Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Eingruppierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Eingruppierungen ist das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG erst dann abgeschlossen, wenn es zu einer Eingruppierung geführt hat, für die eine vom Betriebsrat erteilte oder vom Gericht ersetzte Zustimmung vorliegt.

2. Der Betriebsrat kann nicht die "Aufhebung" einer unzutreffenden Eingruppierung verlangen, da diese keine nach außen wirksame Maßnahme des Arbeitgebers ist, sondern nur ein Akt der Rechtsanwendung.

Der Betriebsrat kann aber nach § 101 BetrVG beantragen, daß dem im Zustimmungsersetzungsverfahren erfolglos gebliebenen Arbeitgeber aufgegeben wird, ein erneutes Beteiligungsverfahren einzuleiten, das die Eingruppierung in eine andere Vergütungsgruppe vorsieht.

3. Soweit im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs 4 BetrVG eine bestimmte Entgeltgruppe als zutreffend ermittelt oder als unzutreffend ausgeschlossen wurde, kann der Arbeitnehmer seinen Entgeltanspruch unmittelbar auf die gerichtliche Entscheidung stützen. Insoweit ist sein Anspruch nicht von einer weiteren Prüfung der tariflichen Eingruppierungsvoraussetzungen abhängig.

4. Der Arbeitnehmer ist nicht gehindert, gegenüber dem Arbeitgeber eine günstigere als die im Beschlußverfahren angenommene Eingruppierung geltend zu machen.

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.09.1993; Aktenzeichen 15 TaBV 30/93)

ArbG Göttingen (Entscheidung vom 12.10.1992; Aktenzeichen 1 BV 12/92)

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat verlangen kann, daß die Arbeitgeberin eine Eingruppierung korrigiert, nachdem ihr Antrag auf Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung rechtskräftig abgewiesen worden ist.

Die Arbeitgeberin hat mit ihren Arbeitnehmern die Anwendung des BAT vereinbart. Sie zahlte dem bei ihr beschäftigten Systemprogrammierer R seit 1977 zunächst Gehalt nach VergGr. IV b BAT. Seit dem 1. November 1984 vergütet sie ihn aufgrund Bewährungsaufstiegs nach VergGr. IV a BAT. Dieser Höhergruppierung widersprach der Betriebsrat im Jahr 1984 mit der Begründung, der Angestellte R sei bereits aufgrund der Qualifikation seiner Tätigkeit und nicht nur im Wege des Bewährungsaufstiegs in VergGr. IV a Fallgruppe 1 BAT eingruppiert, und dies nicht erst seit dem 1. November 1984, sondern bereits seit dem 1. Oktober 1983. Die Zustimmung des Betriebsrats wurde auf Antrag der Arbeitgeberin für die Zeit ab 1. November 1984 gerichtlich ersetzt. Hingegen blieb der Antrag der Arbeitgeberin erfolglos, für die Zeit vom 1. Oktober 1983 bis zum 31. Oktober 1984 die Zustimmung zur Eingruppierung des Angestellten in VergGr. IV b BAT zu ersetzen. Dieses Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin sei nunmehr verpflichtet, rückwirkend für die Zeit vom 1. Oktober 1983 bis zum 31. Oktober 1984 eine andere Eingruppierung des Angestellten R vorzunehmen. Da die Arbeitgeberin eine Korrektur nicht vorgenommen habe, sei ihr diese vom Gericht nach § 101 BetrVG aufzugeben. Das danach vorgesehene Verfahren zur Durchsetzung der Mitbestimmung müsse auch im Falle der Ein- und Umgruppierung anwendbar sein, da sonst das nach § 99 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats insoweit praktisch leerliefe.

Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben, die personelle

Maßnahme "Eingruppierung des Mitarbeiters Werner

R zum 1. Oktober 1983 in die Vergütungsgrup-

pe IV b der Anlage 1 a zum BAT" aufzuheben.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung kann der Betriebsrat in Fällen der Ein- und Umgruppierung zur Sicherung der Mitbestimmung nach § 101 BetrVG lediglich durchsetzen, daß der Arbeitgeber seine Zustimmung einholt und erforderlichenfalls beim Arbeitsgericht deren Ersetzung beantragt. Dagegen könne einem Arbeitgeber nicht die Korrektur einer Eingruppierung aufgegeben werden. Bei dieser handele es sich nämlich nicht um eine Maßnahme mit Außenwirkung, sondern lediglich um die Äußerung einer Rechtsansicht. Es sei also nichts vorhanden, was aufgehoben werden könne. Überdies sei der Angestellte R schon längst nicht mehr in VergGr. IV b BAT eingruppiert, so daß das Verfahren nach § 101 BetrVG hier auch deshalb nicht in Betracht komme, weil sich aus ihm Verpflichtungen des Arbeitgebers nur für die Zukunft ergeben könnten.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat ihn auf die Beschwerde der Arbeitgeberin abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Arbeitgeberin beantragt Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Antrag des Betriebsrats nicht abgewiesen werden. An einer abschließenden Entscheidung in der Sache sieht sich der Senat aber gehindert, weil den Beteiligten auf der Grundlage der mit diesem Beschluß weiterentwickelten Senatsrechtsprechung zunächst erneut rechtliches Gehör zu gewähren ist.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Der Einwand der Arbeitgeberin, dem Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil er einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum Gegenstand habe, greift nicht durch. Es handelt sich um einen Leistungsantrag, für den ein besonderes Rechtsschutzinteresse nicht erforderlich ist (vgl. Senatsbeschluß vom 9. März 1993 - 1 ABR 48/92 - AP Nr. 104 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe). Die Fragen, ob über § 101 BetrVG die Korrektur einer Eingruppierung erzwungen werden kann und ob dies gegebenenfalls auch für zurückliegende Zeiträume möglich ist, betreffen nicht die Zulässigkeit des Antrags, sondern seine Begründetheit. Ihr Gegenstand ist der materielle Gehalt des § 101 BetrVG (vgl. Senatsbeschluß vom 26. April 1990 - 1 ABR 79/89 - BAGE 65, 105, 118, m.w.N.).

II. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß der Antrag des Betriebsrats in der vorliegenden Fassung unbegründet ist, weil es an einer Maßnahme der Arbeitgeberin fehlt, die aufgehoben werden könnte (1.). Damit war aber der Streitstoff noch nicht erschöpft. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, aus § 101 BetrVG ergäben sich für den Betriebsrat keine weitergehenden Rechte. Vielmehr kann der Betriebsrat verlangen, daß der Arbeitgeberin aufgegeben wird, das Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG solange weiterzubetreiben, bis es zu einer Klärung der zutreffenden Vergütungsgruppe geführt hat (2.).

1. Der Antrag des Betriebsrats ist in seiner vorliegenden Form unbegründet. Die Eingruppierung ist ein bloßer Beurteilungsakt, dessen Aufhebung der Arbeitgeberin nicht aufgegeben werden kann.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die der Senat mit ausführlicher Begründung erst kürzlich wieder bestätigt hat (Beschluß vom 9. Februar 1993 - 1 ABR 51/92 - AP Nr. 103 zu § 99 BetrVG 1972; ebenso Beschluß vom 9. März 1993 - 1 ABR 48/92 - AP Nr. 104 zu § 99 BetrVG 1972, jeweils m.w.N.), begründet eine bestehende Gehaltsgruppenordnung wie die des BAT regelmäßig einen Anspruch des Arbeitnehmers unmittelbar auf Vergütung entsprechend dieser Ordnung und nicht etwa nur auf einen vom Arbeitgeber vorzunehmenden Eingruppierungsakt. Die für den Vergütungsanspruch maßgebliche Eingruppierung ist keine nach außen wirkende konstitutive Maßnahme des Arbeitgebers, sondern lediglich Rechtsanwendung. Eingruppierung oder Umgruppierung i.S.v. § 99 BetrVG ist danach die Kundgabe des vom Arbeitgeber bei der Anwendung der Vergütungsordnung gefundenen Ergebnisses.

b) Im Verfahren nach § 101 BetrVG kann der Betriebsrat nicht die "Aufhebung" einer unzutreffenden Eingruppierung verlangen. Es fehlt nämlich an einer Maßnahme, deren Aufhebung vom Gericht aufgegeben werden könnte (ständige Senatsrechtsprechung, so Beschluß vom 9. Februar 1993, AP, aaO, zu B II 2 der Gründe; vom 9. März 1993, AP, aaO, zu B II 1 der Gründe).

