Rz. 68

 

Beispiel

In einem Tarifvertrag findet sich im Rahmen von Urlaubsregelungen nachfolgende Vorschrift:

"Erkrankt der Arbeitnehmer während des Urlaubs und zeigt er dies unverzüglich an, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Urlaub nicht angerechnet. Der durch die Unterbrechung verbleibende Resturlaub ist nachzugewähren."

Lösung

Das BAG ist der Auffassung, dass ein solches, in § 9 BUrlG fehlendes, Anzeigeerfordernis nicht nur für den Tarifurlaub, soweit dieser den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, sondern auch für den gesetzlichen Mindesturlaub selbst wirksam aufgestellt werden kann. § 13 BUrlG stehe dieser tariflichen Regelung nicht entgegen (BAG, Urteil v. 15.12.1987, 8 AZR 647/86[1]). Diese Rechtsprechung scheint vor dem Hintergrund bedenklich, dass hierdurch der gesetzliche Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG wesentlich reduziert werden kann, wenn der Arbeitnehmer z. B. in seinem 4-wöchigen Sommerurlaub erkrankt und dies – aus welchen (un-)verschuldeten Gründen auch immer – nicht unverzüglich seinem Arbeitgeber mitteilt.[2] Außerdem wird zu prüfen sein, ob die Richtlinie 2003/88/EG sowie Art. 31 Abs. 2 GRC es nicht zumindest erfordern, die Umstände zu berücksichtigen, die dazu führten, dass der Arbeitnehmer sich nicht unverzüglich krankmeldete. War es dem Arbeitnehmer – sei es wegen der Schwere der Erkrankung, sei es wegen der Zustände in dem Land, in dem er sich befindet – schlicht unmöglich, sich zu melden, würde ihm endgültig die Möglichkeit zur Erholung genommen. Auch hier ist zu überlegen, ob eine mit Unionsrecht vereinbare Auslegung von § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG dazu führt, dass derartige tarifliche Regelungen, jedenfalls in begründeten Einzelfällen, nicht als wirksam angesehen werden können.[3]

[1] DB 1988 S. 1555; HK-BUrlG/Hohmeister, 3. Aufl. 2013, § 13, Rz. 137.
[2] Ablehnend auch ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, § 13 BUrlG, Rz. 16.
[3] S. hierzu auch Rz. 67 und 74.

2.6.1 Anrechnung von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§§ 1, 3 Abs. 1, 10 BUrlG)

 

Rz. 69

 

Beispiel

Ein Tarifvertrag enthält folgende Regelung:

  1. Der Urlaub beträgt pro Urlaubsjahr 25 Tage.
  2. Kuren und Heilverfahren, für die dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 9 Abs. 1 EFZG zustehen, können auf den Erholungsurlaub gem. Nr. 1 angerechnet werden. Die Anrechnung darf nicht mehr als 10 Urlaubstage umfassen.

Lösung

Eine solche Regelung ist insofern unwirksam, als sie auch in den gesetzlichen Mindesturlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG von 24 Werktagen eingreift. Arbeitet ein Arbeitnehmer in der 5-Tage-Woche, beträgt sein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch 20 Arbeitstage. Befindet er sich in einer 4-wöchigen Kur (= 20 Arbeitstage) nach § 9 Abs. 1 EFZG, greift die tarifliche Anrechnungsregel in den gesetzlichen Urlaubsanspruch ein: Denn die 20 Kurtage können laut Nr. 2 des Tarifvertrags auf bis zu 10 Urlaubstage angerechnet werden. Der Urlaubsanspruch von 25 Tagen reduziert sich auf 15 Tage und nimmt dem Arbeitnehmer 5 gesetzliche Urlaubstage. Soweit § 10 BUrlG eine Anrechnung verbietet, gehört diese Regelung zwar nicht zu den gesetzlichen Bestimmungen, die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG der Verfügungsmacht der Tarifpartner völlig entzogen sind. Die Grenze einer tariflichen Anrechnungsregelung ist jedoch dort erreicht, wo die Grundsatzvorschriften der §§ 1-3 Abs. 1 BUrlG erfasst werden. In diese Grundsatzvorschriften dürfen tarifliche Regelungen weder unmittelbar noch mittelbar zuungunsten des Arbeitnehmers eingreifen. Tarifliche Regelungen sind deshalb insoweit unwirksam, als sie die Anrechnung von Kur- und Heilverfahren, für die ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 9 Abs. 1 EFZG besteht, auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ganz oder teilweise gestatten (so bereits BAG, Urteil v. 10.2.1966, 5 AZR 408/65[1]). Die Anrechnung kann deshalb vorliegend nur im Umfang von 5 Tagen erfolgen, da es sich bei den Urlaubstagen, die über den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen hinausgehen, um ausschließlich tarifliche Urlaubsansprüche handelt, bei denen den Tarifvertragsparteien die Regelungsmacht voll zusteht.

[1] BB 1966 S. 619.

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