Leitsatz (redaktionell)

1. Gewerkschaftseigenschaft kommt nur den Arbeitnehmervereinigungen (Koalitionen) zu, die tariffähig sind (BAG 1971-04-23 1 ABR 26/70 = BAGE 23, 320 (324) ).

2. An die Tariffähigkeit einer Koalition sind bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Die Koalition muß sich als satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder gerade in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge für ihre Mitglieder abzuschließen; sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein. Sie muß das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen (BVerfG 1964-05-06 1 BvR 79/62 = BVerfGE 18, 18 (28); BAG 1963-11-15 1 ABR 5/63 = AP Nr 14 zu § 2 TVG).

3. Wegen der Aufgabe der Tarifautonomie kann der Staat nur die Koalitionen an ihr teilnehmen lassen, die diese Aufgabe sinnvoll zu erfüllen vermögen. Die Tariffähigkeit darf nur nicht von Umständen abhängig gemacht werden, die nicht von der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens gefordert sind (BVerfG 1954-11-18 1 BvR 629/52 = BVerfGE 4, 96 (107); BVerfG 1964-05-06 1 BvR 79/62 = BVerfGE 18, 18 (28) ).

4. Eine sinnvolle Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens als Aufgabe der Tarifautonomie kann nur erreicht werden, wenn die Koalitionen in der Lage sind, auf ihre Gegenseite jeweils einen fühlbaren Druck auszuüben, so daß jedenfalls in aller Regel ein Tarifvertrag zustande kommt (BAG 1968-07-09 1 ABR 2/67 = BAGE 21, 98 (101/102); BAG 1971-04-23 1 ABR 26/70 = BAGE 23, 320 (323/324)).

5. Um Druck und Gegendruck ausüben zu können, muß eine Koalition für die ihr gestellten Aufgaben "tauglich", dh sie muß so mächtig und leistungsfähig sein, daß der Gegenspieler sich veranlaßt sieht, auf Verhandlungen über den Abschluß einer tariflichen Regelung der Arbeitsbedingungen einzugehen und zum Abschluß eines Tarifvertrags zu kommen. Mächtig und leistungsfähig ist eine Koalition nur, wenn sie Autorität gegenüber ihrem Gegenspieler und gegenüber ihren Mitgliedern besitzt. Sie muß ferner von ihren organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen.

6. Eine Deckungsgleichheit von Koalitionsfreiheit und Zuerkennung der Tariffähigkeit ist abzulehnen.

Im einzelnen noch:

7. Daß in einem Verband neben (sonstigen) außertariflichen auch leitende Angestellte im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes organisiert sind, reicht nicht aus, ihn als nicht gegnerfrei anzusehen. Als gegnerfrei kann eine solche Koalition allerdings dann nicht mehr angesehen werden, wenn die zu ihr gehörenden leitenden Angestellten Aufgaben in Unternehmer- und Arbeitgeberorganisationen wahrzunehmen haben, die auf die arbeitsrechtliche und wirtschaftliche Situation der vom Verband erfaßten außertariflichen und leitenden Angestellten einwirken können.

8. Ein Verband, der sowohl außertarifliche nichtleitende Angestellte wie auch leitende Angestellte erfaßt, muß von seiner Organisationsstruktur her Vorsorge treffen, daß die leitenden Angestellten auf die betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen des Verbandes keinen Einfluß nehmen können.

9. Eine Satzungsbestimmung, daß zur Erreichung der Ziele des Verbandes auch die kollektive Regelung der Arbeitsbedingungen dienen soll, ist dann ohne Bedeutung, wenn es sich nur um eine auf dem Papier stehende Formulierung handelt.

10. Ob die finanzielle Grundlage eines Verbandes für die Bejahung seiner Mächtigkeit ausreicht, ist eine Frage der Einzelfallbeurteilung.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.11.1974; Aktenzeichen 4 TaBV 65/74)

 

Fundstellen

Haufe-Index 436746

BAGE 29, 72-89 (LT1-10)

BAGE, 72

BB 1977, 593-595 (LT1-10)

DB 1977, 772-776 (LT1-10)

NJW 1977, 1551

RdA 1977, 258-262 (LT1-10)

SAE 1978, 37-43 (LT1-10)

AP, (LT1-10)

AR-Blattei, ES 1550.2 Nr 11 (LT1-10)

AR-Blattei, Tarifvertrag II Entsch 11 (LT1-10)

ArbuR 1977, 281 (LT1-10)

EzA § 2 TVG, Nr 12 (LT1-10)

JZ 1977, 470-472 (LT1-10)

JuS 1977, 482-483 (T1-10)

Belling / Luckey 2000, 316

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