1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 4 BUrlG knüpft den Anspruch auf den Vollurlaub daran, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Zeit – 6 Monate – im Arbeitsverhältnis stand, bevor er den Anspruch auf den vollen Jahresurlaub geltend machen kann. Diese vom Gesetz so bezeichnete Wartezeit zählt zu den Grundsätzen des Urlaubsrechts, die schon vor dem Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) allgemein anerkannt waren.

 

Rz. 2

Auf diese Weise soll vermieden werden, dass der Arbeitnehmer schon den vollen Urlaubsanspruch erwirbt, obwohl die Verbindung im Arbeitsverhältnis noch recht locker ist, z. B. weil sich der Arbeitnehmer noch in der Probezeit befindet oder weil zumindest noch kein allgemeiner Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG besteht. Die Wartezeit des § 4 BUrlG läuft im Wesentlichen parallel zur Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, die ebenfalls 6 Monate beträgt. So ist auch gewährleistet, dass im Fall einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses in den ersten Monaten der Arbeitgeber auch nicht mit übermäßig hohen Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüchen belastet ist.

Ebenso wird auf diese Weise vermieden, dass der Arbeitnehmer bei einem nur kurzen Arbeitsverhältnis mit anschließendem Arbeitgeberwechsel Doppelansprüche auf Vollurlaub gegen den alten wie auch gegen den neuen Arbeitgeber erwirbt.

2 Allgemeines zur Wartezeit

2.1 Rechtscharakter der Wartezeit

 

Rz. 3

Die Wartezeit verhindert das Entstehen eines vollen Urlaubsanspruchs nach § 3 BUrlG in den ersten 6 Monaten – dieser Anspruch wird nicht etwa aufgeschoben, sondern er existiert nicht; stattdessen hat der Arbeitnehmer aber unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 BUrlG einen Teilurlaubsanspruch.

 

Rz. 4

Soweit andere Auffassungen hierzu vertreten werden, nach denen der Urlaubsanspruch durch die Wartezeit aufschiebend bedingt sei oder in der Wartezeit eine Anwartschaft auf den Vollurlaub entsteht[1], hat das für die Praxis keine nennenswerte Bedeutung. Sollte der Arbeitgeber tatsächlich die Erfüllung der Wartezeit treuwidrig vereiteln, so ist der Rechtsgedanke des § 162 BGB entsprechend anzuwenden.[2] Derartige Fälle dürften aber kaum auftreten.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt, in dem noch kein Kündigungsschutz besteht, ist jedenfalls keine treuwidrige Vereitelung des Vollurlaubsanspruchs. Davon kann allenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis allein deswegen kündigt, damit der volle Urlaubsanspruch nicht entsteht, den Arbeitnehmer aber kurz darauf wieder einstellt. Hier hätte der Arbeitgeber den Anspruch auf den vollen Urlaub treuwidrig vereitelt[3], sodass er sich auf den von ihm selbst herbeigeführten Umstand der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses nicht berufen kann und der Arbeitnehmer nach der 6-monatigen Dauer des Arbeitsverhältnisses den vollen Urlaub verlangen kann. Dafür hat dann aber der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast.

 

Rz. 5

Soweit das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer älteren Entscheidung andeutet[4], bei einer unwirksamen Kündigung durch den Arbeitgeber könne der Arbeitnehmer gleichwohl gegen diesen Arbeitgeber den vollen Urlaubsanspruch erworben haben, reicht die Unwirksamkeit der Kündigung alleine nicht aus, um dem Arbeitgeber ein treuwidriges Vereiteln der Erfüllung der Wartezeit vorwerfen zu können. Im Übrigen wird eine solche Kündigung regelmäßig wirksam sein, da der Arbeitnehmer mangels Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG noch keinen Kündigungsschutz genießt.

[1] Übersicht bei Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 4 BUrlG, Rz. 6.
[2] Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 4 BUrlG, Rz. 8.
[3] Sofern man nicht schon die Auffassung vertritt, dass kürzere rechtliche Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses unbeachtlich sind, so Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 4 BUrlG, Rz. 43; s. dazu Rz. 21 ff.
[4] BAG, Urteil v. 4.10.1963, 1 AZR 488/62, AP Nr. 2 zu § 19 JArbSchG.

2.2 Vereinbarkeit mit Europäischem Recht

 

Rz. 6

Die Wartezeit ist im Ergebnis mit Art. 7 (Jahresurlaub) der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG v. 4.11.2003 vereinbar[1], da der fehlende Anspruch auf den Vollurlaub durch den Anspruch auf Teilurlaub nach § 5 BUrlG kompensiert wird.[2] Ebenso wenig kann die Notwendigkeit einer Wartezeit Beschäftigte mittelbar diskriminieren, denn die Regelung betrifft gleichermaßen Frauen und Männer wie auch Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte.

[1] ErfK/Gallner, 24. Aufl. 2024, § 4 BUrlG, Rz. 1.
[2] Schaub/Linck, ArbR-HdB, 20. Aufl. 2023, § 104, Rz. 28.

2.3 Zeitrahmen für die Wartezeit

 

Rz. 7

Die Wartezeit muss nicht in einem Kalender- oder Urlaubsjahr zurückgelegt werden, sondern kann sich auch über den Jahreswechsel hinziehen. Für das erste von der Wartezeit betroffene Kalenderjahr sind für die Entstehung und Übertragung des Teilurlaubsanspruchs nach § 5 BUrlG dessen Voraussetzungen zu beachten.

 

Rz. 8

Die Wartezeit muss in einem zusammenhängenden Dienst- oder Arbeitsverhältnis, in dem ein gesetzlicher Urlaubsanspruch besteht, nur einmal erfüllt werden. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor als Auszubildender[1], in einem sonstigen Berufsbildungsverhältnis i. S. d. BBiG als Heimarbeiter oder arbeitnehmer...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge