Entscheidungsstichwort (Thema)

Elementare Verfahrensgrundsätze der Einigungsstelle

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es gehört zu den elementaren Grundsätzen des Einigungsstellenverfahrens, daß die abschließende mündliche Beratung und Beschlußfassung in Abwesenheit der Betriebsparteien erfolgt.

2. Ein Verstoß gegen diesen Verfahrensgrundsatz führt zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 23.03.1993; Aktenzeichen 13 TaBV 129/92)

ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 25.06.1992; Aktenzeichen 6 BV 36/92)

 

Tatbestand

Gründe

A. Der Betriebsrat begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Der beteiligte Arbeitgeber betreibt die Herstellung und den Vertrieb von Möbeln und beschäftigt etwa 220 Arbeitnehmer. Auf Antrag des Arbeitgebers wurde Anfang April 1992 eine Einigungsstelle zur Frage der Einführung von Schichtarbeit gebildet. Vorsitzender der Einigungsstelle war der Landesschlichter P. K . Vom Arbeitgeber bestellte Beisitzer waren die Herren D (Geschäftsführer des Unternehmerverbandes für den Kreis G ) und K (Unternehmensberater). Vom Betriebsrat bestellte Beisitzer waren die Herren Dr. P (Rechtsanwalt und jetziger Verfahrensbevollmächtigter des Betriebsrats) und W (Vertreter der Gewerkschaft Holz und Kunststoff). Außerdem nahmen an den Sitzungen und Beratungen der Einigungsstelle als "Verfahrensbevollmächtigte" auf Arbeitgeberseite der damalige Geschäftsführer L und der damalige leitende Angestellte und jetzige Geschäftsführer Lö teil, sowie auf Betriebsratsseite der damalige Betriebsratsvorsitzende G und das damalige Betriebsratsmitglied, der jetzige Betriebsratsvorsitzende B . Die Sitzungen der Einigungsstelle fanden am 3. und 10. April 1992 statt. In der Sitzung vom 10. April 1992 beschloß die Einigungsstelle mit der Stimme des Vorsitzenden und den Stimmen der von Arbeitgeberseite bestellten Beisitzer einen Spruch über die Einführung von Schichtarbeit zusätzlich zu den bestehenden Schichten. Das Protokoll der Sitzung vom 10. April 1992 ist den Beteiligten und den Beisitzern der Einigungsstelle am 15. April 1992 zugegangen. Mit seinem am 24. April 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz macht der Betriebsrat geltend, der Spruch der Einigungsstelle sei unwirksam.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Spruch sei schon deshalb unwirksam, weil die "Verfahrensbevollmächtigten" der Beteiligten an den Beratungen der Einigungsstelle teilgenommen hätten und auch bei der Abstimmung zugegen gewesen seien. Außerdem hat der Betriebsrat vorgetragen, der Einigungsstellenspruch weise erhebliche Ermessensfehler auf und verstoße gegen Bestimmungen des Manteltarifvertrages.

Der Betriebsrat hat beantragt:

1. Der Spruch der Einigungsstelle vom 10. April

1992 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß der Beschluß der Ei-

nigungsstelle vom 10. April 1992 unwirksam

ist.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, die Teilnahme der "Verfahrensbevollmächtigten" an den Beratungen und ihre Anwesenheit bei der Abstimmung der Einigungsstelle sei unschädlich. Der Spruch sei weder ermessensfehlerhaft noch verstoße er gegen Bestimmungen des Manteltarifvertrages.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 25. Juni 1992 den Antrag zu 1) des Betriebsrats zurückgewiesen und dem Antrag zu 2) stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Spruch sei unwirksam, weil an der Beratung der Einigungsstelle außer den Mitgliedern der Einigungsstelle auch die "Verfahrensbevollmächtigten" teilgenommen hätten. Das Landesarbeitsgericht hat durch Beschluß vom 23. März 1993 die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Abweisungsantrag weiter, während der Betriebsrat bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die gerichtliche Rechtskontrolle der Einigungsstellensprüche sich nicht auf die inhaltliche Prüfung des Spruchs beschränkt, sondern auch Verstöße gegen elementare Verfahrensvorschriften über Bildung, Verhandlung und Beschlußfassung der Einigungsstelle zu berücksichtigen sind, selbst wenn dies von keinem Beteiligten gerügt worden ist (Senatsbeschluß vom 18. April 1989, BAGE 61, 305 = AP Nr. 34 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 2 a Rz 25; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 99; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 42; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 76 Rz 33 c; Schönfeld, Grundsätze der Verfahrenshandhabung der Einigungsstelle, NZA 1988, Beilage 4 S. 3, 4). Etwas anderes gilt nur, wenn die Verfahrensfehler zwischenzeitlich geheilt sind oder die Geltendmachung verwirkt ist (Schönfeld, aaO, S. 5). Darauf, ob der beschwerte Beteiligte den Rechtsverstoß gerügt hat, kommt es nicht an, denn das Arbeitsgericht entscheidet im Rahmen der Rechtskontrolle über die Unwirksamkeit des Spruchs, nicht aber über die Begründetheit bestimmter Rügen (Senatsbeschluß vom 18. April 1989, aaO, zu B II 1 a der Gründe).