Zwar wird von einem Teil des Schrifttums die Auffassung vertreten, im Fall der Ein- oder Umgruppierung müsse das Erzwingungsverfahren nach § 101 BetrVG, wenn es schon nicht die Eingruppierung als rechtliche Grundlage des Entgeltanspruchs zum Gegenstand haben könne, wenigstens die betriebsorganisatorische Umsetzung der vom Arbeitgeber vorgenommenen Beurteilung erfassen, wie etwa die Eintragung in Gehaltslisten (Heinze, Personalplanung, Einstellung und Kündigung, 1982, Rz 399; Kraft, SAE 1984, 66 f.). Auch der Antragsteller macht dies geltend.

Tatsächliche Handlungen des Arbeitgebers eignen sich aber nicht als Surrogat für die bei Eingruppierungen fehlende konstitutive Maßnahme i.S. des § 101 BetrVG. Innerbetriebliche Unterlagen haben im Verhältnis zum Arbeitnehmer keinerlei Verbindlichkeit, so daß allein durch ihre Änderung eine andere - tarifgerechte - Vergütung des Arbeitnehmers nicht gewährleistet werden könnte; Korrekturen von Gehaltslisten u.ä. müßten sich als nutzloses Kurieren am Symptom erweisen. Im übrigen sind die betrieblichen Anweisungen, die zur Umsetzung von Eingruppierungen zu treffen sind, in ihrer möglichen Ausgestaltung zu verschiedenartig und zu wenig faßbar, um als Ansatzpunkte für eine gerichtliche Anordnung nach § 101 BetrVG in Betracht zu kommen. Der Arbeitgeber ist darin frei, wie er die zur Gehaltszahlung erforderlichen betrieblichen Abläufe organisiert. Daher fehlt es an einer allgemein und abstrakt hinreichend bestimmbaren Maßnahme, in der sich immer und unabhängig von der im Einzelfall bestehenden betrieblichen Organisation die vom Arbeitgeber vorgenommene Eingruppierungsbeurteilung verwirklichen müßte. Der Senat hält daher an seiner bereits früher geäußerten Auffassung (BAGE 43, 35, 44 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972, zu B II 1 b bb der Gründe, mit Anmerkung Misera; ebenso Dütz, AuR 1993, 33, 34 f.; MünchArbR/Matthes, § 347 Rz 22; wohl auch Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 101 Rz 5; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 101 Rz 4 a) fest, daß nach § 101 BetrVG dem Arbeitgeber nicht die Korrektur innerbetrieblicher Vorkehrungen aufgegeben werden kann, die er zur Umsetzung seiner Eingruppierung getroffen hat.

2. Der Betriebsrat kann aber nach § 101 BetrVG beantragen, daß der Arbeitgeberin aufgegeben wird, für den Zeitraum vom 1. Oktober 1983 bis zum 31. Oktober 1984 den Angestellten R in eine andere als die VergGr. IV b BAT einzugruppieren, zu dieser neuen Eingruppierung die Zustimmung des Betriebsrats zu beantragen und im Fall ihrer Verweigerung das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu betreiben. § 101 BetrVG will im Fall der Eingruppierung nicht lediglich sicherstellen, daß der Arbeitgeber irgendeine Entscheidung trifft, sondern darüber hinaus eine abschließende und mitbestimmte Klärung erzwingen.

a) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung ist § 101 BetrVG so auszulegen, daß sein Zweck auch bei Eingruppierungen erfüllt wird, die Vorschrift also nicht deshalb leerläuft, weil es an einem Gestaltungsakt fehlt. Maßgebend für die Auslegung ist, daß § 101 BetrVG der Sicherung des Mitbestimmungsrechts bei personellen Einzelmaßnahmen dient. Dieser Zweck kann bei Eingruppierungen nur dadurch erreicht werden, daß der Arbeitgeber dazu angehalten wird, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen und - falls der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert - das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu betreiben (Senatsbeschluß vom 9. Februar 1993 - AP, aaO, zu B II 2 der Gründe; vom 9. März 1993, AP, aaO, zu B II 1 der Gründe, jeweils m.w.N.).

b) Die Verpflichtungen des Arbeitgebers aus § 99 BetrVG erschöpfen sich aber nicht darin, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung und, wenn der Betriebsrat die Zustimmung verweigert hat, deren gerichtliche Ersetzung zu beantragen. Kann der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zur vorgesehenen Eingruppierung nicht erreichen und bleibt er auch im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG erfolglos, so darf er es nicht hierbei bewenden lassen und die Eingruppierung aufrechterhalten. Das in § 99 BetrVG vorgeschriebene Beteiligungsverfahren ist nämlich erst dann abgeschlossen, wenn es zu einer Eingruppierung geführt hat, für die entweder eine vom Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG erteilte oder eine vom Gericht nach § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzte Zustimmung vorliegt. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Beteiligungsverfahrens.

aa) Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats bei Eingruppierungen nach § 99 BetrVG soll sicherstellen, daß die Bewertung der Tätigkeit eines Arbeitnehmers und deren Zuordnung zu einer tariflichen Vergütungsgruppe möglichst zutreffend sind. Diese Beurteilung ist angesichts der vielfach allgemein und unscharf gehaltenen Fassung tariflicher Tätigkeitsmerkmale oft schwierig. Die einheitliche und gleichmäßige Anwendung der Lohn- und Gehaltsgruppenordnung in gleichen und vergleichbaren Fällen und die Transparenz der im Betrieb vorgenommenen Eingruppierungen dienen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluß vom 9. März 1993 - AP, aaO, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).

bb) Diesem Zweck könnte ein Verständnis der §§ 99 und 101 BetrVG nicht gerecht werden, nach dem die Zurückweisung eines Zustimmungsersetzungsantrags durch das Gericht für den Arbeitgeber rechtlich unverbindlich bliebe, diesen also nicht daran hinderte, es bei der für unzutreffend erkannten Eingruppierung zu belassen. Bei einer solchen Auslegung wäre die Beteiligung des Betriebsrats auf ein Informations- und Beratungsrecht reduziert. § 99 BetrVG begründet aber ein Mitbestimmungsrecht. Auch die Sicherungsvorschrift des § 101 BetrVG, die dieses Mitbestimmungsrecht gewährleisten soll, darf nicht so ausgelegt werden, daß sie nur eine Informations- und Beratungsmöglichkeit erzwingt. Insoweit kann für die Mitbestimmung bei Eingruppierungen kein geringerer Schutz angenommen werden als für die Mitbestimmung bei Einstellungen und Versetzungen.

Für die unter § 99 BetrVG fallenden Gestaltungsakte, also die Einstellung und die Versetzung, ist das Mitbestimmungsrecht in § 101 BetrVG dadurch abgesichert, daß der Betriebsrat die Aufhebung einer personellen Maßnahme durchsetzen kann, wenn er dieser nicht zugestimmt hat und die Zustimmung auch nicht vom Gericht ersetzt worden ist. Diese Regelung macht deutlich, daß das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG noch nicht abgeschlossen sein soll, wenn der Arbeitgeber mit seinem Zustimmungsersetzungsantrag gescheitert ist. Vielmehr gilt der Grundsatz, daß der Betriebsrat eine personelle Maßnahme, die sein Mitbestimmungsrecht verletzt, rückgängig machen lassen kann.

