Entscheidungsstichwort (Thema)

Einblicksrecht in Leistungsbeurteilungsunterlagen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Beschlußverfahren ist auch eine unselbständige Anschlußrechtsbeschwerde zulässig (Aufgabe der Senatsrechtsprechung im Beschluß vom 15. Mai 1957 - 1 ABR 8/55 = AP Nr 5 zu § 56 BetrVG).

2. Die Aufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs 1 Nr 1 BetrVG darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden, geht nicht auf den Gesamtbetriebsrat über, wenn dieser über eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit eine Betriebsvereinbarung schließt.

 

Normenkette

ZPO §§ 139, 308, 556; ArbGG § 81; BetrVG §§ 83, 79; ArbGG § 74 Abs. 1; BetrVG § 80 Abs. 2, § 50 Abs. 1-2, § 75 Abs. 1; ArbGG § 92 Abs. 1 S. 1, § 83 Abs. 1 S. 1, § 92 Abs. 2 S. 2, § 87 Abs. 2 S. 1; BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 27.03.1987; Aktenzeichen 15/5 TaBV 183/86)

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.01.1986; Aktenzeichen 4 BV 19/85)

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Pflicht des Arbeitgebers besteht, den Betriebsrat über die Ergebnisse regelmäßiger Leistungsbeurteilungen zu unterrichten.

Der Arbeitgeber, ein Unternehmen der Mineralölindustrie mit Sitz in Hamburg, unterhält für eine flächendeckende Versorgung in der Bundesrepublik Raffinerien, chemische Werke, Forschungseinrichtungen und ein Vertriebsnetz, das als "Außenorganisation" bezeichnet wird. Zu dieser Außenorganisation gehört auch die Betriebsstätte Frankfurt, in der 180 Arbeitnehmer beschäftigt werden und für die ein örtlicher Betriebsrat gewählt worden ist.

Der von den örtlichen Betriebsräten des Unternehmens errichtete Gesamtbetriebsrat schloß am 29. November 1983 eine Betriebsvereinbarung über die Anwendung bestimmter Grundsätze zur Leistungsbeurteilung aller Mitarbeiter. Nach diesen Grundsätzen erfolgt in regelmäßigen Abständen eine Leistungsbeurteilung durch den Vorgesetzten anhand eines standardisierten Beurteilungsbogens und eines besonderen Merkblattes in Verbindung mit der "Broschüre zur Mitarbeiterbeurteilung". Das Beurteilungsergebnis soll vom Mitarbeiter zum Zeichen seiner Kenntnisnahme unterschrieben werden. Falls der Mitarbeiter meint, das Ergebnis beruhe auf einer Verletzung des vereinbarten Regelwerkes, kann er eine paritätisch aus Geschäftsleitung und örtlichem Betriebsrat zusammengesetzte Kommission anrufen. In einer weiteren vom Gesamtbetriebsrat am 29. November 1983 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung über Rahmenbedingungen zur Leistungsvergütung von Mitarbeitern, deren Arbeitsplätze im Entgelttarifvertrag erfaßt sind (kurz Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Leistungszulagen), ist vereinbart worden, daß Leistungszulagen im Anschluß an die regelmäßig erfolgenden Leistungsbeurteilungen gewährt werden. Die Höhe der Leistungszulage hängt ab von der bei der individuellen Beurteilung erreichten Punktzahl und von einer in einer Tabelle festgesetzten Wertzahl, die sich aus der Addition von Lebens- und Dienstalter ergibt. Zur Kontrolle der Anwendung der Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Leistungszulagen haben der Gesamtbetriebsrat und der Unternehmensvorstand dabei folgendes vereinbart:

"5. Nach Abschluß der jeweiligen Leistungsbeurteilungs-

aktion wird innerhalb einer Kommission, die aus Ver-

tretern der Personalabteilung und Mitgliedern des GBR

besteht, anhand von vorzulegenden Unterlagen die Ein-

haltung der vorstehenden Bestimmungen festgestellt."

Der Unternehmensvorstand und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende haben schließlich am gleichen Tag noch eine "Protokollnotiz" zu beiden Betriebsvereinbarungen unterzeichnet. Unter III heißt es dort unter anderem:

"1. Nach Abschluß der jeweiligen Leistungsbeurteilungs-

aktion wird das zusammengefaßte Ergebnis innerhalb

einer Kommission, bestehend aus Vertretern der Per-

sonalabteilung und des Gesamtbetriebsrats erörtert.

2. Die Kommission überprüft, ob die Bestimmungen der

jeweiligen Betriebsvereinbarungen eingehalten worden

sind.

Darüber hinaus stellt sie anhand von durch das Un-

ternehmen vorzulegender Unterlagen fest, ob

- ein ausgewogenes Verhältnis der Leistungsbeurtei-

lungen im Hinblick auf die Punkteverteilung, auch

zwischen größeren organisatorischen Einheiten, er-

zielt wurde und

- die Erklärungen gem. dieser Protokollnotiz reali-

siert worden sind.

3. Bei von der Kommission festgestellten Abweichungen

wird sie Verbesserungsvorschläge für die Anwendung

der Betriebsvereinbarung unterbreiten.

4. Von der Betriebsvereinbarung über die Gewährung

von Leistungszulagen nicht erfaßte Sonderfälle

werden unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes

von der Kommission in Abstimmung mit den zustän-

digen Einheiten einer systemgerechten Lösung zu-

geführt."

Nach Abschluß der ersten Beurteilungsaktion wurde der Gesamtbetriebsrat vertraulich mit Schreiben vom 11. Februar 1985 über das Budget zur Erhöhung der Zulagen ( 689.650,-- DM), die Verteilungskurve (80 % der Zulagen zwischen 0,5 % und 2 %) und das Ergebnis der Verteilung (Leistungszulagen für 55 % der Gesamtbelegschaft) unterrichtet.

Der örtliche Betriebsrat des Betriebes Frankfurt bemühte sich seit Durchführung der Beurteilungsaktion im Herbst 1984 um Einsichtnahme in die Entgeltlisten und Beurteilungsunterlagen aller Betriebsangehörigen. Für die vom Tarifvertrag erfaßten Arbeiter und Angestellten wurde ihm einmalig, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft, Einblick gewährt, für die AT-Angestellten wurde jeder Einblick mit Schreiben der zentralen Hamburger Personalverwaltung vom 27. Februar 1985 verweigert. Als auch die Forderung des Betriebsrats, dem Betriebsratsvorsitzenden Einblick in die Liste der Beurteilungspunkte der AT-Angestellten zu gewähren, ergebnislos blieb, hat der Betriebsrat das vorliegende Beschlußverfahren eingeleitet. Im Laufe des Verfahrens haben Gesamtbetriebsrat und Unternehmensvorstand am 1. Oktober 1986 eine weitere Betriebsvereinbarung über "Gehaltsgrundsätze für außertarifliche Angestellte" abgeschlossen. Wesentlicher Inhalt dieser Betriebsvereinbarung ist, daß nach jeder Tarifrunde eine allgemeine und individuelle Gehaltsüberprüfung stattfinden soll. Bei der Entwicklung der Individualgehälter sollen die Kriterien Lebensalter, Leistungsergebnisse, Konstanz der Leistung, Dauer der Zugehörigkeit zur Gehaltsgruppe/Erfahrung in Position, Entwicklungsfähigkeit, Marktwert, Höhe des bereits erreichten Gehalts und Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel berücksichtigt werden.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, er habe den Gesamtbetriebsrat nicht ermächtigt, auf die dem örtlichen Betriebsrat zustehenden Überwachungsrechte zu verzichten. Er sei zur Überwachung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen verpflichtet. Diese Aufgabe könne er nur dann erfüllen, wenn er über eine Einblicknahme die Möglichkeit habe, die Einhaltung der für die Beurteilung festgelegten Richtlinien auf unbeabsichtigte Fehler oder willkürliche Abweichungen zu überprüfen.

Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist,

1. dem Betriebsrat die Ergebnisse der Leistungs-

beurteilung für die Mitarbeiter der Betriebsstätte

Frankfurt bekanntzugeben,

2. auch die Leistungsbeurteilungsergebnisse der

AT-Angestellten dem Betriebsrat mitzuteilen.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Der Arbeitgeber hat sich darauf berufen, es bestehe mit dem Gesamtbetriebsrat Einvernehmen darüber, daß die einzelnen Leistungsergebnisse nicht zur Kenntnis der örtlichen Betriebsräte gelangen sollen. Die Überwachung der Durchführung der Betriebsvereinbarungen zur Leistungsbeurteilung und über die Gewährung von Leistungszulagen dürfe nur durch die eigens zu diesem Zweck gebildeten Kommissionen stattfinden. Deren Kontrolle müsse sich auf die Überprüfung der von der Personalverwaltung "zusammengefaßten" Ergebnisse mit Hilfe von statistischen Methoden beschränken. Da keine lineare Korrelation zwischen Leistungsergebnis und Zulagenhöhe bestehe, sondern noch andere Faktoren mitgewichtet werden, habe man zu diesem Zweck ein besonderes mit dem Gesamtbetriebsrat abgestimmtes Auswertungsprogramm entwickelt. Die Kenntnis der individuellen Beurteilungsergebnisse sei daher zur Kontrolle der Einhaltung der Regeln der Betriebsvereinbarung nicht erforderlich. Die Beurteilungen seien zudem Teil der Personalakte und von daher dem Zugriff des Betriebsrats entzogen. Für die AT-Angestellten komme hinzu, daß keine kollektive Regelung über die Gewährung von Leistungszulagen bestehe, so daß das Ergebnis der Leistungsbeurteilung auch keinen Schluß auf die "richtige" Höhe der Bezüge zulasse.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats entsprochen. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den Antrag zu 2) zurückgewiesen und im übrigen den arbeitsgerichtlichen Beschluß wie folgt neu gefaßt:

"Es wird festgestellt, daß die Antragsgegnerin

verpflichtet ist, dem Betriebsratsvorsitzenden

des Antragstellers bzw. seinem Stellvertreter

Einblick in die Unterlagen zu gewähren, aus

denen die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung

derjenigen Arbeitnehmer ersichtlich sind, deren

Arbeitsplätze im Entgelttarifvertrag erfaßt sind."

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die vollständige Zurückweisung der Beschwerde des Arbeitgebers. Mit seiner unselbständigen Anschlußrechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber sein ursprüngliches Verfahrensziel der vollständigen Zurückweisung beider Feststellungsanträge weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und die Anschlußrechtsbeschwerde unbegründet, weil der Betriebsratsvorsitzende bzw. sein Stellvertreter ein Einblicksrecht in die Leistungsbeurteilungen der tariflichen und außertariflichen Mitarbeiter hat.

I. 1. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht deshalb unzulässig, weil er sein Rechtsmittel nicht innerhalb der einmonatigen Rechtsbeschwerdefrist (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 ArbGG) eingelegt hat.

a) Nach der älteren Rechtsprechung des Senats war im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren eine unselbständige Anschlußrechtsbeschwerde unzulässig (BAG Beschluß vom 15. Mai 1957 - 1 ABR 8/55 - AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG). Zur Begründung hatte der Senat ausgeführt, der Gesetzgeber habe im Unterschied zum Urteilsverfahren die Möglichkeit von Anschlußrechtsmitteln für das Beschlußverfahren ausschließen wollen; dies ergebe sich daraus, daß es an einem zeitlichen Anknüpfungspunkt für die Anschlußfrist fehle, da eine Rechtsbeschwerdebegründungsfrist im Beschlußverfahren nicht vorgesehen sei. Die Einlegung des Anschlußrechtsmittels wäre von daher zeitlich unbefristet möglich. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu dem besonderen, im Beschlußverfahren herrschenden Beschleunigungsgrundsatz. Deshalb gebe es im Beschlußverfahren weder eine Anschlußbeschwerde noch eine Anschlußrechtsbeschwerde. Dementsprechend hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die unselbständige Anschlußbeschwerde für unzulässig gehalten (Beschluß vom 27. Mai 1960 - 1 ABR 10/59 - AP Nr. 3 zu § 89 ArbGG 1953; Beschluß vom 6. November 1973 - 1 ABR 15/73 - AP Nr. 8 zu § 89 ArbGG 1953).

