Entscheidungsstichwort (Thema)

Hierarchische Altersversorgung nicht gleichheitswidrig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Versorgungsordnung, die ausschließlich für Arbeitnehmer in gehobenen Positionen gilt, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

2. Sie verletzt das verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsprinzip (Art 3 Abs 2 GG) oder das Lohngleichheitsgebot des Art 119 EWG-Vertrag auch dann nicht, wenn sie unverhältnismäßig mehr Männer als Frauen begünstigt, weil Frauen nur in geringer Zahl in gehobene Positionen gelangt sind.

3. Wenn eine Versorgungsordnung die Gruppe der Begünstigten mit Begriffen kennzeichnet, die nicht geschlechtsneutral gefaßt sind, sondern nur die männliche Sprachform verwenden (zB der Prokurist, Meister, Schichtführer), so sind damit im Zweifel männliche und weibliche Arbeitnehmer gleichermaßen gemeint.

 

Normenkette

BGB §§ 126, 133, 157, 242; EWGVtr Art. 119; BetrVG §§ 77, 75; BetrAVG § 1; GG Art. 3 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 25.09.1985; Aktenzeichen 12 TaBV 66/85)

ArbG Herford (Entscheidung vom 18.04.1985; Aktenzeichen 1 BV 1/85)

 

Gründe

A. Der Antragsteller ist der Betriebsrat der Antragsgegnerin. Diese beschäftigt nach dem Vortrag des Antragstellers 685 Mitarbeiter (221 Frauen und 464 Männer), nach Vortrag der Antragsgegnerin 648 Personen (219 Frauen und 429 Männer). Die Antragsgegnerin gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Hierüber besteht eine Betriebsvereinbarung vom 27. Dezember 1975, die eine frühere Betriebsvereinbarung abgelöst hat. Die neugefaßten Nr. 1 und 2 lauten:

Mit Wirkung vom 30.11.1975 wird unsere betriebli-

che Versorgungsregelung neu geordnet. Im einzel-

nen wird folgendes vereinbart:

1) Teilnahmeberechtigter Mitarbeiterkreis

--------------------------------------

Die neue Versorgungsregelung gilt für folgende

Mitarbeitergruppen

Gruppe I : Gesamtprokuristen

Gruppe II : Betriebsleiter

Gruppe III: Handlungsbevollmächtigte

Gruppe IV : Abteilungsleiter/Meister

Gruppe V : Schichtführer und denen

gleichgestellte Mitarbeiter

Die übrigen Mitarbeiter sind nicht teilnahmebe-

rechtigt. Soweit für diese Mitarbeiter bereits

Zusagen bestehen, werden sie in unveränderter

Form weitergeführt.

2) Teilnahmevoraussetzungen

------------------------

Teilnahmeberechtigt an unserer Versorgungsrege-

lung sind die in den Gruppen I bis V aufgeführten

Mitarbeiter, wenn sie

a) mindestens 3 volle Jahre ununterbrochen bei

uns beschäftigt sind,

b) nach Ablauf der unter a) erwähnten Dreijahres-

frist mindestens ihr 25. Lebensjahr vollendet

haben

u n d

c) bei Dienstantritt noch nicht ihr 55. Lebens-

jahr vollendet hatten.

Eine weitere Voraussetzung ist es, daß der Mitar-

beiter mindestens 2 Jahre eine Tätigkeit entspre-

chend der oben aufgeführten Definition ausgeübt

hat.

Bei Erfüllen der vorerwähnten Voraussetzungen

wird dem Mitarbeiter eine Versorgungszusage ge-

mäß der als Bestandteil dieser Betriebsvereinba-

rung beigefügten "Musterzusage" erteilt.

...

