Entscheidungsstichwort (Thema)

Einblick des Betriebsrats in Lohnlisten

 

Orientierungssatz

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat Anspruch auf Einblick in die vollständigen Listen aller Bruttolöhne und -gehälter. Die Lohnlisten müssen alle Lohnbestandteile enthalten einschließlich übertariflicher Zulagen und solcher Zahlungen, die individuell unter Berücksichtigung verschiedener Umstände ausgehandelt und gezahlt werden.

 

Normenkette

BetrVG § 27 Abs. 4, § 80 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 11, § 75 Abs. 1 S. 1, § 80 Abs. 2 S. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 04.10.1985; Aktenzeichen 14 TaBV 8/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.04.1985; Aktenzeichen 47 BV 1/85)

 

Gründe

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten über den Umfang des Einblicksrechts des Betriebsrats in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter.

Der Arbeitgeber ist ein Verlagsunternehmen. In seinem Berliner Betrieb ist ein Betriebsrat errichtet worden. Über die Betriebsgröße und die Zahl der Betriebsratsmitglieder hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen.

Der Arbeitgeber zahlt an Arbeitnehmer des Betriebs u.a. "übertarifliche Einmalzahlungen in Form von Prämien". Diese Prämien werden wie die übrigen Bestandteile der Vergütung über eine EDV-Anlage abgerechnet. Bei einer Prämienzahlung erhält der betreffende Arbeitnehmer vom Arbeitgeber vorher eine schriftliche Mitteilung. Die Prämie wird auf dem Lohn- oder Gehaltskonto des Mitarbeiters ausgewiesen.

Der Betriebsrat will Einsicht nehmen in Unterlagen, aus denen sich Art und Umfang sowie die Voraussetzungen der vom Arbeitgeber gezahlten Prämien ergeben. Er hat die Auffassung vertreten, nur über ein Einblicksrecht könne er prüfen, ob hinsichtlich der übertariflichen Zulagen ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung in Betracht komme. Im übrigen müsse er darüber wachen, daß der Arbeitgeber den Gleichbehandlungsgrundsatz beachte. Er hat zuletzt beantragt,

den Arbeitgeber zu verpflichten, dem Be-

triebsratsvorsitzenden oder dessen Stell-

vertreter Einsicht in Unterlagen zu gewäh-

ren, aus denen sich Empfänger, Bruttobe-

trag und Anlaß von Prämienzahlungen an die

von ihm beschäftigten Arbeitnehmer mit Aus-

nahme der leitenden Angestellten ergeben.

Der Arbeitgeber hat beantragt, diesen Antrag abzuweisen. Er hat dazu behauptet, es gebe keine kollektive Regelung; er zahle freiwillige Prämien nur nach individuellen Kriterien. Im übrigen seien entsprechende Unterlagen nicht vorhanden, sie müßten erst erstellt werden. Die gezahlten Prämien könnten zwar mit Hilfe der in der EDV-Anlage gespeicherten Daten listenmäßig ausgewiesen werden, jedoch nur mit Hilfe eines Programms, das erst beschafft werden müßte. Allerdings existiere ein weiteres Konto, das der dem jeweiligen Arbeitnehmer übergebenen Abrechnung entspreche.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung auf die Beschwerde des Betriebsrats abgeändert; es hat dem Antrag stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Arbeitgeber erreichen, daß die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Recht stattgegeben.

I. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist zulässig. Sie ist insbesondere ordnungsgemäß begründet worden. Die Rechtsbeschwerde kann durch Telebrief (Telekopie) begründet werden, sofern die beim Rechtsmittelgericht eingehende Kopie die Unterschrift des Absenders wiedergibt (Beschluß des Senats vom 14. Januar 1986 - 1 ABR 86/83 - AP Nr. 2 zu § 94 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das gilt auch dann, wenn diese Telekopie von einem Rechtsanwalt unmittelbar beim Rechtsmittelgericht - ohne Übermittlung der Deutschen Bundespost - eingereicht wird (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84 -, ebenfalls zur Veröffentlichung vorgesehen).

II. Mit dem Antrag macht der Betriebsrat nicht nur ein Einblicksrecht in die Listen über Bruttolöhne und -gehälter nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG geltend. Er verlangt vom Arbeitgeber auch Auskunft darüber, aus welchem Anlaß Prämien an Arbeitnehmer gezahlt werden. Dies ist ein selbständiger Antrag. Der Betriebsrat will wissen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Regeln der Arbeitgeber Prämien zahlt. Eine solche Verpflichtung kann sich nur aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergeben.

