruck gekommenen Verringerung des Zulagenvolumens neben dem Arbeitnehmer, dessen Tarifgehalt sich erhöht, auch andere Zulagenempfänger zu belasten.

aa) Diese Möglichkeit besteht allerdings nicht, soweit andere Arbeitnehmer belastet würden, die von der N. AG oder von der jetzigen Arbeitgeberin eingestellt worden sind und deren Arbeitsverträge daher einen Widerruf der Zulagen gar nicht und eine Anrechnung allenfalls aus Anlaß einer Erhöhung des Tarifgehalts zulassen. Einer anderweitigen Verteilung des gekürzten Zulagenvolumens durch Einbeziehung dieser Arbeitnehmer steht dann, wenn sich nicht auch ihr Tarifgehalt erhöht, ein rechtliches Hindernis entgegen (BAGE 71, 164, 175 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 3 b der Gründe). Ihre vertraglichen Ansprüche auf Zahlung der übertariflichen Zulage in unverminderter Höhe könnten nämlich nur auf dem Vereinbarungswege oder durch Änderungskündigung beseitigt werden. Für die Wirksamkeit einer solchen Kündigung reicht aber allein der Wille, die Zulagen anders zu verteilen, regelmäßig nicht aus.

bb) Dennoch verbleibt der Arbeitgeberin ein Spielraum, der es ihr erlaubt, in die Kürzung des Dotierungsrahmens auch andere Arbeitnehmer als die von einer Erhöhung des Tarifgehalts unmittelbar betroffenen einzubeziehen und damit die Anrechnung anders auszugestalten. Dies ergibt sich aus dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs der außertariflichen Zulagen, der mit den Arbeitnehmern vereinbart ist, die von der S. AG übernommen worden sind. Insoweit besteht für eine anderweitige Anrechnung kein rechtliches Hindernis. Daß es hierzu eines Gestaltungsakts der Arbeitgeberin, nämlich des Widerrufs der Zulage bedarf, ist nicht entscheidend. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats hängt das Mitbestimmungsrecht nicht davon ab, ob die Anrechnung oder der Widerruf konstitutive Entscheidungen des Arbeitgebers sind, oder ob es sich hierbei nur um die Feststellung einer Automatik handelt (BAGE 69, 134, 161 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 3 der Gründe).

(1) Nach den „Arbeitsbedingungen”, die mit den von der S. AG übernommenen Arbeitnehmern vereinbart sind, ist der Widerruf der außertariflichen Zulagen jederzeit möglich, also unabhängig von einer Erhöhung des Tarifgehalts. Das Widerrufsrecht kann daher beispielsweise auch gegenüber Arbeitnehmern ausgeübt werden, die nicht höhergruppiert werden und deren Tarifgehalt somit unverändert bleibt.

Diesem Verständnis stehen die Erwägungen des Großen Senats zur beschränkten Reichweite des Widerrufsrechts (BAGE 69, 134, 169 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 6 b cc der Gründe; ähnlich Schwab, BB 1993, 495, 500) nicht entgegen. Der Große Senat hat angenommen, daß der Arbeitgeber bei einem auf die Höhe einer Tariferhöhung beschränkten Widerruf nur ein durch die Tariferhöhung bedingtes Gestaltungsrecht geltend machen und mit dieser beschränkten Ausübung des Widerrufsrechts den bisherigen Besitzstand hinsichtlich der übertariflichen Zulagen garantieren will. Er will den Arbeitnehmern keine höhere Vergütung zahlen als bisher, aber auch keine niedrigere. Diese Erwägungen setzen Gegebenheiten voraus, an denen es im vorliegenden Fall fehlt. Die von der Arbeitgeberin aus Anlaß der Erhöhung des Tarifgehalts vorgenommene Anrechnung der Zulage bezieht sich nur auf denjenigen Arbeitnehmer, der höhergruppiert worden ist, eine höhere Altersstufe erreicht oder Anspruch auf eine höhere tarifliche Leistungszulage hat. Eine Festlegung der Arbeitgeberin im Sinne einer Garantieerklärung für den Bestand der Zulagen anderer Arbeitnehmer ist damit nicht verbunden. Hinsichtlich der von einer Erhöhung des Tarifgehalts nicht betroffenen Arbeitnehmer gibt die Arbeitgeberin keine Erklärung ab, sie sieht auch keinen Anlaß hierzu.

