Rz. 22

Der Vorrang tariflicher Regelungen vor dem BUrlG nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann nur dann greifen, wenn beide Parteien tarifgebunden sind (§ 3 Abs. 1 TVG), weil sie Mitglieder der tarifschließenden Parteien sind (Gewerkschaft einerseits und Arbeitgeberverband andererseits, sofern kein Haustarifvertrag vorliegt) oder der Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt wurde (§ 5 TVG) oder durch eine Rechtsverordnung dessen Anwendung bestimmt wurde (§ 7 AEntG). Um dem praktischen Bedürfnis entgegenzukommen, nicht je nach bestehender oder fehlender Tarifbindung der Arbeitnehmer unterschiedliche Regelungen anwenden zu müssen, erlaubt es § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, im Arbeitsvertrag die Anwendung des Tarifvertrags zu vereinbaren. Die Folge: Damit finden auch im nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnis die tariflichen Urlaubsregelungen Anwendung, die zuungunsten des Arbeitnehmers vom BUrlG abweichen.

 

Beispiel

Ein Tarifvertrag sieht vor, Arbeitstage, an denen ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs erkrankt, nur dann nicht auf den Urlaubsanspruch anzurechnen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich nachweist.[1]

Lösung

§ 9 BUrlG regelt, dass die Tage der durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden. Die tarifliche Regelung wirkt sich dann zulasten des Arbeitnehmers aus, wenn er zwar ein ärztliches Zeugnis i. S. v. § 9 BUrlG vorlegt, die Arbeitsunfähigkeit aber nicht unverzüglich i. S. d. Tarifregelung nachgewiesen hat. Im Arbeitsvertrag könnte eine solche Regelung nicht konstitutiv vereinbart werden: Zwischen Arbeitsvertrag und BUrlG gilt nicht das Vorrangprinzip, sodass im Arbeitsvertrag nur günstigere, jedenfalls aber keine ungünstigeren Regelungen gegenüber dem BUrlG vereinbart werden können.[2] Da insofern ein Einzelvergleich stattfindet und kein Sachgruppenvergleich, ist auch unerheblich, ob sich im Arbeitsvertrag an anderer Stelle eine gegenüber dem BUrlG günstigere Regelung findet. Über den "Umweg" der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags kann nunmehr aber die für den Arbeitnehmer ungünstigere tarifliche Regelung zur Anwendung gebracht werden.

 

Rz. 23

Handelt es sich bei der im Arbeitsvertrag vereinbarten Verweisungsklausel auf den Tarifvertrag um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB, § 305 Abs. 1 BGB[3]), unterliegt diese seit dem 1.1.2003 der inhaltlichen Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB.

 

Beispiel

"Für die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber gelten die Tarifverträge des Einzelhandels für Arbeitnehmer/innen in Baden-Württemberg in der jeweils gültigen Fassung".

Die Verweisungsklausel ist vor allem dahin zu überprüfen, ob sie wegen ihrer äußeren Form oder inhaltlichen Gestaltung überraschend ist und deshalb nicht Vertragsbestandteil wird (§ 305c Abs. 1 BGB). Grundsätzlich gilt jedoch, dass Verweisungsklauseln keine überraschenden Klauseln sind und deshalb Vertragsbestandteil werden (§ 305c Abs. 1 BGB). Dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge sind im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge nicht überraschend ist (BAG, Urteil v. 24.9.2008, 6 AZR 76/07[4]).

 
Hinweis

Bisher konnte das BAG dahinstehen lassen, ob über die an sich nicht überraschende Verweisungsklausel hinaus solche tariflichen Bestimmungen nicht Vertragsinhalt werden, die für die Vertragspartner bei Abschluss des Vertrags schlechterdings nicht vorhersehbar waren, und an welchen Kriterien die Unvorhersehbarkeit von Tarifänderungen zu messen wäre.

Die Verweisungsklausel unterliegt nicht nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle, da sie nicht von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen enthält (BAG, Urteil v. 18.9.2011, 9 AZR 1/11[5]). Der Regelungsgehalt einer Bezugnahmeklausel beschränkt sich auf die Verweisung als solche. Einen weitergehenden kontrollfähigen Inhalt hat sie nicht. Ein Änderungsvorbehalt i. S. d. § 308 Nr. 4 BGB liegt nicht vor (BAG, Urteil v. 18.11.2009, 4 AZR 493/08, n. v.).

Eine Verweisungsklausel wird auch nicht unklar oder missverständlich, wenn sie wie im Beispiel eine dynamische Verweisung[6] auf den einschlägigen Tarifvertrag beinhaltet. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt nicht vor. Denn auch solche Bezugnahmeklauseln sind im Arbeitsrecht weit verbreitet, entsprechen einer üblichen Regelungstechnik und dienen den Interessen beider Parteien eines auf die Zukunft gerichteten Arbeitsverhältnisses. Dass bei Vertragsabschluss noch nicht absehbar ist, welchen zukünftigen Inhalt die Tarifverträge haben werden, ist unerheblich. Die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden in Bezug genommenen Regelungen sind bestimmbar. Das ist jedenfalls zur Wahrung des Transparenzgebots ausreichend (BAG, Urteil v. 18.11.2009, 4 AZR 493/08, n. v.[7]).

 

Rz. 24

Von der AGB-Kontrolle der Verweisungsklausel zu unterscheiden ist, ob eine Inhaltskontrolle der in Bezug genommenen ta...

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