b) Die Begründung für die Unzulässigkeit der Anschlußbeschwerde und der Anschlußrechtsbeschwerde trägt nicht mehr.

Der Senat hat dem Beschluß des 6. Senats vom 2. April 1987 (- 6 ABR 29/85 - AP Nr. 3 zu § 87 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) folgend in seinem Beschluß vom 12. Januar 1988 (- 1 ABR 54/86 -, zu B II 1 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen), seine Auffassung zur Statthaftigkeit der Anschlußbeschwerde mit der Begründung aufgegeben, wegen der Änderung der Vorschriften über das arbeitsgerichtliche Verfahren durch die Beschleunigungsnovelle vom 21. Mai 1979 könne die frühere Ansicht nicht mehr aufrechterhalten werden. Das gilt in gleicher Weise für die Anschlußrechtsbeschwerde. Die Begründung im Beschluß vom 15. Mai 1957, es fehle an einem der Revisionsbegründungsfrist vergleichbaren zeitlichen Anknüpfungspunkt für die zeitliche Befristung des Rechtsmittelanschlusses, hat mit der Änderung des § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG durch Art. 1 Nr. 65 b des Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 (BGBl. I, 545) ihre Berechtigung verloren. Sonstige Gründe, insbesondere der angebliche Widerspruch zum Beschleunigungsgrundsatz, stehen der entsprechenden Anwendung der für die Anschlußrevision geltenden Vorschriften nicht entgegen (ebenso: BVerwG Beschluß vom 30. August 1985, BVerwGE 72, 94). Wie schon der Große Senat in seinem Beschluß vom 16. September 1986 (BAGE 53, 30, 39 = AP Nr. 53 zu § 518 ZPO) ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit der Novelle vom 21. Mai 1979 der Vereinheitlichung des Verfahrensrechtes den Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Beschleunigungsprinzip gegeben. Auch aus diesem Grunde ist heute § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, der für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde auf die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften verweist, so auszulegen, daß auch die Vorschrift über die Anschlußrevision (§ 556 ZPO) im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren Anwendung findet.

2. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht es für unerheblich gehalten hat, daß der Arbeitgeber nicht innerhalb der bis zum 22. September 1986 laufenden Beschwerdebegründungsfrist, sondern erstmalig mit Schriftsatz vom 25. Februar 1987, einen bestimmten Beschwerdeantrag gestellt hat.

Für das Beschwerdeverfahren im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren gelten die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften über die Begründung der Berufung (§ 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Somit muß die Beschwerdebegründung entsprechend § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluß angefochten wird und welche Änderungen des Beschlusses beantragt werden (Beschwerdeanträge). Es entspricht aber der einhelligen Meinung, daß es eines förmlichen, d. h. eines ausdrücklichen, von der übrigen Begründungsschrift gesonderten Antrages nicht bedarf. Es reicht aus, wenn aus dem Inhalt der gegen die Entscheidung gerichteten Ausführungen zu entnehmen ist, in welchem Umfange und mit welchem Ziel die Entscheidung angegriffen wird (BAGE 1, 36, 38 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gratifikation, zu I der Gründe; zuletzt BGH Beschluß vom 27. März 1985 - IV b ZB 20/85 - FamRZ 1985, 631).