Die Höhe der Ruhegelder richtet sich nach den letzten Jahresbezügen und den Dienstzeiten. In der als Bestandteil der Betriebsvereinbarung beigefügten Musterzusage sind die Einzelheiten der betrieblichen Altersversorgung geregelt, z. B. Versorgungsvoraussetzungen, Höhe der Versorgungsleistungen, anrechenbare Dienstzeiten, anrechenbares Entgelt usw. Im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung ist nur eine Witwenrente vorgesehen. Die Betriebsvereinbarung ist von den Vertragspartnern unterschrieben, die Musterzusage dagegen nicht. Die Musterzusage war zusammen mit der Fotokopie des Textes der §§ 23, 24 AnVG und der §§ 1246, 1247 RV0 mit der Betriebsvereinbarung durch eine Heftklammer verbunden. Nach einer Personalstatistik der Antragsgegnerin sind anspruchsberechtigt 13 kaufmännische und 28 technische Angestellte, sowie 67 Arbeitnehmer in der Produktion. Unter den Anspruchsberechtigten befindet sich nur eine Frau, eine kaufmännische Angestellte.

Der Antragsteller will erreichen, daß die Gesamtbelegschaft versorgungsberechtigt wird. Hierzu hat er die Auffassung vertreten: Die Betriebsvereinbarung sei unwirksam. Die wesentlichen Voraussetzungen der Altersversorgung seien in der Musterzusage geregelt. Diese genüge aber nicht dem Schriftformerfordernis einer Betriebsvereinbarung. Die Antragsgegnerin müsse mit ihm in neue Verhandlungen über die betriebliche Altersversorgung eintreten. Insoweit habe er auch ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Die Versorgungsordnung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Gleichberechtigung der Frau. Es sei nicht sachlich zu begründen, daß nur ein Teil der Belegschaft versorgt werde. Eine Diskriminierung liege darin, daß Frauen mit einer einzigen Ausnahme von der Versorgung ausgeschlossen würden. Er hat behauptet, die Antragsgegnerin halte sich nicht einmal an ihre Versorgungsordnung. Einerseits gewähre sie Zusagen, obwohl die Voraussetzungen nicht gegeben seien. Andererseits verweigere sie Leistungen, die nach der Versorgungsordnung zustünden.

Der Antragsteller hat beantragt

festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung

über die betriebliche Altersversorgung vom

27. November 1975 rechtsunwirksam ist.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie hat vorgetragen, ihre Betriebsvereinbarung genüge mit Rücksicht auf die Verklammerung der einzelnen Blätter und ihrer Anlagen den Merkmalen einer Gesamturkunde. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats seien gewahrt; sie könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Gruppen von Arbeitnehmern bestimmen, die sie begünstigen wolle. Insoweit liege kein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung oder der Gleichberechtigung vor. Sie habe in die betriebliche Altersversorgung nur "Führungskräfte" einbezogen. An deren langfristiger Bindung sei besonders sie interessiert. Sofern Frauen dem Führungspersonal angehörten, erhielten sie die gleichen Versorgungsleistungen. Bislang seien sie allerdings unterrepräsentiert. Soweit Arbeitnehmer Versorgungszusagen erhalten hätten, obwohl sie nicht zu ihren Führungskräften gehörten, handele es sich um Besitzstandsrechte nach der früheren Betriebsvereinbarung.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der seinen Antrag weiterverfolgt.

B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die Betriebsvereinbarung vom 27. November 1975 ist wirksam.

1. Arbeitgeber und Betriebsrat haben durch eine Betriebsvereinbarung die betriebliche Altersversorgung geregelt. Diese Betriebsvereinbarung ist nicht wegen Verletzung von Formvorschriften unwirksam.

a) Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen vom Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Ist durch Gesetz die schriftliche Form vorgeschrieben, so muß die Urkunde von den Ausstellern eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterschrieben werden (§ 126 Abs. 1 BGB). Bei einem Vertrag muß die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Betriebsvereinbarungen sind an die Schriftform gebunden, damit ihre Rechtsnormen festgehalten, klargestellt und im Betrieb bekanntgemacht werden (Dietz/Richardi, BetrVG, Bd. 2, 6. Aufl., § 77 Rz 31).

