Entscheidungsstichwort (Thema)

Rhetorikseminar für Betriebsräte

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung "Sprechwirksamkeit - ich als Interessenvertreter in Rede und Gespräch" ist nicht im Sinne von § 37 Abs 6, § 40 Abs 1 BetrVG erforderlich.

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 25.01.1993; Aktenzeichen 3 TaBV 90/92)

ArbG Köln (Entscheidung vom 17.06.1992; Aktenzeichen 10 BV 87/92)

 

Gründe

I. Der antragstellende Betriebsrat verlangt von der beteiligten Arbeitgeberin, an das beteiligte Betriebsratsmitglied P für dessen Teilnahme an einem vom DGB-Bildungswerk in der Zeit vom 5. bis 17. Januar 1992 durchgeführten Seminar "Sprechwirksamkeit - ich als Interessenvertreter in Rede und Gespräch" 113,-- DM Fahrtkosten sowie 13 Tagegelder zu je 25,20 DM auf der Grundlage der betrieblichen Spesenregelung zu zahlen.

Die Teilnahme des Beteiligten P beruhte auf einem Betriebsratsbeschluß vom 24. Oktober 1991. Damals war Herr P freigestelltes Betriebsratsmitglied; seit Januar 1992 ist er stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.

Das von ihm besuchte Seminar hatte folgenden Inhalt:

"Begrüßung, Vorstellung, Einführung

Darstellung und Diskussion von Seminarplan und

Erwartungen

Sprachliche Kommunikation in Betrieb und Verwal-

tung

Anforderungen an Redenden und Hörenden

Ursache von und Umgang mit Lampenfieber

Verminderung der Wirksamkeit des Gesprochenen

durch:

- falsche Atmung, unscharfe Artikulation

- Überschreitung der Indifferenzlage

- Sprechen im Schreibstil

- monotones Sprechen

Übungen in Gruppen

- Verarbeiten von Gesetzestexten, Beschlüssen,

Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen durch

richtiges Vorlesen

Wirkung durch sinnfassendes Lesen

Leseübungen in zwei Gruppen

- Überzeugungsrede für die betriebliche Praxis

in Form der freien Rede

- Darstellung der Methode

- Besprechung einer Übungsrede/Stichwortkonzept

- Vorbereitung der Redeübung in Kleingruppen

Redeübung in zwei Gruppen

Eingehende Besprechung jeder Redeleistung nach

- Sprechausdruck

- Sprachausdruck

- Plansprechen

dazu: Besprechung der rhetorischen Einzelfragen

Vertiefung der rhetorischen Einzelfragen

bish.-Gruppen

Darstellungen im Plenum

- Einführung der 2. Redeübung

- Sachgebiet: BetrVG/PersVG

- Zielsatz: BetrR/PersR unterstützen

- Hörerinnen: Auszubildende

- Erklärung der Erarbeitungsmethode einer Rede-

unterlage

- Vorbereitung eines Redeplanes nach rotem Faden

in Kleingruppen

Präsentation der Gruppenergebnisse im Plenum

sowie Besprechung der erarbeiteten Redepläne

- Erarbeitung eines eigenen Redeplanes durch

jeden/jede Teilnehmer(in)

- Übung der Rede in zwei Gruppen mit Videoanaly-

se

- Besprechung der Redeleistung des Stichwortkon-

zeptes eines/einer jeden Teilnehmers/Teilneh-

merin

Redeübung mit überarbeitetem Redeplan:

Abstraktionsübung

- Aufbauprinzipien einer Überzeugungsrede (Sach-

vortrages):

Besprechung einer weiteren Redeübung

- Sachgebiet: selbst gewählt aus Funktionstätig-

keit

- Zuhören: der konrollierte Dialog

- Übungen in Gruppen

Übungen;

- Zielgerichtetes Argumentieren

Der kontrollierte Dialog in Zeitgesprächen

Vorbereitung einer Redeaufgabe

Selbst erarbeitete Rede zu einer betrieblichen

Thematik

Übung in zwei Gruppen

Besprechung nach: Sprechausdruck, Redeaufbau, Ar-

gumentation

(Hörer/Ziel), Stichwortunterlage

Überarbeitung der selbst erarbeiteten Rede

Die Beziehungsebene in Rede- und Gesprächssitua-

tionen.