Aus der Beschwerdebegründung des Arbeitgebers ergibt sich eindeutig, daß der arbeitsgerichtliche Beschluß insgesamt abgeändert werden soll. So begründet der Arbeitgeber sein Begehren, den Beschluß abzuändern, unter anderem damit, für eine Verpflichtung zur Mitteilung der verlangten Informationen gäbe es keine Anspruchsgrundlage. Zudem seien weder die Anträge des Betriebsrats noch die Beschlußformel des Arbeitsgerichts hinreichend bestimmt. Es bleibe offen, was konkret geschuldet werde: Die Zurverfügungstellung von Unterlagen oder die Einräumung der Möglichkeit, in die gewünschten Unterlagen beim Arbeitgeber Einsicht nehmen zu dürfen. Diese Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts läßt nur den Schluß zu, daß der Arbeitgeber aus formellen und materiellen Gesichtspunkten die Entscheidung in vollem Umfange anfechten wollte und beantragt hat, die Anträge des Betriebsrats vollständig abzuweisen.

3. Der von beiden Beteiligen angefochtene Beschluß des Landesarbeitsgerichts beruht auch nicht auf einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel.

a) Das in § 308 ZPO ausdrücklich normierte Prinzip der Bindung des Gerichts an die Parteianträge gilt in gleicher Weise für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren. Die mit den Parteien eines Zivilprozesses vergleichbare Dispositionsbefugnis der Beteiligten findet in § 81 ArbGG und § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG deutlichen Ausdruck (BAGE 37, 102, 111 = AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972, zu B 2 der Gründe, mit Anmerkung von Grunsky; Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 80 Rz 25).

b) Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde des Arbeitgebers die Entscheidung des Arbeitsgerichts auch über den Antrag zu 1) im Hinblick auf "Art der Unterrichtung und deren Adressaten" abändern wollen. Anstelle der beantragten und vom Arbeitsgericht zugesprochenen Unterrichtungsart "Mitteilung" hat es bei seiner als Neufassung bezeichneten Abänderung "Einblick in die Unterlagen zu gewähren" - und anstelle des Informationsempfängers "Betriebsrat" den "Betriebsratsvorsitzenden bzw. seinen Stellvertreter" gesetzt. Es kann dahinstehen, ob diese inhaltliche Abweichung vom Wortlaut des vor dem Arbeitsgericht gestellten und vom Arbeitsgericht zugesprochenen Antrages sich als weniger, mehr oder etwas anderes darstellt. Denn eine Verletzung des § 308 ZPO liegt schon deshalb nicht vor, weil die Auslegung der Anträge des Betriebsrats ergibt, daß das Landesarbeitsgericht mit seiner "Neufassung" unbewußt das wirkliche Verfahrensziel des Betriebsrats getroffen hat. In der Antragsbegründung wird bereits ausgeführt, der Betriebsrat begehre eine rechtliche Klärung des Anspruches auf Einsichtnahme des Betriebsrats in die Leistungsbeurteilung. Weiter wird zur Begründung angegeben, der Betriebsrat wolle durch eine kombinierte Einsichtnahme in die Entgeltlisten und die Ergebnisse der Leistungsbeurteilungsaktion feststellen, ob die Betriebsvereinbarungen vom 29. November 1983 korrekt angewendet worden seien. Vor allem stellt der Betriebsrat in der Antragsschrift durch Vorlage eines Schreibens des Betriebsrates vom 1. März 1985 klar und tritt insoweit ausdrücklich der Ansicht des Arbeitgebers entgegen, daß der Betriebsrat nicht die Aushändigung der Beurteilungsunterlagen begehrt, sondern die Einsichtnahme durch den Betriebsratsvorsitzenden.

II. Die Anschlußrechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet, da der Arbeitgeber auf Verlangen verpflichtet ist, dem Betriebsratsvorsitzenden bzw. im Verhinderungsfalle seinem Stellvertreter Einblick in die Unterlagen zu gewähren, aus denen die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung der Frankfurter Arbeitnehmer ersichtlich sind. Zugleich erweist sich damit die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die Abweisung des Antrags auf Einsichtnahme in die Leistungsbeurteilungen der außertariflichen Angestellten als begründet. Die in § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG normierte Überwachungsaufgabe des Betriebsrats, die diese Einblicknahme erforderlich macht, erstreckt sich auf beide Gruppen der Belegschaft.

