Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann nach den Umständen des Einzelfalls auch ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung, u. U. auch eine außerordentliche Kündigung, rechtfertigen.[1]

Der Begriff wird definiert in § 3 Abs. 4 AGG. Der Arbeitgeber hat schon wegen § 12 Abs. 3 AGG die Pflicht zu handeln und die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der sexuellen Belästigung, wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.[2]

Dabei kommt es im Hinblick auf die Entscheidung der Rechtsfrage, ob eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz von ihrem Gewicht her eine Kündigung rechtfertigt oder nicht, nicht allein auf die Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin durch die hiervon Betroffenen an. Ob das Verhalten unerwünscht ist, wird objektiv bewertet und nicht danach, ob der Betroffene dies aktiv verdeutlicht hat.[3] Auf die sexuelle Motivation des Täters kommt es nicht an.[4] Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen.[5]

Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt i. S. d. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt.[6] Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie z. B. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben.[7]

Entblößt ein Arbeitnehmer die Genitalien eines anderen unter Missachtung dessen Rechts auf Selbstbestimmung, wem gegenüber und in welcher Situation er sich unbekleidet zeigen möchte, stellt dies eine sexuelle Belästigung dar, die eine außerordentliche Kündigung begründen kann.[8]

Entscheidend ist auch, ob das Vertrauensverhältnis, das zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags auch hinsichtlich der moralischen Integrität des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin bestehen muss, durch ein solches Verhalten erschüttert wird.

In den Fällen, in denen es die von einer sexuellen Belästigung Betroffenen dabei haben bewenden lassen, sich die Zudringlichkeiten zu verbitten, und nicht ihre Vorgesetzten unterrichtet haben, kann daher nicht gefolgert werden, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber von vornherein deswegen zumutbar sei, weil der Betriebsablauf durch das Verhalten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei.[9]

Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin in bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens beharrlich nach, ist dies unabhängig von der strafrechtlichen Einordnung des Verhaltens bereits dann "an sich" ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung, wenn mit diesem Verhalten der Betriebsfriede gestört ist.[10] Eine vorherige Abmahnung ist aber nur dann entbehrlich, wenn trotz Abmahnung eine Verhaltensänderung in Zukunft nicht zu erwarten ist, z. B. weil dem Arbeitnehmer bereits ein Beschwerdeverfahren wegen eines vergleichbaren Vorwurfs gemacht wurde, oder weil so eine schwere Pflichtverletzung vorliegt, dass ein Tolerieren des Arbeitgebers offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.[11]

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