Darstellung mit Diskussion eines Kommunikations-

modells.

Das Verhalten im Gespräch.

Rollenspiele im Plenum

Gesprächsübungen für die Betriebs-/Personalrats-

sitzung und das Gespräch mit dem Arbeitgeber.

Rollenspiele im Plenum.

Redeübung mit Videoaufzeichnung in zwei Gruppen

(überarbeitete, selbst erarbeitete Rede)

Gliederung von Gesprächsbeiträgen in Sitzung und

Versammlung, Verhandlung.

Aufbau nach der 5-Satz-Methode.

Darstellung und Übung in zwei Gruppen.

4. Redeübung.

Kurze Redevorträge zu selbst gewählter Thematik

Übung in zwei Gruppen.

Abschlußbesprechung."

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die Erforderlichkeit der Seminarteilnahme des Beteiligten P ergebe sich aus dessen konkreten Aufgaben im Betriebsrat. Wegen einer langen Erkrankung des Betriebsratsvorsitzenden N habe er schon vor seiner Wahl zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden die Aufgaben von Herrn N weitgehend wahrnehmen müssen, insbesondere habe er Betriebs- und Abteilungsversammlungen moderieren und gestalten müssen. Auf diesem Gebiet habe er als gewerblicher Arbeitnehmer (Monteur) keine Erfahrungen gehabt.

Der Betriebsrat hat beantragt,

die beteiligte Arbeitgeberin zu verpflichten, an

das beteiligte Betriebsratsmitglied P

441,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. April

1992 zu zahlen.

Die beteiligte Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds P an dem Seminar sei zur Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Betriebsrats nicht erforderlich gewesen. Es habe sich um ein allgemeines Rhetorik- und Persönlichkeitsseminar gehandelt, auf dem keine für die Aufgaben des Betriebsrats spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern solche allgemeiner Art vermittelt worden seien.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Das erst vom Senat beteiligte Betriebsratsmitglied P hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Denn das Landesarbeitsgericht hat die Teilnahme des Beteiligten P an der Schulungsveranstaltung mit rechtsfehlerfreier Begründung für nicht erforderlich gehalten.

1. Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die Vorinstanzen das Betriebsratsmitglied P zu Unrecht nicht am Verfahren beteiligt hatten. Denn hierauf beruht der angefochtene Beschluß nicht.

Der Senat hat den Beteiligten P am Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligt. Dieser hat daraufhin durch seinen Verfahrensbevollmächtigten vortragen lassen, was er bei rechtzeitiger Beteiligung ausgeführt hätte. Aus diesem Sachvortrag ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Frage der Teilnahme des Betriebsratsmitglieds P an der Schulungsveranstaltung unter Berücksichtigung dieses Sachvortrags anders als durch die Vorinstanzen geschehen zu beurteilen gewesen wäre. Denn dieser Sachvortrag besteht im wesentlichen nur aus einer Wiederholung der Darstellung der besonderen Aufgaben des Beteiligten P im Betriebsrat, wie sie schon in den Vorinstanzen vom Betriebsrat im einzelnen vorgetragen worden war.

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme des Beteiligten P mit eingehender Begründung und insbesondere unter Würdigung seiner besonderen Aufgaben im Betriebsrat verneint. Diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

a) Die Würdigung des Beschwerdegerichts, ob die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG bzw. die dadurch verursachten Kosten im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG erforderlich waren, kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur eingeschränkt nachgeprüft werden. Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Beschwerdegericht ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Anwendung des Rechtsbegriffs durch das Beschwerdegericht ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nur darauf überprüfbar, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt wurde und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgenommen worden ist (vgl. z.B. BAG Urteil vom 16. März 1988 - 7 AZR 557/87 - AP Nr. 63 zu § 37 BetrVG 1972, zu II der Gründe, m.w.N.).

b) Derartige Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts sind weder von der Rechtsbeschwerde aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Beurteilung der Erforderlichkeit zutreffend die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt. Danach ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten nur dann für die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen und demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben sachgerecht wahrnehmen können; Kenntnisse, die für die Betriebsratsarbeit nur verwertbar und nützlich sind, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. insbesondere BAG Urteil vom 16. März 1988, aaO). Bei seiner Beschlußfassung hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob aus späterer Sicht rückblickend betrachtet die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung im streng objektiven Sinn erforderlich war. Die gerichtliche Kontrolle muß sich darauf beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter dem im Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebenen Umständen ebenfalls eine derartige Entscheidung getroffen hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG Urteil vom 16. März 1988, aaO).