1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Beschwerde des Arbeitgebers mit der Begründung zurückgewiesen, die Einsichtnahme in die Ergebnisse der Leistungsbeurteilungen sei erforderlich, um die Durchführung der Betriebsvereinbarung vom 29. November 1983 überwachen zu können.

a) In der Betriebsvereinbarung zur Leistungsbeurteilung sind besondere Richtlinien für das "Ob", "Wie" und "Wann" der regelmäßigen Beurteilungsaktionen für alle Belegschaftsangehörigen vereinbart. Die Betriebsvereinbarung über die Leistungsgewährung von Zulagen an Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze im Entgelttarifvertrag erfaßt sind, nimmt auf das Ergebnis dieser Leistungsbeurteilungen Bezug. Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, daß diese zugunsten der Arbeitnehmer des Betriebes geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Durch die Einsichtnahme in die Unterlagen, in denen der Arbeitgeber die für die Berechnung der individuellen Leistungszulagen festzusetzenden Beurteilungspunkte und Wertzahlen festhält (Nr. 3 der Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Leistungszulagen), wird dem Betriebsrat - insbesondere beim Vergleich mit den Entgeltlisten - die Möglichkeit eröffnet, zu überprüfen, ob die kollektive Entgeltregelung auch in der Betriebswirklichkeit richtig angewandt wird und der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG beachtet wird, ob also bei gleichen Beurteilungsergebnissen auch entsprechende Leistungszulagen gewährt werden (vgl. dazu BAGE 24, 349, 354; 35, 342, 348 = AP Nr. 1 und 15 zu § 80 BetrVG 1972). Allerdings ermöglicht die vom Betriebsrat begehrte Kenntnis der Ergebnisse keine absolute Kontrolle der Durchführung der Betriebsvereinbarungen, da außer der Leistungsbeurteilung zwei weitere Kriterien (Lebensalter und Betriebszugehörigkeit) für die Höhe der Leistungszulage maßgebend sind; dennoch ist die Einsichtnahme entgegen der Auffassung des Arbeitgebers nicht überflüssig. Der Betriebsrat kann nämlich auch bei dem eingeschränkten Umfang der Kontrolle neben der vom Landesarbeitsgericht herausgestellten Feststellung von Rechenfehlern bei der Berechnung der Zulagenhöhe auch Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beurteilungspraxis gewinnen. Häufen sich in Arbeitsgruppen oder Abteilungen die Fälle, in denen der jeweilige Vorgesetzte unverhältnismäßig schlechte oder gute Beurteilungen erteilt, so kann dies ein Indiz dafür sein, daß die Beurteilungen in verschiedenen Abteilungen mit sehr unterschiedlichem Maßstab erfolgt sind, obwohl nach Nr. 1 der Betriebsvereinbarung zur Leistungsbeurteilung solche Unterschiede durch ein objektivierendes Verfahren ausgeschlossen werden sollen. Dient somit die Einsichtnahme nicht nur der "Nachrechnung", so kann es auf den Einwand des Arbeitgebers nicht ankommen, er benutze zum Ausschluß von Rechenfehlern modernste Rechenanlagen, deren Computerprogramme mit dem Gesamtbetriebsrat abgestimmt seien.

b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Einwand des Arbeitgebers zurückgewiesen, die Einblicknahme verletze rechtlich geschützte Interessen einzelner Arbeitnehmer.