III. Beide Anträge des Betriebsrats sind zulässig. Sie sind insbesondere bestimmt genug im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der auf das Beschlußverfahren entsprechend anzuwenden ist. Der Betriebsrat hat die Listen, in die er Einblick nehmen will, ausreichend bezeichnet. Es sind Listen, in denen Prämienzahlungen an Arbeitnehmer erfaßt werden. Eine weitere inhaltliche Beschreibung dieser Listen ist nicht erforderlich. Dem Betriebsrat ist sie auch nicht möglich, da er Einzelheiten über Grund und Höhe der Zahlung nicht kennt.

IV. Beide Anträge des Betriebsrats sind begründet.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Unter den gleichen Voraussetzungen ist der Betriebsausschuß oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuß berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen.

a) Das Einblicksrecht wird im vorliegenden Fall nur für den Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter geltend gemacht. Jedenfalls diesen Personen steht das geltend gemachte Einblicksrecht auch dann zu, wenn wegen der Größe des Betriebs und des Betriebsrats kein Betriebsausschuß gebildet werden konnte. In kleineren Betrieben treten an die Stelle des Betriebsausschusses die in § 27 Abs. 4 BetrVG genannten Personen. Das ist der Vorsitzende des Betriebsrats oder ein anderes Mitglied des Betriebsrats, dem die laufenden Geschäfte übertragen wurden (vgl. Beschluß des Senats vom 18. September 1973 - 1 ABR 17/73 - BAGE 25, 301 = AP Nr. 4 zu § 80 BetrVG 1972, mit weiteren Nachweisen).

b) Der Betriebsrat hat auch Anspruch auf Einblick in die vollständigen Listen aller Bruttolöhne und -gehälter. Die Lohnlisten müssen alle Lohnbestandteile enthalten einschließlich übertariflicher Zulagen und solcher Zahlungen, die individuell unter Berücksichtigung verschiedener Umstände ausgehandelt und gezahlt werden. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Sonderzahlungen und Prämien aus besonderem Anlaß als Vergütung für überdurchschnittliche Leistungen sind Bestandteil der Vergütung. Sie gehören zu den Bruttolöhnen und -gehältern im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. In der Praxis werden deshalb diese Lohnbestandteile in die Listen über die vollständigen Bruttolöhne und -gehälter aufgenommen. Dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß bestimmte Lohnbestandteile generell vom Einblicksrecht des Betriebsrats ausgenommen sind. Das gilt auch für übertarifliche Vergütungen, die nicht auf einer kollektiven Regelung aufbauen, sondern individuell vereinbart sind (BAG Beschluß vom 12. Februar 1980 - 6 ABR 2/78 - AP Nr. 12 zu § 80 BetrVG 1972; Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981 - 1 ABR 26/79 - BAGE 35, 342 = AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972).

Das Einblicksrecht wird allerdings nur insoweit gewährt, wie es zur Durchführung der Aufgaben eines Betriebsrats erforderlich ist. Das Einblicksrecht ist beschränkt auf den Rahmen, in dem der Betriebsrat Anspruch auf Unterrichtung und Vorlage von Unterlagen hat. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG nimmt insoweit Bezug auf die Voraussetzungen, die in § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genannt werden (vgl. auch insoweit Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981, aaO, zu B III 1 der Gründe).