II.1. Das Verfahren vor der Einigungsstelle wird im BetrVG nur unvollkommen geregelt. § 76 Abs. 3 BetrVG schreibt lediglich die mündliche Beratung, die Abstimmung durch den Spruchkörper, den Abstimmungsmodus und die Niederlegung sowie Zuleitung der Beschlüsse vor. Von der in § 76 Abs. 4 BetrVG vorgesehenen Möglichkeit, die weiteren Einzelheiten in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, haben die Beteiligten im vorliegenden Falle keinen Gebrauch gemacht. Damit gewährt das Einigungsstellenverfahren im Interesse einer effektiven Schlichtung der Einigungsstelle einen Freiraum, der jedoch nicht unbeschränkt ist, sondern durch allgemein anerkannte elementare Verfahrensgrundsätze begrenzt ist (Senatsbeschluß vom 18. April 1989, aaO, zu B II 1 b der Gründe; Schönfeld, aaO, S. 6, 8). Diese Grundsätze entnimmt der Senat dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1) und andererseits der Funktion der Einigungsstelle als eines Organs, das normative Regelungen erzeugt.

2.a) Zu den elementaren Verfahrensgrundsätzen gehört, daß die Einigungsstelle ihre Beschlüsse aufgrund nichtöffentlicher mündlicher Beratung faßt.

Dieses Ergebnis folgt nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 76 Abs. 3 BetrVG. Allerdings spricht schon der Wortlaut "die Einigungsstelle faßt ihre Beschlüsse nach mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit" eher dafür, daß die mündliche Beratung und Beschlußfassung in Abwesenheit der Beteiligten zu erfolgen hat; nach dem Gesetzeswortlaut berät die Einigungsstelle und nicht die Einigungsstelle zusammen mit Arbeitgeber und Betriebsrat.

b) Das Landesarbeitsgericht unterscheidet die Verfahrensabschnitte mündliche Verhandlung einerseits und mündliche Beratung mit Beschlußfassung andererseits. Diese Unterscheidung ist insofern etwas mißverständlich, als ihr der Eindruck entnommen werden könnte, das Verfahren vor der Einigungsstelle folge den Grundsätzen eines justizförmigen Verfahrens mit zwei streng voneinander getrennten und aufeinander folgenden Verfahrensabschnitten der mündlichen Verhandlung und Beratung mit Beschlußfassung. Die Einigungsstelle ist aber kein Gericht. Sie übt auch im verbindlichen Verfahren keine richterliche Tätigkeit aus (allgemeine Meinung: vgl. BVerfG Beschluß vom 18. Oktober 1986 - 1 BvR 1426/83 - EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 38; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 63). Die Einigungsstelle ist ein betriebsverfassungsrechtliches Hilfsorgan eigener Art zu dem Zweck, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der betrieblichen Ordnung zu gewährleisten. Sie ist dazu bestimmt, durch Zwangsschlichtung Pattsituationen im Bereich der paritätischen Mitbestimmung aufzulösen (BVerfG Beschluß vom 11. Oktober 1986, aaO). Soweit ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, hat er grundsätzlich keinen anderen Rechtscharakter als eine entsprechende Vereinbarung der Betriebspartner. Die Einigungsstelle soll die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen. Deshalb ist es nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, daß die Beteiligten vor der Einigungsstelle selbst zu Wort kommen und ihre Positionen darlegen können. Soweit die Einigungsstelle die Einigung der Parteien ersetzt, ist es von besonderer Bedeutung, daß die Betriebsparteien die Möglichkeit haben, ihre unterschiedlichen Auffassungen zu der Regelungsfrage und Lösungsvorschläge zunächst ungefiltert selber darstellen zu können, damit der unparteiische Vorsitzende sich ein Bild über den Streitstoff und die Lösungsmöglichkeiten machen kann. Das ist von besonderer Bedeutung, wenn - wie vorliegend - die von beiden Seiten benannten Beisitzer in der Einigungsstelle betriebsfremd sind. Dementsprechend ist es so gut wie einhellige Meinung, daß die mündliche Verhandlung vor der Einigungsstelle parteiöffentlich ist (Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 46; Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 64; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 76 Rz 21; Kreutz, GK-BetrVG, § 76 Rz 78; Heinze, RdA 1990, 262, 266 f.; Pünnel, Die Einigungsstelle des BetrVG 1972, 3. Aufl., Rz 53 und 67 ff.; Schönfeld, Das Verfahren vor der Einigungsstelle, 1988, S. 148).