Allerdings führt die Mißachtung des Mitbestimmungsrechts bei Eingruppierungen nicht zu denselben Rechtsfolgen wie bei Einstellungen und Versetzungen. Zum einen kommt, wie bereits ausgeführt, die gerichtliche "Aufhebung" einer Eingruppierung nicht in Betracht, weil es an einem Gestaltungsakt fehlt, dessen Wirkung beseitigt werden könnte. Zum anderen kann der Arbeitgeber nicht, wie in Fällen der Einstellung oder der Versetzung, das Beteiligungsverfahren dadurch abschließen, daß er von der beabsichtigten Maßnahme ganz absieht; er muß nämlich auf der Grundlage des im Einzelfall anwendbaren Entgeltgruppensystems dem Arbeitnehmer ein Arbeitsentgelt zahlen und ihn zu diesem Zweck eingruppieren (Senatsbeschluß vom 9. Februar 1993, AP, aaO, zu B II 3 a der Gründe). Daraus folgt jedoch nicht, daß bei Eingruppierungen eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts folgenlos bleiben müßte. Vielmehr hat der Betriebsrat hier noch die Möglichkeit, im Verfahren nach § 101 BetrVG eine abschließende Bewertung und Eingruppierung zu erzwingen. Das Eingruppierungsverfahren muß zu einem positiven Ergebnis geführt werden, also zur Bestimmung der Entgeltgruppe, in welcher der Arbeitnehmer zutreffend eingruppiert ist. Nur auf diese Weise wird in gleicher Intensität wie bei Einstellungen und Versetzungen gewährleistet, daß die Entscheidung des Arbeitgebers, wenn sie Bestand haben soll, als Ergebnis des Beteiligungsverfahrens nach § 99 BetrVG anzusehen ist.

cc) Das bedeutet praktisch, daß ein Arbeitgeber, der im Zustimmungsersetzungsverfahren unterlegen ist, seinen Antrag auf Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung wiederholen muß. Dieser Antrag kann aber nur eine andere Entgeltgruppe als diejenige zum Gegenstand haben, zu der das Gericht bereits rechtskräftig die Ersetzung der Zustimmung versagt hat. Der Betriebsrat kann die Fortsetzung des Beteiligungsverfahrens dadurch erzwingen, daß er dem Arbeitgeber nach § 101 BetrVG aufgeben läßt, nunmehr eine andere als die ursprünglich beabsichtigte Eingruppierung vorzunehmen und hierzu seine, des Betriebsrats, Zustimmung einzuholen. Dies folgt aus der oben (a) dargestellten Funktion des § 101 BetrVG, bei Eingruppierungen die Durchführung des Beteiligungsverfahrens zu erzwingen.

Diese Auslegung der §§ 99 und 101 BetrVG steht nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, daß der Betriebsrat im Bereich seiner Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG kein Initiativrecht hat, auf dessen Grundlage er vom Arbeitgeber die Eingruppierung in einer bestimmten Entgeltgruppe verlangen könnte (BAGE 68, 104, 113 f. = AP Nr. 105 zu § 99 BetrVG 1972, zu B II 2 f der Gründe). Um ein derartiges Initiativrecht geht es hier nicht. Der Betriebsrat kann lediglich verhindern, daß der Arbeitgeber eine Eingruppierung beibehält, die das Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG verletzt. Dementsprechend kann der Betriebsrat auch nur durchsetzen, daß der Arbeitgeber das Eingruppierungsverfahren unter Beteiligung des Betriebsrats solange fortführt, bis es zu einem positiven Abschluß gekommen ist.

c) Der dargestellten Auslegung der §§ 99 und 101 BetrVG läßt sich nicht entgegenhalten, daß die - im Ausnahmefall mehrfache - Wiederholung des Beteiligungsverfahrens für die Eingruppierung eines Arbeitnehmers unangemessen aufwendig wäre, weil sie den Arbeitgeber gegenüber betroffenen Arbeitnehmern ohnehin nicht binden könnte, also im Ergebnis folgenlos bliebe. Der Senat geht vielmehr davon aus, daß sich der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber jedenfalls dann auf eine im Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG gefundene Eingruppierung berufen kann, wenn diese durch gerichtliche Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren ermittelt wurde.

aa) Allerdings ist die Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen ein Instrument des kollektiven Interessenausgleichs. Zweck dieses Mitbestimmungsrechts ist nicht die umfassende und abschließende Klärung von Rechtsbeziehungen, die zwischen dem Arbeitgeber und dem im Einzelfall betroffenen Arbeitnehmer bestehen.

