Entscheidungsstichwort (Thema)

Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ist im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein freier Arbeitsplatz vorhanden, hat bei der Prüfung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ein künftiger Wegfall von Arbeitsplätzen unberücksichtigt zu bleiben.
  • Es bleibt offen, ob im Beschlußverfahren nach § 78a Abs. 4 BetrVG über ein Feststellungsbegehren des Arbeitgebers entschieden werden kann, wonach ein kraft Gesetzes begründetes Arbeitsverhältnis mit einem Jugend- und Auszubildendenvertreter vor Rechtskraft einer gerichtlichen Auflösungsentscheidung aus anderen Gründen beendet worden ist.
 

Normenkette

BetrVG 1972 § 78a

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Beschluss vom 11.03.1994; Aktenzeichen 3 TaBV 72/93)

ArbG Lüneburg (Beschluss vom 13.07.1993; Aktenzeichen 2 BV 4/93)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitgerichts Niedersachsen vom 11. März 1994 – 3 TaBV 72/93 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten im wesentlichen um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines Jugend- und Auszubildendenvertreters.

Der Beteiligte zu 2) wurde zum Industriemechaniker, Fachrichtung Betriebstechniker, im Werk U… der Arbeitgeberin ausgebildet. Er war seit dem 27. November 1992 Jugend- und Auszubildendenverteter. Am 10. Dezember 1992 verlangte er schriftlich die Weiterbeschäftigung nach Abschluß der Ausbildung. Das Ausbildungsverhältnis endete mit erfolgreicher Abschlußprüfung am 28. Januar 1993.

Am 29. Januar 1993 schloß der Arbeitgeber mit dem Beteiligten zu 2) ebenso wie mit den übrigen Auszubildenden nach bestandener Abschlußprüfung einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 29. Januar bis 31. Juli 1993 als Industriemechaniker unter Hinweis auf den kraft beiderseitiger Tarifbindung geltenden § 14 Ziff. 1e Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Zuckerindustrie vom 7. Oktober 1988 (MTV). Der Beteiligte zu 2) unterzeichnete den Vertrag unter dem Vorbehalt, daß das Arbeitsverhältnis nicht schon im Hinblick auf seine Eigenschaft als Jugend- und Auszubildendenvertreter unbefristet besteht. Er wurde in der “Hauptsichtstation”, die personalmäßig der Abteilung Maschinenmeisterei zugeordnet ist, seiner Ausbildung entsprechend mit Schlosser- und Wartungsarbeiten beschäftigt.

Zum Ende des Jahres 1992 war es auf Grund von Einsparmaßnahmen zur Entlassung von 38 Arbeitnehmern des Werkes U… gekommen. Davon war auch der Bereich der Maschinenmeisterei betroffen. Bis zum Kampagnebeginn 1993 beabsichtigte die Arbeitgeberin, die Belegschaft um weitere 50 Arbeitnehmer zu reduzieren.

Die Arbeitgeberin hält eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) für unzumutbar. Ein freier Arbeitsplatz stehe nicht zur Verfügung. Die befristete Weiterbeschäftigung sei nur auf Grund einer tarifvertraglichen Verpflichtung erfolgt. Der Beteiligte zu 2) sei auf einem Arbeitsplatz beschäftigt worden, der für einen anderen Mitarbeiter bestimmt gewesen sei. Dessen Arbeitsplatz wäre im Zuge der bis zum Kampagnebeginn 1993 umzusetzenden Personalreduzierung weggefallen. Sie sei nicht verpflichtet, anderen Mitarbeitern zu kündigen, um den Kläger weiterbeschäftigen zu können. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze könne von ihr zur Erfüllung einer betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungspflicht nicht verlangt werden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem Beteiligten zu 2) mit Ablauf des 31. Juli 1993 aufzulösen.

Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie halten eine Weiterbeschäftigung für zumutbar, da der Beteiligte zu 2) zum Übernahmezeitpunkt auf einem freien Arbeitsplatz in der “Sichtstation” auf Dauer beschäftigt werden konnte. Dieser Arbeitsplatz habe nicht freigekündigt werden müssen. Dort sei zuvor ein Arbeitnehmer beschäftigt gewesen, der nach Abschluß seiner Meisterprüfung mit anderen Spezialaufgaben betraut worden sei.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr ursprüngliches Antragsziel. Die übrigen Beteiligten haben die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Der Auflösungsantrag der Arbeitgeberin war abzuweisen, weil eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) nach Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses für sie zumutbar war.