Die Betriebsvereinbarung vom 27. Dezember 1975 genügt dem Formerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, auch wenn ihre Anlagen nicht gesondert unterzeichnet worden sind. Der Teil der Betriebsvereinbarung, der die Grundlagen der Versorgung regelt sowie die Musterzusage nehmen inhaltlich aufeinander Bezug und sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mittels einer Heftklammer zusammengeheftet. Sie erfüllen damit die Voraussetzungen einer Gesamturkunde. Eine Gesamturkunde ist dann gegeben, wenn mehrere Blätter zusammengehören und auch äußerlich erkennbar eine Einheit bilden. Die Einheitlichkeit der Urkunde kann dadurch hergestellt werden, daß ihre Bestandteile zusammengeheftet sind und einen Sinnzusammenhang erkennen lassen (BGHZ 40, 255, 263 = NJW 1964, 395; BAG 47, 125, 127 = AP Nr. 46 zu § 74 HGB, zu 1 der Gründe = NZA 1985, 429; MünchKomm-Förschler, BGB, 2. Aufl., § 126 Rz 10 mit weiterem Nachweis). Bei einer Gesamturkunde muß nicht jedes Blatt unterschrieben werden.

b) Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfolglos mit einer Verfahrensrüge (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZP0). Er rügt, das Landesarbeitsgericht habe keinen Beweis darüber erhoben, ob die Teile der Betriebsvereinbarung bereits verklammert waren als die Betriebspartner ihre Unterschrift leisteten. Inzwischen sei dem Betriebsratsvorsitzenden eingefallen, daß die Verklammerung erst nachträglich erfolgt sei. Dieser Zeuge hätte von Amts wegen vernommen werden müssen.

Richtig ist, daß die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen zu erforschen haben (§ 83 Abs. 1, § 87 ArbGG). Für eine Beweisaufnahme muß aber nach dem vorgetragenen Sachverhalt hinreichende Veranlassung bestehen. Diese hatte das Landesarbeitsgericht nicht. Es hat sich im Wege der Augenscheinseinnahme von der Verklammerung überzeugt und außerdem festgestellt, daß bei Erörterung der Gesamturkunde niemand eine spätere Heftung behauptet habe.

c) Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers unterstellt, daß die Musterzusage den übrigen Teilen der Betriebsvereinbarung nachträglich beigelegt worden ist, führt das nicht zu deren Nichtigkeit. Der Teil der Betriebsvereinbarung, der die Grundlagen der betrieblichen Altersversorgung enthält, läßt keine formellen Mängel erkennen. Formfehlerhaft könnte allenfalls die kollektivrechtliche Vereinbarung der Musterzusage sein. Wenn dies der Fall wäre, führte das nur zu deren Unwirksamkeit. Ist eine Betriebsvereinbarung teilweise unwirksam, so ist sie mit dem Restinhalt aufrecht zu erhalten, wenn dieser eine sinnvolle und dem Parteiwillen entsprechende Regelung enthält (BAG 16, 31, 38 f. = AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG Akkord, zu 9 der Gründe; 16, 58, 66 = AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG, zu I 3 der Gründe; seither ständig; Dietz/Richardi, aa0, § 77 Rz 37; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 77 Rz 30; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 77 Rz 119). Dies ist vorliegend der Fall.

2. Die Versorgungsordnung verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Soweit sie ihren persönlichen Geltungsbereich auf Arbeitnehmer in Aufstiegsstellen beschränkt, ist das nicht willkürlich.

a) Nach § 75 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden und jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleibt. Darüber hinaus sind die Betriebsparteien an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 71). Dieser verbietet die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer. Er enthält das Verbot der sachfremden Differenzierung zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung und das Gebot, wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart zu unterscheiden (vgl. etwa BAG 43, 173, 178 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrAVG, zu II 2 a der Gründe, mit weiterem Nachweis). Diesen Grundsatz hat der Betriebsrat beachtet.