Dennoch entfaltet das in den §§ 99 bis 101 BetrVG geregelte Beteiligungsverfahren nicht nur im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat rechtliche Wirkungen. Solche Wirkungen können sich vielmehr auch im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem im Einzelfall betroffenen Arbeitnehmer ergeben. So hat der Senat bereits entschieden, daß eine vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts vorgenommene Versetzung unwirksam ist, wenn hierzu die Zustimmung des Betriebsrats nicht erteilt und auch nicht vom Gericht ersetzt worden ist (BAGE 57, 242, 255 f. = AP Nr. 50 zu § 99 BetrVG 1972, zu II 4 b der Gründe). Dem ist das Schrifttum überwiegend gefolgt (vgl. nur Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, aaO, § 99 Rz 218; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 99 Rz 66; MünchArbR/Matthes, § 346 Rz 28; a.A. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 99 Rz 9). Auch die Mißachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Einstellungen wirkt sich auf das Arbeitsverhältnis aus. Es ist hier ohne Bedeutung, ob eine solche Einstellung unwirksam ist (so Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 99 Rz 64 f., m.w.N.), oder ob der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht lediglich zum Verbot führt, den Arbeitnehmer zu beschäftigen (so BAG Urteil vom 2. Juli 1980 - 5 AZR 56/79 - AP Nr. 5 zu § 101 BetrVG 1972, mit Anm. Misera, zu II der Gründe; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, aaO, § 99 Rz 216; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 99 Rz 9; MünchArbR/Matthes, § 346 Rz 26, jeweils m.w.N.). Auch ein bloßes Beschäftigungsverbot greift in die individualrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber insofern ein, als es die Erfüllung eines aus dem Arbeitsverhältnis fließenden Beschäftigungsanspruchs ausschließt. Eine gerichtliche Anordnung nach § 101 BetrVG kann sich ihrer Natur nach nicht auf die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beschränken. Die Gestaltungsakte, deren Aufhebung dem Arbeitgeber vom Gericht aufgegeben wird, haben nämlich immer das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand.

bb) Sind aber Eingriffe in die individualrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unverzichtbare und typische Mittel zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen, so müssen solche Eingriffe im erforderlichen Maße auch bei Eingruppierungen möglich sein. Dem steht nicht der besondere Charakter des Mitbestimmungsrechts als Mitbeurteilungsrecht entgegen. Aus dieser Besonderheit folgt lediglich eine andere Form der Einwirkung in das Individualrechtsverhältnis als im Fall der Einstellung oder Versetzung.

Der Senat verkennt nicht, daß das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei Eingruppierungen auch ohne die Möglichkeit derartiger Eingriffe in das Arbeitsverhältnis nicht bedeutungslos wäre. Das in § 99 BetrVG vorgeschriebene Verfahren entfaltet gewisse tatsächliche Wirkungen. Diese bestehen darin, daß eine von Arbeitgeber und Betriebsrat übereinstimmend vorgenommene - oder im Fall der Nichteinigung im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG vom Gericht getroffene - Beurteilung in der Regel von den Arbeitsvertragsparteien übernommen werden wird, so daß es dann eines zusätzlichen Verfahrens zur Durchsetzung der tarifgerechten Vergütung nicht mehr bedarf (Senatsbeschluß vom 9. Februar 1993, AP, aaO, zu B II 3 b der Gründe). Eine derartige faktische Wirkung, die auch bei einem bloßen Beratungsrecht des Betriebsrats eintreten könnte, reicht aber nicht aus, um das Mitbestimmungsrecht bei Eingruppierungen zu realisieren. Vielmehr muß eine gerichtlich erzwungene Eingruppierung für den Arbeitgeber auch rechtliche Verbindlichkeit entfalten. Dies folgt daraus, daß in § 99 Abs. 4 BetrVG für den Fall, daß Arbeitgeber und Betriebsrat unterschiedliche Auffassungen über die zutreffende Eingruppierung haben, die gerichtliche Klärung vorgeschrieben ist. Die gesetzliche Regelung wäre in sich widersprüchlich, wenn sie so zu verstehen wäre, daß die gerichtliche Entscheidung für den Arbeitgeber nur die Bedeutung einer unverbindlichen Meinungsäußerung hätte. Zum Wesen der Gerichtsentscheidung, mit der ein Verfahren beendet wird, gehört ihre Verbindlichkeit für die Verfahrensbeteiligten.