1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß zwischen der beteiligten Arbeitgeberin und dem Beteiligten zu 2) nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG mit Wirkung ab 29. Januar 1993 kraft Gesetzes ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Denn der Beteiligte zu 2) war bei der Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses am 28. Januar 1993 Mitglied der Jugendvertretung der Arbeitgeberin. Seine Weiterbeschäftigung hatte er mit Schreiben vom 10. Dezember 1992 rechtzeitig vor dem Beendigungszeitpunkt verlangt.

2. § 78a BetrVG normiert die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitgeber und einem Auszubildenden, der Mitglied eines der in § 78a Abs. 1 BetrVG genannten betriebsverfassungsrechtlichen Organe ist. Sind die dort genannten Voraussetzungen erfüllt, kommt ein Arbeitsverhältnis zustande. Es bleibt bis zur Rechtskraft einer gerichtlichen Auflösungsentscheidung bestehen, auch wenn dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung unzumutbar ist. Die gerichtliche Auflösungsentscheidung wirkt nur zukunftsbezogen (BAG Beschluß vom 29. November 1989, BAGE 63, 319, 334 = AP Nr. 20 zu § 78a BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe).

Vorliegend beruft sich die Arbeitgeberin nicht nur auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung, sondern auch auf eine Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli 1993 befristet war. Ob eine Befristungsvereinbarung Gegenstand eines Beschlußverfahrens nach § 78a Abs. 4 BetrVG sein kann, hat der Senat bisher nicht entschieden. Die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses setzt vorgreiflich dessen Bestehen noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung voraus. Das könnte es nahelegen, auch im Beschlußverfahren zu prüfen, ob das zunächst kraft Gesetzes begründete Arbeitsverhältnis vor Schluß der mündlichen Verhandlung bereits auf andere Weise beendet worden ist. Ob das Verfahren nach § 78a Abs. 4 BetrVG seinem Gegenstand nach allein auf die Klärung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung beschränkt ist oder auch die Prüfung anderer Beendigungstatbestände zum Gegenstand haben kann, bedurfte vorliegend keiner Entscheidung. Auf die Klärung dieser Rechtsfrage kommt es nicht an, weil der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) nicht unzumutbar ist und die Befristung des Arbeitsverhältnisses vom 31. Juli 1993 nur vorbehaltlich des Nichtbestehens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses erfolgt war.

3. Der Auflösungsantrag ist unbegründet. Der Arbeitgeberin ist die Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 2) nach Ende seines Ausbildungsverhältnisses zumutbar.

Bei der Würdigung des Beschwerdegerichts, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände eine Weiterbeschäftigung im Sinne des § 78a Abs. 4 BetrVG unzumutbar ist, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Sie kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf eine Verkennung von Rechtsbegriffen oder Abwägungsfehlern bzw. -defiziten hin überprüft werden (BAG Beschluß vom 29. November 1989, aaO, zu II 3 der Gründe, m.w.N.). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angegriffene Entscheidung stand.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht den unbestimmten Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit nicht verkannt. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit eine Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entnehmen. Danach können betriebliche Gründe nur ausnahmsweise zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters führen. Dazu ist Voraussetzung, daß im Betrieb des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses kein freier, auf Dauer angelegter Arbeitsplatz zur Verfügung steht, auf dem der Jugendvertreter mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann (BAG Beschluß vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78a BetrVG 1972, ständige Rechtsprechung). Als frei ist ein Arbeitsplatz anzusehen, der unbesetzt ist. § 78a Abs. 4 BetrVG dient dem Schutz des Jugend- und Auszubildendenvertreters und der Kontinuität der Amtsführung des betriebsverfassungsrechtlichen Organs. Fehlt es dagegen an geeigneten Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, verlangt der Schutzzweck der Norm es vom Arbeitgeber nicht, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder vorhandene Arbeitsplätze freizukündigen (BAG Beschluß vom 29. November 1989, aaO, zu II 3 der Gründe, m.w.N.).