Zwar kann der Betriebsrat - wie sich mittelbar aus § 83 BetrVG ergibt - nicht die Vorlage der gesamten Personalakte verlangen (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 80 Rz 36 a; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 80 Rz 49; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 80 Rz 31; a. A. Pfarr, AuR 1976, 198). Der Arbeitgeber kann aber nicht den Einblick in Unterlagen, die die Durchführung von Betriebsvereinbarungen betreffen, dadurch verwehren, daß er sie zur Personalakte nimmt. So ist allgemein anerkannt, daß im Einzelfall der Arbeitgeber konkrete Informationen auch aus der Personalakte erteilen muß, wenn diese Informationen für die Aufgabenerfüllung des Betriebsrats erforderlich sind (so unter Bezugnahme auf die Ausschußmaterialien zum BetrVG 1972 Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO; Galperin/Löwisch, aaO). Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht hervorgehoben hat, ist das Persönlichkeitsrecht des einzelnen Arbeitnehmers hinreichend dadurch geschützt, daß die Mitglieder des Betriebsrats gemäß § 79 BetrVG zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (BAGE 25, 75, 80 = AP Nr. 2 zu § 80 BetrVG 1972 mit Anmerkung Hanau; Kleveman, AuR 1988, 316, 317). Der Senat hat weiterhin mehrfach ausgesprochen, daß gegenüber dem kollektivrechtlich begründeten Einsichtsrecht die Individualinteressen zurückzutreten haben (BAGE 25, 292, 300 = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972, zu III 7 der Gründe; Beschluß vom 30. April 1974 - 1 ABR 33/73 - AP Nr. 1 zu § 118 BetrVG 1972; BAGE 35, 342, 351, 352 = AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972, zu B IV der Gründe). Der 6. Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und zusätzlich darauf verwiesen, daß dem Arbeitgeber schon deshalb kein Leistungsverweigerungsrecht zustehen könne, weil er insoweit unzulässigerweise Rechte Dritter einwende (Beschluß vom 17. Februar 1983 - 6 ABR 33/81 -, zu II 2 der Gründe, BB 1983, 1214).

c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht keine Verdrängung der Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats durch den Gesamtbetriebsrat oder die in den Betriebsvereinbarungen und der Protokollnotiz vom 29. November 1983 eingesetzten paritätischen Kommissionen angenommen. Die Kommissionen haben speziellere Aufgaben. Sie sind zuständig für die Kontrolle einer einzelnen Beurteilung bei Widerspruch des Arbeitnehmers (Betriebsvereinbarung zur Leistungsbeurteilung) oder für die Überprüfung der auf Unternehmensebene zusammengefaßten Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt der kollektiven Verteilungsgerechtigkeit und der Entwicklung möglicher Verbesserungsvorschläge (Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Leistungszulagen in Verbindung mit der Protokollnotiz).

Die Frage, ob ein Unterrichtungsanspruch durch eine Betriebsvereinbarung verdrängt werden kann, ist bisher vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden worden (Senatsbeschluß vom 15. Juli 1986 - 1 ABN 10/86 -, zu II 3 der Gründe, nicht veröffentlicht). Der Senat ist der Überzeugung, daß die den örtlichen Betriebsräten zustehende Überwachungsaufgabe nicht durch den Abschluß einer Betriebsvereinbarung über mitbestimmungspflichtige Maßnahmen (Leistungsbeurteilung, betriebliche Lohngestaltung) auf den Gesamtbetriebsrat verlagert wird. Wie der Senat in der sogenannten PAN AM-Entscheidung (BAGE 44, 285, 322 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, zu C VII 1 der Gründe) näher ausgeführt hat, besteht hinsichtlich der Regelung der Überwachung kein Mitbestimmungsrecht. Die Einzelheiten des "Ob" und des "Wie" der Überwachung sind deshalb auch nicht regelungsbedürftig, sondern nur regelungsfähig. Ist aber eine Angelegenheit nicht regelungsbedürftig, so kann für den Gesamtbetriebsrat keine originäre Zuständigkeit gegeben sein. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist nämlich der Gesamtbetriebsrat nur zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die nicht durch einzelne Betriebsräte geregelt werden können. Bedarf die Wahrnehmung der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 BetrVG aber keiner Regelung, versagt für diesen Fall die in § 50 Abs. 1 BetrVG vorgesehene Zuständigkeitsregelung nach dem Subsidiaritätsprinzip, die auf die Ausübung von Mitbestimmungsrechten abstellt (Dietz/Richardi, aaO, § 80 Rz 57). Die Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 BetrVG hat für seinen Betrieb daher stets der einzelne Betriebsrat. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Frankfurter Betriebsrat den Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 2 BetrVG beauftragt hätte, die Frage der Überwachung der Durchführung der Betriebsvereinbarungen für ihn zu regeln. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Betriebsrat hat unwidersprochen in der mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht erklärt, den Gesamtbetriebsrat insoweit nicht bevollmächtigt zu haben.