Daraus folgt, daß jedenfalls dann, wenn ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG stattgefunden hat, eine gerichtlich als zutreffend festgestellte Eingruppierung für den Arbeitgeber im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer verbindlich ist. Diese Wirkung tritt vor allem dann ein, wenn das Gericht die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung ersetzt hat. Eine begrenzte Bindungswirkung besteht aber auch insoweit, als der Arbeitgeber mit seinem Zustimmungsersetzungsantrag erfolglos geblieben ist. Wird die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe rechtskräftig abgelehnt, so kann sich der Arbeitgeber auch im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer im Streitfall nicht mehr auf die Maßgeblichkeit allein dieser Entgeltgruppe berufen. Das bedeutet, daß der Arbeitnehmer das Recht hat, seinen Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber unmittelbar auf das Ergebnis des Beschlußverfahrens zu stützen, ohne daß sein Anspruch insoweit noch von einer weiteren Prüfung der tariflichen Eingruppierungsvoraussetzungen abhinge.

cc) Andererseits ist der Arbeitnehmer nicht daran gehindert, eine günstigere als die nach § 99 BetrVG festgestellte Eingruppierung geltend zu machen. Die Einseitigkeit der individualrechtlichen Wirkung einer Eingruppierungsentscheidung nach § 99 BetrVG entspricht dem begrenzten Sicherungszweck des § 101 BetrVG. Eine gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindliche Wirkung der Eingruppierung nach § 99 BetrVG widerspräche der Systematik des betriebsverfassungsrechtlichen Eingruppierungsverfahrens. Dieses ist allein darauf zugeschnitten, daß eine vom Arbeitgeber vorgenommene Beurteilung überprüft und ggfs. gebilligt wird. Dagegen hat der betroffene Arbeitnehmer keinerlei Initiativrecht, mit dessen Hilfe er im Rahmen dieses Verfahrens abweichende eigene Vorstellungen über seine Tätigkeit und deren Eingruppierung durchsetzen könnte. Auch eine mögliche Beteiligung des Arbeitnehmers im Beschlußverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG könnte nichts daran ändern, weil Gegenstand dieses Verfahrens allein der Ersetzungsantrag des Arbeitgebers ist. Daher hält der Senat an seiner ständigen Rechtsprechung fest, daß eine Gerichtsentscheidung nach § 99 Abs. 4 BetrVG keine präjudizielle Wirkung zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers hat (vgl. BAGE 42, 121, 126 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972, zu B I der Gründe; kritisch dazu Dütz, AuR 1993, 33, 38 f., m.w.N.).

3. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG bis zur Festlegung einer Entgeltgruppe durchzuführen, besteht auch fort, wenn sich die Eingruppierung, wie im vorliegenden Fall, nur auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum bezieht.

a) Allerdings hat nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine im Verfahren nach § 101 BetrVG ergehende Entscheidung, mit der dem Arbeitgeber die Aufhebung einer Maßnahme aufgegeben wird, Wirkung nur für die Zukunft. Der Aufhebungsantrag des Betriebsrats nach § 101 BetrVG dient nämlich der Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustands und verpflichtet den Arbeitgeber erst mit Rechtskraft des Beschlusses. Daß der Arbeitgeber den betriebsverfassungswidrigen Zustand bis zu diesem Zeitpunkt aufrechterhalten hat, löst nach dem Betriebsverfassungsgesetz im allgemeinen keine Sanktionen aus (BAGE 65, 105, 118 ff., m.w.N.).

b) Für Eingruppierungen gilt dies indessen nicht uneingeschränkt.