Es ist nicht willkürlich, wenn in einer Betriebsvereinbarung die betriebliche Altersversorgung nur für einen beschränkten Personenkreis vorgesehen wird, den der Arbeitgeber wegen seiner Bedeutung für das Unternehmen in besonderem Maße entlohnen und an das Unternehmen binden will. Darum ging es der Antragsgegnerin ersichtlich im vorliegenden Fall. Der begünstigte Personenkreis der Versorgungsordnung wird nach einem hierarchischen Prinzip abgegrenzt. Er umfaßt alle Arbeitnehmer, die eine leitende Funktion ausüben, vom "Schichtführer" bis zum Prokuristen.

b) Der Antragsteller rügt zu Unrecht, die Antragsgegnerin verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sie in einigen Fällen Versorgungszusagen auch solchen Arbeitnehmern erteilt hat, die nach der Betriebsvereinbarung nicht anspruchsberechtigt gewesen wären. Der Antragsteller vermag insoweit nur wenige Einzelfälle zu nennen, für die die Antragsgegnerin besondere Gründe angeführt hat. Das Landesarbeitsgericht mußte diesen Streitpunkt nicht aufklären. Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung könnte nicht berührt werden, wenn der Arbeitgeber bei der Begünstigung einzelner Arbeitnehmer den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt hätte.

3. Schließlich beruft sich der Antragsteller erfolglos auf den verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) und das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag.

a) Der Antragsteller hält für erheblich, daß die Betriebsvereinbarung den begünstigten Mitarbeiterkreis mit Hilfe von Begriffen kennzeichnet, die nicht geschlechtsneutral gefaßt sind. Wenn von "Prokuristen, Betriebsleitern, Handlungsbevollmächtigten, Abteilungsleitern, Meistern und Schichtführern" die Rede sei, so komme darin eine diskriminierende Absicht zum Ausdruck. Die Versorgungsordnung begünstigte die bezeichneten Mitarbeiter nur, soweit diese männlichen Geschlechts seien. Die Rüge beruht jedoch auf einer fehlerhaften Auslegung der Betriebsvereinbarung.

In der betrieblichen Praxis ebenso wie in der Rechtsprechung und im Schrifttum ist ein Sprachgebrauch üblich geworden, der nicht sorgfältig zwischen der männlichen und der weiblichen Bezeichnung unterscheidet. Die Begriffe des Arbeitnehmers, Arbeiters, Angestellten, Betriebsleiters, Meisters usw. werden als umfassende Oberbegriffe verwandt, die Männer und Frauen gleichermaßen kennzeichnen. Man mag diese Ungenauigkeit bedauern und als sprachliche Diskriminierung mißbilligen, kann jedoch den entsprechenden Sprachgebrauch bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung nicht vernachlässigen. Wenn nicht besondere Umstände für das Gegenteil sprechen, ist davon auszugehen, daß funktionsbezogene Gruppenmerkmale männliche und weibliche Arbeitnehmer gleichermaßen erfassen sollen, selbst wenn die Regelung nur den männlichen Begriff verwendet. Für diese Auslegung spricht im vorliegenden Fall zusätzlich, daß die Antragsgegnerin immerhin eine weibliche Angestellte, die in einer gehobenen Position tätig ist, nach den Grundsätzen der Betriebsvereinbarung behandelt.

b) Schwerer wiegt der Vorwurf einer "mittelbaren Diskriminierung". Dem Antragsteller ist zuzugeben, daß es auffällig erscheint, wenn nur eine einzige Frau die Voraussetzungen der Versorgungsordnung erfüllen kann, obwohl die Belegschaft nach den eigenen Angaben der Antragsgegnerin zu fast einem Drittel aus weiblichen Mitarbeitern besteht. Diese ungleiche Begünstigung könnte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs auf eine mittelbare Diskriminierung schließen lassen (vgl. Urteil des Senats vom 14. Oktober 1986 - 3 AZR 66/83 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - NZA 1986, 599). Im vorliegenden Fall ist aber zu berücksichtigen, daß sich die negative Auswahl von weiblichen Arbeitnehmern in mehreren Schritten vollzieht und nicht allein im Zusammenhang mit der umstrittenen Betriebsvereinbarung gewürdigt werden kann.