(2) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin wird die Ausübung des Widerrufsrechts auch nicht durch § 315 BGB ausgeschlossen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß eine Umverteilung des Zulagenvolumens, die durch dessen Verringerung bedingt ist, regelmäßig nicht unbillig sein wird. Insoweit reicht für die hier zu beantwortende Frage, ob die Arbeitgeberin aufgrund ihres Widerrufsvorbehalts die Möglichkeit zu einer anderweitigen Verteilung des verminderten Zulagenvolumens hat, schon die Feststellung aus, daß nicht jede andere Lösung ausscheidet. Selbst wenn eine im Einzelfall getroffene Regelung der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB nicht standhalten sollte, änderte dies nichts daran, daß die Arbeitgeberin bei Verringerung der Zulagen einen Gestaltungsspielraum hat, der Voraussetzung für das vom Betriebsrat beanspruchte Mitbestimmungsrecht ist.

Aus dem Urteil vom 22. September 1992, in dem der Senat von einem auf die jeweils höhergruppierten Arbeitnehmer begrenzten Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers ausgegangen ist, ergibt sich nichts anderes. In diesem Fall war nämlich kein genereller Widerrufsvorbehalt vereinbart. Vielmehr hat der Senat – ebenso wie die Vorinstanz – seiner damaligen Entscheidung die Annahme zugrunde gelegt, daß der dort beteiligte Arbeitgeber nur befugt war, übertarifliche Zulagen aus Anlaß und im Umfang einer Tariferhöhung auf diese anzurechnen (BAGE 71, 164, 170, 174 f. = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 1 und II 3 b der Gründe).

(3) Auch der Einwand der Arbeitgeberin, eine aufgrund des Widerrufsvorbehalts vorgenommene Verminderung übertariflicher Zulagen von Arbeitnehmern mit unverändertem Tarifentgelt sei als Ungleichbehandlung zu Lasten der von S. übernommenen Arbeitnehmer unzulässig, verfängt nicht. Hierin manifestieren sich lediglich die längst zwischen den einzelnen Teilen der Belegschaft bestehenden Unterschiede in den Arbeitsbedingungen, welche durch die Herkunft der Arbeitnehmer aus unterschiedlichen Unternehmen gerechtfertigt sind.

(4) Schließlich greift auch das Argument der Arbeitgeberin nicht durch, eine anläßlich jeder einzelnen Höhergruppierung usw. vorzunehmende Neuverteilung des Zulagenvolumens, die möglicherweise unter Einbeziehung einer großen Anzahl nicht unmittelbar betroffener Arbeitnehmer erfolgen müsse, sei ihr wegen der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten nicht zuzumuten. Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß es für die Arbeitgeberin außerordentlich lästig ist und in der Belegschaft Unruhe verursacht, wenn jede Erhöhung des Tarifentgelts bei einem Arbeitnehmer aufgrund einer Höhergruppierung, eines Alterssprungs oder der Steigerung seiner tariflichen Leistungszulage dazu führt, daß neu über die Verteilung des Zulagenvolumens auf eine große Anzahl von Arbeitnehmern entschieden werden muß mit der möglichen Folge, daß sich dadurch für einzelne Arbeitnehmer bei gleichbleibendem Tariflohn der Effektivlohn vermindert.

Hieraus kann die Arbeitgeberin indessen nichts für ihren Rechtsstandpunkt herleiten, denn diese Belastungen ergeben sich daraus, daß sie ihre Regelung über die Gewährung und Anrechnung übertariflicher Zulagen unter Mißachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aufgestellt hat. Sie könnte die genannten Probleme durch eine mitbestimmte Regelung vermeiden, in welcher die Verteilungsrelationen der Zulagen und die Voraussetzungen und Modalitäten der Anrechnung anläßlich bestimmter Erhöhungen der Tarifentgelte festgelegt sind. Die Mitbestimmung bei der Änderung der Verteilungsrelationen ist nicht auf den jeweiligen konkreten Anlaß beschränkt, sondern kann auch im voraus für eine unbestimmte Zahl von Fällen ausgeübt werden (BAGE 69, 134, 164 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 4 der Gründe).

 

Unterschriften

Rost, Dr. Armbrüster, Wißmann, Gnade, Spiegelhalter

 

Fundstellen

NZA 1997, 1059

SAE 1998, 190

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