Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässiges Beschlußverfahren aufgrund anderweiter Rechtshängigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die anderweitige Rechtshängigkeit einer Sache (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) steht auch der Zulässigkeit eines Antrags im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die Verfahren mit gleichem Streitgegenstand zum gleichen Zeitpunkt anhängig gemacht worden sind. Aus diesem Grund ist es ausgeschlossen, die Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs in einem Beschlußverfahren wegen eines Ermessensfehlers nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG und in einem zweiten Verfahren wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle geltend zu machen.

 

Normenkette

ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1; ArbGG § 80 Abs. 2; BetrVG § 76

 

Verfahrensgang

LAG München (Beschluss vom 15.02.1995; Aktenzeichen 7 (10) TaBV 49/91)

ArbG München (Beschluss vom 27.06.1991; Aktenzeichen 3 BV 499/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 15. Februar 1995 – 7 (10) TaBV 49/91 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß dessen Anträge als unzulässig zurückgewiesen werden.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Arbeitgeberin und Betriebsrat streiten um die Frage, ob ein zwischen ihnen ergangener Einigungsstellenspruch über die Änderung einer Versorgungsordnung rechtswirksam ist.

Die Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 2), wird von den deutschen Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts sowie der schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft und dem österreichischen Rundfunk getragen. Bei ihr besteht eine Versorgungsordnung in Form einer vertraglichen Einheitsregelung. Aus ihr haben sich aufgrund der unterschiedlichen Abgabenentwicklung bei aktiven Arbeitnehmern und Rentnern Netto-Versorgungsansprüche der Betriebsrentner in Höhe von mehr als 100 % der letzten Aktivenbezüge ergeben. Versuche der Arbeitgeberin, mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über die Einführung einer Netto-Gesamtversorgungsobergrenze abzuschließen, scheiterten. Die daraufhin angerufene Einigungsstelle fällte einen Spruch über die Einführung einer Netto-Gesamtversorgungsobergrenze von 90 %. Dieser Spruch wurde den Beteiligten am 21. September 1990 zugestellt.

Der Betriebsrat hat den Spruch der Einigungsstelle für rechtsunwirksam gehalten. Mit einer am 4. Oktober 1990 beim Arbeitsgericht München eingereichten Antragsschrift hat er geltend gemacht, der Spruch der Einigungsstelle sei rechtsunwirksam, weil die Geschäftsgrundlage der ursprünglichen Versorgungsordnung aufgrund der eingetretenen Überversorgung nicht weggefallen sei. Gleichzeitig hat der Betriebsrat in einem gesonderten Verfahren den Spruch der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG angefochten.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, daß der Spruch der bei der Antragsgegnerin zu den Fragen einer Änderung der betrieblichen Altersversorgung errichteten Einigungsstelle vom 5. April 1990, zugestellt am 21. September 1990, rechtsunwirksam ist;

hilfsweise:

festzustellen, daß die Geschäftsgrundlage der bei der Antragsgegnerin bestehenden IRT-Versorgungsordnung nicht entfallen ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen. Geschäftsgrundlage des bei ihr bestehenden Versorgungssystems sei es, die Angestellten versorgungsrechtlich so zu behandeln wie die Angestellten der öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunkanstalten, die Träger der Antragsgegnerin seien. Dort sei aber Geschäftsgrundlage der Versorgungsordnungen, daß die Angestellten den Angestellten des sonstigen öffentlichen Dienstes gleichgestellt würden, wo aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Überversorgungen eine Anpassung der Betriebsrentensysteme erforderlich geworden sei.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Hauptantrag erkannt und das gleichzeitig anhängig gemachte Verfahren, in welchem der Spruch der Einigungsstelle wegen Ermessensüberschreitung nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG angefochten worden ist, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde hat der Betriebsrat seinen ursprünglichen Antrag zunächst weiterverfolgt. Nach Hinweis des Senats auf Zulässigkeitsbedenken hat er den Antrag zurückgenommen. Die Antragsgegnerin hat dem nicht zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg. Seinen Anträgen kann schon deshalb nicht entsprochen werden, weil sie unzulässig sind.

1. Die Anträge sind rechtshängig geblieben, obwohl der Betriebsrat sie in der Rechtsbeschwerdeinstanz zurückgenommen hat.

Eine Antragsrücknahme im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren wird nach Abschluß des Verfahrens erster Instanz nur wirksam und beendet das Verfahrensrechtsverhältnis, wenn der Antragsgegner ihr zustimmt (§ 87 Abs. 2 Satz 3, § 92 Abs. 2 Satz 3 ArbGG). Dies hat die Antragsgegnerin nicht getan.

2. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist unzulässig. Ihm steht der Einwand der anderweiten Rechtshängigkeit entgegen (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

a) Die Rechtshängigkeit einer Sache hat auch im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren die in § 261 Abs. 3 ZPO angeordnete Rechtsfolge. Diese Bestimmung ist zwar in der Aufzählung des § 80 Abs. 2 ArbGG nicht ausdrücklich angesprochen. Die Aufzählung ist jedoch nicht abschließend. Andernfalls blieben Fragen ungeregelt, die in jedem gerichtlichen Verfahren auftreten können und zu entscheiden sind. Die Vorschriften der ZPO sind deshalb zur Ausfüllung etwaiger Lücken des § 80 Abs. 2 ArbGG heranzuziehen, soweit dem nicht Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens entgegenstehen (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 80 Rz 42 ff.; Hauck, ArbGG, § 80 Rz 8; vgl. auch BAGE 62, 100, 104 = AP Nr. 36 zu § 80 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe; BVerwG Beschluß vom 11. Februar 1981 – 6 P 2.79 – Buchholz 238.36, § 78 NdsPersVG Nr. 2). Dies ist bei den Regelungen über die Rechtshängigkeit nicht der Fall (BVerwG, aaO; Germelmann/ Matthes/Prütting, aaO, § 80 Rz 44; Hauck, aaO, § 80 Rz 8).

