Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde bei Arbeitskampfstreitigkeiten

 

Leitsatz (redaktionell)

Unerlaubte Handlung im Sinne von § 2 Abs 1 Nr 2 und § 72a Abs 1 Nr 3 ArbGG ist auch das Verhalten eines Mitglieds einer Koalition, das in Ausübung seines Rechts auf koalitionsmäßige Betätigung erfolgt - hier Verweigerung von Streikarbeit -, sich aber als unzulässig erweisen kann, und das Verhalten einer Tarifvertragspartei, das darauf gerichtet ist, eine koalitionsmäßige Betätigung zu behindern oder zu sanktionieren.

 

Normenkette

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 72a Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 14.01.1987; Aktenzeichen 2 Sa 1032/86)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 16.04.1986; Aktenzeichen 9 Ca 214/85)

 

Gründe

I. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt. Anläßlich eines Fluges von Frankfurt nach Barcelona und zurück konnte das Flugzeug in Barcelona nicht wie vereinbart von Reinigungskräften des Flughafens gereinigt werden, da diese sich in einem Generalstreik befanden. Das Flugzeug wurde daher von Angestellten der Station der Beklagten in Barcelona und den Mitgliedern der Besatzung gereinigt. Der Aufforderung, sich an den Reinigungsarbeiten zu beteiligen, kam die Klägerin nicht nach. Sie begründete ihre Weigerung damit, daß die Reinigung des Flugzeuges nicht zu ihren Aufgaben als Flugbegleiterin gehöre und daß sie es als Gewerkschafterin ablehne, Streikbrecherarbeit durchzuführen. Die Beklagte hat über diesen Vorfall eine Notiz zu den Personalakten der Klägerin genommen. Die Klage der Klägerin, diese Notiz aus den Personalakten zu entfernen, hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Reinigung des Flugzeuges in diesem Falle mit zu den Aufgaben der Klägerin gehört habe und daß das Recht, Streikarbeit zu verweigern, sich nicht auf Streiks beziehe, die von ausländischen Arbeitnehmern im Ausland geführt würden. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet.

1. Nach § 72 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG ist auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und Rechtsstreitigkeiten betrifft zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt. Es sind dies die gleichen Rechtsstreitigkeiten, für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet ist.

Der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG und damit auch im Sinne von § 72 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG ist weit auszulegen. Die Vorschrift will mit ihrer weiten Fassung ersichtlich alle Rechtsstreitigkeiten aus der Beteiligung der Koalitionen am Arbeitskampf und aus ihrer Betätigung am Arbeitsleben erfassen, deren Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit umstritten ist. Unerlaubte Handlung im Sinne dieser Vorschriften ist daher nicht nur ein unter § 823 BGB zu subsumierendes Verhalten, sondern jedes Verhalten, das als Maßnahme zum Zwecke des Arbeitskampfes oder als Betätigung der Koalition sich als rechtswidrig darstellen kann (BAGE 14, 282 = AP Nr. 5 zu Art. 9 GG; BAGE 17, 218 = AP Nr. 6 zu Art. 9 GG und BAGE 30, 122 = AP Nr. 26 zu Art. 9 GG). Unerlaubte Handlung im Sinne dieser Vorschrift ist daher auch das Verhalten einer Tarifvertragspartei im Arbeitskampf, das sich als Verstoß gegen Rechte des Tarifpartners erweisen kann (Urteil des Senats vom 10. September 1985 - 1 AZR 262/84 - AP Nr. 86 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). In gleicher Weise ist daher unerlaubte Handlung im Sinne dieser Vorschrift das Verhalten eines Mitglieds einer Koalition, das in Ausübung seines Rechts auf koalitionsmäßige Betätigung erfolgt, sich aber als unzulässig erweisen kann, ebenso wie das Verhalten einer Tarifvertragspartei oder eines Dritten, das darauf gerichtet ist, dieses Recht auf koalitionsmäßige Betätigung zu behindern oder zu sanktionieren und sich als rechtswidrig erweisen kann.

Die Klägerin hat ihre Weigerung, an der Reinigung des Flugzeuges mitzuwirken, auch damit begründet, daß sie als Mitglied einer Gewerkschaft und damit einer Vereinigung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG berechtigt sei, Streikbrecherarbeit zu verweigern. Darüber, ob diese Ansicht der Klägerin zutrifft, streiten die Parteien. Die Beklagte hat auf das Verhalten der Klägerin mit der Aufnahme einer Notiz zur Personalakte reagiert. Auch darüber, ob die Beklagte dazu berechtigt war, streiten die Parteien. Erweist sich das Verhalten der Klägerin als unzulässig, stellt es sich als eine unerlaubte Handlung zum Zwecke des Arbeitskampfes, nämlich zur Unterstützung des Arbeitskampfes der spanischen Reinigungskräfte, dar. Erweist sich die Aufnahme der Aktennotiz in die Personalakte der Klägerin als nicht gerechtfertigt, ist darin eine unerlaubte Handlung im Sinne der genannten Vorschriften zu sehen, die im Zusammenhang steht mit dem Recht auf koalitionsmäßige Betätigung der Klägerin.

Die Beklagte ist als Arbeitgeberin eine tariffähige Partei und selbst Tarifvertragspartei, die Klägerin Dritte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 72 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Es handelt sich daher vorliegend um eine sogenannte privilegierte Streitigkeit, in der die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auch durch das Bundesarbeitsgericht zugelassen werden kann.

der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAGE 32, 203 = AP Nr. 1 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz). Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Entscheidung der Frage, ob die Klägerin die Reinigungsarbeiten als Streikarbeiten verweigern durfte, bedarf für die Entscheidung des Rechtsstreits der Beantwortung. Sie ist daher klärungsfähig. Sie bedarf auch der Klärung, weil vom Bundesarbeitsgericht bislang nicht entschieden worden ist, ob ein Arbeitnehmer eine Arbeit als Streikarbeit auch dann verweigern kann, wenn die Arbeit ohne einen Streik von Arbeitnehmern eines anderen, gar eines ausländischen Betriebes verrichtet worden wäre. Die Entscheidung dieser Frage ist von allgemeiner Bedeutung für die Arbeitskampfordnung und berührt wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen angesichts der bestehenden Verflechtungen in Produktions- und Dienstleistungsprozessen die Interessen der Allgemeinheit im Arbeitsleben.

Damit ist die Nichtzulassungsbeschwerde begründet.

3. Die Klägerin kann nunmehr gegen das im Tenor genannte Urteil des Landesarbeitsgerichts innerhalb einer Frist von einem Monat seit Zustellung dieses Beschlusses Revision beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 3500 Kassel, einlegen.

Die Revision ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich zu begründen. Revision und Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Breier Paschen

 

Fundstellen

BB 1987, 2099

BB 1987, 2099-2100 (LT)

DB 1987, 2264-2264 (T)

ARST 1988, 58-58 (LT)

RdA 1987, 384

AP § 72a ArbGG 1979 Grundsatz (LT1), Nr 33

AR-Blattei, Arbeitskampf I Entsch 27 (LT1)

AR-Blattei, ES 170.1 Nr 27 (LT1)

EzA § 72a ArbGG 1979, Nr 49 (LT)

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