Entscheidungsstichwort (Thema)

Verringerung der Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder

 

Leitsatz (amtlich)

Durch Betriebsvereinbarung kann auch dann eine geringere Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder als nach der gesetzlichen Mindeststaffel vereinbart werden, wenn dadurch kein Mitglied einer Minderheitsliste freigestellt wird.

 

Normenkette

BetrVG § 38 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 03.08.1995; Aktenzeichen 12 TaBV 159/94)

ArbG Wiesbaden (Beschluss vom 26.07.1994; Aktenzeichen 8 BV 6/94)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. August 1995 – 12 TaBV 159/95 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unterschritten werden durfte und ob die Freistellungswahl der Betriebsratsmitglieder B… und G… unwirksam war.

Im Betrieb der Arbeitgeberin in W…, die dort etwa 1.120 Arbeitnehmer beschäftigt, wurde am 29. März 1994 ein 15köpfiger Betriebsrat gewählt. Dabei entfielen auf die Gruppe der Angestellten 13 und auf die Gruppe der Arbeiter zwei Betriebsratssitze. Aus der Liste 1 der Gruppe der Angestellten wurden vier Betriebsratsmitglieder gewählt, darunter die Antragsteller W… (Beteiligte zu 1) und G… (Beteiligter zu 2). Die Liste 2 der Gruppe der Angestellten erhielt neun Sitze, darunter den jetzigen Betriebsratsvorsitzenden B… (Beteiligter zu 4).

In der konstituierenden Sitzung am 20. April 1994 beschloß der Betriebsrat, anstelle von drei nur zwei Betriebsratsmitglieder freizustellen und mit dem Arbeitgeber Verhandlungen über eine entsprechende Betriebsvereinbarung aufzunehmen. Als Freizustellende wurden alsdann in zwei getrennten Wahlgängen die Betriebsratsmitglieder B… und P… gewählt. Anschließend kam es zum Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 28. April 1994, in der u.a. die Freistellung von nur zwei Betriebsratsmitgliedern geregelt wurde.

Nachdem der Betriebsrat mehrheitlich zu der Auffassung gekommen war, daß die Freistellungswahlen vom 20. April 1994 unwirksam waren, weil sie in getrennten Wahlgängen erfolgt waren, und die Betriebsratsmitglieder B… und P… auf das Ergebnis dieser Freistellungswahlen verzichtet hatten, wählte der Betriebsrat in der Betriebsratssitzung vom 3. Mai 1994 als Freizustellende die Betriebsratsmitglieder B… (Angestelltenvertreter) und G… (Arbeitervertreter).

Mit ihrem am 4. Mai 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag haben die Antragsteller vor allem geltend gemacht, die Freistellungswahl vom 3. Mai 1994 sei unwirksam. Durch seinen Beschluß, die Zahl der freizustellenden Betriebsräte auf zwei zu beschränken, sowie durch die entsprechende Betriebsvereinbarung habe der Betriebsrat den Minderheitenschutz der auf der Liste 1 Gewählten verletzt. Denn wären drei Freigestellte nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt worden, so wäre eine Freistellung auf die Liste 1 der Angestellten gefallen. Die Freistellungswahl vom 3. Mai 1994 sei auch deshalb unwirksam, weil es an der erforderlichen vorherigen Beratung mit der Arbeitgeberin gefehlt habe.

Die Antragsteller haben beantragt festzustellen,

  • daß der Beschluß des Beteiligten zu 3), des Betriebsrats, in der Sitzung vom 20. April 1994 zu TOP 4, die Zahl der freizustellenden Betriebsräte auf zwei zu beschränken, unwirksam ist;
  • daß der Beschluß des Beteiligten zu 3), des Betriebsrats, in der Sitzung vom 3. Mai 1994, die Betriebsvereinbarung 1/94 (von der Beteiligten zu 7) am 28. April 1994 unterzeichnet) abzuschließen, unwirksam ist und
  • daß die Wahl der Betriebsratsmitglieder Karl-Heinz B… (Beteiligter zu 4) und Amos G… (Beteiligter zu 6) als freizustellende Betriebsratsmitglieder in der Sitzung vom 3. Mai 1994 unwirksam ist.

Der Betriebsrat, die Beteiligten B…, P… und G… sowie die Arbeitgeberin haben die Abweisung des Antrags beantragt. Sie halten die beanstandeten Beschlüsse des Betriebsrats sowie die Wiederholungswahl vom 3. Mai 1994 für wirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihre Anträge weiter. Der Betriebsrat der Beteiligte B… und die Arbeitgeberin beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragsteller gegen die Abweisung ihrer Anträge durch das Arbeitsgericht zu Recht zurückgewiesen.