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO), die das Beschwerdegericht durch eine zulässige Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung (§ 543 ZPO) getroffen hat, war im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein freier Arbeitsplatz in der zur Abteilung Maschinenmeisterei zählenden “Hauptsichtstation” vorhanden, auf dem der Beteiligte zu 2) entsprechend seiner Ausbildung mit Schlosser- und Wartungsarbeiten beschäftigt werden konnte. Dieser Arbeitsplatz hat nach einer vorherigen innerbetrieblichen Umsetzung zur Verfügung gestanden, die in keinem Zusammenhang mit dem Weiterbeschäftigungsverlangen des Beteiligten zu 2) stand. Der zuvor dort beschäftigte Arbeitnehmer war nach Abschluß seiner Meisterprüfung von der Arbeitgeberin mit höherwertigen Tätigkeiten beauftragt worden.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde können geplante Einsparungsmaßnahmen, die erst künftig einen Wegfall von Arbeitsplätzen zur Folge haben werden, bei der Prüfung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung nicht berücksichtigt werden. Ob im rechtserheblichen Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, entscheidet sich nicht anhand einer Prognose über den künftigen, sondern aufgrund eines zu diesem Zeitpunkt tatsächlich vorhandenen Arbeitskräftebedarfs. Die Berücksichtigung einer Vorausschätzung des von wirtschaftlichen und unternehmerischen Entwicklungen abhängigen Arbeitskräftebedarfs würde nicht nur zu erheblichen Anwendungsschwierigkeiten und damit verbundenen Rechtsunsicherheiten führen (BVerwG Beschluß vom 2. November 1994 – 6 P. 48/93 – PersR 1995, 174 ff.), sondern auch mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar sein. Die Kontinuität der Amtsführung eines betriebsverfassungsrechtlichen Organs wird in erheblichem Maße beeinträchtigt, wenn ein Jugend- und Auszubildendenvertreter nur wegen eines künftig erst auftretenden Ereignisses an der Fortsetzung seiner Amtstätigkeit gehindert wird. Dagegen erschwert seine Weiterbeschäftigung es dem Arbeitgeber nicht, den geplanten Stellenabbau umzusetzen. Steht aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung fest, daß in einem Betrieb für eine bestimmte Anzahl der Arbeitnehmer keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, hat der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 KSchG eine Sozialauswahl vorzunehmen, die der personellen Konkretisierung der zu kündigenden Arbeitnehmer dient. Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung sind während ihrer Amtszeit und eines einjährigen Nachwirkungszeitraums vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung geschützt (§ 15 Abs. 1 KSchG) und damit einer sozialen Auswahl im Rahmen eines Personalabbaus entzogen. Das Entstehen des Amtsträgerschutzes und die daran anknüpfende Einschränkung der Auswahlbefugnis des Arbeitgebers läßt sich nicht dadurch umgehen, daß der Arbeitgeber schon im Vorgriff auf eine erst künftig vorzunehmende – wenn auch konkret absehbare – Verringerung der Beschäftigtenzahl trotz eines zum Ausbildungsende vorhandenen freien Arbeitsplatzes eine Weiterbeschäftigung für unzumutbar hält. Das führt nicht zu einer nach § 78 BetrVG verbotenen Bevorzugung eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung, sondern ist Folge des in § 15 KSchG normierten Amtsträgerschutzes.

Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist daher unerheblich, daß es in der Vergangenheit bereits zu einem Stellenabbau gekommen war und nach den Planungen der Arbeitgeberin bis zum Beginn der Kampagne im August 1993 eine weitere Verringerung der Belegschaftsstärke anstand, im Zuge derer die von dem Beteiligten zu 2) besetzte Arbeitsstelle für einen anderen Arbeitnehmer vorgesehen war, dessen Arbeitsplatz wegrationalisiert werden sollte.

 

Unterschriften

Weller, Steckhan, Schmidt, Johannsen, Straub

 

Fundstellen

Haufe-Index 871641

BB 1995, 1798

BB 1996, 537

NZA 1996, 493

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