Es ist gerichtsbekannt und keine Besonderheit im Betrieb der Antragsgegnerin, daß die Zahl der Frauen in Aufstiegspositionen weitaus geringer ist als ihr Anteil an der Gesamtbelegschaft. Die Ursachen sind noch kaum geklärt, könnten jedoch vielfach mit einer Benachteiligung wegen des Geschlechts zusammenhängen. Wenn man das unterstellt, ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 611 a BGB. Auch ein Schadenersatzanspruch kommt in Betracht, bei dem der Versorgungsschaden einer diskriminierten Frau unter Umständen berücksichtigt werden muß.

Hingegen ist die Versorgungsordnung, die nur Führungskräfte begünstigt, nicht allein deshalb zu beanstanden, weil sie die Folgen einer diskriminierenden Beförderungspraxis verstärkt und auf die versorgungsrechtliche Lage erweitert. Die Betriebspartner durften bei der Abgrenzung des begünstigten Personenkreises von einer rechtmäßigen Beförderungspraxis ausgehen. Die Regelung entspricht auch einem Bedürfnis des Unternehmens und ist für die Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich. Es ist allgemein üblich und hat sich bewährt, qualifizierte Arbeitnehmer, die für das Unternehmen besonders bedeutsam und wertvoll sind, mit Hilfe von Versorgungszusagen stärker zu binden als die übrige Belegschaft. Eine entsprechende Gruppenbildung ist selbst dann gerechtfertigt, wenn sie sich bei Männern und Frauen ungleich auswirkt (vgl. BAG und EuGH, aa0).

c) Schließlich weist der Antragsteller darauf hin, daß die Musterzusage, die Bestandteil der angegriffenen Betriebsvereinbarung ist, zwar eine Witwenrente, aber keine Witwerrente vorsieht und insofern verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (BVerfG vom 12. März 1975, BVerfGE 39, 169 ff.). Aber auch diese Begründung kann dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen.

Zunächst ist zu berücksichtigen, daß die Musterzusage als Schreiben an jeden einzelnen versorgungsberechtigten Arbeitnehmer formuliert ist und deshalb den Regelfall erfaßt. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, wie die Zusage lautet, die der einzigen weiblichen Angestellten erteilt wurde. Möglicherweise hatte diese eine Witwerrente zu beanspruchen. Aber selbst wenn man unterstellt, daß weiblichen Arbeitnehmern eine ungünstigere Hinterbliebenenrentenversorgung zugebilligt wird als männlichen Arbeitnehmern, führte das nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Versorgungsordnung. Die angenommene Verletzung des Art. 3 Abs. 2 GG hätte nur zur Folge, daß die Regelung der Hinterbliebenenversorgung lückenhaft wäre und ergänzt werden müßte. Deshalb kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, wie eine verfassungskonforme Regelung der Hinterbliebenenversorgung auszusehen hätte.

Dr. Dieterich Schaub Griebeling

Hoechst Weinmann

 

Fundstellen

BAGE 53, 309-317 (LT1-3)

BAGE, 309

BB 1987, 1116

DB 1987, 994-995 (LT1-3)

BetrAV 1987, 220-222 (LT1-3)

JR 1987, 308

NZA 1987, 449-450 (LT1-3)

RdA 1987, 188

SAE 1987, 191-193 (LT1-3)

ZTR 1987, 122-123 (LT1-3)

AP § 1 BetrAVG Gleichberechtigung (LT1-3), Nr 4

AP § 77 BetrVG 1972 (T), Nr 18

AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 187 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 460 Nr 187 (LT1-3)

EzA § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, Nr 2 (LT1-3)

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