aa) Hat der Arbeitgeber eine Eingruppierung ohne Beteiligung des Betriebsrats vorgenommen oder sie aufrechterhalten, obwohl der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert und das Gericht die Zustimmung auch nicht ersetzt hat, so kann dieser betriebsverfassungswidrige Zustand durch das geschilderte Beteiligungsverfahren noch nachträglich korrigiert werden. Auch individualrechtliche Wirkungen kann das nachgeholte Beteiligungsverfahren im Fall der Eingruppierung noch entfalten, denn eine Entgeltdifferenz läßt sich für vergangene Zeiträume entsprechend der nachträglich als zutreffend erkannten Eingruppierung noch ausgleichen. Der Arbeitgeber darf nicht die Möglichkeit haben, die der Sicherung des Mitbestimmungsrechts dienende Wirkung dadurch zu vereiteln oder doch abzuschwächen, daß er den betriebsverfassungswidrigen Zustand möglichst lange aufrechterhält, um eine Korrektur dann nur für die Zukunft vorzunehmen.

bb) Im vorliegenden Zusammenhang ist keine Beantwortung der Frage erforderlich, ob und inwieweit sich aus diesen auf der Sicherung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aufbauenden Erwägungen Folgerungen auch für Fälle ergeben können, in denen der Arbeitgeber den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 99 BetrVG beteiligt und anschließend, nachdem der Betriebsrat die Zustimmung verweigert hat, das Zustimmungsersetzungsverfahren betrieben hat. In einem solchen Fall hat der Senat, nachdem Betriebsrat und Arbeitgeber sich während des Zustimmungsersetzungsverfahrens aufgrund einer Änderung des Entgeltgruppensystems auf eine Neueingruppierung verständigt hatten, das Verfahren als in der Hauptsache erledigt angesehen und zur Begründung ausgeführt, auch im Fall der Eingruppierung könne eine Entscheidung nach § 101 BetrVG Wirkungen nur für die Zukunft entfalten (BAGE 65, 105, 119). Da der Senat in diesem Fall keine Veranlassung hatte, auf den besonderen Sicherungszweck des § 101 BetrVG im Zusammenhang mit Eingruppierungen einzugehen, mußten die damit zusammenhängenden Fragen nicht vertieft werden.

Ebenso gibt der vorliegende Fall keinen Anlaß zur Überprüfung der Senatsrechtsprechung zum Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach Ausscheiden des von der Eingruppierung betroffenen Arbeitnehmers aus dem Betrieb. In einem solchen Fall hat der Senat ebenfalls die Anwendbarkeit des § 101 BetrVG deswegen verneint, weil ein in der Vergangenheit liegender Zeitraum Gegenstand des Verfahrens war (Beschluß vom 14. November 1989 - 1 ABR 85/88 - n.v.). Hier fordert der Schutzzweck des § 101 BetrVG schon deswegen keine Korrektur für die Vergangenheit, weil die Interessen des ausgeschiedenen Arbeitnehmers nicht mehr zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehörten.

Dr. Dieterich Dr. Rost Dr. Wißmann

Rösch Dr. Wohlgemuth

 

Fundstellen

Haufe-Index 436982

BAGE 00, 00

BAGE, 1

BB 1994, 1009

BB 1994, 2147

BB 1994, 2490

BB 1994, 2490-2493 (LT1-4)

DB 1995, 228-230 (LT1-4)

AiB 1994, 762-764 (LT1-4)

BetrR 1995, 39-41 (LT1-4)

BetrVG, (36) (LT1-4)

JR 1995, 176

JR 1995, 176 (S)

NZA 1995, 484

NZA 1995, 484-488 (LT1-4)

SAE 1995, 33-37 (LT1-e)

ZTR 1995, 42-44 (LT1-4)

AP § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung (LT1-4), Nr 2

EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 122 (LT1-4)

EzBAT §§ 22, 23 BAT A, Allgemein Nr 48 (LT1-4)

MDR 1995, 506-507 (LT)

PersF 1994, 763-764 (K)

ZfPR 1994, 163 (L)

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