Danach besteht das Einblicksrecht in Listen über die Bruttolöhne und -gehälter immer dann, aber auch nur dann, wenn der Betriebsrat Aufgaben "nach diesem Gesetz", das ist das Betriebsverfassungsgesetz, wahrzunehmen hat. Zu diesen Aufgaben gehören nicht nur die in § 80 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Aufgaben. Zu den dem Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz übertragenen Aufgaben gehört auch die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte. Das ist im vorliegenden Fall das Recht des Betriebsrats, in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Im Rahmen der dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG übertragenen Aufgaben benötigt der Betriebsrat die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob eine innerbetriebliche Lohngerechtigkeit erreicht ist oder durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann oder soll (vgl. wiederum Beschluß des Senats vom 30. Juni 1981, aaO, zu B III 2 der Gründe). Ein Einblicksrecht besteht deshalb auch dann, wenn der Betriebsrat durch Einblick erst feststellen will, welche Arbeitnehmer Sonderzahlungen erhalten haben und wie hoch diese Sonderzahlungen waren. Er kann erst durch das Einblicksrecht feststellen, ob diesen Zahlungen eine generelle Regelung zugrunde liegt, unter welchen Voraussetzungen Sonderzahlungen geleistet werden, ob ein Mitbestimmungsrecht bei der näheren Ausgestaltung dieser Sonderzahlungen und ein Bedürfnis für die Ausübung von Mitbestimmungsrechten besteht. Auf diesen Standpunkt hat sich auch das Landesarbeitsgericht zu Recht gestellt. Es folgt insoweit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Einwand des Arbeitgebers, das Landesarbeitsgericht habe das Einblicksrecht dem Betriebsrat unabhängig davon zugebilligt, ob es zur Durchführung der Aufgaben eines Betriebsrats erforderlich ist, ist danach nicht berechtigt.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich um Zahlungen des Arbeitgebers handelt, die dieser ohne voraufgegangene rechtliche Bindung erbringen will. Bei solchen freiwilligen Leistungen ist zwar das Mitbestimmungsrecht eingeschränkt. Der Arbeitgeber entscheidet darüber, welchen Zweck er mit der Leistung verfolgen und welchen Personenkreis er deshalb begünstigen will. Im übrigen hat der Betriebsrat jedoch bei der Ausgestaltung der Bezugsbedingungen mitzubestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Beschluß vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 65/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Weiter wird das Mitbestimmungsrecht nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber sich nicht selbst binden und keine generelle Regelung will. Eine solche Vorgabe, keine allgemeine Regelung zu wollen, kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht ausschließen (Beschluß des Senats vom 17. Dezember 1985 - 1 ABR 6/84 -, zu B II 5 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Behauptung des Arbeitgebers, er führe keine Listen über die Prämien, als unerheblich zurückgewiesen. Mit Listen im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind auch die in EDV-Anlagen gespeicherten Gehaltsdaten gemeint. Andernfalls könnte der Betriebsrat seine gesetzlichen Aufgaben nicht erfüllen (BAG Beschluß vom 17. März 1983 - 6 ABR 33/80 - BAGE 42, 113 = AP Nr. 18 zu § 80 BetrVG 1972). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber in der Lage ist, derartige Listen auszudrucken. Das ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Fall.

2. Auch der weitere Antrag des Betriebsrats, über Voraussetzungen und Regeln bei der Zahlung der Prämien unterrichtet zu werden, ist begründet. Auch insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des Landesarbeitsgerichts an. Die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter müssen aufgeschlüsselt werden nach den einzelnen Lohnbestandteilen. Nur eine solche Aufschlüsselung versetzt den Betriebsrat in die Lage, seine nach dem Betriebsverfassungsgesetz bestehenden Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, nämlich die Einhaltung arbeitsrechtlicher Normen zu überwachen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und bei der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG mitzubestimmen. Ohne eine solche Aufschlüsselung könnte sich der Betriebsrat z. B. kein Urteil darüber bilden, ob eine innerbetriebliche Lohngerechtigkeit erreicht ist oder durch andere betriebliche Lohngestaltungen erreicht werden kann oder soll (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 80 Rz 23; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 80 Rz 35; von Friesen, AuR 1982, 245, 252 f.). Davon ist auch der Senat in der bereits erwähnten Entscheidung vom 30. Juni 1981 (1 ABR 26/79 - BAGE 35, 342, 351 = AP Nr. 15 zu § 80 BetrVG 1972, zu B III 3 der Gründe) ausgegangen.

Darüber hinaus kann der Betriebsrat auch verlangen, daß der Arbeitgeber ihn über Voraussetzungen und Regeln informiert, nach denen er Prämien zahlt. Diese Kenntnis benötigt der Betriebsrat, um die erwähnten Aufgaben wahrnehmen zu können. Diese Verpflichtung ergibt sich deshalb aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG (vgl. zur Information über die Ausgestaltung zusätzlicher Versorgungszusagen den Beschluß des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 19. März 1981 - 3 ABR 38/80 - AP Nr. 14 zu § 80 BetrVG 1972). Der Einwand des Arbeitgebers, durch die Offenlegung der Gründe für die Zahlungen könnten schutzwürdige Interessen der betroffenen Arbeitnehmer berührt sein, ist nicht berechtigt. Mit diesem Einwand hat sich der Senat wiederholt auseinandergesetzt. Das Einsichtsrecht des Betriebsrats in die Lohn- und Gehaltslisten verletzt nicht die Individualsphäre des einzelnen Arbeitnehmers und verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. zuletzt die Entscheidung des Senats vom 30. Juni 1981, aaO, zu B IV der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Das gilt auch für die Offenlegung der Gründe für die Zahlung. Die Offenlegung dieser Gründe ist für die Arbeitnehmer weniger belastend als die Einsicht in die Lohn- und Gehaltslisten.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Dr. Federlin Lappe

 

Fundstellen

Dokument-Index HI437046

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