b) Die Sache ist anderweit rechtshängig. Sie ist auch Gegenstand des beim Arbeitsgericht München anhängigen Verfahrens mit dem Aktenzeichen – 3 BV 498/90 –.

aa) Der Streitgegenstand im Beschlußverfahren wird durch den Antrag bestimmt (BAGE 25, 242, 244 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe; BAGE 37, 102, 110 = AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972, zu B 2 der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 81 Rz 33). Der durch den Hauptantrag des Betriebsrats bestimmte Streitgegenstand des Beschlußverfahrens ist zugleich auch Streitgegenstand des Verfahrens – 3 BV 498/90 –. In beiden Verfahren geht es dem Betriebsrat um die Feststellung, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 5. April 1990 rechtsunwirksam ist.

Der Antragsteller hat zwar in den beiden Antragsschriften zum Ausdruck gebracht, daß es im vorliegenden Verfahren nur um die Frage gehen soll, ob die Einigungsstelle wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage der ursprünglichen Regelung überhaupt zuständig war, während im ausgesetzten Verfahren Ermessensfehler nach § 76 Abs. 5 BetrVG geltend gemacht werden sollen. Eine solche Aufteilung der den Streitgegenstand betreffenden Rechtsfragen ist jedoch nicht statthaft und bindet das angerufene Gericht nicht (BAGE 51, 217, 225 = AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, zu B II 2 der Gründe). Etwas anderes gilt nur für die im Verfahren – 3 BV 498/90 – geltend gemachte Ermessensüberschreitung durch die Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG. Dadurch, daß dieser Einwand innerhalb einer zweiwöchigen Frist beim Arbeitsgericht ausdrücklich erhoben werden muß, hat es der Antragsteller in der Hand, ob er ihn gerichtlich überprüfen lassen will oder nicht. Ist ein Ermessensfehler der Einigungsstelle aber, wie im Verfahren – 3 BV 498/90 –, rechtzeitig gerügt worden, hat das in diesem Verfahren angerufene Gericht die Rechtswirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen, also auch danach, ob die Einigungsstelle für die getroffene Regelung überhaupt zuständig war (BAGE 51, 217, 225 = AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, zu B II 2 der Gründe; GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 76 Rz 120 f.; Berg in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 76 Rz 95). Damit hat das Arbeitsgericht im Verfahren – 3 BV 498/90 – von Amts wegen über den Streitgegenstand auch insoweit zu entscheiden, wie er vom Antragsteller zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht wurde. Damit besteht anderweitige Rechtshängigkeit, die den Hauptantrag unzulässig macht.

bb) Dem steht nicht entgegen, daß der Antragsteller das vorliegende Verfahren nicht später als das Verfahren – 3 BV 498/90 –, sondern gleichzeitig anhängig gemacht hat. Nach dem Normzweck des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unterliegt auch ein solches Verhalten dem Verbot doppelter Rechtshängigkeit. Es geht darum, mehrfache und einander widersprechende Entscheidungen sowie die unnötige Anrufung der Gerichte zu vermeiden und den Antragsgegner vor der Durchführung mehrerer sachlich gleicher und gleichzeitiger Verfahren zu schützen (BAGE 4, 301, 303 f. = AP Nr. 2 zu § 263 ZPO; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 261 Rz 1; MünchKomm-ZPO/Lüke, § 261 Rz 4). Mit diesen Normzwecken steht es auch im Widerspruch, wenn zwei gesonderte Antragsschriften mit dem gleichen Streitgegenstand gleichzeitig anhängig gemacht werden.

cc) Die der Zulässigkeit des Hauptantrages entgegenstehende anderweite Rechtshängigkeit der vorliegenden Streitsache ist nicht dadurch beendet worden, daß das Landesarbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung den Spruch der Einigungsstelle auch daraufhin überprüft hat, ob er ermessensfehlerhaft i.S. von § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG ergangen ist, obwohl der Antragsteller dies ausdrücklich nur im Verfahren – 3 BV 498/90 – geltend gemacht hatte. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht das beim Arbeitsgericht München anhängige und dort ausgesetzte Verfahren – 3 BV 498/90 – ohne eine erstinstanzliche Entscheidung über den Einwand aus § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG gegen den Willen des Antragstellers mit dem vorliegenden Verfahren hätte verbinden können. Es hat es tatsächlich nicht getan. Allein die zutreffende Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wonach die Aufteilung der den Streitgegenstand betreffenden Rechtsfragen unzulässig ist, und die Behandlung aller Rechtsfragen im vorliegenden Verfahren führen noch nicht dazu, daß aus zwei vom Antragsteller bewußt getrennt anhängig gemachten Verfahren ein Verfahren wird.

3. Auch der im Hinblick auf die Unzulässigkeit des Hauptantrages zur Entscheidung des Gerichts stehende Hilfsantrag ist unzulässig. Er erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren gilt. Zum einen betrifft die begehrte Feststellung, daß die Geschäftsgrundlage der ursprünglichen Versorgungsordnung nicht weggefallen ist, kein Rechtsverhältnis, sondern nur ein Element eines Rechtsverhältnisses, nämlich der Rechtswirksamkeit des Einigungsstellenspruches. Zum anderen fehlt das Interesse an alsbaldiger Feststellung. Nur der anderweit anhängige Streit über die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle kann den Streit der Beteiligten abschließend klären.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Bröhl, Bepler, Weinmann, Martschin

 

Fundstellen

Haufe-Index 884812

BAGE, 288

JR 1997, 308

NZA 1997, 337

SAE 1998, 119

AP, 0

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