c) Das ändert aber nichts daran, daß das Organ der Einigungsstelle anstatt der Betriebsparteien über die Regelungsfrage zu entscheiden hat, wenn Arbeitgeber und Betriebsparteien sich in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit nicht einigen können. Deshalb hat der Vorsitzende, nachdem der Regelungsstreit und die denkbaren Lösungsmöglichkeiten erschöpfend mit den Betriebsparteien erörtert worden sind, sich mit den Beisitzern der Einigungsstelle zur Schlußberatung und Abstimmung zurückzuziehen. Dies kann auch mit dem Landesarbeitsgericht als Schließung der mündlichen Verhandlung und Eintritt in die Beratung der Einigungsstelle bezeichnet werden. Entscheidend ist, daß die Schlußberatung und Abstimmung der Einigungsstelle in Abwesenheit der Vertreter der Betriebsparteien erfolgt. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich aus der Schlichtungsfunktion der Einigungsstelle. Auch wenn sie kein Gericht ist, so soll sie doch nach dem Gesetz unabhängig von den unmittelbar betroffenen beteiligten Parteien sein. Dementsprechend entspricht es allgemeiner Meinung, daß die Beisitzer der Einigungsstelle nicht an Weisungen von Arbeitgeber oder Betriebsrat gebunden sind. § 76 Abs. 2 BetrVG schreibt vor, daß die Einigungsstelle aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern besteht, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Schon damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß die Mitglieder der Einigungsstelle Abstand von den Betriebsparteien wahren sollen und auch die vom Arbeitgeber und Betriebsrat benannten Beisitzer nicht verlängerter Arm der jeweiligen Betriebspartei sein sollen, sondern mit einer gewissen Unabhängigkeit bei der Schlichtung des Regelungsstreits mitwirken sollen. Diese Überparteilichkeit der Einigungsstelle unterstreicht § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG, wonach die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen faßt. Sowohl die Belange des Betriebs wie der betroffenen Arbeitnehmer sollen angemessen berücksichtigt werden. Dem entspricht die Notwendigkeit eines gewissen Abstands und einer gewissen Unabhängigkeit von den Betriebsparteien. Diese kann nur bestehen, wenn die Einigungsstelle den Regelungsstreit in Abwesenheit der Betriebsparteien mündlich berät und in Abwesenheit der Betriebsparteien ihre Beschlüsse faßt. Dementsprechend wird auch von der ganz herrschenden Meinung die Auffassung vertreten, zu den elementaren Verfahrensgrundsätzen des Einigungsstellenverfahrens gehöre es, daß die mündliche Beratung und Beschlußfassung in Abwesenheit auch der Betriebsparteien erfolgt (Heinze, RdA 1990, 262, 273; Pünnel, aaO, Rz 69, 78, 110; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 76 Rz 46; Hase/von Neumann-Cosel/Rupp/Teppich, Handbuch für die Einigungsstelle, 2. Aufl., S. 90; Schönfeld, Das Verfahren vor der Einigungsstelle, 1988, S. 148 und 244; wohl auch Kreutz, GK-BetrVG, § 76 Rz 81; a.A. nur Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, aaO, § 76 Rz 64).

Gehört es aber zu den elementaren Grundsätzen des Verfahrens vor der Einigungsstelle, daß die Einigungsstelle in Abwesenheit der Betriebsparteien über den Regelungsstreit mündlich berät und die erforderlichen Beschlüsse faßt, so macht ein Verstoß hiergegen den Spruch der Einigungsstelle unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen. Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers zurückzuweisen.

Dr. Weller Dr. Rost Dr. Reinecke

Dr. Feucht Lappe

 

Fundstellen

BAGE, 261

BB 1994, 1145

BB 1994, 1145-1146 (T)

BB 1994, 1214

BB 1994, 1214-1215 (LT1-2)

DB 1994, 838-839 (LT1-2)

DStR 1994, 873 (K)

EBE/BAG 1994, 63-64 (LT1-2)

AiB 1994, 502-503 (LT1-2)

BetrR 1994, 88-90 (LT1-2)

BetrVG, (11) (LT1-2)

EWiR 1994, 433 (S)

JR 1994, 440

JR 1994, 440 (L)

NZA 1994, 571

NZA 1994, 571-572 (LT1-2)

ZIP 1994, 970-972 (LT1-2)

AP § 76 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 51

AR-Blattei, ES 630 Nr 56 (LT1-2)

AuA 1995, 72 (LT1-2)

EzA-SD 1994, Nr 7, 12-14 (LT1-2)

EzA § 76 BetrVG 1972, Nr 63 (LT1-2)

MDR 1994, 693-694 (LT1-2)

ZfPR 1994, 131 (L)

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