Leitsatz

1. Aufwendungen einer empfängnisunfähigen (unfruchtbaren) Frau für eine heterologe künstliche Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation (IVF) sind als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) auch dann zu berücksichtigen, wenn die Frau in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.

2. Da die Aufwendungen dazu dienen, die Fertilitätsstörung der Steuerpflichtigen auszugleichen, sind sie als insgesamt – einschließlich der auf die Bereitstellung und Aufbereitung des Spendersa­mens entfallenden Kosten – auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung darauf gerichtet, die Störung zu überwinden. Eine Aufteilung der Krankheitskosten kommt insoweit nicht in Betracht.

 

Normenkette

§ 33 Abs. 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin lebte im Streitjahr (2011) in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Eine eingetragene Partnerschaft bestand zu dieser Zeit noch nicht. Aufgrund einer primären Sterilität (Unfruchtbarkeit) konnte die Klägerin ohne medizinischen Eingriff nicht schwanger werden. Sie ließ deshalb in einer Klinik in Dänemark eine In-vitro-Fertilisation (IVF) unter Verwendung von Samenzellen eines Spenders durchführen. Die dänische Klinik unterlag der Kontrolle der dänischen Gesundheitsbehörden. Durch die Behandlung entstanden der Klägerin Kosten i.H.v. insgesamt 8.498,85 EUR, die sie in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als außergewöhnliche Belastung geltend machte. Das FA erkannte die Aufwendungen nicht an, weil die Maßnahme nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen worden sei. Die im Anschluss erhobene Klage wies das FG ab. Die IVF stelle zwar eine medizinisch indizierte Heilbehandlung dar. Es fehle jedoch an der erforderlichen Zwangsläufigkeit zwischen der Krankheit der Klägerin und den geltend gemachten Kosten. Denn die Kinderlosigkeit der Klägerin sei nicht unmittelbare und ausschließliche Folge ihrer krankheitsbedingten Unfruchtbarkeit gewesen, sondern sei zugleich maßgeblich darin begründet, dass sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe, in der die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege ausgeschlossen sei (FG Münster, Urteil vom 23.7.2015, 6 K 93/13 E, Haufe-Index 8576541, EFG 2015, 2071).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Klägerin hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen statt.

 

Hinweis

1. Der BFH erkennt in ständiger Rechtsprechung ­Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an und lässt die Aufwendungen hierfür zum Abzug als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zum Abzug zu. Dies gilt auch, wenn die IVF mit heterologem Spendersamen durchgeführt wird (BFH, Urteil vom 16.12.2010, VI R 43/10, BFH/NV 2011, 684, BFH/PR 2011, 177).

2. Voraussetzung ist allerdings, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der ­innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Als außergewöhnliche Belastungen sind daher ­Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz verstößt und mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht (BFH, Urteil vom 17.5.2017, VI R 34/15, BFH/NV 2017, 1371, BFH/PR 2017, 351, m.w.N.).

3. Für die Prüfung dieser Frage ist dabei in der Regel die Richtlinie heranzuziehen, die von der Ärztekammer des die Behandlung durchführenden Arztes erlassen wurde. Wird die Behandlung – wie im Streitfall – im Ausland durchgeführt, ist es ausreichend, wenn der Steuerpflichtige diese zumindest in einem Bundesland hätte durchführen können.

4. Die Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen des Freistaats Bayern sowie der Länder Berlin und Brandenburg stehen der bei der Klägerin vorgenommenen Kinderwunschbehandlung nicht entgegen. Auch in Hessen hätte sie die Behandlung vornehmen können (vgl. BFH, Urteil vom 5.10.2017, VI R 2/17, BFH/NV 2018, 194).

Behandlung in Dänemark unschädlich

Dass die Klägerin die Behandlung in Dänemark hat vornehmen lassen, ist deshalb im Streitfall unschädlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Behandlung gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen haben könnte, liegen nicht vor.

5. Ebenso wie bei Ehepaaren und heterosexuellen Lebenspartnerschaften kann in entsprechenden ­Fällen einer künstlichen Befruchtung zur Umgehung einer vorhandenen Sterilität eines Partners auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren eine tatsächliche Zwangslage nicht verneint werden (eben­so Schmidt/Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 33 Rz. 35 "Künstliche Befruchtung"; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33 Anh. 1 ABC der außergewöhnlichen Belastungen "Künstliche Befruchtung" Rz. 6; wohl auch Meurer, Der Ertrag-Steuer-Berater (EStB) 2007, 402; a.A. Mellinghoff in Kirchhof, 16. Aufl., § 33 Rz. 54 "Befruchtung").

6. Entsprechend sind die von der Klägerin getragenen Kosten für die künstliche Befruchtung i.H.v. 8.498,85 EUR als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. E...

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