2.a) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung für die außertariflichen Angestellten vom Einblicksrecht ausgenommen. Es hat ausgeführt, der Betriebsrat verfüge auch nach Einsichtnahme in die gewünschten Unterlagen noch nicht über genügend Informationen, um die Höhe des Gehaltes nachrechnen zu können. Dem liegt die unrichtige Ansicht zugrunde, die Einsichtnahme sei nur erforderlich, wenn der Betriebsrat die Höhe des dem einzelnen Angestellten zustehenden Gehalts nachrechnen wolle. Das Überwachungsrecht des Betriebsrates nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist aber nicht auf das Nachrechnen beschränkt. Es gehört sowohl zu den Aufgaben des Betriebsrats, umfassend die Durchführung der Betriebsvereinbarung vom 1. Oktober 1986 auf Anwendungsfehler zu überwachen als auch gemäß § 75 BetrVG darauf zu achten, daß bei gleichen Ergebnissen in der Leistungsbeurteilung einzelne oder bestimmte Gruppen von Angestellten nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden. Der Einblick in die Ergebnisse der Leistungsbeurteilungsaktion ist für die Erfüllung seiner Aufgaben nützlich; denn die regelmäßig stattfindende Neufestlegung der Gehälter der außertariflichen Angestellten ist nach der Nr. 4.1.1 der betreffenden Betriebsvereinbarung auch von dem festgestellten Leistungsergebnis abhängig. Darauf, ob der Betriebsrat nach der Einsichtnahme die Gehaltsentwicklung aller AT-Angestellten im einzelnen rechnerisch voll nachvollziehen kann, kommt es nicht an. Es reicht aus, daß der Betriebsrat durch den Einblick in die Ergebnisse der Leistungsbeurteilung Anhaltspunkte für Unterschiede in der Gehaltsentwicklung erhalten und sich bei besonderen Auffälligkeiten durch ergänzende Auskünfte weiter sachkundig machen kann.

b) Der Rechtsstreit hat insoweit auch nicht an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden müssen, da die vom Arbeitgeber erhobene Verfahrensrüge nach § 139 ZPO keinen Erfolg haben konnte. Der Sache nach betrifft sie überflüssigen Vortrag zu der Frage, welcher Anlaß dem Einsichtsverlangen des Betriebsrats zugrunde liegt. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bedarf es keiner Darlegung eines Anlasses, da der Einblick "jederzeit" zu gewähren ist (BAGE 35, 342 = AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 3. Dezember 1981 - 6 ABR 60/79 - AP Nr. 16 zu § 80 BetrVG 1972).

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Bayer Paschen

 

Fundstellen

Haufe-Index 437001

BAGE 60, 311-323 (LT1-2)

BAGE, 311

BB 1989, 1268-1269 (LT1-2)

DB 1989, 1032-1033 (LT1-2)

BetrVG, (1) (LT1-2)

ASP 1989, 164 (K)

Gewerkschafter 1989, Nr 7, 38-38 (T)

JR 1989, 396

NZA 1989, 393-396 (LT1-2)

RdA 1989, 136

SAE 1989, 265-269 (LT1-2)

AP § 92 ArbGG 1979 (LT1-2), Nr 5

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XII Entsch 153 (LT1)

AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVA Entsch 38 (LT2)

AR-Blattei, ES 160.12 Nr 153 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.14.1 Nr 38 (LT2)

DuD 1990, 527-528 (S1-7)

EzA § 80 BetrVG 1972, Nr 33 (LT1-2)

RDV 1989, 126-129 (LT2,ST1)

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