3. Auch bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den Entscheidungsfall ist dem Landesarbeitsgericht kein Rechtsfehler unterlaufen. Es hat ausführlich begründet, weshalb die Teilnahme des Beteiligten P an dem vorliegenden, im wesentlichen der Förderung von Sprechtechniken dienenden Seminar auch unter Berücksichtigung seiner besonderen Aufgaben als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender nicht erforderlich war. Dabei hat es sich zu Recht auch darauf berufen, daß derartige Veranstaltungen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bisher noch nie als erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG angesehen wurden. Im Beschluß vom 6. November 1973 (BAGE 25, 357 = AP Nr. 6 zu § 37 BetrVG 1972) hat das Bundesarbeitsgericht eingehend begründet, warum eine Schulungsveranstaltung "Diskussion, Versammlung und Verhandlungstechnik" nicht als erforderlich angesehen werden kann. Im Beschluß vom 15. August 1978 (- 6 ABR 65/76 -, unveröffentlicht) hat das Bundesarbeitsgericht mit eingehender Begründung ein Seminar "Rhetorik und Persönlichkeitsbildung" noch nicht einmal als geeignet im Sinne des § 37 Abs. 7 BetrVG anerkannt.

Insbesondere auch unter Berücksichtigung dieses Rechtsprechungsstandes kann die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern - auch in herausgehobener Funktion wie der eines Betriebsratsvorsitzenden - an Schulungsveranstaltungen, die wie die vorliegende im wesentlichen lediglich der Verbesserung von Sprech- und Argumentationstechniken dienen, nicht als für die Betriebsratsarbeit erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG angesehen werden. Die Vervollkommnung derartiger Fertigkeiten mag insbesondere für Betriebsratsvorsitzende, die aus dem Kreis der gewerblichen Arbeitnehmer stammen, sinnvoll und wünschenswert sein. Unter Beachtung der gesetzlichen Regelung, nach der insbesondere in Industriebetrieben regelmäßig einem gewerblichen Arbeitnehmer das Amt des Betriebsratsvorsitzenden zuwächst, kann jedoch nicht angenommen werden, der Gesetzgeber gehe davon aus, daß eine sach- und fachgerechte Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben nur durch Schulung in derartigen Rede- und Argumentationstechniken möglich sei. Damit aber entfällt auch jeder Anhaltspunkt dafür, daß gerade der Beteiligte P infolge seiner besonderen Aufgaben im Betriebsrat, die nach seiner Darstellung schon im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats den Umfang der Tätigkeiten eines stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden angenommen haben, seine Aufgaben ohne eine derartige Schulung nicht sach- und fachgerecht habe wahrnehmen können. Zu einer besonderen aktuellen betrieblichen Situation, aus der sich eventuell etwas anderes ergeben könnte, hat der Betriebsrat nichts vorgetragen. Auch der Beteiligte P hat in seinen Ausführungen vor dem Senat hierzu nichts dargelegt, was über seine herausgehobene Stellung als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender hinausginge.

Dr. Seidensticker Kremhelmer Dr. Steckhan

Neumann Stappert

 

Fundstellen

Haufe-Index 440970

BB 1994, 139

BB 1994, 139 (LT1)

DB 1994, 282-283 (LT1)

BetrR 1994, 9-11 (LT1)

BetrVG, (4) (LT1)

EzB BetrVG § 37, Nr 154 (LT1)

ARST 1994, 27 (LT1)

NZA 1994, 190

NZA 1994, 190-191 (LT1)

AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 91

AR-Blattei, ES 530.8.1 Nr 69 (LT1)

EzA-SD 1994, Nr 1/2, 24-25 (LT1-2)

EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 115 (LT1)

ZfPR 1994, 95 (L)

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