  • Der Antrag zu 1) ist unzulässig, denn für ihn fehlt das Feststellungsinteresse. Eine etwaige Unwirksamkeit des Beschlusses vom 20. April 1994 hat jedenfalls seit dem Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 28. April 1994 und den neuen Betriebsbeschlüssen vom 3. Mai 1994 keine Auswirkungen mehr auf die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung der Antragsteller. Denn die Freistellungen, um deren Berechtigung es im vorliegenden Verfahren geht, beruhen auf dieser Betriebsvereinbarung und der Wahl vom 3. Mai 1994.
  • Der Antrag zu 2) ist unbegründet, denn Gründe, aus denen er unwirksam sein könnte, sind nicht gegeben.

    • Formelle Mängel des Zustandekommens des der Betriebsvereinbarung vom 28. April/3. Mai 1994 zugrunde liegenden Betriebsratsbeschlusses vom 3. Mai 1994 sind weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
    • Auch inhaltlich ist der Beschluß nicht zu beanstanden. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG können von § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG abweichende Regelungen über die Freistellung durch Betriebsvereinbarung getroffen werden. Dies erlaubt auch eine Verringerung der Zahl der Freistellungen (vgl. z.B. Wiese, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 38 Rz 25, m.w.N.).

      Die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes, wie sie sich die Antragsteller vorstellen und wie sie auch von der Rechtsbeschwerde weiterhin vertreten wird, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend verneint. Zwar gewährt § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch die beim Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge vorgeschriebene Verhältniswahl nicht nur einen Gruppenschutz (Angestellte/Arbeiter), sondern auch einen Listenschutz. Dieser durch das Änderungsgesetz 1989 eingeführte Listenschutz ist jedoch im Gesetz nur derart sporadisch und bruchstückhaft verankert, daß er nicht als allgemeines Prinzip des Betriebsverfassungsgesetzes angesehen werden kann, das eine Einschränkung der gesetzlichen Regelung rechtfertigen könnte, nach der sich die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder aus § 38 Abs. 1 BetrVG und nur das Wahlverfahren aus § 38 Abs. 2 BetrVG ergibt.

      Dies haben bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt. Auch die Rechtsbeschwerde hat keine Anhaltspunkte dafür darzulegen vermocht, daß der Gesetzgeber durch § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG unabhängig von der Zahl der freizustellenden Betriebsratmitglieder auf jeden Fall habe sicherstellen wollen, daß auch die Vertreter einer Minderheitsliste bei der Freistellungswahl zum Zuge kommen müßten.

    • In Betracht käme allenfalls, wie das Landesarbeitsgericht ebenfalls richtig ausgeführt hat, eine Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses wegen Rechtsmißbrauchs (vgl. dazu auch Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1993 – 7 ABR 26/93 – BAGE 75, 1 = AP Nr. 5 zu § 28 BetrVG 1972). Die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsteller, die Betriebsratsmehrheit habe die Vertreter der Minderheitsliste bewußt ausschalten wollen, hat das Landesarbeitsgericht jedoch rechtsfehlerfrei als unzureichend angesehen. Dieser im wesentlichen tatrichterlichen Würdigung hat die Rechtsbeschwerde nichts entgegenzusetzen vermocht. Die inhaltliche Überzeugungskraft der von der Betriebsratsmehrheit für die von ihr vorgenommene Organisation der Betriebsratsarbeit vorgebrachten Gründe ist von den Gerichten nicht zu beurteilen. Denn derartige Entscheidungen des Betriebsrats unterliegen keiner Zweckmäßigkeits-, sondern nur einer Rechtskontrolle (vgl. auch dazu den Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1993, aaO).
  • Der Antrag zu 3) ist zwar ebenfalls als Feststellungsantrag formuliert, der Sache nach aber, wie das Landesarbeitsgericht richtig angenommen hat, eine Wahlanfechtung, wie sie insbesondere nach dem Senatsbeschluß vom 15. Januar 1992 (– 7 ABR 24/91 – BAGE 69, 228 = AP Nr. 10 zu § 26 BetrVG 1972) in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG auch bei Freistellungswahlen erforderlich ist.

    Das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes hat das Landesarbeitsgericht aus den bereits dargestellten Erwägungen zutreffend verneint. Insbesondere kommt eine Unwirksamkeit der Freistellungswahl wegen angeblich fehlender Beratung mit dem Arbeitgeber nicht in Betracht. Zwar hat der Senat im Beschluß vom 29. April 1992 (– 7 ABR 74/91 – BAGE 70, 178 = AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972) ausdrücklich offengelassen, ob eine unzureichende Beratung zur Anfechtbarkeit der Freistellungwahl führt. Hierauf kann sich indessen allenfalls der Arbeitgeber berufen, weil das Beratungserfordernis allein dem Schutz seiner Interessen dient. Im übrigen sind die Anforderungen an eine Beratung im vorliegenden Fall durch die Erklärungen des Arbeitgebervertreters in der Betriebsratssitzung vom 20. April 1994 erfüllt.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Dr. Koch, Seiler

Zugleich für die sich im Urlaub befindliche Richterin Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 893921

FA 1998, 23

NZA 1997, 1301

SAE 1998, 50

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